Meine lieben Schrifterln

17. Dezember 2022. In ihrem neuen Text nimmt Elfriede Jelinek eine Hausdurchsuchung durch die deutschen Steuerbehörden zum Anlass, über "strebsame Staatsdiener" nachzudenken. Das heißt: Diener eines Staates, der einst die jüdische Familie ihres Vaters verfolgt und teilweise ausgelöscht hat. Jossi Wieler überlässt in seiner Uraufführung einem furiosen Schauspielerinnen-Trio die Bühne.

Von Elena Philipp

Elfriede Jelineks "Angabe der Person" in der Uraufführung von Jossi Wieler am Deutschen Theater Berlin © Arno Declair

17. Dezember 2022. Aufteilen muss man. Aus einer Fläche müssen sich Formen erheben. Text muss Figur werden. Oder?

Elfriede Jelinek, die ihre Theatertexte freigibt für die Einfallskraft von Regie und Spieler:innen, formuliert in "Angabe der Person" deutlich eine Vorstellung von dem, was Theater für ihre Texte leistet, eine poetologische Überzeugung, die fast eine Regieanweisung sein könnte: "Ich verwechsle leider auch andre Personen ständig, schon wenn es ans Grüßen geht, deswegen teile ich mein Sprechen ja nicht auf sie auf, ich wüßte nie, wer welcher ist und was er vorhin gesagt hat, und das ist gar nicht gut im Theater, man sollte sie immer unterscheiden können."

Unterscheidungen schaffen: Bei der Uraufführung von "Angabe der Person" am Deutschen Theater Berlin kommt Jossi Wieler, der seit bald 30 Jahren Jelinek-Stücke inszeniert, dieser Aufgabe nach. Und teilt den Text auf. Drei Monologe, mit einem chorischen Epilog. Zack, zack, zack. Null Dialoge, keine Spielszenen, sondern Text an der Rampe. Gestaltet von drei Spielerinnen als Stellvertreterinnen der Autorin, mit langem rötlichem (Perücken-)Haar, verklemmtem Pullunder und strengen schwarzen Hosen. Wie die junge Jelinek, die eben im Dokumentarfilm "Die Sprache von der Leine lassen" zu sehen ist. Dass die zweieinhalb pausenlosen Stunden dieser Uraufführung nicht so trocken sind, wie das denkbar einfache theatrale Arrangement klingt, liegt natürlich an den furiosen Schauspielerinnen, die sich Jossi Wieler auf die Bühne geholt hat: Fritzi Haberlandt, Linn Reusse und Susanne Wolff.

Bauen wir mal meine Lebenslaufbahn!

Linn Reusse aus dem DT-Ensemble eröffnet furchtlos und voll Verve. Mit einem "So" knallt sie einen Leitz-Ordner auf den Boden, "bauen wir mal meine Lebenslaufbahn". Direkter Blick ins Publikum, das dran ist und, nach dem immer wieder im Saal aufklingenden Lachen zu schließen, ab da dran bleibt am Textgeschehen. Reusse folgt Jelineks Text, die in ihre Lebensbahn einsteigt mit der Schilderung einer Hausdurchsuchung durch die deutschen Steuerbehörden. Ein reales Ereignis: Vor einem Jahrzehnt wurden dabei Jelineks Daten und kartonweise "meine lieben Schrifterln“ beschlagnahmt, bis das Verfahren eingestellt wurde

Dieser Eingriff in ihre Privatsphäre, ausgerechnet einer so zurückgezogen lebenden Person, ist der Autorin Anlass für eine Abrechnung in ihrem Medium. Voll Hass auf die "strebsamen Staatsdiener" stellt sich das autobiographisch grundierte Ich vor, wie nun jeden Abend ein Steuerfahnder der Gattin und den Kindern aus ihren Werken und der privaten Korrespondenz vorliest, "und die wälzen sich dann vor Lachen am Fußboden".

