Das Schiff der Träume (fährt einfach weiter) - DT Berlin
Ich, ich, ich
27. September 2024. Schwieriger Saisonstart am DT: Regisseurin Claudia Bauer war für die Auftaktpremiere auf halben Wege ausgefallen, Anna Bergmann übernahm. Intendantin Iris Laufenberg trat vors Publikum und bat um Solidarität für die Berliner Kunst, der brutale Etatkürzungen bevorstehen. Aber dann gab's Schauspiel mit Musik. Und Künstler in Diven-Größe.
Von Falk Schreiber
27. September 2024. Es ist schon eine entsetzliche Klischee-Kulturszene, die sich da auf einem Luxusliner in der Adria versammelt hat: die russische Ballerina (Anastasia Gubareva), der knödelnde Sänger (Hubert Wild), der Möchtegern-Impressario (Janek Maudrich) und einige mehr. Sie wollen der Seebestattung einer verstorbenen Operndiva beiwohnen, und mit jeder Liebesbekundung, die sie der großen Künstlerin zukommen lassen, betonen sie immer nur, was für weltbewegende Künstler:innen sie doch selbst seien: Ich, ich, ich.
Eine Gesellschaft von Adabeis, Nassauern und Wichtigtuern ist das, die nicht einmal merkt, dass um sie herum gerade ein Krieg ausbricht und dass im Laderaum des Schiffes Flüchtende ihr Quartier aufgeschlagen haben. Zutiefst verachtenswert sind die, gut, dass es mit denen zu Ende geht.
Oder?
Nichts mitgekriegt
Federico Fellinis Filmstoff "E la nave va" (der 1984 unter dem Titel "Fellinis Schiff der Träume" in die deutschen Kinos kam) hatte schon einmal eine Theater-Renaissance erlebt, 2015, im Nachgang der Flüchtlingswellen im Zuge des Arabischen Frühlings und des eskalierenden Krieges in Syrien.
Damals versuchten die deutschsprachigen Bühnen, in der Geschichte von der westlichen Kulturschickeria, die unerwartet Krieg, Flucht und Vertreibung gegenübersteht, eine Analogie auf die Gegenwart zu lesen (und zumindest bei Karin Beiers Inszenierung am Hamburger Schauspielhaus funktionierte das auch).
Anna Bergmann aber verzichtet neun Jahre später am Deutschen Theater Berlin auf politische Bezüge. Dass der Erste Weltkrieg vor der Tür steht, läuft irgendwo im Subtext mit. Dass sich im Bauch des Schiffes ein Fluchtdrama abspielt, wird vom mitreisenden Journalisten Orlando (Anja Schneider) beiläufig erzählt, ohne nennenswerten Einfluss auf die Handlung zu haben. Das Schiff "fährt einfach weiter", wie der volle Titel des Abends lautet, und das heißt eben auch: Die Leute auf diesem Schiff interessieren sich kein bisschen dafür, was um sie herum passiert. Bei Fellini immerhin heucheln sie noch Empathie, hier kriegen sie nicht einmal mit, was Sache ist.
Glam und Camp
Der Kniff der Inszenierung ist nun, dass sie ihrem Figurentableau diese Ignoranz nicht vorwirft. Ja, die Bagage ist exaltiert und aufgekratzt, das strengt an (und je länger der Abend dauert, umso mehr nervt es auch, wie diese Gesellschaft sich nur um sich selbst dreht). Aber sie ist dabei nicht wirklich unsympathisch: All das Gewese und Getucke, das sich hier pfauengleich aufspreizt, das kann man auch als liebenswerte Eigenwilligkeit lesen.
Schon im ersten Bild schließt Bergmann die Schiffbruchs-Handlung mit Glam und Camp kurz: In Dorian Borgs suggestiven Videobildern erkennt man die Trauergesellschaft nach dem Untergang des Luxusschiffs, aber was da an der Decke glitzert, ist nicht nur die Wasseroberfläche von unten gesehen, es ist auch das Leuchten einer Discokugel, und eine Welt, die unter solch hübschen Lichtspielen in Richtung Abgrund fährt, ist schlicht nicht ausschließlich unangenehm.
Nach rund einer Stunde läuft das Décandence-Tableau freilich ins Leere. Aus der aufgekratzten Stimmung der Abreise ist ein stumpfes Dämmern geworden, keine Pfauenfedern spreizen sich mehr, man hebt nur noch manchmal müde den Arm. Die Kraft zur Apokalypse (wie sie Fellini in seinem Film noch zeigen konnte) bringt Bergmann nicht mehr auf – da merkt man, dass diese Inszenierung bei aller formalen Kunstfertigkeit gar nicht so besonders viel zu erzählen hat.
