Dschingis Khan. Eine musikalische Völkerschau - Monster Truck und das Theater Thikwa umspielen das Down-Syndrom historisch
Spiel's nochmal, Jonny
von Martin Krumbholz
Düsseldorf, 20. September 2012. Als der englische Neurologe John Langdon-Down im 19. Jahrhundert Menschen mit der angeborenen Gehirnkrankheit, die man heute das "Down-Syndrom" nennt, "mongoloid" taufte, also "mongolenähnlich", wollte er, wer weiß, vielleicht einen Scherz machen. Mediziner haben manchmal einen grimmigen Humor. Jedenfalls hat jene Bezeichnung sich bis weit ins 20. Jahrhundert hinein erhalten, bevor sie durch den offiziellen Begriff "Down-Syndrom" ersetzt wurde.
Fremde Welten im 19. Jahrhundert
Die Gießener Performer Monster Truck verbinden in ihrer Produktion "Dschingis Khan" das eine mit dem anderen – die hochmütige Benennung mit dem historischen Phänomen, und das ist auch schon die ganze ironische Pointe der Show, die in der Exposition als "gute Unterhaltung" präsentiert wird. Drei Menschen mit Down-Syndrom, eine Frau und zwei Männer vom Berliner Behindertentheater "Thikwa" (das ist hebräisch und heißt Hoffnung), spielen in zotteligen Mongolenpelzen mit Riesenkapuzen eine sogenannte "Völkerschau", was nichts anderes ist als eine lose Folge von Abziehbildern, also von Klischees, die wie das Wort "Mongoloismus" ins 19. Jahrhundert und dessen kolonialistische Denkgepflogenheiten gehören. Man sieht die drei Mongolen also bei traditionellen Schießübungen, beim Zubereiten und übermäßigen Trinken von gegorener Schafsmilch, beim Töten und Verzehren ihrer Feinde und so fort. Die einzelnen Episoden werden von Übertiteln kommentiert ("Das traurige Schicksal ihrer Feinde").
Schädel als Wurfgeschosse
Da nun die drei Performer keine längeren Abläufe selbstständig reproduzieren können, wird ihr Spiel vom Bühnenrand aus durch eine Monster-Truck-Performerin kontrolliert und angeleitet. Der Tonfall dieser Anleitungen ist konsequent pädagogisch ("Schön, Jonny, ja, wunderbar, versuch's noch mal" und so weiter). Wenn die Melone, die den Körper des Feindes darstellt, nicht auf Anhieb zerplatzt, wird der Wurf wiederholt ("und jetzt essen"). Für die letzte Viertelstunde (von 90 Minuten) gehen die Monster-Truck-Leute schließlich ab und überlassen das Feld (scheinbar) den Thikwa-Leuten, die nun die Musikregler aufdrehen, tanzen und am Ende mittels einer riesigen Wurfgeschossmaschine Schädel ins Publikum schießen. Inwieweit das Ganze tatsächlich auf spontanen Eingebungen beruht, lässt sich kaum ergründen – vermutlich ist alles gut geübt.
Der Abend wirft Fragen auf, insbesondere solche nach Authentizität und Autonomie. Man wird Monster Truck keinen Zynismus vorwerfen mögen, das Ganze ist sicher furchtbar gut gemeint, politisch korrekt und pädagogisch wertvoll. Und doch bleibt ein nicht geringes Unbehagen zurück. Denn die drei Hauptdarsteller des Abends sind keine Subjekte, die künstlerisch autonome Entscheidungen treffen können. Es wird sie auch niemand wirklich gefragt haben, ob sie in einer hirnrissigen Mongolenshow mitwirken und etwa als Kannibalen auftreten wollen. Mit anderen Worten: Die Drei werden benutzt. Der furchtbar gute Zweck – nämlich mit Klischees aufzuräumen und Behinderte auch noch kreativ werden zu lassen – verschleiert diesen Zusammenhang nur.
Ernst, Kunst oder Meta-Kunst?