Diener eines Staates sind das, der ihre Ahnen, die jüdische Familie ihres Vaters Friedrich Jelinek, verfolgt und teils ausgelöscht hat: Ihr Onkel Adalbert wurde nach Dachau "exportiert", "darin waren sie Weltmeister, rein in den Zug, raus aus dem Zug". Er überlebte, beging aber nach dem Krieg Suizid. Eine Tante starb im KZ. Ihr Cousin Walter floh rechtzeitig oder vielmehr: flog – "es wurde für sie wenigstens nicht ihr Grab in den Wolken, dem sind sie knapp, aber wirklich arschknapp entkommen", zitiert Jelinek schnodderig Celan herbei.

Angabe der Personvon Elfriede Jelinek Regie: Jossi WielerBühne und Kostüme: Anja RabesKomposition und Musik: PC NacktLicht: Matthias VogelDramaturgie: Bernd IseleAuf dem Bild: Fritzi Haberlandt, Susanne Wolff, Linn Reusse  Copyright Arno Declair    arno@iworld.deBirkenstr.13b     10559 Berlinmobil  +49 (0)172 400 85 84Konto 600065 208 Blz 20010020    Postbank Hamburg IBAN/BIC: DE70 2001 0020 0600 0652 08 / PBNKDEFFHonorarfrei für Rezensionen und Vorankündigungen. Bitte lesen und beachten Sie das Copyright!Mehrwertsteuerpflichtig 7 %   USt-ID Nr. DE118970763St.Nr. 34/257/00024       FA Berlin Mitte/TiergartenFurioses Schauspiel in minimalistischem Arrangement: Fritzi Haberlandt, Susanne Wolff und Linn Reusse auf Anja Rabes` Bühne © Arno Declair

Ohnehin ist auch dieser Text wieder voller Stichwortgeber:innen: die deutsche Riege mit Nietzsche, Heidegger, Wagner, Freud darf nicht fehlen, neben zahllosen Bibel-Momenten, in denen die Autorin die Judenvernichtung, aber auch ihre eigene, autopsychologisch attestierte Opferlust mit Jesus’ Passion verschaltet. Lustvoll kostet Linn Reusse die Ambivalenzen aus, wenn innerhalb eines Satzes die Sprecherperspektive wechselt und sie nach einem Opferplädoyer die Täterworte im Mund wenden muss. Eine selbstironische, bitterböse und ihrer Festlegung stets entkommende Jelinek-Textur glänzt hier auf.

"Aber ich hasse hasse hasse, ich hasse viel zuviel": Zwei konkrete Feinde benennt "Angabe der Person", die Nazi-Größen Arthur Seyß-Inquart und Baldur von Schirach. Ein Exempel der Offenlegung statuiert der Text an ihnen. Wie von Schirachs Ex-Frau Henriette nach dem Krieg "für einen Symbolbetrag" von Bayern das Grundstück am Kochelsee zurückkaufen konnte, obwohl ihr Mann bei den Nürnberger Prozessen verurteilt worden war, diese Passage entrüstet Fritzi Haberlandt aufs äußerste. Während die einen ihr Leben und ihr Vermögen verloren, angeln die von Schirach-Nachkommen "Talerlein wie Dagobert Duck"?

Kriegsprofiteurin "Oma Schirach"

Fritzi Haberlandt gelingt mit der Grandezza einer Comedienne, dem Text die schillerndsten Farben zu entlocken. Als Alter Ego von Jelinek kokettiert sie mit den Textlängen, mit Abschweifungen und Wiederholungen. Annonciert sie die Gerichtsdramen des von Schirach-Enkels Ferdinand als Gameshow mit dem Titel "Wer darf überleben?", dreht Haberlandt das Volumen und die stimmliche Fröhlichkeit auf wie die Ausruferin einer Jahrmarktsbude. Und ein dramatisch gereckter Arm, zu in Stummfilm-Manier zurückgeneigtem Kopf, genügen ihr, um die geschäftstüchtige Hitler-Sekretärin und Kriegsprofiteurin "Oma Schirach" zu karikieren.

Susanne Wolff beginnt am Klavier, das sonst automatisch vor sich hin klimpert, mit einem auch dem Text wie ein Fremdkörper eingekanteten Zwischenspiel von zwei Alltags-Vergewaltigern. Vor Gericht – in "Angabe der Person" einer omnipräsenten Instanz, ob irdisch oder jüngst – erinnern sie sich nurmehr ungenau, dass die Vergewaltigte "nicht viel geweint" habe. Hier ist Wolff ganz strenge Süffisanz. Achtung gebietet sie auch, wenn sie zum Autorinnen-Diktum "Ich mache derweil weiter das Patriarchat fertig" die Hände in die brustnahen Taschen ihres T-Shirts vergräbt und eine Schlägertype markiert. Ein Aplomb, der im Folgenden zeitweise verloren geht. Nun zieht sich der Text, der bei Jossi Wieler weitgehend chronologisch und um etwa die Hälfte gekürzt gespielt wird, doch.