Immer deutlicher wird auch, wie disparat der Abend tatsächlich ist: Eigentlich hätte Claudia Bauer "Das Schiff der Träume" inszenieren sollen, erst nachdem die nach einigen Wochen absprang, übernahm Bergmann. Beispielsweise scheinen Vanessa Rusts artifizielle Kostüme noch aus Bauers Konzept übrig zu sein und finden nicht wirklich eine Entsprechung in der Inszenierung.
Feier der Verkünstelung
Und doch: als Feier der Verkünstelung, als Parteinahme für die unpolitische Egozentrik funktioniert dieses "Schiff der Träume". Gerade auch, weil Bergmann ihrem Ensemble das Recht zugesteht, über weite Strecken wirklich unausstehlich zu sein. Die Güte einer Gesellschaft nämlich bemisst sich auch darin, wie sie mit ihren Nervbratzen umgeht – Nervbratzen aber sind hier einige an Bord versammelt, und es ist nicht uninteressant, dass der Abend ihnen durchaus mit Sympathie gegenübertritt.
Die letzten Worte jedoch gehören der Natur, einem gefangenen Nashorn (dem im Film deutlich mehr Bedeutung zukommt als in dieser Theaterfassung) und einer Möwe. "Erinnerst du dich noch manchmal an die Menschen?" fragt letztere. Und das Nashorn? Schnaubt, angewidert, desinteressiert.
Das Schiff der Träume (fährt einfach weiter)
nach Federico Fellinis "E la nave va", mit Texten von Thomas Perle & Ensemble
Regie: Anna Bergmann, Komposition/Musikalische Leitung: Peer Baierlein, Bühne: Andreas Auerbach, Kostüme: Vanessa Rust, Video: Jan Speckenbach, Musikalische Einstudierung: Hubert Wild, Dramaturgie: Daniel Richter.
Mit: Julia Gräfner, Anastasia Gubareva, Moritz Kienemann, Sina Kießling, Florian Köhler, Janek Maudrich, Anja Schneider, Mathilda Switala, Hubert Wild, Live-Musik: Rieko Okudo, Samuel Hall, Live-Kamera: Dorian Sorg.
Premiere am 26. September 2024
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause
www.deutschestheater.de
Kritikenrundschau
"Nachdem man mit diesen hübschen Witzfiguren eine halbe Stunde lang seinen Spaß hatte, wird es langsam öde. Das liegt daran, dass Anna Bergmann den politischen Dreh- und Angelpunkt des Stoffs, die Frage, wie man mit den Kriegsflüchtlingen auf dem Mittelmeer umgeht, schlicht und einfach ausspart", konstatiert Barbara Behrendt auf rbb|24 (27.9.2024). Die Abwesenheit der Geflüchteten in der Adaption des DT bedeute, "dass keine Gegenwelt zur dekadenten Blase der Reichen sichtbar wird, nichts, an dem sich die Diven reiben könnten, nichts, was deren Kunstwelt entlarvt".
"Die Inszenierung greift Formelemente und Erzählstücke des Films auf," schreibt Sophie Klieeisen in der Berliner Morgenpost (27.9.2024)." Kennt man jedoch den Film nicht, fällt es schwer, Personenführung, Dramaturgie und Handlungsmotive zu finden und ihnen zu folgen." Trotzdem: "So ein Parforceritt zur Saisoneröffnung ist aller Ehren wert."
"Die ganze Inszenierung und überhaupt das Im-Theater-Sitzen gerieten an diesem Abend unfreiwilligerweise zu einem verzweifelten Kommentar auf den Spartorpedo, der in den letzten Tagen den Rumpf des Berliner Kulturbetriebs ins Visier genommen hat und ihn, wenn er dann abgefeuert wird und trifft, versenken wird", schreibt Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (28.9.2024). "Die Figuren bleiben trotz ihrer hübsch ausgeschwollenen körperlichen Macken blutleere, gierige, gelangweilte, unbefriedigte Zynismuskasper, um die es nicht besonders schade ist." "Alles, was in den letzten Dada-Inszenierungen von Claudia Bauer so leicht, böse, akrobatisch, überbordend und angriffslustig über die Rampe knallte – zuletzt die 'Ursonate' von Kurt Schwitters –, geriet zur angestrengten Anspiel- und Bedeutungshuberei, die Fellini nicht verdient hat."
"Disparatheit ist (...) der dominierende Eindruck, den dieser Saisonauftaktabend am DT hinterlässt", schreibt Christine Wahl im Tagesspiegel (28.9.2024). Man frage sich zunehmend, "wer diese Figuren eigentlich genau sein sollen, die hier von keines Gedankens Blässe angekränkelt komische Nümmerchen abziehen".