Dass das Unbehagen nicht allein auf den Zuschauer übergreift, wird am Schluss deutlich. Da kehrt einer der Monster-Truck-Leute, seinerseits körperbehindert, auf die Bühne zurück und macht eine unbeholfene Ansage des Inhalts, dies alles – und die Entscheidung, dies alles "mit Mongos" zu spielen (er drückt es so aus) – sei nicht seine Idee, sondern die einer Kollegin gewesen; im Übrigen sei es keineswegs eine tolle Sache, behindert zu sein, sondern einfach "doof". Dann geht er verlegen ab. Wie auch an anderen Stellen des Abends weiß man nicht recht, ist das nun Show oder Ernst, Kunst oder Meta-Kunst gewesen? Dass das hier artikulierte Unbehagen authentisch ist, mag man gern glauben. Dennoch verschlimmert dieser missglückte Auftritt alles noch mehr. Haben denn im Vorfeld der Produktion keine Diskussionen stattgefunden? Soll man annehmen, eine übermächtige Performerin habe die Regie an sich gerissen, allen berechtigten Skrupeln und Einwänden zum Trotz? Bitte nachdenken.
Dschingis Khan. Eine musikalische Völkerschau
von Monster Truck und Theater Thikwa
Von und mit: Sabrina Braemer, Jonny Chambilla, Manuel Gerst, Sahar Rahimi, Oliver Rincke, Mark Schröppel, Ina Vera.
Dramaturgie: Marcel Bugiel, Musik: Mark Schröppel. Produktionsleitung: ehrliche arbeit – freies Kulturbüro. Produktionsassistenz: Alisa Hecke. Künstlerische Mitarbeit: Matthias Meppelink. Produktion: Monster Truck. Koproduktion: FFT Düsseldorf, Sophiensaele Berlin, Pumpenhaus Münster und Ringlokschuppen Mülheim.
Gefördert durch den Regierenden Bürgermeister von Berlin – Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, die Kunststiftung NRW, das Kultursekretariat NRW, die Rudolf Augstein Stiftung, die LAG Soziokultureller Zentren NW und das Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen und den Fonds Darstellende Künste
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
www.forum-freies-theater.de
Mehr zum Konzept von Monster Truck? Manuel Gerst und Sahar Rahimi stellen sich in einem Videointerview von Matthias Weigel der Diskussion. Mehr zum inklusiven Theater? Georg Kasch hat den Status Quo zusammengefasst.
Von "abgründigem Diskurstheater" und mehrfach gebrochem, oft überraschendem "fröhlichen Happening", spricht Stefan Keim in der Sendung "Fazit" vom Deutschlandradio Kultur (20.9. 2012). Ständig stehe die Aufführung auf der Kippe, jede These finde sofort einen Widerspruch. "Die bissig-bittere Satire auf das immer stärker werdende Inklusionstheater stößt auf die unleugbare Tatsache, dass die Thikwa-Darsteller richtig Freude haben. Ist es dann trotzdem verwerflich, sie auszustellen und vorzuführen? Sie lassen sich nämlich nicht zu Objekten des Voyeurismus machen, sondern ziehen ihr eigenes Ding durch." Zunächst klinge das ganze Projekt eher wie eine politisch unkorrekten Schnapsidee statt nach einem Theaterabend. "Doch 'Monster Truck' schafft es, die Blicke der Zuschauer immer wieder zu brechen und jede Erwartungshaltung zu unterwandern."
Aus dem verpönten Begriff der Mongoloiden machten Monster Truck einen "langen bitteren Witz", schreibt Melanie Suchy in der Rheinischen Post (22.9.2012). Ein "durchschaubarer Effekt" bringe die Wende von der Mongolen-Show zur Irritation: "Langsam versteht man, dass dieses Stück nicht von Inklusionsgesetz oder Frühdiagnostik handelt, sondern vom Gefühl der Ohnmacht."
