Die Katze auf dem heißen Blechdach - Schauspiel Köln
Mief der Verlogenheit
26. Oktober 2024. Es zählt zu den großen amerikanischen Well-Made-Plays: In "Die Katze auf dem heißen Blechdach" verarbeitet Tennessee Williams eigene schmerzhafte Erfahrungen als homosexueller Mann in den 1950er-Jahren. In der Inszenierung von Bastian Kraft ist die Gefahr auch heute noch nicht vorbei.
Von Elisabeth Luft
26. Oktober 2024. Es ist verfahren und deprimierend, aber dabei irgendwie amüsant in dieser reichen amerikanischen Farmer-Familie: Der ehemalige Rugby-Star Brick will seine Ruhe, um im Alkoholrausch den Tod seines Freundes Skipper vergessen zu können, mit dem ihn vermutlich mehr als nur eine Freundschaft verband. Bricks Ehefrau Maggie aber will Liebe, Aufmerksamkeit und außerdem ein Kind von ihm.
Auch seine Eltern lassen ihn nicht in Ruhe und überhäufen ihn mit gekünstelter Zuneigung. Sein älterer Bruder Gooper hingegen hat sich nie beachtet gefühlt und ist jetzt, gemeinsam mit seiner schwangeren Ehefrau Mae und den fünf Kindern, scharf auf das Vermögen seines krebskranken Vaters "Big Daddy".
Feinripphemd und Boxershorts
Also entbrennt ein Wettlauf um Zuneigung, Mitgefühl und Besitz. In Bastian Krafts Inszenierung rennen, stolpern und kriechen die Protagonist*innen auf einem schwarzen Laufband immer weiter, ihre Sehnsüchte und die Gier halten sie am Leben. Brick (Nikolaus Benda) sieht man den ehemaligen Profisportler noch an, durchtrainiert, in Feinrippunterhemd und Boxershorts kraxelt er mit eingegipstem Fuß und Krücken zielsicher weg von seiner Frau, hin zur Flasche. Maggie (Lisa-Katrina Mayer) folgt ihm in hellrosa Samtkorsett und Seidenshorts, zaghaft wie eine Katze, aber unbeirrt, denn sie will gleich alles retten, ihren Mann, sich selbst, die Ehe.
Dazu aber ist kaum Gelegenheit, mal stürmt "Big Mama" (Birgit Walter) völlig hysterisch im edlen Kostüm herein, um Big Daddys Geburtstag zu feiern, oder Gooper und Mae lassen ihre Kinderschar los. Natürlich nur, weil die so toll singen und tanzen und – spionieren. Immerhin müssen Beweise her, dass es zwischen Brick und Maggie so gar nicht läuft und das heißbegehrte Erbe bei ihnen und den Kindern viel besser aufgehoben wäre.
Familie unterm Brennglas
Und wie es sich für ein richtiges Familiendrama gehört, darf auch die Schuldfrage nicht fehlen: Wäre der jüngere Bruder nicht geboren worden, wäre der ältere geliebt worden, Big Daddy konnte wegen Big Mama seine Lust nie richtig ausleben und überhaupt sind die Kinder schuld am Unglück ihrer Eltern. Alle schleichen sie umeinander herum und brüllen sich an, weil kaum noch etwas anderes funktioniert. Die dunkle Decke darüber, samt Scheinwerfern, hebt und senkt sich abhängig von der Nähe und Distanz der Einzelnen zueinander. Eine Familie unterm Brennglas.
Alles windet sich um die Figur Brick: Als Tennessee Williams in diesem Stück seine Jugend in der McCarthy-Ära "in einer dysfunktionalen Familie" verarbeitet, wie es im Programmheft heißt, werden Homosexuelle wie er noch stigmatisiert und verfolgt.
Auch für Familienoberhaupt Big Daddy (Andreas Leupold) ist klar, "dass da irgendwas nicht so ganz normal war" zwischen seinem Sohn und dessen Mannschaftskameraden. Bis jetzt wurde darüber aber nie gesprochen, alles "nicht so ganz Normale" weggeschwiegen oder totgebrüllt. Also ertränkt Brick seine Verzweiflung und Trauer im Whiskey. Auf dass der Schnaps seine schmerzenden Gedanken vernebele!
