Aus dem Schockfroster

12. Oktober 2024. Einen Monat nach der Zürcher Uraufführung kommt Dea Lohers Reigen der vereinsamten Menschen "Frau Yamamoto ist noch da" in deutscher Erstaufführung nach Stuttgart. Intendant Burkhard C. Kosminski legt Hand an – und hat einige fragwürdige Regieentscheidungen im Angebot.

Von Verena Großkreutz

Burkhard C. Kosminski zeigt Dea Lohers "Frau Yamamoto ist noch da" in Stuttgart © Björn Klein

12. Oktober 2024. "Dans mon cœur / Tu fleuriras toujour", in meinem Herzen wirst du immer blühen, singt die junge Schauspielerin Silvia Schwinger authentisch mit Gefühl und Energie: Jill Barbers Liebeserinnerungschanson Le petite fleur. Und alle tanzen entspannt dazu. Das ist ein schöner Beginn auf der runden Scheibe, auf der Burkhard C. Kosminski jetzt im Kammerspiel des Stuttgarter Schauspiels Dea Lohers neues Stück "Frau Yamamoto ist noch da" inszeniert hat, das erst vor kurzem in Zürich und Tokio Uraufführung hatte.

Der Anfang ist gelungen, weil er etwas von der Leichtigkeit zum Ausdruck bringt, die auch in Lohers locker gereihten Szenenfolge steckt. Es sind Episoden, in denen es um alltägliche Beziehungsprobleme geht, um heutige Fragen wie KI und Roboter in Pflegeheimen, ums Fischsterben in unseren Flüssen oder über den Tod im Allgemeinen. Das Stück ist in einfacher Alltagssprache gehalten, die auf der Bühne schnell platt wirken kann, wenn man ihr genau diese Leichtigkeit nimmt. Und das wird an diesem Abend noch zum Problem.

Die Tragödien der Frau Yamamoto

Im Zentrum des Stücks steht Frau Yamamoto (Nicole Heesters), eine alte Dame, die eigentlich schon tot ist, aber noch in der Erinnerung ihrer Nachbarn, dem Paar Erik und Nino (Peer Oscar Musinowski und Matthias Leja), weiterlebt, hatte sie doch zu Lebzeiten zumindest bei Nino eine Lebenskehrtwende ausgelöst.

Was genau diesen an der alten Nachbarin faszinierte, wird nicht unbedingt klar. Immerhin hat sie blutige Sägewerksgeschichten zu erzählen und Tragisches von ihrem Sohn, der bei einem Kletterunfall ums Leben kam. Am Ende wird sich Nino, der Fahrradbastler und spätere Kneipengründer, von Erik, dem KI-Spezialisten, trennen.

Dazwischen gibt's kleine Episoden mit diversen Figuren aus dem räumlichen Umfeld des Trios: Man hört einer Frau beim Therapeuten zu, einer Dichter-Karikatur bei der Wortfindung, einer unheimlichen Frau, die eine andere dazu überreden will, Waffen bei sich zu führen oder einem sehr drögen Paar in Fernbeziehung.

Figuren in Fernbeziehungen: Sven Prietz und Katharina Hauter spielen in Dea Lohers neuestem Stück © Björn Klein

Der Bühnenbildner Florian Etti hat – wie gefühlt immer in Kosminskis Inszenierungen – eine große Scheibe in die Mitte des Raumes gesetzt, die sich gerne unmotiviert dreht. Darauf und drumherum ein paar schwarze Stühle. An die Innenwände des Kammertheaters werden am laufenden Band hübsche, thematisch passende Schwarz-Weiß-Zeichnungen projiziert: Berge mit Regen (wenn vom abgestürzten Sohn die Rede ist), Fahrradfahrer (weil Nino ja zunächst noch in einem Fahrradgeschäft arbeitet), Zahnräder (Lauf der Zeit?). Schwerstmelancholische Klaviermusik verbindet die Episoden, gelegentlich gepaart mit sattem Geigenschnulz.

Hölzern

Soweit noch erträglich. Grenzwertig ist die Umsetzung des Textes auf der Bühne. Die Schauspieler:innen-Körper wirken fast immer, als kämen sie gerade aus dem Schockfroster. Immer auf weite Distanz gehalten, sprechen sie über Mikroports, manchmal sogar übers Mikrofon von der Seite. Folge: Spielen unmöglich, Dialoge hölzern, meist starre Körper, die das zeigen, was sowieso durch den Text schon deutlich wird: dass alle sehr einsam und verunsichert sind und sich eigentlich nicht viel zu sagen haben.

Es ist kein Wunder, dass die am besten gespielte Szene des Abends ein Solo ist: in der eine Frau (Katharina Hauter) mit einer Freundin telefoniert und sich dabei über einen Messie-Nachbarn echauffiert, der sie durch sein ständiges Hin- und Hergehen in seiner Wohnung zur Weißglut bringt.

Die peinlichste Szene

Die peinlichste Szene kommt derweil in Hasenkostümen daher: jene Episode, in der eigentlich drei Angler:innen übers Fischsterben in ihrem Fluss sinnieren. Warum Kosminski seine Darsteller:innen hier zu albernen Mümmelmännern degradiert und sie mit kaum verständlicher Quietschstimme sprechen lässt, bleibt inhaltlich das größte Rätsel dieser Produktion.