Genüsslich ließen die drei Schauspieler des Theater Thikwa das Arrangement von Monster Truck über sich ergehen, schreibt Doris Meierhenrich anlässlich des Berlin-Gastspiels der Produktion in den Sophiensaelen in der Berliner Zeitung (23.11.2012). "Nur geht hier keiner auf in seiner Rolle, vielmehr unterlaufen die drei die ihnen angelegten Rüstungen eigensinnig, komödiantisch souverän." Großer, zynischer Jahrmarktbudenzauber sei das, der dennoch tief und erhellend in die Giftkiste des Theaters greife – speziell des Theaters mit Behinderten. Denn er offenbare, wie die unabweisliche Stärke dieser Spieler – ihre Eigensinnigkeit und Unverbiegbarkeit − zugleich Potenzial ihrer Diskriminierung sei. "Dürfen, können sie eigentlich jemals wirklich 'spielen' oder sollen sie immer nur 'sie selbst' sein und damit den Popanz des vermeintlich 'Echten' abgeben?" Dass diese "Echtheit" immer mindestens so falsch sei wie die lächerliche Mongolen-Geschichtsshow, die sie nachstellen, werde hier schön Parodie. "Aber hat es umgekehrt Sinn, sich selbst zu minimieren und in Kunst aufzugehen?" Zwar gebe Monster Truck keine Antworten, "aber sie hauen hinein in die brennende Lücke zwischen Schein und Sein und zeigen, wo es schmerzt."
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Die Thikwa-Schauspieler sind ausgebildete Profis, keine Kleinkinder, die man mal eben in Engelskostümchen gesteckt und auf die Bühne geschoben hat. Und so wie ich die Truppe kenne, wurden die Schauspieler vorher sehr wohl gefragt, ob sie Lust haben, an einer Monster-Truck-Produktion teilzunehmen. Monster Truck und Thikwa kennen sich ja auch schon länger und wissen, was sie voneinander erwarten können. Dass die Thikwa-Schauspieler keine "künstlerisch autonome(n) Entscheidungen treffen können", ist Gutmenschenarroganz.
Welch eine künstlerisch und menschliche Anarchie, wenn die drei den Abend an sich reißen und uns als Zuschauer vorführen mit unseren Ängsten, dass der Abend vielleicht "unrund" werden könnte.
Großer Spaß mit Tiefgang! Ein Fest...
ich verstehe Ihre Kritik einfach nicht: Was von dem, was sie da beschreiben, ist denn jetzt „sicher furchtbar gut gemeint, politisch korrekt und pädagogisch wertvoll“? Die Abziehbilder der Völkerschau? Die konsequent pädagogischen Anleitungen der Performerin? Dass die behinderten Nicht-Subjekte als Kannibalen auftreten?
Inwiefern wird denn mit Klischees aufgeräumt, wo sie doch angeblich bloß abgebildet werden? Und wo lässt man "Behinderte auch noch kreativ werden", wenn doch alles, wie sie schreiben, moderiert und eingeübt ist?
Mir kommt das ehrlich gesagt eher zynisch und politisch ziemlich inkorrekt vor...
1. ist das Down-Syndrom keine "Gehirnkrankheit" sondern eine Genommutation, mit der man bereits zur Welt kommt. Es ist je nach Definition eine Behinderung, aber keinesfalls eine Krankheit (die ja dann heilbar wäre oder sich verschlimmern könnte).
2. weiß man nun einmal ganz genau, dass Langdon-Down KEINEN Scherz machen wollte, als er Menschen mit dieser Genommutation erstmalig als Gruppe zusammenfsste und sie als "mongoloid" beschrieb - das Klassifizierungssystem, das er in Anlehnung an die Rassentheorien seiner Zeit entwickelte, bestehend aus fünf "ethnischen Standards", denen er die "Imbezilen" und "Idioten" seiner Anstalt dem äußeren Erscheinungsbild zuordnete (im Einzelnen: die "große kaukasische Familie" (zu der die Europäer gehören), die "äthiopische Spielart", die "malaiische Spielart", die "Abbilder von Menschen, die ursprünglich den amerikanischen Kontinent bewohnten" (gemeint sind Azteken) und eben die "große mongolische Familie") griff die damals lebhafte Diskussion um die Verwandtschaft der Menschenrassen auf und argumentierte gegen die weit verbreitete Ansicht, die Grenzen zwischen den einzelnen Rassen (darunter Herren- und Sklavenrassen) seien starr und unüberwindbar, da sie nicht einem gemeinsamen Ursprung entstammten. "Mongoloide" waren Langdon-Downs Gegenbeweis: denn es war offensichtlich möglich, dass sie von "kaukasischen" Eltern zur Welt gebracht wurden.
