Intimität in Zeiten der Achtsamkeit

17. November 2022. Das Reden und Denken über Sex hat sich verändert, nicht erst mit #MeToo. Consent ist endlich unabdingbar, die Straftaten von Harvey Weinstein oder des "Stanford Swimmer", der eine bewusstlose Mitstudentin vergewaltigt hatte, führen vor Gericht zur Verurteilung. Den Theatertext zum neuen Sex Talk hat die Autorin Patty Kim Hamilton geschrieben, in Graz kommt er zur Uraufführung.

Von Martin Thomas Pesl

"Sex Play" von Patty Kim Hamilton am Schauspielhaus Graz © Johanna Lamprecht

17. November 2022. "Über Sex zu reden, ist nicht mehr revolutionär", singen sie, aus einem mit Blümchenmustern tapezierten Klo kommend. Und schieben ein kokettes "Oder?" hinterher. Nein, ist es nicht, das macht dieses Stück unmissverständlich klar. In Mono-, Dia-, Trialogen werden hier all die Dinge ausgesprochen und durchdekliniert, die zum Thema Intimität bei der Generation #MeToo in der Luft liegen. Es ist das "Sex Play", und wir sollen keinesfalls denken, dass uns damit jemand provozieren oder eben revolutionieren wollte. Über Sex zu reden, ist normal, auf einer Bühne wahrscheinlich normaler als im Alltag.

Was immer die Nacht bringt

"Sex Play" ist die erste Arbeit von Patty Kim Hamilton, die im deutschsprachigen Raum aufgeführt wird. Die Autorin ist in New York geboren und zum Teil in Deutschland aufgewachsen, hat szenisches Schreiben an der Berliner UdK studiert. Sie arbeitet bilingual, weshalb dem bei Suhrkamp verlegten Stücktext die folgende Info beiliegt: "Rohübersetzung aus dem Deutschen ins Englische von Naomi Boyce im Juni 2021, Übersetzung aus dem Englischen ins Deutsche von Patty Kim Hamilton mit Hilfe von Lisa Wentz und Sofiya Sobkowiak im September 2021."

Als Endpunkt des komplizierten Prozesses fand nun – in deutscher Sprache – die Uraufführung im Haus Zwei des Grazer Schauspielhauses statt. Daniel Foerster übernahm in den Endproben die Regie, als Sebastian Klinser erkrankte. Kathrin Eingangs Raum stand zu diesem Zeitpunkt längst, es ist ein Club: schwarze Wände, wüst beschmiert mit Sprüchen (die man studieren könnte, würde man sich je langweilen), hinter denen in den realistischen Momenten dumpf die Spice Girls oder dergleichen hervorklingt, Goldglitzer überall, eine Reihe Waschbecken, Behältnisse mit Popcorn und Getränken und drei WCs zum Kotzen, Koksen, Vögeln, Weinen, je nachdem, was die Nacht bringt.

Mustermanns in der Beziehungskrise

Um etwaige Zweifel auszuräumen, was das Bühnenbild darstellt, führt uns das Ensemble in stummem Spiel die klassischen Club-Typen vor (gut gelaunt, betrunken, streitend, verzweifelt), noch bevor das erste Wort gesprochen ist. Es folgen, abwechselnd mit schlagerartigen Songs auf Basis von Hamiltons Text, diverse Let’s-talk-about-sex-Szenen.

Drei Freund:innen tratschen über ihre schlimmsten Dates, zwei Männer tauschen sich über den Sex mit ihren jeweiligen Partnerinnen aus, und das von Lisa Birke Balzer und Sebastian Pass gespielte "Hauptpaar" – die Autorin gab ihnen Namen, allerdings nur Jane und John Doe, die Äquivalente zu den deutschen Mustermanns – durchlebt eine kleine, nicht weiter existenzielle Beziehungskrise. Janes Opferbericht hatte vor Jahren zur Verurteilung eines Vergewaltigers geführt. Hamilton empfand diese Passagen einem berühmten Fall in den USA nach, der "Stanford Swimmer" ist heute auf freiem Fuß

Unterhaltsames Aufklärungsprogramm

Mit diesem Text schickt die Regie das durchwegs fantastische Ensemble auf eine Achterbahn der Spielregister: Je nach Vorgabe durch Licht, Sound und Nebelmaschine wechseln sie von total seriösem Diskurs und glaubhaften Gefühlen zu verschiedenen Stufen der Albernheit und zurück. Im besten Moment – einem Monolog von Aleksandra Ćorović über den ewigen Opferstatus einer missbrauchten Frau – hebt das Zusammenspiel aller Beteiligten den Text auf das beklemmende Niveau einer Sarah Kane.