Täter-Apologeten auf dem Prunk-WC

Gemütlich einrichten kann man es sich nicht in dieser Inszenierung, die der Sprache Raum gibt und jenseits des Schauspielerischen arm ist an Schauwerten. Unwirtlich ist die Bühne von Anja Rabes, eine halbe Häuserfassade dreht sich um sich selbst, unbehaust und kaum bespielt. Auf dem porzellanenen Prunk-WC sitzt einmal Fritzi Haberlandt mit heruntergelassenen Hosen, die Worte eines "kritischen Menschen" aka Täter-Apologeten im Mund: "Wir haben doch auch gelitten, während Sie bloß nicht gelitten waren. Und jetzt müssen wir als Statisten in Ihrem schmalen Dichterpanorama, Ihrem kleinen Rundhorizont dienen", klagt sie jämmerlich an. "Sie Schreiberin Sie."

Ewig weiterlaufen könnte das so, das Ende ist in einem Jelinek-Text eine arbiträre Setzung. Hier kommt nun Bernd Moss ins Spiel: Während all der Zeit sitzt er als Faktotum an einem mit Technik zugestellten Tisch. Ein Band läuft, immer mal setzt er Kopfhörer auf, als sei er der auf dem Dachboden lauschende Stasi-Mitarbeiter in "Das Leben der Anderen". Zugewandt sarkastisch gibt er den ein oder anderen Satz von sich, wie lang das alles dauert, oder es setzt sich ihm eine der Spielerinnen auf den Schoß, für einen Hauch Trost.

Am Schluss, nachdem sich das chorische Trio dem vom Band verkündeten Sprachverlust und damit, abgehend, dem Tod der Autorin ergeben hat, schaltet Moss die Bandmaschine ab, die bei dem Satz hängen blieb: "Du hast was Besseres zu tun, lieber Gott, ich weiß, mit deinen Geräten, es ist außerdem ja zu Ende." So ist die Aufgabenteilung zwischen Autorin und Allmächtigem: Am Ende legt sie alles in seine Hände?

 

Angabe der Person
Von Elfriede Jelinek
Regie: Jossi Wieler, Bühne und Kostüme: Anja Rabes, Komposition und Musik: PC Nackt, Licht: Matthias Vogel, Dramaturgie: Bernd Isele.
Mit: Fritzi Haberlandt, Bernd Moss, Linn Reusse, Susanne Wolff.
Uraufführung am 16. Dezember 2022
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, keine Pause

www.deutschestheater.de

Hier geht es zu unserer Besprechung des Buches "Angabe der Person":


Kritikenrundschau

Elfriede Jelinek halte sich in "Angabe der Person" nicht lange mit dem konkreten Fiskus--Prüfgegenstand auf – der sei inzwischen sicher längst geklärt, beglichen und ausradiert –, "sondern lässt sich vom Vokabular zwischen Schuld und Abrechnung davontragen, schimpft sich 200 Druckseiten von der Seele, breitet ihre Grundsatzzweifel aus", schreibt Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (17.2.2022). Man könne es jetzt im Deutschen Theater gesprochen von drei großartigen Schauspielerinnen, sehen, "es lohnt sich, auch wenn es Arbeit macht". Die virtuose Memorier- und Gedankenbaukunst der drei Jelinek-Spielerinnen in ihrer Verschiedenheit ist des Kenners reine Freude, so Seidler.

"Es ist ein Theaterabend der bitteren Komik", schreibt Wolfgang Höbel vom Spiegel (17.12.2022). Seine Kraft entstehe vor allem aus der Klarheit, mit der Jelinek über sich selbst Rechenschaft ablege. "Über ihre Einsamkeit, ihren keineswegs versiegenden Schaffensdrang, den möglicherweise nicht fernen Tod."