3. Die "offizielle Bezeichnung Down-Syndrom" (zuerst: "Down's Syndrome") exisitert überhaupt erst seit 1961 und wurde offiziell, nachdem 1965 die Mongolei an die WHO einen Antrag gerichtet hatte mit der Bitte, "den Begriff Mongolian Idiocy (Mongolismus) und seine Ableitungen aufgrund der negativen sowie rassistischen Besetzung nicht mehr zu verwenden und die WHO diesen Antrag einstimmig annahm" (Wikipedia).
P.S.: Auch dass Performer mit Down-Syndrom nicht in der Lage sind, längere Abläufe auf der Bühne selbständig zu reproduzieren, ist schlichtweg Quatsch.
Ich freue ich mich jetzt schon riesig, wenn "Dschingis Khan" endlich nach Berlin kommt!!!
Sie sind also ein richtiger Kenner von echtem Behindertentheater. Shakespeares Sommernachtstraum scheinen Sie allerdings nicht zu kennen, wenn Sie Helena, Demetrius, Hermia und Lysander als Staffage bezeichnen. Übrigens ist Thikwa ein integratives Projekt in dem eben nicht nur Menschen mit Down-Syndrom auf der Bühne stehen. Und wer es peinlich findet, dass Behinderte mal "Wer will lustige Handwerker sehen" singen, fehlt es wahrscheinlich etwas an der nötigen Lockerheit und dem Sinn für Ironie.
Sein einziges Vermögen sind die 3 Euro 67 im Portemonnaie, wobei er nicht weiß, wie viele Packungen Kartoffelchips er dafür bekommt.
Ebenso köstlich provokant ist, denn alle echauffieren sich (Vera!Helioglabal!Brutschin!): Der M.I, wie auch die mongoloide Idiotin sind nicht intellllektael, klognitaf befähigt, oder so sich als Darsteller zu ironisieren. Sie sind, kehren wir doch mal unsere Innerstes mal so wagemutig wie der Satiriker nach außen: menschlicher Witz; von mir hinzugefügt, wenn mit Glück innerhalb der bundesdeutschen Norm dem Menschen mit Down-Syndrom Norm entsprechend: putzig. Oder in der bundesdeutschen bürgerlich-intellektuellen Norm der Behinderte auf der Bühne sein soll: authentisch. Aber könnte es sein, dass ein behinderter Schauspieler / Performer nicht 'authentisch' sein will. Sondern vielleicht 'nur' Schauspieler. Wie auch immer, auch dann: Alle sind nicht fähig sich bewusst, wie auch in 'Dschingis Khan' darstellerisch zu zeigen; sich also witzig, ordinär, widerborstig inszenieren zu können (wenn sie es sind kann es nur angeboren sein, aber nie gelernt sein). Sie können nicht in einen Dialog treten, ob in ihrem Alltag (beim Bäcker) oder beim Erarbeiten eines Stückes (mit dem Regisseur). Sie können sich nicht mit einem begründetem Ja-mach-ich oder Nein-mach-ich-so- artikulieren (schon deshalb nicht, da M.I. kein ‚Ich‘ haben können, n’est ce pas?, das ist Französisch und heißt: nicht wahr? ); so müssen sie, stelle ich mir vor, einen Ja-Nein-Zufallsgenerator implantiert haben. So sind sie humorlos, geistig trääääge und –Gottseidank!- manipulierbar: mit Vanilleeis, knallbunten T-Shirts und Intimmassagen. Zumindest arbeitet das Theater Thikwa so mit seinen Leuten, hörte ich. Aber was soll’s, an anderen Theatern, so hörte ich auch, wird Koks und Champagne gereicht. So sind M.I. auch noch preiswerter! etc. etc.
Was mich vehement stört: ist die Denunziation der Arbeit des
Theater Thikwa (und von Monstertruck). Beides Kompanien, die wie der Kritiker meint, manipulativ sein müssen; die Behinderte benutzten. Juristisch ist der Begriff dafür: üble Nachrede.
Denn der Kritiker hat keinerlei konkrete, persönliche Kenntnis
über deren Arbeit. Er hätte sie sich z.B. nach einer Vorstellung verschaffen können, indem er mit den ‚drei Menschen mit Down-Syndrom‘ spricht. ER benutzt die Behinderten.
'Das ist nicht fein', wie Jonny gelegentlich zu Bevormundung sagt.
Peter Brutschin, Leitung der Thikwa Kunstwerkstatt.