sexplay ensemble 91 c johanna lamprecht Achterbahnfahrt durch die Spielregister: das Ensemble © Johanna Lamprecht

Ansonsten dominiert die bunte Nummernrevue mit gelegentlichen Ausflügen ins Achtsame. Das ist kurzweilig anzusehen, bekömmlich anzuhören – Hamiltons Übersetzungspingpong hat schnörkellose, klare Zeilen hervorgebracht. Nur deren Inhalte kennt man halt heutzutage schon zur Genüge. Bisweilen mutet das Stück an wie ein Aufklärungsprogramm für Jugendliche.

In der Schuluniform im Club

Diesen Eindruck teilt sichtlich Jenny Theisen, die fürs Kostümbild verantwortlich zeichnet: Aleksandra Ćorović ist mit Pippi-Langstrumpf-Zöpfen in den Club gekommen, Maximiliane Haß in einer Schuluniform. Und Sebastian Pass trägt tatsächlich ein Batman-Kostüm. Dass er darin seine Würde selbst dann wahrt, wenn er mit Alexej Lochmann über Kondomnutzung, Blowjobs und die Schwierigkeiten der Vermeidung toxischer Männlichkeit redet, spricht für die besondere Größe dieses Schauspielers.

Zum Ende hin wird das Triviale der Textvorlage (die wohl auch Klinser/Foerster nicht ganz ernst nehmen konnte) noch einmal böse zusammengefasst: Haß liest aus Laurie Pennys "Sexuelle Revolution" vor, und da steht, es gebe leider kein Regelwerk für den richtigen intimen Umgang miteinander. Wie enttäuschend und komplex! Und alle nehmen Verdutztheitsposen und Augenverdrehgrimassen ein. Wir sind in der "Bravo"-Fotolovestory angekommen.

 

Sex Play
von Patty Kim Hamilton
Deutsch von Patty Kim Hamilton, Lisa Wentz und Sofiya Sobkowiak
Uraufführung
Regie: Sebastian Klinser/Daniel Foerster, Bühne: Kathrin Eingang, Mitarbeit: Jakob Kaltenbrunner, Kostüme: Jenny Theisen, Musik: Jan Preißler, Dramaturgie: Elisabeth Tropper.
Mit: Lisa Birke Balzer, Aleksandra Ćorović, Maximiliane Haß, Alexej Lochmann, Sebastian Pass.
Premiere am 16. November 2022
Dauer: 1 Stunde 25 Minuten, keine Pause

www.schauspielhaus-graz.com

 

Kritikenrundschau

Ein "Stück, das souverän Ambivalenzen ausmodelliert und starken Gesprächsstoff liefert", hat Ute Baumhackl von der Kleinen Zeitung (18.11.2022) in Graz gesehen. Es gehe um das "schrecklichste je erlebte Date, um die Schwierigkeit, Porno-Prägungen wieder zu verlernen, um männliche Unsicherheit und weibliche Gewalterfahrung", wobei Autorin Patty Kim Hamilton "die ironische Distanz“ wahre. Daniel Foerster inszeniere das Stück als "lebhaftes Rundgangerl aus Gesprächsfetzen und intensiven Dialogen, in denen die Probleme des angeblich ja nicht mehr revolutionären Redens über Sex offenbar werden".

"Sex Play" ist "kein Stück, das irgendwelche Fragen beantwortet, aber es steckt das Spannungsfeld anschaulich ab: keine ordentliche Rechteckfläche, ein Polygon", schreibt Reinhard Kriechbaum für die Salzburger Kulturzeitung im Internet drehpunktkultur.at (17.11.2022). "In einer turbulenten szenischen Umsetzung“ komme es auf die Bühne und thematisiere „die Schwierigkeit, über Dinge zu reden, die das Persönlichste berühren, hinter Tabuisierung oder Schein-Gequassel versteckt und eben überspielt werden ('Sex Play' eben). Und da hinein spielen noch gesellschaftliche Konventionen, Machtgedanken, #meetoo sowieso auch…"

Kommentare  
Sex Play, Graz: Musik verleiht Fahrt
Danke für die Nachtkritik. Ich hätte mir gewünscht, dass die coole Musik, die dem Stück erst so richtig Fahrt gibt, ebenfalls gewürdigt wird. Danke dafür an Jan Preißler!!
Sex Play, Graz: Zustimmung
was margit wiesler sagt!
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