Common Ground - Yael Ronen sucht in ihrer Stückentwicklung am Berliner Gorki Theater nach Verständigung über den Zerfall Jugoslawiens
Euer Krieg ist viel zu chaotisch
von Anne Peter
Berlin, 14. März 2014. "Wir verstehen das nicht", unterbricht Niels Bormann seinen Schauspielkollegen Dejan Bućin, der gerade auf Serbokroatisch voller Inbrunst ein Lied der Belgrader Band Partibrejkers von 1989 ins Mikro rockt. Doch Bormann will endlich Fakten: "Da steigt keiner mehr durch. Euer Krieg war viel zu chaotisch und wirklich nicht gut organisiert. Bevor wir über Gefühle reden, sollten wir erst mal eine solide Wissensgrundlage schaffen."
Bormann steckt in seiner Leib-und-Magenrolle: in der des begriffsstutzigen, dauernachfragenden, egozentrischen, unsensiblen, aber überzeugt gutmenschlichen und immer ein bisschen beleidigten Deutschen, der kein Fettnäpfchen auslässt. Als solcher übt er sich denn auch in physisch engagierter Wissensgrundlagenschaffung, indem er mit seinen Körperteilen die verschiedenen Ex-Teilrepubliken des ehemaligen Jugoslawien darzustellen versucht ("hier der Arm ist Kroatien ...") – Verstehensverrenkungen der krampfhaften Art, herrlich komisch.
Nachrichtenschnipselwettkampf
Wer die Hintergründe oder den Verlauf der Kriege durchschauen will, die Jugoslawien zwischen 1991 bis 1995 auseinanderrissen, ist hier falsch. Die israelische Regisseurin Yael Ronen, die mit "Common Ground" ihre zweite Arbeit als Hausregisseurin am Berliner Gorki Theater vorstellt, hat es nicht auf eine Geschichtsstunde abgesehen, nicht auf einen Crashkurs "Jugoslawienkriege in 100 Minuten".
Auf der mit multifunktionalen Holzkisten vollgestapelten Bühne liefern sich die Schauspieler zu Beginn einen Nachrichtenschnipselwettkampf. Sie jagen sich gegenseitig den Platz am Mikro ab, in das sie immer atemloser Eckdaten und Namen des Balkankonflikts hineinsprechen, dazwischen mischen sich Nachrichten aus Pop und Sport, von Erdbeben und Flutkatastrophen, von Kriegen in anderen Erdteilen und eigene biographische Kindheitserinnerungsfetzen der sieben Darsteller, von denen vier in Ex-Jugoslawien geboren sind und im Krieg nach Deutschland kamen.
News verdrängen News, bis alle Details und individuellen Geschichten im großen, gleichmachenden Rauschen des Nachrichtenstroms untergehen. Auf den Hintergrund werden in schnellem Wechsel Fernsehbilder der Neunziger geworfen, dazu gibt's eine Playlist von Nirvana über Ace of Base bis Portishead. Ja, so ungefähr fühlt sich das an. Wie schnell man abstumpft. Letzte Meldung: "Der Friedensvertrag von Dayton setzt dem Bosnienkrieg ein Ende."
Seelische Langzeitlasten
Cut. Durchatmen. Die Stille nach dem Overkill. Dann fangen sie noch mal an zu erzählen, von der Geschichte des Theaterprojektes und ihrer fünftägigen Recherche-Reise durch Bosnien, bei der sie nicht nur ihren geographischen "common ground" wiederentdecken, sondern sich auch eine gemeinsame Basis für Verständigung erst erarbeiten mussten.
Mit dabei Jasmina Musić und Mateja Meded, die beide aus derselben bosnischen Stadt stammen. Jasminas Vater wurde eines Tages von Tschetniks entführt und "verschwand", Matejas Vater arbeitete in einem Konzentrationslager, in dem jener Gefangener war. Die Kinder von Opfern und Tätern stehen hier zusammen auf der Bühne. Anekdoten aus dem belagerten Sarajevo mischen sich mit aufbrausenden Diskussionen darüber, wieviel Menschlichkeit im Umgang mit Kriegsverbrechern angezeigt ist. Das semidokumentarische Material arrangiert Ronen zu leichthändig angespielten Szenen und zerstäubt diese genauso so rasch, wie sie sie hingetupft hat.