Kein großer Abend, findet Irene Bazinger in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (28.9.2024). "Das liegt schon am laschen Zugriff auf die Vorlage, denn obwohl die Reisegruppe hier aus mindestens so schrägen und schrillen Typen wie bei Fellini besteht, wirkt sie seltsam entrückt. Könnte es sein, dass sie ihrem Untergang nicht entgegenschippert, sondern diesen längst hinter sich hat? Auch wenn 'Das Schiff der Träume [fährt einfach weiter]' – nach Fellini – mit Texten von Thomas Perle und dem Ensemble um ein paar aktuelle Einsprengsel ergänzt wurde, ist das alles in seiner angestrengt pittoresken Nostalgie zu harmlos."
Der krankheitsbedingte Regiewechsel von Claudia Bauer zu Anna Bergmann "kann mit ein Grund sein, warum das skurrile Kabinett der eitlen, selbstverliebten und empfindlichen Künstlertypen, die hier auf die Reise gehen, so lange seinen Rhythmus nicht findet", mutmaßt Katrin Bettina Müller in der taz (29.9.2024). "Sie sind Karikaturen einer Epoche der Vergangenheit, so lange schon vergangen, dass ihre Zurschaustellung auf der Bühne jetzt kaum die Kraft hat, zur Kunst der Gegenwart und zu den wunden Stellen im Kunstbetrieb heute einen Bogen zu schlagen." Der Abend bleibe, kurzum, "jenseits aktueller Diskurse".
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Und dann stellt sich Laufenberg noch vor das Publikum und ruft zu Demonstrationen gegen Kürzungen auf. Im Wissen, was das Publikum im Anschluß zu sehen bekommt.
Das war eine Farce.
Als Theaterabend bleibt diese freie Fellini-Bearbeitung recht zäh und verliert sich im Slapstick. Umso mehr kann das Ensemble mit den Gesangseinlagen punkten, die in der zweiten Hälfte den gebührenden Raum bekommen. Die Schauspielerinnen und Schauspieler singen durch die Bank hervorragend, Moritz Kienemann gibt nach dem Gastspiel in Bauers letztjährigem Dada-Abend seinen Einstand als festes Ensemble-Mitglied, als Gäste sind Anastasia Gubareva, die von 2013-2022 mit ihrer Stimme in vielen Gorki-Inszenierungen glänzte, und Sina Kießling, die zuletzt beim „Othello“ in der Lausitz zu sehen war, in der Rolle der verstorbenen, herumgeisternden Diva dabei.
Die Gesangspartien sind die Glanzlichter des Abends und retten einen ansonsten durchwachsenen Abend, der mit freundlichem, aber nicht euphorischem Premieren-Beifall aufgenommen wurde.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2024/09/26/das-schiff-der-traeume-faehrt-weiter-deutsches-theater-kritik/
Wenn das mal kein Bärendienst an der Sache ist. Diese der Argumentation immanente Logik, dass nur zu Solidarität aufrufen kann wer auch künstlerisch Großartiges leistet - was ja m.M.n. immer auch eine Subjektivität beinhaltet - der/die verkennt die häuserübergreifende Notlage, die da thematisiert wurde. Frau Laufenberg hat etwas angesprochen, was größer als sie selbst oder das DT ist und das sollte nicht so ... dusselig? ... kommentiert werden. Was sie geschafft hat, ist das Problem in die Tageszeitung zu hieven und eine Aufmerksamkeit zu verschaffen und als jemand deren Jobsicherheit davon auch berührt ist, bin ich Frau Laufenberg dankbar. Irgendwie wahnsinnig unempathisch der Kommentar.
Wieso unempathisch?
Wer Geld, Aufmerksamkeit, gesellschaftlichen Diskurs und einen Riesen Apparat von Menschen beherrscht, muss doch große Kunst, wirkliches Theater schaffen, um das alles zu rechtfertigen.
Für jeden langweiligen irgendwie Quatsch kann man doch nicht noch vor den Vorhang treten und von der Politik verlangen, dass sie immer weiter eine Kunst schont, die einfach nichts mehr zu sagen hat und keinen oder zu wenige interessiert.
Es kann doch kein Recht auf Empathie zu Theaterleuten geben, die kein ( interessantes , spannendes, bewegendes, vielleicht wenigstens lustiges, jedenfalls überhaupt zeitgenössisch gültiges) Theater mehr spielen.
Das wäre so, als sollten wir Empathie zu einer Fußballmannschaft haben, die weder Tore schiessen, noch ihr eigenes Tor verteidigen kann.
Klar, wir wollen Empathie für alle, können wir auch so einfordern, besser noch können wir jedem Mitmenschen einfach geben, die Empathie.
Aber weder dem Theater noch der Kunst ist damit wirklich gedient.
In der Politik gibt es sie eh nicht, die Empathie.
Wir müssen uns diese Form des Mitgefühls wohl erarbeiten.