"Dead Man" in der Niederlausitz

23. Januar 2022. Gerhart Hauptmanns "Diebskomödie" um den "Biberpelz" ist auf den Bühnen eher rar geworden. Herbert Fritsch gelang damit vor einigen Jahren in Schwerin gleichwohl ein Knallfrosch-Abend, der es bis zum Theatertreffen schaffte. In Cottbus begibt sich mit Armin Petras jetzt der künftige Schauspieldirektor auf den schwierigen Trip ins Komödienholz.

Von Janis El-Bira

 

"Der Biberpelz" in der Regie von Armin Petras am Staatstheater Cottbus © Marlies Kross

23. Januar 2022. Mit Krawumm wird das Holz des Anstoßes vor die Hütte gekippt. Man vergisst ja leicht, dass in Gerhart Hauptmanns "Biberpelz" gleich doppelt geklaut wird. Dass nicht nur der titelgebende Edelmantel, sondern eben auch "zwei Meter" Feuerholz aus dem bürgerlichen Haushalt der Familie Krüger verschwinden. In Cottbus liegt dieses nun von Beginn an – unter den tosenden Winden eines märchengleichen Theaterschneesturms herbeigekarrt – den ganzen Abend lang vor aller Augen. Genau genommen ist es schon da, noch bevor das Diebesgut vor die Füße des Premierenpublikums poltert: Elf knapp hüfthohe Holzpfeiler hat Bühnenbildner Alexander Wolf vor seinen Multifunktionsverhau gesetzt, der Spreewald-Fischerhütte, Waschkeller und Amtsstube in einem bietet. Elf Zeichen der Ordnung neben dem krachend aufgehäuften Chaos. Die Stützen der Gesellschaft und was sie ins Wanken bringt.

Berlinisch-schlesischer Sprech-Singsang

Mit dem Holz baut Cottbus` kommender Schauspieldirektor Armin Petras sich seine Stege durch Hauptmanns mittlerweile eher rar gewordene "Diebskomödie". Als Metapher für Haus und Wärme, aber eben auch für eine der Natur entrissene Ware. Doch bevor dieser Abend zu sachten Driftbewegungen in Richtung Ökoparabel ansetzt, darf Mutter Wolffen bei Petras ausführlich tun, was Hauptmann ihr zugedacht hat: Klauen gehen und dabei leise das Lied vom neuen Zeitalter der Verteilungsgerechtigkeit singen. "Wer mich haut, sprech ich, den hau ich wieder", heißt das freilich noch bei Hauptmann, womit der "Biberpelz" schnell zur Untergangsmelodie auf die restfeudalen Strukturen innerhalb der wilhelminischen Landgesellschaft avancierte. Susann Thiede legt ihre Frau Wolff so auch ganz als ältere Schwester der Mutter Courage an, deren berlinisch-schlesischer Sprech-Singsang selbst beim blutigen Ausweiden des zu Beginn gewilderten Rehs die Sehnsuchtsferne eines blauen Himmels aufschimmern lässt, dessen Sonne allein den feinen Leuten scheinen will.

biberpelz5 1200 Marlies Kross Das Holz des Anstoßes: Gunnar Golkowski als Dr. Fleischer und Torben Appel als Philipp in Alexander Wolfs Bühnenbild © Marlies Kross

Überhaupt hat Petras sich in seiner Bearbeitung stark von der DEFA-Filmadaption des "Biberpelz" durch den Brecht-Intimus und "Dreigroschenoper"-Regisseur Erich Engel inspirieren lassen. In Engels Filmversion rücken viele Nebenstränge der Handlung unter einigen Hinzufügungen ins Zentrum. Etwa das Liebesverhältnis zwischen der Wolff-Tochter Leontine (Julischka Eichel mit entschieden unbetontem Stargast-Faktor) und dem Gendarm Schulz (Markus Paul). Oder die Rolle des Forstfachmanns Motes, der die demokratischen Umtriebe im Hause Krüger (Horst Kotterba) in Person des weltläufigen Literaten Dr. Fleischer (Gunnar Golkowski) denunziert. Motes ist hier ein Kriegsversehrter, noch immer bereit zur Verteidigung von Volk und Kaiserreich ins Feld, zumindest aber vor den Amtsvorsteher Wehrhahn (Sigrun Fischer) zu ziehen. Kai Börner gibt ihm die flackernde Unberechenbarkeit einer beschädigten Existenz, die einzig durch den allzeit umgeschnallten Feldtornister aufrechtgehalten wird. "Der ganze Ort muss gesäubert werden", schallt es später einmal mit unzweideutig brauner Prophetie.

