Angst - Theater Bonn
Von Hexen und Hetzern
7. November 2021. Für sein neues Projekt am Schauspiel Bonn versammelt Volker Lösch Aussagen der Lokal-Bevölkerung über ihre Ängste in und vor der Gegenwart. Und parallelisiert diese mit den Hexenprozessen des 17. Jahrhunderts. Hinter rechtsrändigen Fantasmen heute und Hexen-Hysterie dazumal sieht Lösch denselben sozialpsychologischen Antrieb: "Angst".
Von Gerhard Preußer
Bonn 7. November, 2021. Angst ist ein diffuses Gefühl. Ihre Ursachen bleiben undeutlich. Das Gefühl ist da, auch wenn man nicht weiß, warum. Das führt zu willkürlichen Schuldzuweisungen. Die Angstenergie schafft fantastische Ursachenungeheuer, bizarre Erklärungsmythen. Das ist die sozialpsychologische Analyse der politischen Stimmung der Gegenwart in Volker Löschs neuestem Projekt am Bonner Schauspiel.
Wer hat Angst vor Heidi Klum?
Statements von Bonner Bürgern über ihre Ängste vor der Zukunft und in der Gegenwart machen den Anfang des Abends. Acht Schauspieler und Schauspielerinnen sprechen deren Sätze über Angst in der Corona-Krise, Angst vor Diskriminierung, Angst vor Fremden, Angst vor der Zukunft, und auch Angst vor Heidi Klum. Dazwischen aber fallen, chorisch gesprochen, ganz andere Sätze. Klagen von Bauern in altertümlichem Deutsch über Krieg und Missernten. So wird das Konstruktionsprinzip des Abends etabliert: Ängste der Gegenwart werden parallelisiert mit Ängsten des 17. Jahrhunderts, Verschwörungstheorien von heute mit Hexenverfolgung von damals. Hinter der fremdenfeindlichen, demokratieverachtenden Hetze von 2021 steckt derselbe psychologische Mechanismus wie hinter den Hexenprozessen von 1630. Die heutigen Hetzer sind wie die Hexenjäger von damals.
Gesprochen wird auf einer großen Scheibe, die sich im Laufe des Abends immer bedrohlicher schräg stellt in Richtung Zuschauerraum. Und es wird viel gesprochen: Sätze sind das Material des Abends, Körper ihre Dekoration. Zunächst Sätze, die zeigen, wie der Hexenwahn sich um 1630 ausbreitet, gerade in Bonn. Die Lokalgeschichte liefert einen großen Teil des Materials. Dann wechseln die Schauspielerinnen umstandslos zu Texten von Impfgegnern und Querdenkern, Identitären, Preppern und Reichsbürgern, von Hexen und Hexern zu Bill und Melinda Gates. Dieser Kontrast wird im Laufe des Abends immer enger geführt, immer mehr vermischt, sodass die historischen Ebenen verschwimmen.
Attila Petrus Canisius Hildmann
Aus der "Hexenzeitung" werden Nachrichten über Hexenverbrennungen vorgelesen, in der Hand haben die Schauspieler:innen die "Bildzeitung". Tiraden der Verschwörungstheoretiker Attila Hildman und Ken Jebsen wechseln sich ab mit Sentenzen der Hexenjäger Petrus Canisius und Franz Buirmann. Nach einer Einlage mit tanzenden Hexen in grotesken Nacktanzügen sieht man Videos von Opfern rechter Diffamierung und Gewalt, zum Beispiel dem Bürgermeister von Altena, der wegen der Aufnahme von Flüchtlingen attackiert wurde.
Lustig wird es, als die Lokalgeschichte weiter ausagiert wird: Diskussionen über die Hexenprozessordnung im Kurkölschen Erzbistum, die Hexenprozesse von Rheinbach bei Bonn, bei denen zwischen 1631 und 1637 25 Menschen hingerichtet wurden. Die als Teufelsbraut angeklagte Magd wird peinlich befragt nach Farbe und Größe des "Membrums" des Teufels. Den Hofschranzen und Schöffen rutschen dabei immer wieder rechte Gegenwartssätze über die Zunge. Einer der Hofräte des Kurfürsten hetzt so gegen "linke Gesinnungsterroristen". Zum Schluss steht die Scheibe gefährlich steil und das Schauspieler:innen-Team skandiert in strikter Parallelisierung die Namen der Opfer der Hexenverfolgung und der Opfer rechter Gewalt im 21. Jahrhundert. Eine lange Liste, von "Wir verbrennen 1631 die fremde Dienstmagd in Rheinbach" bis zu "Wir erschießen 2021 Alexander W. in Idar-Oberstein".