 

Frau Yamamoto ist noch da
von Dea Loher
Deutsche Erstaufführung
Regie: Burkhard C. Kosminski, Bühne: Florian Etti, Kostüme: Ute Lindenberg, Musik: Hans Platzgumer, Video: Yoav Cohen, Licht: David Sazinger, Dramaturgie: Gwendolyne Melchinger.
Mit: Katharina Hauter, Nicole Heesters, Matthias Leja, Marietta Meguid, Peer Oscar Musinowski, Sven Prietz, Christiane Roßbach, Karl Leven Schroeder, Silvia Schwinger.
Premiere am 11. Oktober 2024
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.schauspiel-stuttgart.de

Kritikenrundschau

"Schauspielintendant und Regisseur Burkhard C. Kosminski und sein Bühnenbildner Florian Etti haben das in Stuttgart durchaus nicht kleine Kammertheater ausgezeichnet eingerichtet," schreibt Judith von Sternburg in der Frankfurter Rundschau (14.10.2024). Kosminskis Inszenierung ziele "nicht auf Naturalismus, sondern auf jenen exemplarischen Hyperrealismus", der aus Sicht der Kritikerin auch gut zu Dea Lohers Text passt. "Hier wird gespielt, und da das Spielen allzu menschlich ist, erkennt man das Leben darin sehr leicht wieder. Besonders grandios: Katharina Hauters Monolog am Telefon, "in dem sie erzählt, dass es sie stört, ihren vorhanglos lebenden Nachbarn immer zu sehen." Warum hingegen Karl Leven Schroeder, Silvia Schwinger und Marietta Meguid "hinter lustigen Häschenköpfen die Episode vom Fischsterben piepsen und quietschen sollen", bleibe unklar.

"Einsame Menschen im Gespräch, oder zumindest beim Versuch desselben – die Stuttgarter Version ist klugerweise auf pausenlose anderthalb Stunden gekürzt worden und endet, bevor es langweilig zu werden droht," bringt Wilhelm Triebold in der Südwest Presse (14.10.2024) seinen Eindruck auf den Punkt. "Dea Loher war und ist offenbar weiterhin so etwas wie die späte weibliche Antwort auf den frühen Botho Strauß, der in den 1970er- und 1980er-Jahren den tschechowisierenden Jargon der Uneigentlichkeit für die bundesrepublikanische Edelbühne kultivierte: Man redete gepflegt aneinander vorbei, wo man sich nichts mehr zu sagen hatte." Die Regie richte das im vorliegenden Fall "luftig auf dem imposanten Silbertablett an."

Ein Nebeneinander von Banalem und Tiefgründigen, scheinbar Beliebigem und Bedeutungsvollen, Zartem und Groteskem bestimmt das Stück aus Sicht von Thomas Morawitzky von der Stuttgarter Zeitung (14.10.2024). Mitunter schlage das Pendel "bei Burkhard C. Kosminskis Inszenierung zu sehr in eine Richtung aus, dann wieder gelingen sehr treffende Szenen. Peer Oscar Musinowski und Matthias Leja spielen Erik und Nino, das Paar von nebenan; Katharina Hauter, Marietta Meguid, Sven Prietz, Christiane Roßbach, Silvia Schwinger und Karl Leven Schroeder glänzen immer wieder kurz in immer neuen Rollen des kaleidoskopischen Reigens, der um das Zentrum der bald abwesenden Frau Yamamoto kreist." 

Kommentare  
Frau Yamamoto, Stuttgart: Schonung
Bitte, bitte, bitte liebe Stuttgarter Kulturpolitik: verschont uns (...)

(Anm. Redaktion: Bei aller Kritik an der künstlerischen Leistung sollte die Fairness in der Debatte gewahrt bleiben. Unsere Kommentarregeln: https://nachtkritik.de/impressum-kontakt#kommentarkodex
Frau Yamamoto, Stuttgart: Gesamtkunstwerk
Mein absolutes Highlight in Kammertheater Stuttgart war bisher eine Aufführung von Romeo und Julia bei der die Zuschauer sich auf getrennten Tribünen gegenübersassen und spiegelbildlich für die verfeindeten Familien Capulet und Montague. Das war vor vielen Jahren.
Die heutige Premiere von Dea Lohers »Frau Yamamoto ist noch da«, hat jenes Highlight für mich zum ersten mal getoppt und nicht nur deshalb weil auch bei dieser Aufführung die Zuschauer auf zwei gegenüberliegenden Tribünen als teil eines ganzheitlichen Gesamtkunstwerke mit einbezogen waren.
In der Mitte zwischen den Tribünen besteht die Bühne im Wesentlichen aus einer riesigen runden Scheibe, die sich als doppelte Drehbühne herausstellt. Doppelt, weil sich zum einen sich die Projektion einer von Beamern erzeugten riesigen Uhr, auf der stillstehenden Scheibe die Illusion einer Drehbühne schafft, zum anderen weil sich die Scheibe auch in Wirklichkeit dreht. Zu Beginn so langsam, dass man es kaum bemerkt und den Effekt erstmal nur als Irritation wahrnimmt. Ein gigantisches in sich verschachteltes Lebensrad, wie etwa das buddhistische Samsara, das dafür steht, dass alle unsere Handlungen Folgen haben und Illusionen und Realitäten untrennbar miteinander verflochten sind.
Diese Grundidee ist die Basis der episodenhaften Szenen, in denen das Geflecht eines Gesellschaftsbildes skizziert wird, dessen Ränder zunehmend unscharf werden. Brillant gespielt von einem herausragenden Ensemble, in einer „Sprache die sehr vertraut wirkt und die Situationen und Figuren ganz nahe an den Zuschauer herankommen lassen“ - wie es zurecht im Programmheft angekündigt wird. Dieser Effekt wird noch zusätzlich verstärkt durch raumfüllende poetische Projektionen an den Wänden. Durch alle diese Element wird man als Zuschauer in das Stück hineingezogen, wird tief berührt und wird letztendlich auchTeil dieses bemerkenswerten Gesamtkunstwerkes..
Kommentar schreiben