Immer wieder ist davon die Rede, dass jemand auf der Reise in Tränen ausbricht – und auch auf der Gorki-Bühne bleiben nicht alle Augen trocken. Es ist die ernsteste, bewegendste Arbeit, die ich bisher von Ronen gesehen habe. Sie führt ihre Spieler dorthin, wo es weh tut. Der im serbischen Novi Sad geborene Aleksandar Radenković zum Beispiel, das einzige feste Gorki-Ensemblemitglied der Truppe, steigert sich gen Ende in eine radikal ungeschützte Schuldgefühlsarie hinein. "Ich beneide die Position der Opfer. ... Wie bin ich zu einer Seite in diesem Krieg geworden? Seit wann ist das für mich ein Wettbewerb, wer am meisten gelitten hat?" Wie ungestillt die Wunden von damals noch sind, welche seelischen Langzeitlasten jene zu tragen haben, die einst als Kinder nach Deutschland flohen, davon erzählt der Abend sehr eindringlich.
We are not the most fucked up
Doch für Comic Relief ist auch gesorgt, durch das Klassenkasper-Duo Niels Bormann und die resolute Israelin Orit Nahmias, die beide schon bei Ronens gefeierter Arbeit Dritte Generation (an der Berliner Schaubühne) über die hochexplosive deutsch-jüdisch-palästinensische Gemengelage dabei waren. Nahmias findet es angesichts des Balkankuddelmuddels unheimlich erleichternd, "that we are not the most fucked up".
Ronens Theater weiß es nie besser und hält sich nicht heraus. Sein Trumpf ist Selbstironie. Immer befragt es auch die eigene Perspektive, stößt sich und uns auf unsere eigenen Widersprüche, ohne dabei mit irgendeiner "richtigen" Haltung vor unserer Nase umherzuwedeln. Kaum der Rede wert, dass bei dieser vom Publikum ausgiebig bejubelten Premiere noch nicht alles wie am Schnürchen lief, mancher Satz verhaspelt wurde. In einer Zeit, in der Europa auseinanderdriftet und sich entsolidarisiert, populistischer Nationalismus vielerorts erschreckend hoch im Kurs steht und die Ukraine ganz konkret vor einer möglichen Teilung steht, beschert uns Yael Ronen einen brennend wichtigen Abend.
Common Ground
von Yael Ronen und Ensemble
Regie: Yael Ronen, Bühne: Magda Willi, Kostüme: Lina Jakelski, Video: Benjamin Krieg, Hanna Slak, Dramaturgie: Irina Szodruch.
Mit: Vernesa Berbo, Niels Bormann, Dejan Bućin, Mateja Meded, Jasmina Musić, Orit Nahmias, Aleksandar Radenković.
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause
www.gorki.de
Christine Wahl vom Tagesspiegel (16.3.2014) rechnet diesen Abend zu den "seltenen Glücksfällen" des Recherchetheaters. Während die meisten Rechercheprojekte "mehr oder weniger gehaltvolle Informationsveranstaltungen" blieben, würden Ronen und ihr Team "an einem Punkt, wo viele andere aufhören, erst beginnen und über die konkreten Zusammenhänge hinaus ins Allgemeine weisen". Man staune über "die heilsame Abwesenheit politischer Korrektheitsgebote und die hohe Bereitschaft aller Beteiligten sowohl zur Selbstreflexion als auch zur Selbstironie."
"Selten nur teilt man im Theater die emotionale Arbeit der Schauspieler so bereitwillig wie bei dieser Erzählung über eine Reise nach Bosnien, auf den Spuren der Kriege, die Jugoslawien zerlegt haben", schreibt Katrin Bettina Müller in der taz (17.3.2014). In diesem "ausgezeichneten Theater" würden "das Historische und das Biographische, der skeptische Blick auf die allgemeinen Sprachregelungen im Umgang mit der Geschichte auf der einen Seite und die Öffnung zu den versteckten Gefühlen der Performer auf der anderen" ausbalanciert "wie in die Luft geworfene Bälle".