Salem ist Jetzt!
Schon Arthur Miller hat in "The Crucible" ("Hexenjagd") die Kommunistenverfolgung in den USA mit der Hexenjagd gleichgesetzt. Lösch und seine Textautoren zeigen mit großem Aufwand an dokumentarischem Material, dass die Gleichung sich auch heute noch so ähnlich rechnen lässt. Rheinbach ist das deutsche Salem. Man staunt, welch brandgefährlichen, gewaltverherrlichenden Unsinn diese Wortführer der Rechtsradikalen verbreiten. Löschs Stakkato-Sprachschleuderästhetik mag nerven, aber er zeigt das gedankliche Unterfutter der Gewalt und deren Verbindung mit unverstandenen Ängsten. Jean-Paul Sartre meinte, wenn man Angst aber richtig verstehe, sei sie eigentlich das Bewusstsein unserer Freiheit zu handeln. Handeln müsste man also.
Angst
von Lothar Kittstein und Ulf Schmidt, Textmitarbeit Volker Lösch
Inszenierung: Volker Lösch, Bühne: Valentin Baumeister, Kostüme: Teresa Grosser, Licht: Max Karbe, Dramaturgie: Nadja Groß, Lothar Kittstein, Ulf Schmidt.
Mit: Sophie Basse, Lena Geyer, Linda Belinda Podszus, Lydia Stäubli, Sandrine Zenner, Markus J. Bachmann, David Hugo Schmitz, Daniel Stock.
Premiere: 6. November 2021
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause
www.theater-bonn.de
In der Kölnischen Rundschau (8.11.21) schreibt Elisabeth Einecke-Klövekorn, die Parallelisierung von historischer Hexnjagd und gegenwärtiger ideologischer Instrumentalisierung sei zwar "etwas unterkomplex", werde aber "solide getragen von der fulminanten Energie des Schauspielensembles." Momente, wie die namentliche Nennung der Opfer, würden unter die Haut gehen. "Nach einer pausenlosen, gut zweistündigen moralischen Lektion in Sachen verteufelter Angstbeschwörung respektvoller Beifall."
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bedrohlicher gesellschaftlicher Entwicklung und "Schieflage" im Hier und Jetzt. Wie wichtig die Rolle von "Theater live" hier ist, konnte der Zuschauer in der geradezu körperlich tangierenden Vorstellung erleben.
Summa summarum der Abend bietet ein diffuses Gebräu, Vergröberung des Begriffs „Angst“, Verallgemeinerungen der gesellschaftlichen Umstände, Gemengsel unterschiedlichster Zeiten und Orte durch völlig unhistorische Gleichsetzung der Zeitalter bei Überspringen von fast drei Jahrhunderten. Ein Mischmasch, ein Kessel Buntes, ein Eintopf. Schockierend schließlich ist, wie von der Bühne Diffamierungen und Hetze somit Propaganda von Kleinstgruppen zitierend verbreitet werden, wenn auch durch den Charakter der Akteure leicht relativiert. Bedenklich, mehr noch abwegig ist, dass solcherlei Meinungen und Vorfälle nur aus Deutschland berichtet werden, als würden diese nicht auch aus Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Österreich, Norwegen u.a. gemeldet werden. „Deutschland, Deutschland über alles in der Welt ...“? (...)
Schließlich bleibt die Frage, wie man überhaupt von einem Ausdruck wie „Angst“ ausgehend ein Theaterstück fabrizieren kann. Mit solcherlei Produkten und Inszenierungen muss einem tatsächlich Angst und Bange über die Zukunft des deutschen Theaters werden.
Paul Tostorf