Sturmmasken-Look-Alikes

29. Oktober 2022. Heiligt der politische Zweck immer auch die Mittel, mit denen er umgesetzt wird? Jean-Paul Sartre hat die Frage in "Die schmutzigen Hände" durchexerziert. Regisseurin Lilja Rupprecht inszeniert das Stück in Frankfurt nun in aufgerüsteten Kostümen, die wilde Assoziationen erlauben, dem Revolutionär Hugo allerdings auch nicht weiterhelfen.

Von Shirin Sojitrawalla

Wie ticken diese Köpfe? "Die schmutzigen Hände" von Lilja Rupprecht inszeniert am Schauspiel Frankfurt © Birgit Hupfeld

29. Oktober 2022. Bei jeder Relektüre das gleiche Spiel: atemlos, neugierig und gespannt folge ich dem Protagonisten Hugo, diesem Miniatur-Hamlet (Georg Hensel), der im Auftrag seiner Partei den vermeintlichen Verräter Hoederer erschießen soll. So weit, so spannend. Auf der Bühne realisiert sich das indes meist eher uninteressant. Zuletzt etwa in der kraftmeiernden Knast-Inszenierung von Martin Kušej am Residenztheater. Und auch bei der Regisseurin Lilja Rupprecht geht es mitunter bohrend öde zu. Dabei versucht sie der Langeweile mit einem Sack voller Regieeinfälle ein Schnippchen zu schlagen. Es gibt Live-Musik, Live-Video, eine abenteuerspielplatztaugliche Bühne (Anne Ehrlich), Tanz- und Gesangseinlagen.

Zu Anfang hängt ein herzförmiges Raumschiff aus dem Schnürboden, das auch als Leinwand dient. Darauf pocht ein Herz aus Fleisch und Blut eindrucksvoll vor sich hin. Herzblut! Davon könnte der Parteisekretär Hugo ein bisschen mehr intus haben. Fridolin Sandmeyer gibt ihn als jammerläppischen Jedermann, der sich zwischen Resignation und Wut schwindlig spielt. In seinem Allerweltstrenchcoat wirkt er anfangs ungefähr so einschüchternd wie ein Kaufhausdetektiv.

Die Russen im Anmarsch

Zum Glück, zu seinem und zu unserem, hat er eine Frau an seiner Seite: Jessica. Er Heulsuse, sie ganzer Kerl. In der Gestalt von Lea Ruckpaul ist sie das Pfund, mit dem diese Inszenierung wuchern kann. Ein flirrender Fremdkörper, der sich tänzelnd, kokettierend und krähend über die Bühne schiebt. Auf den ersten Blick blondes Bardot-Dummchen in Geschenkverpackung, durchschaut sie die Welt und ihre Gesetzmäßigkeiten bald besser als ihr kleiner Hase Hugo. So weiß sie natürlich auch, dass es objektive Wahrheiten gar nicht geben kann. Soweit ist auch Hoederer schon, den Matthias Redlhammer als erdkundelehrerhaften Hampelmann mit dem Herz eines wackeren Realpolitikers spielt.

Die schmutzigen Haende 1 Birgit Hupfeld uMit Sturmgewehren und doch wie vom anderen Planeten: Mark Tumba, Lea Ruckpaul, Sebastian Kuschmann in "Die schmutzigen Hände" © Birgit Hupfeld

Bei Sartre befinden wir uns im Jahr 1943 im fiktiven Illyrien unter deutscher Besatzung, die Russen sind im Anmarsch. In Frankfurt spielt das Ganze nirgendwo und irgendwann in einer abstrakten Endzeit. Die Figuren tragen zuweilen Sturmmasken und irrwitzige Haarteile auf dem Kopf und sehen wie eine herrlich bescheuerte Mischung aus dem Sams, Riot-Girls, Tambourmajoren und Popstars aus (Kostüme: Annelies Vanlaere). Keine Menschen, sondern Spielfiguren. Ideengeber in einem abgekarteten Spiel. Wohl niemand schaut ihnen heute zu, ohne dabei den Krieg in der Ukraine im Stammhirn zu haben. Hier wie dort trennt man die unseren von den anderen, Freunde von Feinden. Barbarische Zeiten.