Ansonsten hatte auch Schlingensief dazu was zu sagen:
http://www.youtube.com/watch?v=W30gqTKkSpk
gerade habe ich mit Schrecken den Artikel über das Monster Truck/Thikwastück gelesen. Das Stück hab ich nicht gesehen, aber ich wurde schon beim Lesen wütend, da ich viele Stücke kenne, wo ich das selbe empfunden hab.
Deswegen will ich Sie gern dabei haben, wenn wir spielen. Ich behaupte einfach mal dreist, bei uns ist es nicht so; Aber nix Genaues weiß man nicht...
Wir spielen mit unserer Kompanie KANTINE, bestehend aus Tänzern, Schauspielern vom Theater Rambazamba, Performern und Musikern am 30.+31.10. im freien Museum, Potsdamer Straße, Berlin.
Würde Ihnen gerne noch eine persönliche Einladung zukommen lassen, wo kann ich die hinschicken?
Hoffentlich bis bald und mit sehr herzlichen Grüßen
Janne Gregor
(Liebe Janne Gregor, schicken Sie sie an redaktion@nachtkritik.de, und wir leiten sie weiter. Herzliche Grüße, Sophie Diesselhorst)
das finde ich ein spannendes Phänomen zum Thema: wie Sprache Realität verändert oder eben nicht.
Ich habe den Begriff "Inklusionstheater" auch das erste Mal in Stefan Keims Deutschlandradio-Besprechungen von "Dschingis Khan" gelesen bzw. gehört (http://www.dradio.de/aodflash/player.php?station=3&broadcast=348876&datum=20120920&playtime=1348175330&fileid=7ed6cca7&sendung=348876&beitrag=1872870&/). Für Keim allerdings, anders als für Georg Kasch, ist "Dschingis Khan" ja eben nicht Inklusionstheater, sondern Kritik daran, und wie ich ihn verstehe, versteht er darunter diese ganzen gut gemeinten Theaterbemühungen, in denen Behinderte von natürlich nicht behinderten Regisseuren in bunte Kostüme gesteckt werden und dann Shakespearetexte oder Schuberts "Winterreise" - darunter geht's meist nicht - aufsagen müssen. Womit dann gezeigt werden soll... ja was eigentlich? Wie unglaublich integrierbar sie in die Welt des Bildungsbürgertums sind? Was mit Erziehung oder auch Dressur alles zu erreichen ist?
Vielleicht ist es einfach schön für Menschen, die nicht der DIN entsprechen, sich auf einer Bühne ausdrücken zu dürfen und jemand schaut zu?
Herr Quasthoff, was meinen Sie? Wer hat Sie missbraucht, als Sie die Winterreise sangen und den Feste in Katharina Thalbachs "Was ihr wollt"-Inszenierung am BE annahmen?
Und wie ist das mit den Regisseuren? Einar Schleef? Robert Wilson?
Als Shakespeares Neffe Frauen auf dem Theater auftreten ließ, war das auch "Inklusionstheater" und siehe da: das Theater hat es überlebt.
Warum haben Bürger eigentlich diesen narzisstischen Reflex, immer alles auf sich beziehen zu müssen?
Vielleicht werden die Thikwas ja nicht in die Welt des Bildungsbürgertums integriert, sondern umgekehrt?
Wer sagt, dass der Bürger immer der aktive Teil ist?
Alles eine Frage der Perspektive.
1. Natürlich ist das schön, sich "auf einer Bühne ausdrücken zu dürfen" - aber war diese Theaterform nicht mal mit dem Anspruch gestartet, Kunst zu machen und Teil der ganz normalen Theaterszene zu werden? Wenn das, was von diesem Anspruch übrig geblieben ist, Selbstverwirklichung in der geschützten Behindertentheaterwerkstatt ist, dann ist das auch okay, aber dann müssen wir darüber nicht weiter auf Foren wie nachtkritik diskutieren.
2. Thomas Quasthoff? Einar Schleef? Robert Wilson? Hallo??? Ich weiß nicht, ob Ihnen schon aufgefallen ist, dass hier eigentlichn von Leuten die Rede ist, denen die Gesellschaft eine so genannte "geistige Behinderung" attestiert. Die jetzt mit Kurzsichtigen, vorübergehend Hinkenden und Brillenträgern in einen Topf zu werfen, bringt die Debatte nun nicht gerade voran.
