Macbeth – Robert Borgmann liest Shakespeares Mords-Stück in Berlin allegorisch
Schall und Wahn
von André Mumot
Berlin, 12. Februar 2013. Heiße Luft produziert der Mensch. Und wenn er groß sein möchte, kann man besonders gut erkennen, wie klein er ist. Shakespeare hat das gewusst und in seinem defätistisch dräuenden "Macbeth" nicht den Hauch einer Illusion aufkommen lassen übers Leben, das sich meistens nur in Schall und Wahn äußert. Oder das, wie es in Dorothea Tiecks immer noch recht vernünftiger Übersetzung so schön heißt, nur ein Märchen ist, "erzählt von einem Dummkopf, voller Klang und Wut, das nichts bedeutet." Macbeth selbst sagt diese Worte. An diesem Abend im Maxim Gorki Theater versteht man sie jedoch nur schlecht: Albrecht Abraham Schuch sitzt inmitten eines riesigen Holzgerüsts, das dem Polyeder aus Dürers Melencolia 1 nachempfunden ist und große Teile der kargen Bühne einnimmt, und nuschelt das so vor sich hin.
Und dann geht das Licht aus, aber auch gleich wieder an, und irgendwer klatscht irritiert, während Bühnenarbeiter herbeieilen, um Lady Macbeth und ihren Kameramann aus ihrem Luftsack zu befreien, in dem sie die letzten Minuten verbracht haben, um ihren Königinnen-Wahnsinn per Videoprojektion sinnfällig zu machen. Und dann folgt zögerlich die übrige Besetzung und will sich verbeugen, und auch der Rest des Publikums klatscht, weil's wohl jetzt doch irgendwie vorbei ist und man ja nicht die ganze Zeit nur den Kopf schütteln kann.
Tricks und Eigenohrfeigen
Regisseur Robert Borgmann, der bekannt dafür ist, sich von seinen Assoziationen durch alte und neue Theaterliteratur treiben zu lassen, lässt gut drei Stunden lang Einfälle, Intertexte und Albernheiten über das Stück und die Bühne wuchern. Als recht indifferenter Unkrautzüchter geht er hier ans Werk und scheint selbst nie zu wissen, wohin der Wildwuchs führen soll. Hauptsache, es sprießt überall: Vor der Bühne setzt er Friederike Bernhardt ans Klavier zur grollenden Untermalung, und an die Decke des Publikumsraums projiziert er Wasserbilder, in die immer mal wieder das großäugige Macbeth-Gesicht eintaucht und riesenhaft auf die Zuschauerreihen herabblickt.
Die Lady (Anne Müller) sitzt zu Beginn ohne Augenbrauen im Polyeder – da ist er noch mit halbdurchsichtiger schwarzer Folie umspannt – und sagt schon mal im Voraus große Teile ihres Textes am Stück auf. Ein bisschen manisch ist sie vielleicht, aber nicht sehr und insgesamt auch mit Elisabeth-I-Perücke dauerbeherrscht und größtenteils uninteressant. Der Gatte ist dafür psychisch in umso bedenklicherer Verfassung, und das von Anfang an, was Albrecht Abraham Schuch zu effekthascherisch unkontrollierten Zuckungen, Ticks und Eigenohrfeigen verführt, zum Speicheln, Heulen, Dröhnen, zum beinahe andauernden Grimassieren und Text-Verschlucken.
