Liebe, kälter als das Kapital

25. August 2024. In F. Scott Fitzgeralds legendärem Roman verschränken sich Erotik und Geld hinter der großen Frage nach dem amerikanischen Traum. Durchaus auf tödliche Weise. Julia Prechsl hat ihn in Osnabrück in Schaum gebadet – und mit Tendenz zur Hochspannung inszeniert.

Von Andreas Schnell

"Der große Gatsby" nach F. Scott Fitzgerald am Theater Osnabrück © Joseph Ruben

25. August 2024. So schnell kann es gehen: Eben noch beschließt eine Band den diesjährigen "Theater Beach" am Osnabrücker Domhof Balkan-Musik bei 30 Grad und Sonnenschein – dann geht es hinab in die Abgründe und Ekstasen der 20er Jahre. Des 20. Jahrhunderts, wohlgemerkt. Mit "Der große Gatsby" nach dem berühmten Roman von F. Scott Fitzgerald eröffnet das Theater Osnabrück die Spielzeit. 

Wovon erzählt der amerikanische Traum noch?

Was nicht unbedingt die allernaheliegendste Idee zu sein scheint. Klar, Verweise auf die 1920er mit ihren Krisen und Exzessen, die im Nachhinein als Vorboten von noch größeren Krisen gelesen werden können, sind gern genommen. Aber es geht bei Fitzgerald auch überzeitlich um den amerikanischen Traum. Aber ist der auch für die deutsche Gegenwartsgesellschaft von Belang? Um das mal kurz zu spoilern: Geht, sofern man daran bemerkt, was er mit den Verheißungen moderner Gesellschaften an sich zu tun hat. Das ist nicht so wenig. Freiheit und Entfaltung der Persönlichkeit gehen schließlich auch anderswo als Leitgedanken durch.

Julia Prechsl hat den Roman in eigener Übersetzung und Fassung mit einem siebenköpfigen Ensemble plausibel mit dem Heute rückgekoppelt. Und im Grunde ist alles da. Die zentralen Figuren, die komplizierte Liebesgeschichte des Neureichen Titelhelden, sein rassistischer Nebenbuhler, der nicht immer zuverlässige Erzähler Nick Carraway, Jazz und Frisuren und Kostüme jener Ära. Doch gibt es auch ein spätes McMenü am Nachtschalter, und die Musik, die Fiete Wachholtz (Schlagzeug) und Jonathan Strauch (Saxophon) hinten auf der Bühne produzieren, ist klar Jazz, aber deutlich durchs 21. Jahrhundert gefiltert. Wobei die beiden auch immer wieder Songs begleiten, die Stimmungslagen ausdeuten – wie "Auch im Bentley wird geweint", einem Lied von Clueso und Deichkind. Vor allem Rebekka Biener erweist sich in dieser Hinsicht als tolle Sängerin.

Träume, Schäume: Hans-Christian Hegewald (vorne) © Joseph Ruben

Dass die Verhältnisse ins Rutschen gekommen sind, verdeutlicht das zentrale Element der Bühne von Anna Brandstätter: eine große schiefe Ebene, die später noch rutschiger wird, als die Szenerie mit viel Schaum geduscht wird. Und weil sich die wohlhabende Gesellschaft, in der das alles spielt, das lieber nicht so genau sehen möchte, gibt es viel Lametta, mit dem sich – das ist wirklich sehr schön – auch noch die Skyline New Yorks andeuten lässt.

Verdächtiger Gastgeber

Die Spannung ergibt sich einerseits aus dem Kontrast zwischen altem und neuem Geld. Jay Gatsby (entschieden, aber naiv – oder umgekehrt: Michi Wischniowski) gehört eigentlich nicht in diese Sphäre, hat sich, mit nicht immer legalen Mitteln, eingekauft. Und das nur, um seine große Jugendliebe Daisy (Rebekka Biener) doch noch wiederzugewinnen. Zu seinen exzessiven Partys kommen sie gern, aber verdächtig ist Gatsby seinen Gästen schon.

Vor allem Tom Buchanan (Amaru Albancando) will wissen, wer dieser plötzlich aufgetauchte Mann ist. Ausgerechnet seine Frau ist es, hinter der Gatsby her ist. Dass Tom selbst eine Affäre mit Myrtle (Cora Kneisz), der Frau des Garagenbesitzers George Wilson (Raphael Akeel) vorenthält, stört ihn nicht weiter. Daisy wiederum entdeckt zwar durchaus ihre Liebe zu Gatsby wieder, will sich aber auf dessen umfängliche Vorstellungen eines gemeinsamen Glücks nicht einlassen – auch sie hängt eher am alten Geld als an der alten Liebe.

Mit Tendenz zur Hochspannung

Gatsby muss am Ende für seine Liebe teuer zahlen: Bei einer gemeinsamen Autofahrt fährt Daisy Toms Geliebte Myrtle an, die sofort tot ist. Gatsby nimmt die Schuld auf sich, George Wilson erschießt ihn. Im Roman. Bei Prechsl ist das gar nicht so deutlich, weil nicht so entscheidend: Ihr Gatsby rechnet in einem langen Monolog mit der Gesellschaft ab, der Fadenscheinigkeit ihrer Ideale. Er ist auf ganzer Linie gescheitert – wer ihn umbringt? Egal. "Schieß doch", fordert er gar niemand Bestimmten auf.

Hier erweisen sich Liebe und Kapitalismus als untrennbar verschränkt, was einen großen Teil des Reizes dieses Abends ausmacht, dessen Tendenz zur Hochspannung mit der Zeit gelegentlich Ermüdungserscheinungen zeigt. Aber da gibt es dann auch noch tolle Rutschpartien in Schaum, die vor dem dramatischen Finale noch einmal Witz und Tempo bringen. Eine kluge Arbeit, mehr als solide ausgeführt.

Der große Gatsby
nach F. Scott Fitzgerad
Regie und Fassung: Julia Prechsl, Bühne: Anna Brandstätter, Kostüme Olivia Rosendorfer, Musik: Fiete Wachholtz und Jonathan Strauch, Dramaturgie: Sophie Hein.
Mit: Michi Wischniowski, Rebekka Biener, Hans-Christian Hegewald, Amaru Albancando, Lua Mariell Barros Heckmanns, Cora Kneisz, Raphael Akeel.
Premiere am 24. August 2024
Dauer: 2 Stunden 45 Minuten, eine Pause

www.theater-osnabrueck.de

 

Kritikenrundschau

Der "Queer-Einstieg, bei dem sich das so junge wie quirlige siebenköpfige Ensemble lustvoll im silberfarbenen Glitzerwald räkelt", verspreche großes Spektakel, schreibt Matthias Liedtke in der Neuen Osnabrücker Zeitung (26.8.2024). "Das wird es dann auch, aber am Ende verliert sich eine irrlichternde Inszenierung in so großer Formenvielfalt, dass man als Zuschauer Mühe hat, einen Gesamteindruck zu gewinnen." Es sei für jeden Geschmack etwas dabei. "Allerdings wird es ermüdend, wenn lange Monologe noch rechtzeitig vor der Pause die Geschichte einzufangen versuchen."

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