"Dies ist eine solide Inszenierung: Der Abend ist geschickt und liebevoll gemacht, bescheiden bis an den Rand der Demut. Karg und schön muss man das finden, man kann gar nicht anders. Man ist gerührt", schreibt Robin Detje auf Zeit Online (17.12.2022).

Jelineks Text sei "widerständig und widerborstig, dringlich und bedrängend, in Wunden bohrend und an Nerven sägend", schreibt Christine Dössel in der Süddeutschen Zeitung (18.12.2022). Jossi Wieler bringe diesen Text mit drei "fantastischen Schauspielerinnen derart ein- und nachdrücklich zu Gehör, dass man bei der Premiere im Parkett eine Stecknadel hätte fallen hören können". Wieler sei ein "musikalischer Feinmechatroniker", seine drei Darstellerinnen teilten sich den "geschickt" um die Hälfte gekürzten Text "schwesterlich": "erst in Form von drei langen - sehr langen - Monologen, die eine nach der anderen hält; dann, in der letzten halben Stunde, im schönsten, ausgefeiltesten Dreiklang." Das sei es, was "Theater im besten Sinne ausmacht: ein Raum, ein Atem, ein Publikum".

"Jede Schauspielerin hat für ihren Soloauftritt, für ihre halbe Stunde, etwas Schönes gebaut, serviert Geschichten, Wortwitze und Pointen", so Christoph Woldt im ND (18.12.2022). Das Saallicht bleibe unterdessen an, was die "Kraftanstrengung der einsamen Monologe" steigere. Es entstehe "ein Bild für das Anlaufen, das Stemmen gegen den Strom der Zeit, gegen die Verhältnisse und gegen das Publikum". Jossi Wielers Inszenierung bleibe dabei "höflich im Hintergrund, verzichtet auf zusätzliche Resonanzfelder". Das bedeute allerdings auch, dass die "Wortsalven teilweise auf sich allein gestellt" seien die "Aufmerksamkeit des Publikums nicht dauerhaft halten" könnten, so der Kritiker.

Regisseur Jossi Wieler halte sich in seiner "schnörkellos klaren Inszenierung von allen konkreten Anspielungen fern", schreibt Irene Bazinger in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (19.12.2022). "Ohne jedes Regietheaterbrimborium" konzentriere sich Wieler auf die "grenzüberschreitende Sprache" Jelineks. Zudem werde hier mit "Herz, Hirn und Fingerspitzengefühl" die Bühne für die Schauspielerinnen Fritzi Haberlandt, Linn Reusse und Susanne Wolff freigeräumt, die Jelinek sprächen, "wie man es nie zuvor gehört hat". Dieser Abend, so die Kritikerin, sei "sensationell" zu nennen.

"Jelinek verwandelt individuelle Erfahrung zur Frage nach dem Subjekt: Es ist das der Macht unterworfene und zugleich das einzige, das für sich selbst sprechen kann", schreibt Uwe Mattheiß vom Wiener Standard (20.12.2022). "Angabe der Person ist nicht weniger als die Aufkündigung des Konsenses, die Absage an eine harmonisierende Erinnerungskultur, die zu Gedenktagen von den Jüdinnen und Juden nur hören will, dass die Tätergesellschaften in ihren Bewährungsauflagen Fortschritte gemacht haben."

 

Kommentare  
Angabe der Person, Berlin: Jossi Wielers Regieverweigerung
"Arm an Schauwerten" ist sehr freundlich ausgedrückt. Nach Jossi Wielers Regieverweigerung knallen die drei Schauspielerinnen die Textmassen frontal von der Rampe ins Publikum.

Für ein paar Auflockerungen sorgen die beiden unterfordert wirkenden Stargäste Fritzi Haberlandt und Susanne Wolff in ihren nicht ganz so ausufernden Monologen. Die 2,5 Stunden zogen sich jedoch uninspiriert in die Länge.

