Die Verschwörung des Fiesco zu Genua - Felix Rothenhäusler inszeniert Schiller in Karlsruhe
Nur ein wenig Blut aus dem Eimer
von Georg Patzer
Karlsruhe, 24. November 2011. Was tun mit dem Pathos bei Schiller? Ihn modern spielen? Seine hohe, manchmal hochgedrehte Sprache überspielen oder lieber reduzieren? Auch Felix Rothenhäusler versucht, Schillers "Die Verschwörung des Fiesco zu Genua" das Pathos auszutreiben. Von Anfang an: Auf der rohen, fast leeren Bühne steht eine große Holzbühne mit 22 Stelzen, fünf purpurroten Vorhängen hintereinander und zwei aufgemalten Säulen.
Wenn es losgeht, kommt die ganze Truppe nach vorne, steht herum und starrt ins Publikum. Dann fängt es irgendwann wirklich an. Ein bisschen. Denn es ist zwar Karneval im Stück, aber davon merkt man nicht viel in Karlsruhe. "Weg! Sie zerren mir ja die Garnierung in Stücken", ruft Julia, die mit Fiesco kokettiert. Aber sie stehen auf ihrem Fleck, drehen sich zum Publikum und sagen, sachlich unterkühlt, ihren Text auf. Oder stehen am Bühnenrand und schauen sich die Zuschauer an. Kein Lärm, keine Liebesqual, und selbst Leonores "O der Alles vergrößernden Eifersucht" wird intoniert, als ginge es um den neuesten Straßenbahnfahrplan.
Viel Reduktion, wenig innere Aufruhr
Fast den ganzen Abend wird dem Stück mit Gewalt sein innerer Furor genommen, die hochfliegenden Gefühle zwar aufgesagt, aber nicht gespielt, und es gibt fast keine sichtbare Handlung. Da wird zwar am Schluss ein wenig Blut aus dem Eimer auf den armen Gianettino gepanscht (dreimal), Leonore wird hingebungsvoll mit einem Schwert erstochen (auch dreimal), aber keine Spur von Genueser Aufrührern, einer Revolution oder wenigstens menschlichen Regungen, außer dass Gianettino, der Neffe des Herzogs, an Leonore herumfummeln darf.
Nichts von Fiescos inneren Zweifeln ist zu merken, der zwischen den Möglichkeiten schwankt: den Aufstand anzuführen und Genua nach dem Sturz des Herzogs und seines Neffen zur Republik zu führen. Sich selbst zum Herzog zu machen und in die holde Zweisamkeit mit seiner Frau zu flüchten: "Ein Diadem erkämpfen ist groß. Es wegwerfen ist göttlich", heißt es bei Schiller. Sein Mitrevolutionär Verrina würde ihn im ersten Fall ins Wasser stoßen und ertränken und sich dann dem alten, zurückgekehrten Herzog stellen; im dritten Fall würde er ihn auch ermorden, aber sich der Revolution stellen.
Mit drei unterschiedlichen Schlüssen
Alle drei Schlüsse, die Schiller geschrieben hat, werden in Karlsruhe gespielt, nacheinander, mit englischem Text, wohl um auf Shakespeare hinzuweisen. Warum nur? Die Zweifel und Selbstzweifel Fiescos werden im Stück auch so deutlich genug: Mal scheint er zum Herzog zu halten, mal stachelt er die Mitverschwörer an und hat selbst schon Truppen organisiert, mal kocht er sich sein eigenes Süppchen.
Vor lauter Verfremdungseffekt werden die Figuren und Konflikte in Rothenhäuslers Inszenierung des doch so überlebendigen Stücks blass und leblos. Paul Grills Gianettino geht mit einem fast schon debilen Dauergrinsen auf und ab, und Simon Bauers Fiesco scheint oft nicht so ganz zu wissen, wo er hin und was er jetzt machen soll. Die beiden Frauen sind schiere Stichwortgeberinnen, die anderen Männer werden dazu degradiert. Und alle zusammen geben sie die Zeichen für die Musik und ziehen munter die Vorhänge rauf und runter. Wenn sie nicht an der Seite stehen und zuschauen.
Sollen wir uns einmischen?
Aber ganz so schlimm war es auch wieder nicht (sieht man mal ab von einigen völlig überzogenen Szenen). Denn es gelingen Rothenhäusler doch auch einige intensiven Szenen, in denen Schillers Sprache immer noch zu vibrieren scheint, in denen die Schauspieler neben dem Pathos doch noch die anderen Ideen und Gefühle entdecken, von denen Schillers Dramen so voll sind.
Da gab es Szenen, in denen etwas von der inneren Bewegung zu spüren war, von den Ideen, die ja auch uns angehen: Wie sollen wir uns entscheiden? Sollen wir uns einmischen? Und was dann? Wenn es gelingt? Das ist auch den Schauspielern zu danken, allen voran Simon Bauer, Paul Grill und Matthias Lamp. Ansonsten rauscht der Abend durch die große Unterkühlung an den Zuschauern vorbei in der nicht ganz ausverkauften Premiere. Die Inszenierung rührt nicht an, auch nicht intellektuell.
Die Verschwörung des Fiesco zu Genua
von Friedrich Schiller
Inszenierung: Felix Rothenhäusler, Bühne: Michael Köpke, Kostüme: Katharina Kownatzki, Musik: Matthias Krieg, Dramaturgie: Kerstin Grübmeyer.
Mit: Simon Bauer, Hannes Fischer, Paul Grill, Robert Besta, Thomas Halle, Matthias Lamp, Cornelia Gröschel, Sophia Löffler.
www.staatstheater.karlsruhe.de
Mehr zu Felix Rothenhäusler: mit Ödipus nach Hölderlin, seiner Abschlussarbeit an der Theaterakademie Hamburg, war er 2009 zum Festival radikal jung eingeladen. Wir besprachen zuletzt Tod eines Handlungsreisenden, das er im März 2011 in Heidelberg inszeniert hat.