"Dieser Theaterabend der israelischen Regisseurin Yael Ronen und ihrer Schauspieler ist schon wieder vorbei, bevor man überhaupt richtig begriffen hat, woran man da teilhat", schreibt Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (17.3.2014). "Er fühlt sich an wie eine Schelle oder ein Kuss von einem Fremden im Gedränge." Yael Ronens Inszenierungsweise könne man als "freundliche Überrumpelung" beschreiben. Die Fünf mit ex-jugoslawischen Migrationshintergrund wären, so Seidler, vielleicht auch ohne die beiden Begleiter Niels Bormann und Orit Nahmias ausgekommen. "Aber die so komische wie beleidigende Karikatur des Deutschen, der es besser weiß, ohne auch nur eine Ahnung zu haben, und die konfliktroutinierte Israelin, die nach der Reise zum ersten Mal Heimatgefühle entwickelt, weil sie doch nicht zum 'abgefucktesten Volk der Welt' gehört, sie beide helfen dem Zuschauer − und sicher haben sie auch der Regisseurin geholfen − bei aller Identifikation die eigene hilflose Außenperspektive zwischen hysterischer Empathie und analytischer Handlungsstarre selbstironisch zu überprüfen."
"'Common Grund' ist Betroffenheitstheater", schreibt Tobias Becker auf Spiegel online (17.3.2014), "Theater mit Schauspielern, die betroffen sind von dem, was sie zeigen - und die die Zuschauer damit betroffen machen." Der Abend möge an der einen oder anderen Stelle pathetisch sein, möge schon mal platt sein oder peinlich, aber insgesamt sei er doch roh und direkt, voller Kraft und Energie, "und so angenehm undidaktisch". Die Schauspieler hätten eine Dringlichkeit, die all den Kunsthandwerkern an anderen Stadttheatern allzu oft abgehe. "'Common Grund' ist, so pathetisch und platt muss man es formulieren, eine Theatersensation."
Yael Ronen arbeite sich seit Jahren "virtuos und ironisch durch die Konflikte dieser Welt", so Mounia Meiborg in der Süddeutschen Zeitung (18.3.2014), wobei die Schauspieler als Experten ihres eigenen Lebens aufträten."Wirkt die Selbstbespiegelung in 'Common Ground' anfangs noch befremdlich, dient sie am Ende einem höheren Zweck: einer stellvertretenden Therapie." Auch wenn man Sätze wie "Wir sind so etwas wie vertraut-verlorene Schwestern geworden" "gerne streichen würde: Das ist natürlich Wahnsinn. Fast hat man als Zuschauer das Gefühl, Zeuge eines neuen historischen Ereignisses zu werden: der Versöhnung der nachfolgenden Generation."
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Komplette Kritik: http://stagescreen.wordpress.com/2014/03/15/auf-schwankendem-boden/#more-3224
Die Reaktion im Publikum war eindeutig. Es war begeistert. Weshalb? Weil die Künstler sich in erster Linie über den Inhalt Gedanken gemacht und sich nicht geschont haben. Alle haben innere Grenzen überschritten und etwas von drüben mitgebracht. Man hat das gespürt.
Das Einhalten formaler Kriterien ist nur wichtig, um den Inhalt zu unterstützen, und kein Selbstzweck. Das Stück ist groß, weil es an den Zweck des Theaters erinnert, Geschichten zu erzählen. Das ist in Vergessenheit geraten. Erzählen bedeutet Wagnis und Veränderung darstellen. Das kann nur der, der selbst ein Wagnis eingeht. Das muss nicht immer so eindeutig biographisch belegbar sein. Es ist aber kein Zufall, wenn ein Theater sich in Starrheiten verliert. Es kommt auf die Bühne, was in den Köpfen der Künstler ist, und wenn die sich nicht weiter verändern wollen und nicht mehr wagen als das Publikum, mehr noch, sogar dahinter zuückbleiben, dann muss man sich nicht wundern, wenn alles in Langeweile erstickt.
Deutsche Geopolitik: ein Fiasko
Arno Klönne 28.03.2014
Dilettantische Versuche der Bundesrepublik, auswärtige "Verantwortung" zu übernehmen
Scheinbar einmütig sagen die Regierungen der EU-Länder und der Präsident der USA der russischen Politik harte Sanktionen an – zu derselben Zeit trifft sich der Vorstandsvorsitzende des Siemens-Konzerns zu einem Geschäftsgespräch mit Wladimir Putin. Die deutsche Kanzlerin wiederum beteiligt sich, etwas verdrossen wirkend, an der demonstrativen Ansage, die EU werde eine antirussische Ukraine in ihre Arme schließen. Was geht da vor?