Elegant choreografiertes Wortgeklingel

Die sich so zum kleinen Welttheater aufplusternde Komödie gibt Petras Gelegenheit, mit dem gesamten Cottbusser Ensemble zu arbeiten. Als Bekenntnistat des im Herbst antretenden Schauspieldirektors ist das aller Ehren wert, doch im Schaulaufen der erheblichen Talente bleibt jener Witz auf der Strecke, der diesem in Wahrheit selten wirklich komischen Stück nur dort aufgeht, wo man ihn ein wenig zwingt.

biberpelz19 1200 Marlies Kross Entschieden unbetonter Stargast-Faktor: Julischka Eichel als Leontine mit Lisa Schützenberger als Adelheid © Marlies Kross

Der "Biberpelz" gehört zu jenen Texten, bei denen Inszenierungseinfälle der geistesschlichteren Art vielleicht nicht die besten, aber doch tendenziell die lustigeren sind. Herbert Fritsch hat das vor Jahren mit seinem Schweriner Knallfrosch-"Pelz" vorgemacht. In Cottbus ist man dagegen in Sachen Witz eigentlich schon am Limit, wenn Motes unter die Hausgäste bei Krügers nicht nur "Demokraten", sondern auch Querdenker, Reichsbürger und – Selbstironie des zuletzt skandalgeschüttelten Petras? – "Intendanten" zählt. Dass Julischka Eichel zwischendrin mit einem ungefähr katzengroßen Riesenkarnickel auf dem Arm herumtollt, dass einmal auch ein Döner wie ein silbrig verpacktes Ding von einem anderen Planeten serviert wird – immerhin ein bisschen seltsam. In der Fläche aber ist da viel elegant choreographiertes Wortgeklingel.

Spur ins Unausgesprochene

Bleibt also noch das Holz. Das liegt nicht nur herum, sondern erscheint auch als Abwesendes auf den gerodeten Feldern und entlang der begradigten Läufe der Spree, die hier in schwarzweißen Videosequenzen auftauchen. Schweigendes Land rund um Cottbus, als habe sich Jim Jarmushs "Dead Man" in die Niederlausitz verirrt. Einmal sieht man den Amtsdiener Mitteldorf (Johannes Scheidweiler) zu einem Text aus Platonows "Tschewengur" ins Wasser gehen, wo die Fische "nicht Speise, sondern besondere Wesen" sind. Musiker Philipp Weber malt dazu von ferne heulende Gitarrenriffs. Das eröffnet eine faszinierende Spur ins Unausgesprochene dieses Textes. Man wäre ihr gerne viel weiter gefolgt.

 

Der Biberpelz
von Gerhart Hauptmann
in einer Bearbeitung von Armin Petras
Regie: Armin Petras, Bühne: Alexander Wolf, Kostüm: Cinzia Fossati, Musik: Philipp Weber, Video: Rafael Ossami Saidy, Dramaturgie: Ludwig Haugk, Lisa Mell, Regieassistenz: Julia Daniczek, Rafael Ossami Saidy.
Mit: Sigrun Fischer, Torben Appel, Horst Kotterba, Gunnar Golkowski, Kai Börner, Sophie Bock, Susann Thiede, Thomas Harms, Lucie Luise Thiede / Julischka Eichel, Lisa Schützenberger, Amadeus Gollner, Ariadne Pabst, Anouk Wagener, Johannes Scheidweiler, Markus Paul.
Premiere am 22. Januar 2022
Dauer: 2 Stunden 40 Minuten, eine Pause

staatstheater-cottbus.de

 