Positiv bespricht Judith von Sternburg in einer Doppelkritik aus Karlsruhe "Fiesco" und "Herzog" von Gothland in der Frankfurter Rundschau (26.11.2011). Mit den Helden sei auf dem Theater auch aus der Mode gekommen , danach zu fragen, was an anständige, erfolgreiche, womöglich faszinierende Führungspersönlichkeiten zum Unrecht verführe. "Das Böse" werde klein gemacht, "kleinbürgerlich, wurmig, jämmerlich, feig". Trotz "messerscharfem" Schliff und Betonung des Charismas seines Helden tue sich Schiller schwer, "die inneren Umschwünge zur Rach- und Machtsucht zu motivieren". Nicht schwer tue sich Rothenhäusler damit, das Stück "vage" mit Leben zu füllen. Eine "geschickte Lösung" sei Michael Köpkes "adrette Holzbühne". Für Abstand sorge, dass der Regisseur "nicht über Schiller hinaus und hinein" politisiere. Das Spiel sei "durchgängig kühl und lässig". Schiller lege das "im Text an". Fiescos Tänzchen wirkten als "perfekte Pathosvermeider". Während "die Konsequenz des leichten, zugleich scharfen Spiels" besteche, gehe das "von Schiller durchlittene Ringen um diesen Helden" allerdings komplett verloren.
"Was andere Regisseure berühmt gemacht hat, das kann man in Karlsruhe auch! Sogar ganz ohne die Intensität von Thalheimer-Inszenierungen!" macht sich Andreas Jüttner für die Badischen Neuesten Nachrichten (26.11.2011) über Felix Rothenhäuslers Schiller-Interpretation her. Alle "Fiesco"-Vorgänge – Mordanschläge, Maskenbälle, eine theatrale Gemäldepräsentation – dürfe sich der Zuschauer im Kopf ausmalen. "Das ist partizipativ! Genau wie das ständige Sprechen in den Saal! Heute abend sind wir alle Genua!" so Jüttner ausrufezeichengespickt weiter. Fast alle Akteure hätten "diese zeitgemäße Nöligkeit" in der Stimme, so dass sich keiner als Sympathieträger oder wenigstens als Feindbild aufdränge. "Es ist ja alles nur Theater" sei der frappierende Hauptclou von Rothenhäuslers Inszenierung. Und da fragt sich der Rezensent: "Tja, was soll man da sagen, wenn ein Abend so dermaßen in sich rund ist? Und so dermaßen öde?"
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In der Einführung und im Programmheft war davon die Rede, ein Gedanke der Inszenierung sein, alles ist Spiel, alle spielen Rollen, tragen Masken. Davon war in der Inszenierung nichts zu sehen. Wie sollen Schauspieler Figuren spielen, die Rollen spielen, wenn sie noch nicht einmal Figuren spielen? Es reicht nicht aus, bewegungslos an der Rampe zu stehen oder sich ohne erkennbaren Grund neben der Bühne auf der Bühne aufzuhalten, wenn man ein solches Konzept umsetzen will. Es reicht nicht aus, ab und zu ebenfalls ohne erkennbaren Grund Kostüme zu wechseln, wenn man Spiel, Rollen und Masken darstellen möchte. Ich erwarte von der Regie zumindest rudimentäre Figurenführung und von den Schauspielern mehr als nur Typen.
Geärgert habe ich mich über die verwendete Musik. Das Dieas Irae-Thema von Verdi, die Ode an die Freude, dräuende Klänge bei der Verabredung zum Mord: War das wirklich ernst gemeint? Geht es nicht noch platter? Und muss wirklich Sophia Löffler, die einen Ton weder trifft noch halten kann (oder soll?) den Beethoven singen?
Diese Aufführung hatte keinen einzigen emotionalen Moment, kein Bild, das anrührt, keine Subtilität. Sie war zwar nur zwei Stunden lang aber unglaublich langweilig.
Nach anfänglichen Einstiegsschwierigkeiten meinerseits - und im Saal insgesamt - entwickelte sich für mich ein unglaublich faszinierendes Spiel mit den unterschiedlichsten Varianten von Selbstdarstellung und theatraler Inszenierung, das mich teilweise völlig überrollte und vereinnamte und sich auch andererseits komplett von mir als Betrachter abgrenzte.
Habe selten einen so gedanklich präzise (und vermutlich eben dadurch so polarisierenden) und konsequent durchgeführten Abend an diesem Theater gesehen, der wenn auch zu kurz aber doch um so heftiger vom Publikum dieser Vorstellung zu Recht und dankenswerter Weise honoriert wurde.
Ich bin sehr froh darüber, daß das Badische Staatstheater endlich wieder den Anschluß an den aktuellen, nicht nur theaterästhetischen Diskurs sucht.
PS: Eigentlich ist es doch noch sehr erstaunlich, daß das gerne an den Rand kultureller Wahrnehmung geschriebenes und so oft bereits totgesagte Medium Theater noch immer derartige emotional heftige Reaktionen bei zahlreichen Zuschauern auslöst.
Immerhin gibt es beim Fiesco einige gute Ansätze. Allerdings scheint sich der Kritiker Patzer verzählt zu haben: in meiner Aufführung wurde Leonore sechsmal abgestochen. Hervorzuheben ist vor allem das erfrischende Spiel von Sophia Löffler. Da sie aus der Region Potsdam/Berlin stammt, ist dieses Theater noch ein lokales Refugium: hier wird kein Dialekt gesprochen.