Der Konflikt um die Ukraine hat es offen gelegt: Der deutsche, mit dem Segen des Bundespräsidenten versehene Anspruch, in der Weltpolitik stärker mitzumischen, zeitigt miserable Resultate. Darauf weisen auch versierte Politiker hin, denen Loyalität zum "Westen", zum nordatlantischen Bündnis, ebenso wenig abzusprechen ist wie der Wille, Interessen der deutschen Wirtschaft expansiv zu vertreten - prinzipielle Parteigänger der gegenwärtig regierenden Koalition also. Die Reihe solcher Kritiker im eigenen Lager reicht vom Altkanzler Helmut Schmidt bis zu Horst Teltschik, einst Berater des Kanzlers Helmut Kohl.
Versetzen wir uns zu analytischen Zwecken in ihre Gedankenwelt: Ziel deutscher Geopolitik muss es dann sein, die vorrangige ökonomische und politische Position in der EU auszubauen, den Einfluss auf Osteuropa auszudehnen, Russland in Schranken zu halten und zugleich wirtschaftlich zugunsten der Bundesrepublik zu erschließen - das alles in Abstimmung mit den USA, aber doch mit Spielraum für spezifische deutsche Interessen.
Die Umsetzung dieser Ambitionen scheitert immer mehr. In der EU gewinnen Staaten und politische Kräfte an Bedeutung, die eigene Wege gehen und sich querstellen zur deutschen Politik , in verwirrender Weise. Um nur einige Beispiele zu nennen: Die polnische Regierung orientiert sich strategisch an Washington und nicht an Berlin. Die britische Regierung geht in Distanz zur EU. In etlichen europäischen Ländern wächst der Rechtspopulismus an und gefährdet die sogenannten westlichen Werte. In Griechenland und in Spanien droht sozialer Aufruhr. Von europäischer Stabilität unter informeller Führung der Bundesrepublik kann gar keine Rede mehr sein, auch wenn die EU-Staatsrepräsentanten Auftritte inszenieren, in denen Gemeinsamkeit vorgespielt wird.
Völlig außer Kontrolle ist die Entwicklung in der Ukraine geraten. Aus der geplanten zivilgesellschaftlichen" Übernahme des Terrains ist nichts geworden, das Land mit seinen Turbulenzen wird nun zu einer kostspieligen Last, der neue Kalte Krieg bringt nachhaltige Beschädigungen deutscher Wirtschaftsinteressen hervor. Lästig ist auch, dass in der deutschen Medienwelt die Aggressionen gegen den "Brandstifter Putin" sich verselbständigen; so militant hat die regierende Koalition das nicht gewünscht. Die Mehrheit der Deutschen aber findet solcherart Russophobie unsinnig, Zweifel an der Steuerungsfähigkeit der eigenen Regierung kommen auf.
Vorteile aus den Misserfolgen der EU und insbesondere der Bundesrepublik zieht die US-amerikanische Vormacht, sie kann jetzt die begrenzte geopolitische Eigenständigkeit der Europäer einschränken.
Präsident Obama hat seinen innenpolitischen Konkurrenten einen Erfolg entgegenzuhalten, zögerliche Europäer sind nun auf eine Drohpolitik gegenüber Russland eingeschworen, die NATO rückt weiter gen Osten. Nebenbei werden europäische Vorbehalte gegenüber dem transatlantischen Freihandelsabkommen kleinlaut. Die Medien in der Bundesrepublik reden zumeist den Umschwung in den Kräfteverhältnissen zwischen den USA und EU-Staaten, insbesondere der Bundesrepublik, auf dümmliche Weise schön, sie rühmen einen erneuten "Schulterschluss". In Wahrheit setzt sich die US-Politik in Sachen Russland über europäische, gerade auch deutsche wirtschaftliche Interessen kühl hinweg. Sie stellt – nicht ohne Hohn - zukünftige Möglichkeiten einer Energiezufuhr für Europa auf atlantischen Wegen heraus, wenn das Land Putins als Lieferant ausfalle. Nicht Handel mit und Wandel in Russland zum Nutzen europäischer Ökonomie ist das geopolitische Ziel der USA, sondern Destruktion der russischen Staatlichkeit, um im globalen Machtspiel einen kleineren Konkurrenten vom Platz zu verweisen.
Und Angela Merkel, Frank-Walter Steinmeier als ihr Gehilfe? Von der außenpolitischen Figur der deutschen Kanzlerin blättert der Glanz weg. Beim gemeinen Volk breitet sich allmählich das Gefühl aus, da seien regierende Dilettanten am Werk, mit riskanten Folgen. Ein Verdacht, der begründet ist.