Kritikenrundschau

Doris Meierhenrich schreibt in der Berliner Zeitung (24.1.2022, €), mit seiner federleichten Inszenierungshand habe Petras das Stück "direkt in den Spreewald versetzt". Das funktioniere bestens, wie auch das "das Kunststück", den Dialog in den Zeiten um 1890 zu belassen und zugleich "die politisch korrekte Wokeness unserer Tage darin in Erscheinung" zu bringen. Das gelinge durch ein "geradezu natürlich erscheinendes Patchwork" aus "Lehrstück und Haudrauf-Kasperliade" und die "offen gezeigte Herstellung des Spiels selbst". Weniger die Diebstähle der Mutter Wolffen interessierten, als "die Auffächerung verschiedener Lebensgeschichten, die sich gegen eine Einheitserzählung sträuben". Diese Erzählung aber suche die "über-woke Amtsvorsteherin Wehrhahn" (Sigrun Fischer) "dem Örtchen aufzuzwingen", indem sie wiederholt dessen "Säuberung" beschwöre. "Fein choreografierte, teils überblendete Bilder zwischen Waschküche und Spreekanal" gäben dieser "leicht ins Fanatische abgleitenden Gesellschaft allegorischen Wert".

Frank Dietschreit sagte auf rbb Kultur (online 24.01.2022, 8:10 Uhr), zu lachen gebe es eher wenig bei der "Diebskomödie". Petras verfremde und übertreibe, lasse die Wörter wiederholen, bis sie ihren "verborgenen Sinn" offenlegten. Die Schauspieler treibe er zu "Grimassen und Verrenkungen" an, bis sie zum verdrängten Wesen ihrer Figuren vordrängen. Die Sprache diene als "Schutzpanzer" gegen die Zumutungen von denen da oben. Petras inszeniere eine "Tragikomödie" als "Furcht vor der Freiheit". Jeder, der oder die dazugehört, dürfe sehr viel, auch Klauen. Zeiten, Orte und Identitäten wechselten und flössen ineinander, die Spielszenen auf der Bühne würden mit Filmschnipseln aus der Cottbuser Umgegend überblendet, Querdenker und Reichsbürger spazierten in dieser seltsamen Welt herum, Gewalt mache sich breit, es schmerze beim Zuschauen. Eine nachdenkliche, beklemmende Inszenierung, da werden "neue Wege erprobt" und der "Fantasie das Fenster weit geöffnet" in Cottbus.

Ute Grundmann schreibt in der Lausitzer Rundschau (24.1.2022): "Gestern und vielleicht heute, alte Moral und neue Musik, hausbackene Handlung und schicke Videoclips – all das versucht Regisseur Armin Petras hier zusammenzubringen." Petras habe den Text auch bearbeitet, doch sei es angesichts der "dahinplätschernden Handlung" schon "anmaßend" sich im Programm auch für den Text verantwortlich zu bezeichnen. Vieles in der Inszenierung passe nicht zusammen, je länger der Abend dauere, umso mehr frage man, was Petras den Zuschauer:innen eigentlich erzählen wolle. "Rollenmuster" würden "nicht hinterfragt, noch aufgebrochen", mit den Frauenfiguren scheine der Regisseur nur wenig anfangen zu können. Viel Behauptung im Programmheft, wenig davon auf der Bühne zu sehen, lautet das Fazit der Kritikerin.

"Petras hat Figuren hinzuerfunden und Texte ergänzt. Das macht den ersten Teil zwar ein bißchen zerrig- gleichzeitig aber vervollständigt sich so das Sittenbild genau dieser sozialen Verhältnisse. Und dann lässt er seine Leute spielen, dass es eine Art hat. Man spürt, dass er nicht nur Lust hatte auf diese Geschichte, auf diese Sprache. Petras hat Lust auf Schauspieler – und die ganz offenkundig auch auf ihn", so Sylvia Belka-Lorenz vom Inforadio des RBB (24.1.2022). Im zweiten Teil ändere sich der Ton völlig. "Das ist böse, das ist dystopisch." Julischka Eichel rage aus dem durchweg erfreulichen Ensemble heraus. Sie zeige die Zerrissenheit zwischen Herkunft und Hoffnung, "zwischen Stolz- und blankem Existenzkampf".

 

Kommentare  
Biberpelz, Cottbus: Hinweis
Das Stück hat Petras schon mal inszeniert:
https://www.ronnyjakubaschk.de/inszenierungen/der-biberpelz/
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