Kunstnebelverseuchter Irrenhausklamauk
Zur allgemeinen Auflockerung hopst Mathias Becker tapsig in einem Krähenkostüm herum, das sich auch beim Höhenflug zur Bühnendecke nicht entscheiden mag, ob es albern oder bedrohlich aussehen will – wie übrigens die gesamte Veranstaltung. Mal singt man im Chor Bach, mal chargiert das von Macbeth engagierte Mörder-Duo mit idiotischen Akzenten und begibt sich auf schlichtes Kindergartenniveau. Guido Lambrecht darf über die Publikumsreihen klettern und darüber schwadronieren, wie doll es wäre, wenn's keine Männer mehr geben würde: "Fußballstadien nur mit grasenden Kühen." (Ganz große These in einem Stück mit der notorisch bösartigsten Frauenfigur der Theatergeschichte.) Und irgendwann, im kunstnebelverseuchten Irrenhausklamauk, der den Auftritt der drei Hexen ersetzt, platziert Andreas Leupold einen Grammophontrichter auf seinem Kopf, zieht eine Stehlampe hinter sich her und spielt aufreizend widerwillig Don Quichottes Flucht in die Fantasiewelt nach.
Zuvor schon muss der nackte Marek Harloff weiß eingekalkt als Banquos Geist in hoffentlich irgendwie ironisch gemeinter Ernsthaftigkeit aus "Sein und Zeit" zitieren (überhaupt kommt oft und ohne erkennbaren Kontext Heidegger ins Spiel) und Kants Erklärung des Begriffes Aufklärung wie ein Fanal ins Publikum schleudern. "Darf's noch etwas mehr sein?", fragt die Regie, wartet die Antwort aber grundsätzlich nicht ab und zeigt hemmungslos collagierte Bilder von Diktatoren und Gasmasken und Päpsten und Politikern, die von blutigen Händen über eine Nähmaschine gezogen und wiederum als Video versendet werden. Was deutlich macht, dass so ein Macbeth-Abend eine prima Gelegenheit bietet, um noch mal in schöner Undifferenziertheit daran zu erinnern, dass das Problem mit den bösen Leuten auf dieser Welt bis heute nicht gelöst worden ist.
Ärgerlich an all der offensiven Beliebigkeit ist vor allem, dass im Dickicht der Lieblingstextverwurstung, Plattitüdenwiederverwertung und Zeitgeschichtsschwiemelei überhaupt noch auf Shakespeares Szenen zurückgegriffen wird, dass sie hilflos und angestrengt und ohne erkennbares Figurenverständnis abgehakt werden, bis der erlösende Monolog endlich verkündet, dass alles nur Schall und Wahn gewesen ist. Man hat es nach drei Wildwuchsstunden heißer Luft bereits begriffen. Längst.
Macbeth
Nach William Shakespeare
Regie und Bühne: Robert Borgmann, Kostüme: Janina Brinkmann, Musik/ Komposition/ musikalische Einstudierung: Friederike Bernhardt, Video: Jesse Jonas Kracht, Dramaturgie: Jens Groß.
Mit: Mathias Becker, Friederike Bernhardt, Marek Harloff, Robert Kuchenbuch, Guido Lambrecht, Andreas Leupold, Anne Müller, Moritz Peschke; Christian Schneeweiß, Albrecht Abraham Schuch, Moritz Schulze, Nathalie Thiede.
Dauer: 3 Stunden, eine Pause
www.gorki.de
"Bedeutungshuberisches, bescheidwisserisches Gekräusel auf einem Ozean aus Trivialität" hat Ulrich Seidler für die Berliner Zeitung (14.2.2013) gesehen. Die Schauspieler dekorierten ein paar Textstellen, indem sie "brüllen, spucken, wälzen, tanzen, schlagen". Shakespeare müsse ansonsten als "Kunsthonigtopf" herhalten, aus dem der Regisseur seine Assoziationsfäden ziehe. Hinterlassen werde "eine kunstgewerbliche Blutspur der Banalität".
In der Berliner Morgenpost (14.2.2013) stöhnt Georg Kasch: "Es ist ein Jammer." Die Vieldeutigkeit bleibe beliebig, das "Feuerwerk an szenischen Ideen" verpuffe, ohne Spuren zu hinterlassen. Dass die Produktion kurz vor der Premiere den Ausfall eines Darstellers und eine Verschiebung hat verkraften müssen, zähle nicht als Ausrede. "Dieser Abend der intellektuellen Nebelkerzen bietet zu wenig Sein bei zu viel Zeit."