Artikel URL: http://www.heise.de/tp/artikel/41/41363/Copyright © Telepolis, Heise Zeitschriften Verlag
Ja, das stimmt. Und ich bedaure es mittlerweile, dass ich eine betreffende Passage beim Textkürzen in der Nacht wieder herausgenommen habe, denn im Nachhinein scheint mir das sehr zentral: dass die Kinder von Opfern und Tätern nicht nur zusammen auf der Bühne stehen, sondern sogar ihre Rollen und Geschichten tauschen. Das Schauspiel wird hier also denkbar konkret zu einem Akt der Empathie, des sich Einfühlens in die Gegenposition.
Am Anfang wird das durch Orit Nahmias ja noch ironisiert: "I like to call it the 'Orit-Nahmias-looking-at-yourself-through-someone-elses-eyes-method'." Entsprechend posaunt die Inszenierung diesen Rollentausch nicht heraus, versteckt ihn nach meinem Empfinden beinahe, deutet ihn (zumindest in der Premiere) nur ganz dezent an, indem sich die beiden ein paar Mal beim Erzählen bei Kleinigkeiten (Altersangaben) korrigieren.
Auf jeden Fall auch ein Element, das den fiktionalen Ansatz betont, der Ronens Arbeiten ja viel stärker auszeichnet als andere Dokutheaterabende. Man bleibt letztlich völlig im Ungewissen, ob diese Geschichte vom zufälligen Aufeinandertreffen beim Casting stimmt. Sie wirkt eigentlich viel zu gut, zu zugespitzt, zu konstruiert, um nicht erfunden zu sein.
Hitzig wird es auf der Bühne, als sich die Schauspieler auf ihrer gemeinsamen Recherche-Reise ins drei Jahre eingekesselte und wieder aufgebaute Sarajevo und ins Lager Omarska in ein Wortgefecht hineinsteigern: Warum wurden vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag fast nur serbische Kriegsverbrecher angeklagt? Warum wurde dagegen Franjo Tudjman als kroatischer Staatspräsident international respektiert, fragt ein Schauspieler?
In diesen Kernpassagen des Abends bietet der Abend reichlich Stoff zum Nachdenken, die Schauspieler treiben sich in den gut arrangierten Dialogen zu beeindruckenden Leistungen. Dies wäre noch wirkungsvoller gewesen, wenn Yael Ronen und ihr Ensemble auf peinliche Mätzchen verzichtet hätten. Tiefpunkt ist ein weiterer Auftritt von Niels Bormann, der darüber spekuliert, ob die Kriegsgefangenen gar nicht bei den Massakern getötet, sondern von Außerirdischen entführt worden seien. Damals – Mitte der 90er – habe es ja auch die Serie Akte X auf Pro 7 gegeben, untermauert der seine Thesen.
Positiv hervorzuheben ist dagegen noch die rasante und sehr unterhaltsam gemachte Tour de force durch die frühen 1990er: das Ensemble ruft in kurzen Schnipseln weltpolitische und popkulturelle Ereignisse in Erinnerung. Der Balkan ging in Flammen auf, aber das Leben ging weiter, so oder ähnlich erinnern sich wohl die meisten nicht direkt vom Krieg Betroffenen an die Zeit: Steffi Graf gewann ihre Tennis-Matches, im Radio liefen Ace of Base und Bryan Adams, Bill Clinton wurde gewählt und schlitterte in erste Affären, in Deutschland schleppte sich Helmut Kohl durch die letzten Jahre seiner Amtszeit. Als Hintergrundrauschen mischen sich die Berichte über Schüsse auf Sarajevo, Bilder von ausgemergelten Gefangenen und UN-Schutztruppen als Geiseln in die Erinnungssplitter. Das letzte Stichwort dieses knapp halbstündigen Rückblicks ist das Dayton-Abkommen vom August 1995. Die bunten Kostüme und das grelle Licht verschwinden, Stille tritt ein, bis – zunächst tastend und zögernd, dann eindringlicher – die bereits geschilderten autobiographischen Erinnerungen der Schauspieler entfalten.