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2022/12/16/angabe-der-person-elfriede-jelinek-deutsches-theater-berlin-kritik/
Angabe der Person, Berlin: Kain-Roboter
und ja da
da man im Augenblick nichts anderes zu tun hat
meine Verschiedenheit (noch bin ich nicht verschieden)
ist des unbekannten Kenners reinste Freude
denn nichts lohnt sich auch wenn es Arbeit macht
es schimpft sich eine viele Seiten von der gequälten Seele
breit b-reitet sie ihre Grundsatz-Satzzweifel aus
Schuld und Abrechnung (Abbrechung mit Schuld und Ungeduld)
auf den nicht-bereiten breiten Schultern schuldiger Gesell-Schaft
sicher ist längst nichts geklärt
nichts beglichen alles ausradiert
ist das El-Friede Jelinek (neckt sich selbst die Jelinek)
die entfremdete Person und ihre Angaben
dies Leben hat viele harte Abende der bittersten grotesken Komik
als Kimok ohne Kraft und ohne jegliche Klarheit bereit
Rechenschaft abgelegt in Einsamkeit
sag das Einem
der möglicherweise nicht ferne Tod
winkt wirkt zu sich herein in seinen lichtlosen Raum
Mann ist gerührt der Tod kann gar Nichts
nichts anderes
und der Mensch kann nicht anders
als karg und schön (hässlich) sich zu finden
sich zu sagen du Biest sterblich
bescheiden und unbescheiden
Biss über hinüber den Rand und Rad der Demut
denn der All-Mut nützt in alle dem nichts
geschickt und liebevoll hat man sein Leben gemacht
ausgeblassen und doch auf-geh-blasen
und und glücklich unglücklich hinter sich gebracht
beim hellen Tage und auch bei der finstersten Nacht
es ist vollbracht vollbracht!
dein eigen Leben
eine vage unsolide und böse Inszenierung
Nasenbohrend ekelig
und in Wunden nach
den losen schlechten Nerven schnappen
immer seltener dann das blutende Maul aufklappen
sei du nur widerborstig widerständig bedrängend-dringlich
dinglich und dienlich durch all die tiefen Wunden und Wunder
Wunden-Bohrer seid Ihr doch alle alle!
und und auch schamlose Nasenbohrer (Hasen-Ohrer)
eindrücken und nach-drücken und rücken im Gehörgang der Zu-Schauer
und die Mauer des Schweigens und dann Applaus Applaus
jedoch keine Stecknadel fallen hören im Parkett
was ist ein musikalischer Fein- oder Feind-Mecha-
Thron-Nicker in der Ersten Reihe
seine 3 Darstellerinnen beeilen und teilen sich geschickt
ungeschickt die Hälfte des gekürzten hochgeschürzten
hochgeschützten hochgeschätzten hochgestellten Tex
next to Jelinek
Form von 3sehr langen Lagen lagern
Mono-Logen die eine nach der anderen hellt wählt
aus sich herausschält
(lass mich doch zuerst reden und ausreden)
All diese Aus-Reden und
und wo Biest du gewesen
im schönsten tiefsten ah-US-gefeiltesten 3Klang
Stund um Stunde
im besten Sinne Macht-Theater macht
Publikum im Raum
es ist ein Atem
Darsteller-Zu-Schauer und Zu-Gaffer
dieser keuchend und
und überaus zornig
zornig erregt
Angabe der Person, Berlin: Was fehlt
Es ist Ostern. Und das Deutsche Theater setzt Jelinek auf den Spielplan, wohl auch, weil es in ihrem Text neben dem Steuerthema und dem ihrer jüdischen Familie um das Thema Jesus als Opfer geht, was von der Kirche in ihren Augen steuerlich gewinnbringend instrumentalisiert wird: die angeblich ewige Schuld des Menschen vor Gott als Kirchensteuerschuld. Dass Bernd Moss am Ende Gott symbolisieren soll, sehe ich allerdings nicht. Eher gibt er den schluffigen Ehemann Jelineks, der den Zuschauern den Text Jelineks schließlich einfach nur noch vorliest. So als frage er sich, was seine Frau da bloß mache bzw. ihr Leben lang gemacht habe. Das fragt sich Jelinek in dieser Inszenierung ganz offensichtlich auch selbst, pseudopsychoanalytisch interpretiert.

Die Inszenierung wirkt nüchtern, verkopft und karg, da ist kein Leben (mehr) drin. Einige Zuschauer verlassen zwischendrin den Saal. Ich habe den Eindruck, dass viele dem Text entweder nicht (mehr) folgen können oder aber auch nicht mehr wollen. Denn dieser Inszenierung fehlt es auch in meiner Wahrnehmung ganz entschieden an Sinnlichkeit und Gefühl.