Andreas Schäfer konstatiert im Tagesspiegel (14.2.2013), dass Borgmann nicht "Macbeth" inszeniert habe, sondern: "Er hat drei Stunden den Staub seiner Assoziationen mit Weihrauch verwechselt." Zwar habe der "Blick in die Rumpelkammer der Ikonografie" in den ersten Momenten noch seinen Reiz, doch das Zitieren höre nicht mehr auf. So entwerteten sich die "hochpathetischen" Zitate gegenseitig.
Von einem "raunenden Spektakel", das sich "unter Zuhilfenahme großer Mengen von Bühnennebel immer mehr ins Kryptologische verkriecht", spricht Esther Slevogt in der taz (14.2.2013). Die dreistündige Aufführung suhle sich förmlich in Bildern von Blut und Wahn. Doch der assoziativ vorgehende Abend macht dem Eindruck der Kritikerin zufolge keine Anstalten, "seine Bilder zu erläutern oder herzuleiten".
An diesem Abend erfährt man laut Mounia Meiborg von der Süddeutschen Zeitung (16.2.2013) mehr "über junge Regisseure" als über Shakespeare. Borgmann lasse "nichts aus, was an deutschsprachigen Bühnen gerade en vogue ist". Seine Inszenierung könne deshalb, so Meiborg ironisch, "als Wegweiser für alle trendbewussten Jungregisseure zwischen Flensburg und Fröttmaning dienen". Regel 10: "Wenn keiner am Ende was verstanden hat, hast Du alles richtig gemacht."
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Auf der Bühne des Maxim Gorki-Theaters und in der Regie von Robert Borgmann erzählt erst einmal Lady Macbeth. Anne Müller spielt sie als eine der Gewalt Verfallene. Mit gedrosselter Stimme zweifelt sie die Männlichkeit ihres Gatten an, wenn der nicht schnell genug morden möchte. Sie täuscht Unterpräsenz vor. Sie trägt ein transparentes Taucheranzugoberteil und sieht darin aus wie Isabella Rossellini in Blue Velvet. Ihr zur Seite sitzt Ed Gein als Nathalie Thiede und näht sich die Finger wund. Das Blut wird übertragen auf eine Leinwand. Gein vernäht die Kuhhäute der Geschichte Grausamkeit von Stalin bis Gaddafi. Der kleine Serientäter Gein hat immer gern genäht und die Häute seiner Opfer dann gut gegerbt. Anstatt zu gerben, raucht Nathalie Thiede. Sie hat den Maggie Gyllenhaal-Look verpasst bekommen von Janina Brinkmann - und könnte in ihrer Aufmachung jederzeit auf der Berlinale weiter rauchen.
Gut zu wissen. Da kann ich ja jetzt die 16 €, die ich wegen der Premierenverschiebung gespart habe, gleich in zwei Berlinale-Tickets umsetzen.
Anhand der bisherigen Beiträge gehe ich doch mal eher davon aus, dass es ein Erlebnis für die Schüler war - so haben sie sich Theater doch sicherlich nicht vorgestellt!?
Immer wieder alle Schüler reinschleppen! So ist das Leben und das Theater - nicht alles ist auf Anhieb gut. Bitte, bitte nicht verzagen!
Hier http://www.kulturradio.de/zum_nachhoeren/kulturradio_am_nachmittag.html kann man es bis Freitag nachhören. Interessant dabei ist, dass die Proben schon ziemlich kompliziert abliefen, Erkrankungen usw alles erschwerten und er selbst mit der Hauptrolle wohl Probleme hatte.
Zum Anhören runterscrollen.
man geht nie mit Schülern in die Premiere. Was erwarten Sie? Ein wenig vorbereitet muss man schon sein.
(...)
Mit guter Vorbereitung lässt sich mit Schülern jede Inszenierung rezipieren. (...) Denn nicht die Theatermacher sind es, die Kindern das Theater vermiesen, es sind diese Lehren, die verantwortungslos die jungen Menschen ins Theater schleppen.