Ganz zum Schluss tritt wieder Orit Nahmias an die Bühnenrampe und schlägt den Bogen zurück zum Eröffnungs-Monolog: erleichert stellt sie fest, dass nicht nur ihre Heimat im Nahen Osten unter Chaos leidet, sondern auch andere Regionen im Osten von Hass und Konflikten zerrissen sind, die für Außenstehende kaum noch zu verstehen sind und zu dysfunktionalen Gebilden führten. Sie wandelt den berühmten Anfang von Leo Tolstois Anna Karenina ab: Alle glücklichen Nationen ähneln sich in ihrem Glück. Aber jede unglückliche Nation ist auf ihre ganz eigene Art unglücklich.
http://e-politik.de/kulturblog/archives/1203-yael-ronens-balkan-kriegs-erinnerung-common-ground-am-gorki-zwischen-beruehrenden-momenten-pop-kultur-rueckblick-und-pausenclown.html
I have some objections, that should be understood as triggers that led to ruminations regarding the way subjects of war, the accompanying cruelties, a question of guilt and forgiveness were presented in Common Ground. Firstly, and unavoidably, narrative has had several undertones which comply with biased and misinformed interpretation of causes of disintegration of Yugoslavia. The play revolved primarily around the encounter of two daughters, one descendant of Serbian war criminal, the other Bosnian, whose father was killed by the very Serbian war criminal. Some other nationalities that constituted former Yugoslavia were mentioned, among them Croats. Slovenia/ns was/were represented and dispensed with ‘in absence’ – at the very beginning of the play Slovenian video artist was mentioned. As presented, she (visual part of the performance was actually done by Slovenian Hanna Slak) was payed for her work on the play but run away with the money. As I have observed the disintegration of Yugoslavia, and am still deeply involved in it in my memory, that struck the nerve. In a moment I started to feel deeply involved, hurt, and even angry, although my anger was suffused by a sea of disbelief, and sadness, later one by recalling of Yugoslav tragedy. It persisted until the next day when I started to write this review. Point of theft, as presented by one of the male actors – and if not, it was me who understood it as such due to clumsy wording and the way it was presented in the framework on the play – has two flaws. Firstly, it reproduces Serbian and even Western interpretation of causes of disintegration of Yugoslavia, supposedly caused by Slovenians ceding from the federation due to their egotism. Slovenians were, purportedly, interested only in reaping of benefits of Yugoslav markets they undoubtedly dominated, while refusing to acknowledge and strive for the welfare of Yugoslav community.
Even when taking into account that the somewhat cynical German actor represented the voice of international community, it's unacceptable to justify the latest Balkan wars, genocide and massacres of Bosnia, including 8.000 Bosnians executed in Srebrenica, on grounds of alleged egotism. Massacres were predominantly the labor of Serbian paramilitaries, supported by Serbian politicians and army which was not long before called 'Yugoslav People’s Army.' The role of Milošević and his fate is known, as is of Karadžić and Mladić. The later were convicted of genocide, and will probably die in prison. One simply can’t justify deeds of genocide and their ferociousness by secession itself. A case exists of peaceful secession of post-socialist country, i.e. Czechoslovakia, which split into Czech Republic and Slovakia. And even if that case wouldn’t exists, it’s not hard to agree that genocide is unacceptable no matter the preceding events.
The second objection to the point of theft as a cause of disintegration of Yugoslavia is that it was never a viable state. It was composed of various nationalities with different legacies (historical, cultural, political, and societal). Levels of modernization of its constitutive parts varied substantially, as did levels of economic development. Tensions have been present since the moment the first ephemeral State of Slovenians, Croats and Serbs was established in 1918 (it was soon renamed to The State of Serbs, Croats and Slovenians). Post 2ndWorld War excuses of communist ideology and Yugoslav identity were just a veneer that covered the worm-infested core.
To cover for differences between six republics and two autonomous provinces, measures were introduced to establish previously non-existent Yugoslav identity. This was doomed to fail. Yugoslavia was a curiosity between socialist countries. There, local communes and identities were not erased by a powerful centralized and highly repressive party and security apparatus, as republican representatives of Communist Party resisted motions that could lead to abolishment of their power and autonomy. Republican communist parties were in essence deeply nationalistic. That’s why it was impossible to establish an absolute monopoly of any kind of power residing in 'Belgrade,' except the military. Even banking system was not completely centralized as republican leaders opposed to be stripped of their financial power. One of the projects of unification that was initiated by 'Belgrade' was to establish 'common cores,' i.e., amongst others, introduction of Yugoslav cultural heritage into school curriculum. At least in Slovenia and Croatia the opposition of republican intellectual elites, former partisans, most of them members of Communist Party of Slovenia and Croatia, was fierce and led to sharp confrontations with their Serbian counterparts. Namely, the introduction of ‘common cores’ was seen as a thinly veiled attempt to weaken respective identities of non-Serb population by establishing Serbian as Yugoslav identity.