Klar, Jelineks Texte waren nie klassisches Rollenspieltheater, aber thematisch enthielten sie über die Sprachspiele Jelineks dennoch viel Leben. Hier ist davon allerdings nicht mehr viel zu spüren. Die Schauspielerinnen geben zwar nochmal alles, indem sie Jelinek verkörpern und zugleich Distanz zum Text aufbauen. Die Textmaschine Jelineks rattert gleichermaßen durch sie hindurch. Dabei entsteht auch einige Komik, und am Ende sind sie stumm. Ihre Stimmen sind nur noch technisch zu hören. War's das jetzt mit dem Jelinek-Theater?
Angabe der Person, Berlin: Sprachlos, traumatisiert, verstummt
Einzeln gemeinsam pflügen sie sich durch den Textozean, so persönlich wie nie bei Jelinek, so universell wie immer. „Ihre lieben toten Verwandten nutzen Ihnen gar nichts. Für die haben wir Ehrentage“, schleudert der eifrige Staat ihr einmal entgegen. Doch da legt er sich mit der Falschen an: „Ach, im Klagen könnte ich sofort zur Weltmeisterschaft antreten.“ Und so klagt sie, mal nur, mal an, redet sich durch das Dickicht aus Gesetzenstreue und Verdrängung, Symbolik und Ausgrenzen, aus „Vergangenheitsbewältigung“ und Täterfamilienverhätschelung. Denn da ist Onkel Adalbert, dessen Familie nichts bekam, denn er hatte ja „überlebt“, da sind all die anderen, die sich nicht melden konnten und „wer sich nicht meldet, kriegt nichts.“ Und dann ist da „Oma Schirach“, die Gattin der inhaftierten Nazigröße Baldur, die ganz fix für eine symbolische Summe das riesige Anwesen am Kochelsee vom bayerischen Staat zurückkaufen konnte. Derselbe, der sich später, bei der „Nestbeschmutzerin“ Jelinek prinzipienfester gibt.

Bibel-, Schlager- und andere Zitate wabern durch den Raum, um den Worten Halt, Referenz, Geschichte zu geben und doch fliegt das immer wieder davon im Versuch festzuhalten, aufzuschreiben, zu Boden zu bringen. „Es muss immer wieder raus aus mir“, sagt Haberlandts „Elfi“, die sich selbst einmal „Totendompteuse“ nennt. Und sie ringt mit ihnen, lässt sie durch sprachliche Reifen springen, nur um sie sogleich zu verlieren, so wie sie ganz am Ende ihre Sprache verlieren wird, abgibt an den Text der bleibt, vielleicht, wenn man ihn nicht zuklappt. „Die Opfer alleine sprechen lassen?“, fragt Moss sie einmal nach ihrer Intention. „Das habe ich versucht“, antwortet sie, „das interessiert keinen.“ Und doch, kann sie – auch Luther macht einen Zwischenstopp – nicht anders, landet irgendwann im engsten Familienkreis, dem sprachlosen, traumatisierten, verstummten. Ersatzobjekt ihrer Eltern sei sie und als solche Angeklagte und Anklägerin und Zeugin und Richterin.

Gerichtsmetaphern drängen sich wiederholt heran, auch der Baldur-Enkel Bestseller-Ferdinand bekommt sein Fett weg, in dessen Texten das Publikum zuweilen über Recht entscheidet, wie es die „befreite“ deutsche Gesellschaft einst tat und bis heute tut. Wie immer hat dieser text, hat dieser Uraufführungsabend kein Ende, er ist einfach irgendwann vorbei, wie bald das Leben und die Erinnerung. Oder nicht? Wer wird graben, wenn Elfriede Jelinek die Schaufel aus der Hand gefallen ist, wo bleiben ihre Worte, ihre „Schrifterln“, wohin wir die „Lebenslaufbahn“ sie, uns geführt haben? Ein manisch meditativer, ein verzweifelt hartnäckiger und resigniert beharrender Text und ebensolcher Abend.

Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2024/03/31/auf-der-lebenslaufbahn/
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