Pädagogische Grüße
Scheiß Zensur auf dieser Seite. Hochwohlgeboren, es gibt auch eine Meinungsfreiheit. Ich will einfach nicht mehr eure ... sehen, wenn ich etwas ernst meine.
(Sehr geehrter Olaf,
wenn Sie sachlich bleiben und keine Mitmenschen beleidigen, können wir Ihre Kommentare auch ohne '(...)' veröffentlichen.
Mit Grüßen,
die Redaktion / ape)
ein wenig bescheidenheit und auch ein wenig ehrfurcht vor dem handwerk..klingt alles furchtbar altmodisch..ich meine es aber sehr ernst. es wird an unseren theatern zu großen teilen eitler, dämlicher und selbstreferentieller trash produziert...weit weg von kunst und weit weg von handwerk. das publikum ist aussen vor und wird für doof gehalten..das system ist operativ geschlossen und nährt sich aus sich selbst...auch über seine "elite schulen".
ich habe bei borgmann inszenierungen bisher nur das abbild und das plagiat anderer "bewundern" dürfen..allerdings...falsch verstanden und im neuen... "borgmann kontext" wertlos.
JOHANN SEBASTIAN BACH
armes Leipzig mit deinem Bachgässchen
nun, das ist sicherlich ein Grenzfall. Das ist scharf formuliert und man könnte bestimmt ohne das Wort "Schrott" auskommen. Aber es ist doch noch eher eine Kritik an der Kunst, nämlich an deren Selbstreferetialität, und zielt nicht – wie der obige Post – nur explizit beleidigend auf die Menschen, die diese hervorbringen. Dass das nicht hundertprozentig eindeutig zu entscheiden ist und die Grenzen hier oft fließend sind, wissen wir. Trotzdem versuchen wir, diese Dinge voneinander zu trennen, um Kritik an der Kunst zuzulassen – das muss hier ja möglich sein –, aber Herabwürdigungen von Personen zu verhindern. Wir geben uns jedenfalls Mühe.
Mit guten Grüßen aus der Redaktion,
Anne Peter
LG
Zu meiner Zeit hatte ich in Berlin wenigstens noch Shakespeare in der Schule. Ihn von den Lehrplänen zu streichen ist vielleicht auch mit Ursache dafür, dass man dann auf den Spielplänen uninteressanten Murks mit seinem Namen drauf zu sehen bekommt.
Nunes nicht verstanden, er ist einer der einfühlsamsten, intellektuellsten Regisseure, die dieses Land hat. Ich finde es traurig, dass er nach Stuttgart geht. Wenn Sie ihn nicht verstehen können, ist das ihr Problem, jedoch ist ihr Urteil beleidigend und hätte von der Redaktion zensiert werden müssen. Es lohnt sich nicht, hier eine ehrliche Diskussion zu führen.
Auch das virtuelle Theatertreffen war einmal interessant, wird aber nur noch von 4000 Menschen verfolgt. Ist das nicht die niedrigste Beteiligung jemals.
Nachtkritik ist gut gedacht, funktioniert unter den Bedingungen nicht. Schade!
(Werter Olaf,
ich kann nur variieren, was ich in Kommentar Nr. 20 bereits versucht habe auszuführen: "Regie-Starlet" ist meines Erachtens nicht gegen Nunes als Person, sondern gegen ihn als Regisseur und seine diesbezüglichen Fähigkeiten gerichtet und nach unseren Maßgaben deshalb zulässig.
Was das nachtkritik.de-Theatertreffen angeht: Wir hatten in diesem Jahr mehr Wähler als in allen Jahren zuvor; 2012 waren es 2404, wie Sie auf der entsprechenden Seite nachlesen können.
Nochmals Grüße aus der Redaktion,
Anne Peter)
Nunes ist erfolgreicher Absolvent des bat. Seine Diplominszenierung können Sie immer noch, leider selten, im Gorki sehen, letztmalig am 20.3., sollten Sie nicht verpassen,wenn sie Interesse am Nachwuchs haben.
