Professor Mamlock - Staatstheater Braunschweig
Wie zerbrechlich ist Demokratie?
22. Januar 2023. 1933 hat Friedrich Wolf es im Exil geschrieben, das Porträt einer Gesellschaft, die faschistisch wird. Später war es Schulstoff in der DDR. Jetzt hat Christoph Mehler das Stück für die Bühne wiederentdeckt.
Von Jan Fischer
22. Januar 2023. "Niemals vergessen" sind die letzten Worte, die in Friedrich Wolfs "Professor Mamlock" gesagt werden. Julius Ferdinand Brauer als OP-Schwester Hedwig spricht sie ins Publikum, und noch offensichtlicher lässt sich die Botschaft des Stückes kaum in den Zuschauersaal bringen. Niemals vergessen: Die paar, die gegen das nationalsozialistische Regime protestiert haben. Niemals vergessen: Die stummen Verweigerer und ihre Widerstände. Niemals vergessen: Die Anständigen. Niemals vergessen: Die Mitläufer, die Speichellecker und die Machtgeilen.
Faschismus suppt in Arbeits- und Privatleben
Sie alle bevölkern "Professor Mamlock", das während der Machtergreifung der Nazis und den auf den Reichstagsbrand folgenden Progromen spielt. Der jüdische Arzt, Weltkriegsveteran und Patriot Mamlock hat sich eine Klinik aufgebaut und will zunächst die Politik aus seiner Arbeit heraushalten, will zunächst nicht wahrhaben was da auf den Straßen passiert. Aber im Laufe des Stückes schränkt die Politik seine Bewegungsfreiheit immer weiter ein, lässt seine Welt immer weiter schrumpfen: Sein kommunistischer Sohn geht Flugblätter verteilen. Seine Tochter wird in der Schule als Jüdin misshandelt. Und schließlich warten vor seiner Klinik ein paar SA-Schläger, und Mamlock entgeht nur einem Berufsverbot, weil er sich im Erstens Weltkrieg als Soldat verdient gemacht hat. Weil er dennoch nicht dem Regime zusammenarbeiten will, begeht er Selbstmord.
In Braunschweig findet das in Christoph Mehlers Inszenierung alles einerseits in Mamlocks Klinik statt – ein unaufgeräumter, mit verblichenen Kacheln ausgekleideter Raum, kurz davor, eine Ruine zu sein, in der einige Apothekerflaschen herumstehen. Der zweite Schauplatz ist das Wohnzimmer der Familie, im Grunder derselbe Raum, nur hinten tapeziert und mit einer Bank in der Mitte. Zwischen den einzelnen Szenen werden auf die Wände immer wieder groß Reden Hitlers oder auch der Reichstagsbrand projiziert: Die Faschisten suppen durch die Wände.
Stück von 1933: historisches Dokument
"Professor Mamlock" wird eher wenig auf die Bühnen gebracht – zwar war es in der ehemaligen DDR sogar Schulstoff, ist aber ein wenig aus der Mode gekommen. Friedrich Wolf selbst schrieb das Stück unter dem frischen Eindruck der Ereignisse, die es beschreibt. Nach einer Flucht aus Deutschland verfasste er es 1933 in Frankreich, wenn man so will, im Affekt, mittendrin, und ohne den Ausgang der Ereignisse zu kennen. Das ist dann auch der Punkt, an dem es seine Schwächen hat, denn "Professor Mamlock" arbeitet mit sehr groben Pinselstrichen: Da die "Roten" und die Kommunisten, die mit Flugblättern gegen die Nazis angehen, hier die Nazis, und mittendrin eine schweigende Masse, die das alles nicht glauben kann, allen voran Professor Mamlock, der zumindest gegen Ende herausfindet, dass sein Patriotismus ihm keine Wahl lässt als sich auf keinen Fall mit den Nazis eigen zu machen.