3. Und wie und wo bitte wird das Bildungsbürgertum denn in die Welt der Thikwas integriert? Und was ist mit dieser "Welt der Thikwas" überhaupt gemeint? Die Welt (Stoffwahl, Bühne, Kostüme) ihrer bildungsbürgerlichen (und eben nicht "geistig behinderten") Regieteams? Oder die Welt der "geistig behinderten" Thikwa-Schauspieler/innen, die sich in deren Regiekonzepten bewegen?
4. Wer sagt, dass der Bürger immer der aktive Teil ist? Ich freue mich über Gegenbeispiele...
5. Alles eine Frage der Perspektive? Ich bitte um Erläuterungen...
Aber haben sich Rambazamba z.B. nicht auch einfach aus gutem Grund ein bisschen gemütlich in ihrer Schublade Behinderten/Sozialtheater eingerichtet? In der sind sie nun mal viel geschützter als jede Gruppe der freien Theaterszene ohne Behinderten/Sozialbonus. Und da das Management der Gruppe nun mal die Verantwortung für Leute trägt, die auf dem freien Theatermarkt wahrscheinlich einfach nicht überlebensfähig wären, kann man ihnen das doch nicht verübeln...
Viele Grüße von einer "ganz normalen" Zuschauerin
Freue mich jedenfalls, das Stück Ende der Woche in den Sophiensälen endlich selbst sehen zu können.
1. Der Kunstanspruch ergibt sich aus der konkreten Aufführung, nicht aus der Frage, wer mitspielt.
Aufführungen können gelingen, dürfen aber auch scheitern. Ich finde, dass man aus einer gescheiterten Aufführung nicht eine Debatte ableiten darf, wer spielen darf und wer nicht.
2. "Die jetzt mit Kurzsichtigen, vorübergehend Hinkenden und Brillenträgern in einen Topf zu werfen", ist zynisch. Quasthoff ist Contergan-geschädigt, Schleef ein Stotterer, Wilson Autist. Natürlich können Sie die Gruppe der Nicht-DIN-Menschen nach der Methode "divide et impera" so oft teilen, bis Sie zu der richtigen Aussage kommen: Ein schlechter Schauspieler ist ein schlechter Schauspieler, der nicht Schauspielen sollte.
Im übrigen ging es bei diesem Punkt darum, dass behinderte Regisseure sehr wohl inszenieren.
3. die Welt der "geistig behinderten" Thikwa-Schauspieler/innen, die sich in deren Regiekonzepten bewegen: Die Regieteams bauen den Rahmen, den die Schauspieler/innen füllen. In den geglückten Produktionen, den Abend mit den Texten von Ernst Herbeck z.B. oder auch beim Stabat Mater von Pergolesi, ist dieses Eigene von einer Kraft, die die gesamte Rahmenkonstruktion übersteigt und verblassen lässt.
Wenn sich die Thikwas jetzt Sternheims Bürger Schippel vornehmen (leider noch nicht gesehen) kapern sie natürlich die Bürgerwelt. Oder wenn Jana Zöll in Sebastian Hartmanns wunderbarem Leipziger "Krieg und Frieden" den Napoleon spielt (was bei Tolstoi übrigens im Kapitel IX, 11 angelegt ist) oder die Gehandicapten bei Schlingensief. Schlingensief hat – als Erster? – sichtbar gemacht, dass es diese Welt überhaupt gibt. Und was für eine Bereicherung. Die Debatte um große Kunst und Literatur behinderter Menschen ist ja schon über 100 Jahre alt, nur auf dem Theater ist sie trotz Artaud offenbar jenseits der Freak-Shows noch nicht angelangt.
4. Ich erinnere mich an einen jungen Mann im Rollstuhl in der Thikwa-Produktion "Stabat Mater" - der hat alles überstrahlt. Oder an Christopher Knowles bei Bob Wilson (Parzifal in den 80er Jahren am Hamburger Thalia-Theater). Oder an bestimmte Verse von Ernst Herbeck. Das sind neue, starke Welten. Da bin ich mit meinen Kategorien völlig fehl am Platze. Da muss ich mich einfach einlassen auf etwas völlig anderes, mich der Führung dieser Künstler anvertrauen. Insofern ist das, was Sie "Bürgertum" nennen, nicht der aktive, sondern der geführte Teil.