"Es gab noch bis vor ein paar Wochen eine sehr ambitionierte "Macbeth"-Diplominszenierung am bat, "
Liebe Nachtkritiker und Blogger,
macht uns aufmerksam auf solche verborgenen Schätze!
(Ja, lieber Guttenberg, da können wir nur einstimmen. Auch uns gehen bisweilen immer wieder mal interessante Inszenierungen durch die Lappen. Dafür arbeiten wir gerade an einer technischen Lösung, um wieder Leserkritiken zu ermöglichen. Vorerst darf natürlich an dieser Stelle auch gern mehr zum bat-"Macbeth" gepostet werden.
Beste Grüße aus der Redaktion,
Anne Peter)
Obwohl ich auch zugeben muss, dass viele junge Regisseure die arbeit mit dem Schauspieler an seiner Darstellung gar nicht beherrschen.
Übrigens hat auch Herr Borgmann im bat diplominszeniert ("Die 10 Gebote" nach Kieslowskis "Dekalog"),
Auch hat nachtkritik de. die Proteste der Schule für einen neuen Lehrstandort sowie die Zeit danach recht aufmerksam und mit spürbarer Sympathie begleitet; insofern kann sich die "Busch" da, denke ich, eher nicht beschweren.
Als der (einmal "Bolzplatz" genannte) Leserkritiken-Blog/Block noch offen war, postete im übrigen regelmäßig Herr Rödiger von den bat-Veranstaltungen. Vermutlich findet sich auf seiner Seite auch Entsprechendes zum "Macbeth" (ich selbst hab das jetzt nicht nachgeprüft) am bat (nachtkritik de. mag eine Verlinkung erwägen, da es bei Herrn Rödiger in der Tat viele Beiträge speziell zum bat gibt).
Wenn der "Macbeth" am bat etwas hatte für Sie, würde ich mich natürlich freuen, auch etwas von Ihnen dazu zu lesen ! Selbst mit relativ bekannten RegisseurInnen wie Nora Schlocker kann das passieren, daß eine Premiere von ihr (wie gestern) nicht besprochen wird, weil am selben Tag zahlreiche andere Sachen laufen; da wäre es dann halt immer schön, die ZuschauerInnen gäben von dergleichen Notiz zB. im Schlocker-Vorgängerthread (solche Vernetzungen zu Vorgängerinszenierungen können noch einmal eine eigene Dimension entfalten; bei Laberenz zB. wäre das die Entwicklung vom Abend zu "Aufzeichnungen aus dem Kellerloch" zum Abend zu
"Schuld und Sühne", eine Entwicklung, die auch in Dostojewskijs Werk-Biographie interessant ist zu verfolgen - das Programmheft zu "Schuld und Sühne" weist ausdrücklich darauf hin: Tod der ersten Frau, Tod des Bruders, Einstellung einer Zeitung, zwei gescheiterte Hochzeitsanträge innerhalb dieser zwei Jahre !)-).
Das ist eine wie ich finde ziemlich gute und interessante Frage. Gegen Regieeinfälle? Ja, schon, zum Ausziehen z.B. kann man Schauspieler nicht zwingen, man muss sie überzeugen. Besetzungen? Manche Schauspieler können das, andere müssten mit dem Verlust ihres Jobs rechnen, kommt darauf an, wieviele Regisseure bzw. Intendanten man kennt, die einem dannach einen Job geben.
Gegen zu geringe Gagen und Ausbeutung? Wird sich meiner Ansicht nach viel zu wenig gewehrt. Wie man sich überhaupt in Deutschland viel zu viel gefallen lässt, und sich dann freut, wenn "wir" wieder Export- oder Fußballweltmeister werden.
Warum streiken Theaterleute eigentlich nicht mal ne Woche?
Hat irgendjemand den Oblomow im bat/Berlin gesehen?
Ist der gut?
Würde mich interessieren.