Above one can find are many words written on history, as viewed and felt from a specific point of view which is deeply influenced by national identity. On one hand, it should serve as a cautionary tale, a warning to every person that purports to write as an uninterested observer. On the other hand, if not for any kind of identity one can’t be uninterested because one is human. We, humans, are supposedly capable of learning from history, as we know of pain, and of genocide.
Departing from that point, some notes on the very presentation of themes that take place in Common Ground should be added. It's a matter of interpretation that’s in the hand of the author of the play. However, its modification could lead to a more convincing presentation of themes of historical memory, compassion, forgiveness, and guilt. These are all-encompassing and eternal, as is human nature.
Pompous, noisy, and flashy enumeration of events that took place in the period from 1992 until 1995, i.e. during the war in Bosnia, should be far more subdued – such a display should represent the split between tragic and positive aspects of humanity. Pomposity led to presentation of human nature as predominantly cruel and absurd, as a contradiction of mutual love and understanding that supposedly pertains to humans due to their potential for empathy, historical experience, and our capability for learning out of our past mistakes. Yes, even during wars people create art, get married, and engage in sports as positive, joyful activities unavoidably take place even in time of unutterable atrocities and pain. However, no matter its dark dimensions, the existence of human race is not absurd. We are creatures endowed with and capable of acts of utmost good, as well as of utmost cruelty. That's who we are. If events that took place parallel to the war in Bosnia would be enumerated without the pomposity, they could show the tragic nature of humanity, and not its purported absurdity. In a strange way, that’s why there’s so much beauty in the world we live in. Moralizing leads nowhere, it emanates from the pre-formed stance of ethical superiority of the narrator. It was the stance of Western leaders which, in too many cases, turned a blind eye to genocides for far too long, trying to refute their complicity. They still do, and will in the future. Regarding Germans, they supposedly learned enough of memory, ethics and compassion by first performing the genocide of Jews, asking for forgiveness afterwards. It is a stance of an individual who judges from the safety of the couch, hiding bad conscience.
In fact, to say that humanity is by itself bad, that world is a bad place to live in, is a grave mistake. Today, at this very moment, we live in the best of all worlds (Leibnitz applies here as well), and not only because we have to face pain to be able to do good and understand both of them. As humanity, we were never ever in such a good place as today. Steven Pinker presents, in Enlightenment Now, numerous data that show the advancement of human race: the lowest level of illiteracy in human history, the lowest level of poverty, the lowest level of hunger ... And yet, there's still so much more to do!
I remember that I hitchhiked over Europe at the very time that war in Bosnia started. There was a mustached German who offered me a ride, asking in profound astonishment: 'What are you doing in Yugoslavia?!' I was left without words. All I could do was telling him that I don't know. Truly, I couldn’t get it, it was impossible for me to understand all of the violence that took place in this up until yesterday peaceful place. One adopts understanding that Germans learned something out of Shoah, that they know what are they talking about ... But one has to know that knowledge itself doesn't prevent harm – when facing geopolitical issues, or issues relating to Heimat in geographical, spatial sense of a word, there's no teaching of history. Our identities and interests override them all. Not even suffering that emanates from own experience of pain can prevent us from hurting a fellow human being.
To say that there was a substantial level of intermarriages, even between Kosovars and other nationalities, is going too far. Yes, there were intermarriages, but intermarriages by themselves did not lead to the strengthening of Yugoslav identity. Bosnia was a special case, a mixture of three ethnic groups, of three religious creeds. It is interesting to note that the level of social distance as measured by one of the last surveys conducted on the territory of Yugoslavia showed that Slovenians were the most distanced, while Croats, Muslims and Serbs living on the territory of Bosnia and Herzegovina expressed the most favorable opinions regarding tolerance to their very neighbors, yet the war in Bosnia was ferocious.
The following note is contentious, but in my opinion the atrocities committed in Bosnia, and not only in Bosnia, were not presented with sufficient determination, nor in sufficient detail – Serbian paramilitaries were slaughtering children by cutting their throats in front of their parents, there were not only concentration camps but systematical rapes of women and girls, even children. The inhumanity of treatment of Bosnians was beyond words, so maybe it was not possible to present it in all dimensions. How much to say, how much to show before one gets saturated by truth, or put off by sheer incomprehension of suffering, by sheer incomprehension of enormity of crime? How much empathy is there to spend for suffering one can’t describe?