5. Sie kennen Rilkes Sonett vom Archaischen Torso Apollos:
"und bräche nicht aus allen seinen Rändern
aus wie ein Stern: denn da ist keine Stelle,
die dich nicht sieht. Du musst dein Leben ändern."
Insofern Theater "leibhaftige Kopräsenz" (Fischer-Lichte) von Spielern und Zuschauern ist, stellt überragendes Theater immer auch den Lebensentwurf des Zuschauers in Frage. Wir gucken auf die Bühne. Und die Bühne guckt zurück. Es ist die Frage, ob wir das wahrnehmen, zulassen, vielleicht sogar thematisieren.
@21: ", die auf dem freien Theatermarkt wahrscheinlich einfach nicht überlebensfähig wären" - das klingt jetzt ein bißchen nach Neiddebatte, Streit um die Fördertöpfe.
Ich bin froh, dass es beide Theaterformen gibt.
Was bitte macht denn aus, dass das "gute Schauspieler" sind? Haben die eine Schauspielausbildung? Sich an 20 staatlichen Schauspielschulen beworben, bis sie genommen wurden? Das ist doch schlichtweg Verklärung, dass das per se "gute Schauspieler" mit einer gewissen Schauspieltechnik sind. Oder überhaupt ein Bewusstsein darüber, was gerade gespielt wird?
1. Es ging hier nicht um die Frage, „wer spielen darf und wer nicht“ oder ob Aufführungen gelingen oder scheitern und auch nicht um die Frage, woraus sich ein Kunstanspruch ableitet. „Sich auf einer Bühne ausdrücken zu dürfen und jemand schaut zu“ – das ist erst einmal ein rein narzisstisches Bedürfnis, und aus diesem Grund Spielmöglichkeiten zu schaffen ist: ein Therapieangebot.
2. Okay, ich versuche es noch mal: Weder Quasthoff, noch Schleef, noch Wilson haben das, was in der Gesellschaft als „geistige Behinderung“ angesehen wird. Auch habe ich bisher noch nie von einem „geistig behinderten“ Regisseur gehört. So genannte „geistig Behinderte“ mit Rollstuhlfahrern, Sehbehinderten, Gehörlosen etc. in einen Topf zu werfen, nur weil sie alle gesellschaftlich den Status „behindert“ teilen, finde ich unzulässig – und vor allem bringt es die Debatte nicht voran. Einem Thikwa-Schauspieler wird die Mündigkeit abgesprochen, dem Rollstuhlfahrer Wolfgang Schäuble bis jetzt noch nicht – und die blinden Musiker Ray Charles und Stevie Wonder durften schon in den behindertenfeindlichen 70ern Stars sein.
Was das alles mit „Ein schlechter Schauspieler ist ein schlechter Schauspieler“ zu tun hat, also aus welcher Aussage von mir Sie zu dieser Unterstellung kommen, müssen Sie mir bitte erklären.
3. „ Die Debatte um große Kunst und Literatur behinderter Menschen ist ja schon über 100 Jahre alt, nur auf dem Theater ist sie trotz Artaud offenbar jenseits der Freak-Shows noch nicht angelangt.“ – Große Thesen! Aber was meinen Sie genau damit? Welche große Kunst und Literatur? Und vor allem: Welche große Theater-Kunst? (Und in welchen Freak-Shows eigentlich hat diese Debatte stattgefunden?)
3., 4. Wenn mit den genannten Beispielen gemeint ist, dass die Thikwa-Schauspieler eine Subversion des bürgerlichen Repertoires erzeugen, dass sie es unterwandern, in Frage stellen, mit neuen Bedeutungen versehen – einverstanden. Aber dass sie damit gleich das gesamte Bürgertum (das ihnen, wie Sie schreiben, den Rahmen baut, den sie dann „füllen“) „kapern“ und „führen“, das ist dann meiner Ansicht nach doch eine Überschätzung dessen, was da bestenfalls so passiert.