(Vielleicht mit einer kurzen Begründung?)
ich empfehle die Livekritik vom bat-Kenner Horst Roediger:
http://www.livekritik.de/livekritiken/livekritik-von-horst-roediger-zu-oblomow-bat
Sein Fazit: Der lange Weg zur Lethargie: Streckenweise reizvoll
Es scheint so, als bekäme Nachtkritik ernstzunehmende Konkurrenz aus dem Netz.
Jetzt versuchen Sie schon wieder einen Fall Gorki Theater herbei zu schreiben. Ich verstehe nicht ganz, warum Sie davor warnen wollen, ins Gorki zu gehen. Ein oder zwei danebengegangene Inszenierungen scheinen mir als Grund dafür etwas dürftig. Dagegen spricht, dass bei der Auswahl des Nachtkritik-Theatertreffens auch das Gorki vertreten war und Antú Romero Nunes, der für seine Räuberinszenierung soeben den Friedrich-Luft-Preis erhalten hat, sicher auch auf der Liste des Berliner Theatertreffens stand. Ihre Behauptungen sind mit nur drei kurzen Absätzen doch sehr substanzlos und persönlich gefärbt. Führen Sie das doch bitte mal etwas näher aus. Ich rege mich ja sonst nicht über allzu viel auf. Aber ein Theater-Skandal, geht`s noch?
danke sehr, das ist interessant. Ich wäre durchaus an einer Langantwort interessiert (so verdichtet, fällt es mir noch etwas schwer, das nachzuvollziehen). Falls Sie denn willens wären, die zu geben.
Beste Grüße!
Dort findet sich u.a. ein Text "MacBeth Kommentar 2009" (von mir, wie ich in gebotener Bescheidenheit hinzufüge), der vielleicht dazu beitragen kann, zu klären, worum es in "dem schottischen Stück" gehen könnte.
Lieber Herr Steckel,
ich schätze Sie und Ihre unironische Art, den Dingen auf den Grund zu gehen, sehr.
Warum aber drohen Sie jenen Lesern Ihrer unter Post 41 verlinkten MacBeth-Interpretation rhetorisch mit "Liebesentzug", wenn diese Leser auch andere Lesarten der Tragödie für möglich halten ("Wer das Stück als Drama des Ehrgeizes liest, liest es falsch. Wer es als das Drama der uns allen innewohnenden Grausamkeit und Gier liest, lehnt sich gleichsam im Sessel zurück: Er wurde nicht ihr Opfer – kein Wunder, daß sich die Lesart bei Philologen und Forschern größter Beliebtheit erfreut." "Das Mörderische an MacBeth hält sich, anders als seine zumeist spießig wirkenden Begutachter wähnen, in Grenzen") Fördert der rhetorische Rekurs auf narzisstische Instinkte wirklich den Ausgang des Lesers aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit?
Warum stellen Sie den Terroristen wieder als denjenigen hin, der weniger verkommen ist als die Gesellschaft, die sich damit abgefunden hat, dass man die von allen erkannte "Leere" nicht füllen kann? Schon gar nicht mit Blut.
Warum feiern Sie die Blutspur zum Heil? ("Es wird nicht gewagt, auszusprechen, was die Quintessenz der Erkenntnis des königlich vermessenen Königsmörders ausmacht: Daß auch und gerade der, der das Äußerste riskiert, einen Lebenssinn verfehlt und damit jede heimelige Vorspiegelung desselben um sich herum zerstört. Das zieht ihm den Haß der Rechtdenkenden zu, denen es schon immer unerträglich war, ihre Geschäftsgrundlage in Frage gestellt zu sehen.") Eine Blutspur, die immer nur den gleichen Beweis führt: Dass kein Gott sei.
Ich plädiere mit dem Jean-Paul-Leser Georg Büchner eher für Pascal: Statt immer wieder die Leere zu beweisen, muss man eben so tun, als ob es einen gäbe. Nur dadurch füllt man sie.