Zwar versucht der Text, seine Figuren in einer Art Typologie gegen die Nazis zu stellen – es gibt einen Chefredakteur, den kommunistischen Widerständler, diejenigen, die sich wegducken und hoffen, dass es sie nicht trifft – aber am Ende teilt sich hier die Welt in Gut, Böse und Mitläufer. Noch dazu wird das Stück gegen Ende doch etwas diskurslastig und mit archaischer Rhetorik wie "Kein größeres Verbrechen gibt es als nicht zu kämpfen, wenn man kämpfen muss?" angereichert. Man kann das der Entstehungszeit und dem Erinnerungsaffekt Wolfs anlasten und "Professor Mamlock" als historisches Dokument lesen, als eine Art Befindlichkeitssonar seiner Zeit.
Christoph Mehler versucht, alles ein wenig in Richtung Groteske zu drehen, kann da aber natürlich nicht ganz in die Vollen gehen, dafür ist das Thema zu ernst. Dennoch: Robert Prinzlers Dr. Hellpach, überzeugter Nazi-Emporkömmling, ist eine geifernde Parodie in brauner Uniform. Klaus Meiningers Dr. Carlsen ein geradezu unwahrscheinlicher Duckmäuser. Ebenso standhaft und prinzipientreu ist Heiner Takes Mamlock daneben gesetzt, ebenso ernst und verbissen Cino Djavdis kommunistischer Widerständler Rolf.
Bloß weg da!
In seinen besten Momenten stellt sich hier wirklich Grusel ein: Wenn im Hintergrund Hitler vor sich hin keift, während die Figuren auf der Bühne einfach nicht begreifen können, was da gerade ungeheuerliches vor sich geht, weil es ja auch unbegreiflich gewesen sein muss, wenn man ihnen zurufen möchte: Bloß weg da, so lange ihr noch könnt. In schlechten Momenten legt sich der Staub eines umständlichen Stils über eigenartig glitschig-heldische Sprache aus der auch das Ensemble das Stück kaum mehr retten kann.
Dennoch ist mit Mehlers "Professor Mamlock" ein einzigartiges und selten gezeigtes Dokument historischer Erinnerung auf der Bühne zu sehen, das einerseits sehr weit fort wirkt. Andererseits aber immer wieder an feinen Fäden und ganz plötzlich Anknüpfungspunkte bietet: Ab wann ist politischer Aktivismus Pflicht? Wann muss Untätigkeit aufhören? Wieviel Weitsicht muss selbstverständlich sein? Wie zerbrechlich kann Demokratie sein? Am Ende kann natürlich niemand, der mittendrin steckt wissen, wie die Geschichte ausgeht. Aber niemals vergessen was war, das geht.
Professor Mamlock
Von Friedrich Wolf
Regie: Christoph Mehler, Bühne und Video: Stefano di Buduo, Kostüme: Jennifer Hörr, Musik: David Rimsky-Korsakow, Dramaturgie: Holger Schröder.
Mit: Heiner Take, Klaus Meininger, Mattias Schamberger, Robert Prinzler, Lea Sophie Salfeld, Julius Ferdinand Brauer, Georg Mitterstieler, Gina Henkel, Cino Djavid, Nina Wolf, Valentin Fruntke.
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause
Premiere am 22. Januar 2023
www.staatstheater-braunschweig.de
Kritikenrundschau
Regisseur Christoph Mehler lasse das große Ensemble "nicht nur spielen", sondern er habe es "geradezu aufgepeitscht", schreibt Florian Arnold in der Braunschweiger Zeitung (23.1.23, €). Die Emotionen würden "heftig ausgelebt", was durch "die tatsächliche Dramatik des Zeitzeugenstücks" auch gerechtfertigt sei. Regisseur Christoph Mehler setze "das Drama der NS-Machtergreifung in großen Tableaus um" und schaffe so "ziemlich packende 100 Minuten". Das Fazit des Kritikers: "Spannendes Stück, markante, aber nicht überbordende Regie, engagiertes, glaubwürdiges Ensemble. Starker Abend, starker Applaus."
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Dann bleibe ich wohl doch lieber daheim und schaue mir den Film an.
Bis Shanghai soll's ja wohl noch weiter sein.
Auf bald.
in intensiver, spannender Inszenierung. Das Publikum war erkennbar beeindruckt.
Friedrich Wolfs Stück lebt. Es stellt noch die nötigen Fragen.
Der DEFA-Film von 1961 ist sicher hilfreich als Materialrecherche, nicht als Ersatz...
Gruß aus Innsbruck