Some more thoughts on relationship between the victim and perpetrator, on forgiveness and guilt should be added. It was touched upon in Common Ground, but could be exploited to a more substantial and sophisticated degree. Avishai Margalit's The Ethics of Memory represents a good point of departure. The concluding chapter ends by noting that one has ethical responsibility not only to others, but to oneself as well. By forgiving the perpetrator one removes emotions that are powerful enough to corrode and destroy suffering individual from the inside. One can ask him- or herself whether this should apply not only to war in Bosnia, Croatia, and Kosovo, but to Israeli-Palestinian conflict as well. Of course, it should. That’s a general point of Common Ground after all. Should Palestinians forgive Israelis no matter the determination (to mention Deir Yassin Massacre and Nakba, Sabra and Shatila, occupation of West Bank, settler’s aggression) with which the state of Israel was established? Did Jews forgive Germans for that matter? (To note that I'm convinced that Israel has a right to exist, and fully aware of 6 millions of Jews that perished in Shoah.) More questions arise in this regard. What's the relationship between the forgiving victim and perpetrator with blood on his or her hands? On the other hand, perpetrators themselves can ask for forgiveness. According to Maimonides, as quoted by Margalit, the victim is obliged to accept a genuine request of perpetrator. In the same vein, children of victims can forgive, and children of perpetrators must accept the offered forgiveness. One can ask how is it to endure living with enormous pain, how is it to live with the person that has slaughtered your beloved ones when that person lives next door, as many in Bosnia do, while this person scorns you and makes fun of your suffering? Then there's a question of distance as well: could a girl, whose father was slaughtered by Serbian paramilitaries, forgive the slaughterer himself? How much harder it would be in comparison to forgiving his daughter? More so in 200 years? Can time alleviate the pain? And if not, can it erase the memory?
There’s a crime that I have to forgive and live with it that’s closer than Bosnia. In 1945, 70- to 90.000 people were executed in Slovenia (Keith Lowe mentions 70.000 in Savage Continent, Europe in the Aftermath of World War II). They were trying to escape the advancement of Red Army and Communist Yugoslav army. They were Serbian, Croatian, and Slovenian elites. Of course, among them were war criminals, there were collaborators of Nazi regime, the worst of them Croatian Ustaša, but not all of them, including some 10- to 12.000 members of Slovenian National Guard. Victorious communists removed their potential opponents in an act of political genocide. They did it in Poland and Estonia, they did it in Bulgaria to mention a few countries where communists took power. I should forgive them as well, or should I forgive the already dead perpetrators and their progeny? They rule Slovenia as a dominant force of a ‘deep state’. There was never any lustration there. But I have no right to forget. In Slovenia, nobody talks about postwar executions as an act of genocide, political for that matter. On one hand, perpetrators and their progeny are incapable to realize the harm they committed, nor do they care, and on the other there are too many descendants of victims that are not able to forgive. There’s pain that that grips the nation more than 70 years after the end of the 2nd World War.
How deep is our pain? Could one forgive an enormous atrocity? Memories reside in my mind, they live, they come to be alive when watching documentary footage, when reading books ... There's no wish in me to retaliate any more, there's no rage and anger that would lead me to spit in the face, to hate forever, to feed the hate ... Maybe I did forgive in this sense of a word – as Margalit defines forgiveness as letting go anger and a wish to avenge. But I can’t forget, nor do I wish to – only by memory of atrocities can one live in forgiveness, as there has to be something upon which forgiveness refers to. We are obliged to feel sympathy and compassion with victims. I'm obliged, at least in my mind, in my ethical posture, to empathize and to feel sympathy for the children of perpetrators, of those who slit children’s throats in front of their parents, of those who cut genitalia and place them into mouths of their victims, of them who burned alive, of them who systematically raped ... But to the ones who did the atrocities? To forgive completely? Yes, at the very end. But some more time must pass for that, some rain must fall. We must forget at least a bit, so that when the images and stories come into being, when enveloped by sadness and engulfed by pain while watching the suffering, won’t lapse into anger, won’t lapse into rage that would turn into a wish to retaliate, to punch, to cut, burn, shoot, and rape ... We are witnesses only, and now we have to carry a burden of true nature of humanity that is in its core so cruel, but also so beautiful in its capacity for expressing empathy, for doing good, and for creativity that gave us art, democracy, and iPhone.