Ein Königinnendrama

22. April 2023. Das Individuum ist nichts, das Kollektiv alles, und für Schmarotzer bleibt nur der Giftstachel: Regisseur Felix Rothenhäusler widmet sich mit seinem Team dem Leben, Tanzen und Sterben der Honigbienen. Biologisches Infotainment und Einblick in eine Zivilisation, die der Mensch nur in Ansätzen versteht.

Von Falk Schreiber

"Bienen" in der Regie von Felix Rothenhäusler am Theater Bremen © Jörg Landsberg

22. April 2023. Honigbienen kommunizieren unter anderem durch Tänze. Die Position naher Futterquellen beschreiben sie mittels eines Rundtanzes, für weiter entferntes Futter wird ein Schwänzeltanz aufgeführt. Die Tänze der Bienen (die formal barocken Tänzen ähneln) sind entsprechend durchaus ein Thema für die Choreografie.

Eier legen, Larven pflegen, Nektar sammeln

Weil Felix Rothenhäusler sich in seinen jüngsten Arbeiten zunehmend für ökologische Sujets interessiert und sich im übrigen immer weiter vom Theater weg- und zum Tanz hinbewegt, liegt es nahe, dass sich der Regisseur am Theater Bremen mit Bienen beschäftigt: "Bienen. Ein Naturschauspiel" heißt der Abend, und er ist ebenso biologisches Infotainment wie Einblick in eine Zivilisation, die nur in Ansätzen verstanden wird.

Auf der narrativen Ebene beschreibt Rothenhäusler (unterstützt von Dramaturgin Theresa Schlesinger) den Kreislauf des Bienenlebens. Im Februar stoßen die ersten Schneeglöckchen durch den Frost, im Bienenstock regt sich Leben. Eier werden gelegt, Larven gepflegt, es wird Nektar gesammelt, geschwärmt und Nachwuchs gezeugt, zwischendurch werden Blüten bestäubt, und es wird auch gestorben. Das erzählen sechs Performer:innen nacheinander am Mikro, dazu erzeugen Jo Flüeler und Moritz Widrig an Klavier und Cello einen sanft summenden Sound, und zwischendurch stimmt das Ensemble Choräle an: "Reveille toi", "Wach auf", überirdisch schön, gleichzeitig rätselhaft. Und ansonsten? Schwärmen die Schauspieler:innen durch den Saal, auf nur schwer nachvollziehbaren Bahnen, Rundtanz, Schwänzeltanz.

Bienen2 Jörg Landsberg uTanz' die Biene: Siegfried W. Maschek, Andy Zondag, Alexandra Llorens, Irene Kleinschmidt, Shirin Eissa in "Bienen" am Theater Bremen © Jörg Landsberg

Womit auch schon alles beschrieben ist, was hier passiert. Wie häufig hat Rothenhäusler eine einzige Idee, die er mit faszinierender Konsequenz durchdekliniert, und weil seine Abende immer recht kurz sind ("Bienen" dauert gerade mal eine Stunde), wirkt das weniger dünn als knackig. Hier also: Die Darsteller:innen summen durch den Raum (Bühnenbildnerin Katharina Pia Schütz macht keinen Unterschied zwischen Saal und Bühne, das Publikum sitzt überall auf dem Boden, die Performance findet überall statt) und sprechen Texte aus Maurice Maeterlincks 1901 entstandenem "Das Leben der Bienen", damit man halbwegs versteht, was gerade passiert.

Delirium der Liebe

Maeterlinck im Übrigen ist in seiner Beschreibung des Insektenlebens zwar naturwissenschaftlich genau, vermenschlicht die Tiere allerdings, indem er mit symbolistischem Pathos von einem "Schleier der Freude" schreibt (der Paarungsflug der Bienen), einem Schleier, der sich im "Delirium der Liebe" (die Drohnen sterben beim Begattungsakt) auflöst. Dieses Pathos ist einer der Fallstricke, die Rothenhäusler auslegt, ein Fremdkörper, an dem die Inszenierung auf eine ästhetisch nicht uninteressante Weise zu knabbern hat. Ähnlich interessant der Manierismus kleiner Ausstattungsdetails: die schwarzen Rosenkissen, auf denen man sitzt, schwarz, weil Bienen rote Farbe nicht erkennen können. Oder die Schlafsack-Steppkleider (Kostüme: Elke von Sivers), in die die Darsteller:innen sich nach und nach verpuppen.