Ein guter Schauspieler:
- Einer, dem ich gerne zusehe, dem ich stundenlang zusehen kann (und möchte) bei dem, was er tut
- Einer, dem ich glaube, was er da auf der Bühne tut
- Einer, der die Großzügigkeit besitzt, mich (Zuschauer) an dem, was in ihm vorgeht, Emotionen und Gedanken, teilhaben zu lassen
- Einer, der das Hier und Jetzt der Theatersituation zum einmaligen Erlebnis werden lässt
- usw.
Schauspielschulen versuchen, so etwas mit Hilfe von „Schauspieltechnik“ zu erreichen. Das gelingt ihnen, wenn überhaupt, nur in Ausnahmefällen.
Und wie es mit dem Bewusstsein des gewöhnlichen Schauspielers aussieht, und inwiefern dieses Bewusstsein überhaupt dazu beiträgt, aus ihm einen interessanten Schauspieler zu machen, steht in den Sternen.
Gut, wenn das die einzigen Kriterien für einen guten Schauspieler, eine gute Schauspielerin sind, sind Menschen mit geistiger Behinderung sicher gute Schauspieler. Aber gilt dasselbe dann nicht auch für Hunde oder Pferde auf der Bühne? Oder für einen Betrunkenen, der sich aus Versehen dorthin verirrt?
Anders gefragt: Sind geistig behinderte Schauspieler/innen nicht vor allem deshalb so glaubwürdig (resp. "authentisch"), weil sie nun einmal nicht in der Lage sind, sich in eine andere Figur hineinzuversetzen oder sich auf einen fremden Stoff einzulassen? Wirken sie nicht deshalb so durchlässig, weil sie einfach nicht dazu in der Lage sind, ihre Emotionen zu verbergen? Und hat die Tasache, dass man meint, ihnen stundenlang zusehen wollte, nicht vor allem etwas damit zu tun, dass Menschen mit geistiger Behinderung im öffentlichen Leben kaum zu sehen und zudem mit einem Blickverbot versehen sind?
Damit hier keine Missverständnisse entstehen: Ich finde es gut, dass Menschen mit geistiger Behinderung die Bühnen und von mir aus auch "das Bürgertum" kapern und ich streite auch überhaupt nicht ab, dass sie interessant anzusehen sind - aber dass sie deswegen gleich "gute Schauspieler" sind, finde ich als Aussage ehrlich gesagt gewagt.
Warum müssen es überhaupt "gute Schauspieler" sein?
Sind wir nicht eigentlich seit Jahren so weit, generell mal den ermüdenden Perfektionswahn dem Trash-TV zu überlassen und stattdessen Loblieder auf geniale Dilettanten zu singen? Und wenn ich RambaZamba z.B. nun deshalb cool finde, weil da eben haufenweise geniale Dilettanten am Werk sind - ist das dann politisch verwerflich irgendwie?
Ich muss zugeben, dass ich noch nicht viel Behindertentheater gesehen habe, aber da ist mir ist dieser Vorgang, den Guttenberg als Überstrahlen und Eroberung des Bürgertums wahrnimmt, also dass sich Geistigbehinderte am bürgerlichen Repertoire abarbeiten müssen, viel eher vorgekommen als: Entfremdung.
Dieser Aspekt kommt mir bei der Debatte hier gerade zu kurz.
Für mich bisher der unangefochtene Höhepunkt dieser Theatersaison – bin immer noch ganz verstört, beglückt, aufgewühlt, gedankenvorloren, mitgenommen.
Und eine zusätzliche tiefe Verneigung vor der Thikwa-Performerin Sabrina Braemer – so einzigartig, spannungsvoll, subtil, hochkomisch, zart, präzise, energiegeladen, subversiv, gefährlich und neu kann Theater also sein! Habe lange nicht mehr eine solche schauspielerische Einzelleistung erleben dürfen! Einen ganzen Himmel voll roter Rosen soll’s es für sie regnen!
Und dann übernehmen sie den Abend komplett (nicht nur eine viertel Stunde) und man sieht, dass sie genau wissen, was sie da tun, dass sie Humor und Selbstbewusstsein und Gefühl für Spannung und Rhythmus haben. Viel besser als die meisten, denen man das an Schauspielschulen versucht hat anzudressieren.
Im Anschluss bestellen sie sich übrigens Rotwein und Cola an der Bar im Foyer.