Dilemma politischer Wahrheit

Erst neulich hat der diesjährige Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels, Serhij Zhadnan, erläutert, wie der Krieg die eigene Sprache angreift, sie verändert, aufrüstet und wie sie auf einmal ungewohnt pathetisch tönt. Die unmenschliche Sprache der kadavergehorsamen Parteisoldaten in Sartres Stück stößt ebenso sauer auf. Doch während man die Tagespolitik ernst nimmt, kümmern einen die Typen auf der Bühne nicht. Philipp Rohmers Musik kleidet sie in hübsch wehleidigen Selbstekel, der angesichts des Elends der Welt einfach nur komfortabel wirkt. Dem Sartre'schen Existenzialismus schaukeln sie ziemlich ausgeruht entgegen.

Früher wurden "Die schmutzigen Hände" auch hierzulande in der Schule gelesen, keine Ahnung, ob das noch wer macht. Wenn ja, wäre der Abend zu empfehlen. Schulklassen dürften hier nämlich alles in allem auf ihre Kosten kommen. Mich aber verschone man die nächsten Jahre mit dem Stück. Zumindest auf der Bühne.

Die schmutzigen Hände
von Jean-Paul Sartre, Deutsch von Eva Groepler
Regie: Lilja Rupprecht, Bühne: Anne Ehrlich, Kostüme: Annelies Vanlaere, Video: Moritz Grewenig, Musik: Philipp Rohmer, Dramaturgie: Katrin Spira, Licht: Frank Kraus, Marcel Heyde.
Mit: Matthias Redlhammer, Fridolin Sandmeyer, Lea Ruckpaul, Manja Kuhl, Annie Nowak, Mark Tumba, Sebastian Kuschmann, Philipp Rohmer (Live-Musik), Miguel Graetzer (Live-Video).
Premiere am 28. Oktober 2022
Dauer: 2 Stunden und 10 Minuten, keine Pause

www.schauspielfrankfurt.de

 
Kritikenrundschau

"Die dilemmatische Ausgangslage könnte aktueller nicht sein. Die Regie von Lilja Rupprecht widersteht jedoch der Versuchung direkter Anspielungen", schreibt Sandra Kegel in der FAZ (31.10.2022). Stattdessen werde ein ganz und gar fremdes Illyrien gezeigt, von Menschen mit eigentümliche Masken bevölkert, "wodurch eine wirkungsvolle Verrätselung" entstehe. Das herausragende Frankfurter Ensemble entlocke dem Sartre’schen Thesen-Gewitter seine burlesken Qualitäten und fülle es mit prallem Leben. Stark und schwach zugleich sind diese Figuren, derb und zärtlich und der Vereinnahmung durch eine ideologische Idee entwachsen. "Wer sich eben noch in einem womöglich überholten Stück der Theatergeschichte wähnte (...) wird aufs Verblüffendste überrascht."

Zuoberst schwanken mehr oder weniger (weniger) lustig die Frisuren, darunter die eingewickelten Gesichter wie nach einem sehr schweren chirurgischen Eingriff", wundert sich dagegen Judith von Sternburg in der Frankfurter Rundschau (31.10.2022) über Masken. Im Stück gehe es "weniger um das Recht auf politischen Mord als um Fragen von Motivation, Verrat und Gehorsam innerhalb einer (linken) Kampffront". Dass sie mit alledem gar nichts anfangen will, dokumentiere die Inszenierung von Lilja Rupprecht allerdings im Übermaß, "dies aber mit Aufwand". Es gibt Situationskomik, die aber lediglich aus deplatzierten Was-tun-wir-hier-Eigentlich entsteht. Fazit: Über Sartres Texte könne man streiten, "aber gerade darum muss doch klar sein, warum man sich für ihn entschieden hat, auf der großen Bühne mit dem großen Herzen".

Für Bettina Boyens von der Frankfurter Neuen Presse (31.10.2022) "scheitert" Lilja Rupprechts "weitschweifige Auseinandersetzung mit dem Standardwerk der Weltliteratur an Blutleere". Je "mehr wilde Sturmmasken, Live-Kameras und abenteuerliche Spielwiesen" die Regie "auspackt, desto weniger lässt sich der Mangel an klarer Haltung verdecken, mit der sie der heute leicht angestaubten Schullektüre beizukommen versucht".

 

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