„Noch keine europäische Linke hat bisher die Kraft gefunden, den Verbraucher in das politische Subjekt zurückzuverwandeln, als das die sogenannten demokratischen Verfassungen ihn ausgeben.“ – Eben. Aber das ist doch keine neue Erkenntnis. Warum rechnen Sie nicht mit ihr?
MacBeth ist keine "intellektuelle Bedrohung" sowenig KZs und GULAGs „intellektuelle Bedrohungen“ waren. Da sind nicht Gedanken ermordet worden, sondern Menschen.
Ich verstehe auch die Formulierung des "allgemeinen Politchors der Rache" nicht. Wäre so der Aufstand im Warschauer Ghetto (z.B.) zu beschreiben? Oder der Bürgerkrieg in Syrien? Wie verstehen Sie den Büchnerschen Begriff der Notwehr?
"hier meldet sich eine Stimme, die nicht dem allgemeinen Politchor der Rache zugehört, und ihr Träger ist es folgerichtig, der den vereinsamten Lebenshungrigen vom Thron wirft. Es käme darauf an, zu begreifen, daß hier unsere Chancen liegen." Verstehe ich Sie richtig, dass Sie damit für einen "Blutmessias" optieren?
Meinen Sie wirklich, was Sie da schreiben?
Vielen Dank für die Information !
Das Volk sieht fern oder in die Röhre. Es erfolgt der Rückfall in den bequemen Fernsehsessel. (Vergleiche Heiner Müller: "Fernsehen" - Wer ist heute im Besitz der Wahrheit? Gibt es eine universelle Wahrheit?) Während sich einige noch mit Selbstzweifeln quälen, greift der vorherrschende Status Quo oder auch Common Sense, ganz wie man will, an den Vorzügen des Systems zu partizipieren und die Nachteile geflissentlich zu ignorieren. "There is no alternative!" Die Wehrhaftigkeit der Demokratie reduziert sich in den Augen der Banker nur auf das Aufspannen eines finanziellen Rettungsschirms, mehr nicht. Soviel zu den "Weissagungen der Schicksalsschwestern". Und besonders Intellektuelle sind dann schnell dabei sich immer wieder die Toten der vergangenen Systeme gegenseitig vorzurechnen, wie erst gestern Abend in der Inszenierung von Ruges Roman "In Zeiten des untergehenden Lichts" gesehen.
Macbeth greift nach der Macht, weil er es kann und sich traut, schreibt Steckel. Die Skrupel zur Macht streift er ab. Das ist die intellektuelle Bedrohung für die Kentauren der Polit-Bürokratie, die mit ihrer Macht wie mit einem Schreibtisch verwachsen scheinen. Es gibt es keine Alternative zur Ergreifung der Macht. Alles weitere ist bekannt. Andere Alternativen? Fragezeichen. Nun wäre aber die Frage im Rückschluss, wer sind die "Stoiker des Verbrechens" heute und gibt es ein politisches Gewissen, in der Art der Selbstreflexionen eines Marc Aurel, vielleicht nach dem Vorbild des eben verstorbenen Stéphane Hessel. Oder wer könnte den Marc Aurels/Macbeth' dieser Zeit den Dolch aus der Hand nehmen, bzw. wie müsste dieser Dolch in den Händen der Machtlosen beschaffen sein, um eine unblutige Umwälzung hin zu mehr Gerechtigkeit bewirken zu können. Wie sehe also eine wirkliche Alternative zum TINA-Prinzip aus? Utopien sind also weiterhin gefragt.
Dazu übrigens ein kleiner Tipp. Unbedingt die Heiner-Müller-Inszenierung von "Der Auftrag" im bat-Studiotheater ansehen. Eine erfrischendere Müller-Interpretation zum Thema gescheiterte Utopien und ihre Wirkung in der Gegenwart hat es zumindest in Berlin noch nicht gegeben. Sehr empfehlenswert. Den "Macbeth" von Borgmann im Gorki konnte ich bisher leider noch nicht sehen. Werde das aber irgendwann sicher nachholen.