Was dabei allerdings verloren geht, ist der scharfkantige Humor, der Rothenhäuslers frühere Arbeiten durchzog. Selbst das inhaltlich wie ästhetisch ähnlich aufgebaute "Revue. Über das Sterben der Arten" (2021) hielt ein paar bittere Lacher bereit, indem die Darsteller:innen ein Bestiarium aus nach und nach aussterbenden Tierarten mit ihren eigenen Charakteren füllten. In "Bienen" aber gibt es keine Charaktere, es gibt nur den Schwarm, der im gleichbleibenden Summen eine Art Kollektivcharakter darstellt. 

Bienen3 Jörg Landsberg uMusik für den Schwarm: Matthieu Svetchine, Jo Flüeler, Irene Kleinschmidt, Moritz Widrig © Jörg Landsberg

Wobei, eine Ausnahme gibt es dann doch: die Königin, die "Bienen. Ein Naturschauspiel" ein paar kurze dramatische Momente schenkt. Wenn sie nämlich ihre Larvenkonkurrentinnen tötet, dann ist das ein veritables Königinnendrama, inklusive drastischer Splattermomente. Ähnlich das Schicksal der Drohnen, die nach dem Hochzeitsflug nutzlos für den kollektiven Organismus geworden sind – die werden ebenfalls grausam exekutiert, und wenn in Maeterlincks Worten hier das "Schmarotzergeschlecht" sein gerechtes Schicksal ereilt, dann läuft einem ein kalter Schauer über den Rücken.

Wenn die Bienen verschwinden, hat der Mensch noch vier Jahre zu leben

Aber was hilft es – das ist der Kreislauf des (Bienen-)Lebens, das Individuum ist nichts, das Kollektiv alles, und für Schmarotzer bleibt nur der Giftstachel. Nach einer Stunde ist man wieder am Anfang angekommen. "Ende Februar" kündigt Shirin Eissa die Schneeglöckchen an, und dann wird wieder getanzt. Dass die Veränderungen der Ökosysteme, dass Monokulturen und Pestizidlandwirtschaft den Bienen zusetzen, wird nicht erwähnt, das übernimmt Dramaturgin Schlesinger nebenbei auf dem Programmzetteln. "Wenn die Bienen verschwinden, hat der Mensch noch vier Jahre zu leben", diese apokalyptische Erkenntnis wird Albert Einstein zugeschrieben (auch wenn der ja nun kein Biologe war). In "Bienen" taucht er nicht auf, aber er bildet den Subtext für einen Theaterabend, der konzentriert ist und ästhetisch rund – der sich in seiner Hermetik und in seiner Freude über die gute Idee aber auch ein wenig selbst genug ist.

 

Bienen. Ein Naturschauspiel
von Felix Rothenhäusler und Theresa Schlesinger
Regie: Felix Rothenhäusler, Bühne: Katharina Pia Schütz, Kostüme: Elke von Sivers, Musik: Jo Flüeler, Moritz Widrig, Dramaturgie: Theresa Schlesinger: Choreografische Mitarbeit: Andy Zondag.
Mit: Shirin Eissa, Jo Flüeler, Irene Kleinschmidt, Alexandra Llorens, Siegfried W. Maschek, Matthieu Svetchine, Moritz Widrig, Andy Zondag.
Uraufführung am 21. April 2023
Dauer: 1 Stunde, keine Pause

www.theaterbremen.de


Kritikenrundschau

"Das Ungewöhnliche beginnt schon in Kulisse und Ausstattung", schreibt Dieter Sell in der Nordwest-Zeitung (24.4.2023). Das Ensemble trete nicht einfach als Biene Maja auf, sondern nutze den ganzen Theatersaal quasi als Bienenstock, in dem sich die Zuschauenden ihren Platz suchen müssen. Geschildert werde so das Leben und Sterben der Honigbiene, "mal sachlich und präzise, mal in poetischen Sätzen". Fazit: "70 Minuten, denen das Bienenjahr Struktur gibt, vom Frühjahr bis zum Winter, der das Leben der Bienen auf den Stock konzentriert."

"Bienen" sei nicht unbedingt Theater für Menschen, die gern ein klassisches Drama mit einer Auflösung sehen wollen oder eine Komödie mit Happy End, sondern entfalte sich vor allem über die Sprache, so Andreas Schnell in Bremen 2 (24.4.2023). Kein didaktischer Abend, aber die ökologische Botschaft schwinge mit und erzähle von der komplexen Schönheit der Natur, die uns umgibt.

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