Die Lüge als Währung
Auch Maggie werden Vorwürfe gemacht, irgendwas stimmt nicht, ist sich Big Mama sicher, "du kriegst keine Kinder, und mein Sohn trinkt". Sie scheint ihren Job im Bett nicht richtig zu machen, so die logische Konsequenz. Das Getratsche und die Sticheleien der armselig-neidischen Mae (Katharina Schmalenberg) und des hilflosen Gooper (Johannes Benecke) mit ihrer spießig-nervigen Großfamilie treiben das Spiel auf die Spitze. In Nahaufnahme, auf den Leinwänden links und rechts vom Laufsteg, erkennt man die vielen kleinen und großen Verletzungen in den Gesichtern. In Bricks Augen blitzt der innere Kampf sogar mal auf, bleibt dann aber doch ganz verborgen. Maggie weicht nicht von seiner Seite und macht es sich zur Aufgabe, ihren Mann zu retten – mit einer neuen großen Lüge. Denn das scheint die einzige funktionierende Währung zu sein.
Und unter der Oberfläche?
Bastian Kraft bleibt eng am Original und die Spieler*innen treffen die leisen und lauten Töne dieses Werkes genau. Der gewaltsame Irrsinn dieser vermeintlich perfekten Familie und ihre Sprachlosigkeit für eine verpönte und nicht vorgesehene Liebe sind auch heute Warnung. Und trotzdem bleibt da eine Lücke. Im Programmheft liest man, in den 1950er-Jahren habe der Autor gewollt, "dass die Leute denken: 'das ist das Leben.'" Heute, möchte man einerseits meinen, muss das Leben nicht mehr so sein. Andererseits gibt es zwar keinen McCarthy mehr, aber Angriffe und Hassrede gegen queere Menschen nehmen wieder zu. Hätte Bastian Kraft die Bilder und Erzählungen doch nur durchbrochen und ein bisschen mehr an der Oberfläche dieses Werkes gekratzt.
Die Katze auf dem heißen Blechdach
von Tennessee Williams
Aus dem Amerikanischen von Jörn van Dyck
Regie: Bastian Kraft, Bühne: Nadin Schumacher, Kostüm: Jelena Miletić, Musik: Björn SC Deigner, Licht: Michael Gööck, Videodesign: Sophie Lux, Live-Kamera: Jonathan Kastl, Dramaturgie: Dominika Široká.
Mit: Nikolaus Benda, Lisa-Katrina Mayer, Katharina Schmalenberg, Birgit Walter, Andreas Leupold, Johannes Benecke, Jürgen Kempf, Friedhelm Friebe, Julia Decker, Leonie Jakobi, Luba Maxi Minah, Zuri Bongartz, Paul Henrich, Dimitre Danu-Claudiu.
Premiere am 25. Oktober 2024
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause
www.schauspiel.koeln.de
Kritikenrundschau
Großen Jubel "für einen Abend, an dem große Schauspielkunst von klugen Regie-Ideen unterstützt wird", vermeldet Axel Hill in der Kölnischen Rundschau (27.10.2024). Bastian Kraft habe den fast 50 Jahre alten Klassiker "ordentlich zurechtgestutzt" und konzentriere sich "auf die wesentlichen Punkte des Familiendramas". Mittels Videotechnik, durch die die Gesichter der Schauspielerinnen und Schauspieler in Großaufnahme zu sehen seien, habe man "das Gefühl, den Figuren auf der Bühne fast in die Seele schauen zu können". In der Konfrontation zwischen Brick und seinem Vater, die für den Kritiker "zu den stärksten Szenen" des Abends gehört, ließen Nikolaus Benda und Andreas Leupold "vergessen, dass hier nur zwei Spieler am Werk sind, so intensiv, so real gerät diese Szene".
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