Wo Fantasie über Grausamkeit siegt

12. Februar 2023. Max Riccabona war Jurist, Schriftsteller, KZ-Überlebender. Thomas Arzt hat ihm jetzt in Bregenz ein Stück gewidmet, das allerdings weniger biografische Fakten zusammenträgt, als vielmehr Riccabonas Konfabulationen weitertreibt, Reales mit Fiktion mischt. Stefan Otteni besorgte die Uraufführung.

Von Christa Dietrich

"Wunsch und Widerstand" am Vorarlberger Landestheater Bregenz © Anja Köhler

12. Februar 2023. Bregenz hat eine gewisse Tradition, lokale Größen dramatisch zu beleuchten. Vor drei Jahren etwa widmete sich das Vorarlberger Landestheater Stephanie Hollenstein (1886-1944), der Lustenauer Malerin, begabt, lesbisch, NSDAP-Mitglied (was in der Region lange unbeachtet blieb). Schon damals sorgte Thomas Arzt für den Text, blieb aber zu nah an der Biografie.

Zwischen historischer Schärfe und literarischer Verdichtung

Beim Auftrag, ein Werk zum Juristen, Schriftsteller und KZ-Überlebenden Max Riccabona (1915-1997) zu verfassen, hat sich der oberösterreichische Autor nun weit stärker von einer Doku entfernt. Sicher, die aufgearbeiteten Quellen sind dürftiger, das Thema ist komplexer. Vor allem aber war Riccabona selbst ein Meister der Konfabulation, der in seinen Werken Reales mit Fiktivem mischte. Vor einigen Jahren näherte sich die Ausstellung "Der Fall Riccabona" im Vorarlberg Museum der Person Max Riccabona auch als Kunstfigur – neben der Zeit des Austrofaschismus und der Nazidiktatur sowie den Verdrängungsmechanismen nach 1945.

In "Wunsch und Widerstand" greift Arzt dieses Spiel mit Fakten und Fiktion auf. Er schafft Theater. Dabei weitgehend zu klären, was gesichert und was erdacht ist, macht das Stück zu einem besonderen Beispiel im Bemühen, "den Spalt zwischen historischer Schärfe und literarischer Verdichtung" (wie es Arzt selbst nennt) erkennbar, aber nicht zu groß werden zu lassen.

WunschWiderstand1 1000 AnjaKoehlerGeschichte und Geschichten: Maria Lisa Huber, Nurettin Kalfa, Dietmar Pröll, Luzian Hirzel, Silke Buchholz, Julian Sark © Anja Köhler

Zwar handelt es sich um eine lokale Geschichte. Aber Arzt arbeitet die allgemein übertragbaren Mechanismen heraus, die sich in der Konstellation und in den Tragödien von österreichischen Familien zeigen. Max‘ Vater, der Anwalt Gottfried Riccabona, von der politischen Gesinnung her ein Deutschnationaler, heiratete die aus einer jüdischen Handelsfamilie stammende, katholisch konvertierte Anna Perlhefter. Johann Rhomberg wird eine Art Teilhaber des Textilunternehmens – nach dem Anschluss trägt es seinen Namen, den eines Mitläufers.

Konfabulationen an der Bar

"Wir öffnen die Tür und hinten raus die Fenster und lassen den Wind der Zeit einfach durchwehen", beschließt Gottfried Riccabona mit der Geste des Patriarchen, als der er meint, die menschenverachtende Ideologie seiner Partei von der eigenen Familie fernhalten zu können. Eitelkeit, Aggression und eine Spur von Realitätsverweigerung vermischen sich im Auftreten von Julian Sark. Als Anna Perlhefter tariert Silke Buchholz Hellsichtigkeit und Empathie gut aus. Die Flexibilität von Maria Lisa Huber und Nurettin Kalfa in den Rollen von Max‘ Schwester Dora, als Barkeeper, Therapeut, Anwalt, Nazi-Bürgermeister, Erzähler ermöglicht schnelle Szenenwechsel, für die Ausstatter Matthias Strahm die Drehbühne mit ein paar Requisiten, den Schnürboden und den Projektor für Stadtansichten aktiviert.

So bleibt Raum für Gottfrieds Sohn Max, den Juristen, Schriftsteller und KZ-Überlebenden, Raum für das Hinauswachsen der Phantasie über die Grausamkeit. An einer Bar auf der Vorbühne verflicht Dietmar Pröll als Max die Erzählung vom Erlebten mit jener Konfabulation (etwa einer Begegnung mit James Joyce), die die Kunstfigur Max Riccabona ausmacht. Dabei gelingt es dem Schauspieler, die unkonventionelle Direktheit mit Schmerz, Witz und einem Keim von Sturheit so einzufärben, dass ihr nichts Pathetisches anhaftet. Energie und Verzweiflung zeigt sich im Spiel von Luzian Hirzel als jüngeren Max.

Von der Schaufel des Krematoriumsofens heruntergefallen

Das ist subtil erzählt und fein skizziert. Schwer verdaulich und deplatziert wirken nur die holzschnittartige Darstellung eines Feldkircher Bürgertums, das sich das Maul zerreißt über die "Prasserei" im Haus Riccabona und Perlhefter, die Einführung der D-Mark herbeisehnt und schon vor dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 seinen Antisemitismus offen zur Schau trägt. Regisseur Stefan Otteni behilft sich, indem er diese Figuren stark in Richtung Karikatur rückt und einen unreflektierten Patriotismus mit dem Absingen eines Volksliedes zum Ausdruck bringt.

WunschWiderstand3 1000 AnjaKoehlerDietmar Pröll, Luzian Hirzel, Julian Sark, Nurettin Kalfa © Anja Köhler

Riccabonas Rolle im Widerstand gegen das Naziregime zu erkunden, überlässt Thomas Arzt hingegen den Historikern. Belegt ist die mehrjährige Inhaftierung im KZ Dachau, wo er als politischer Häftling dem Arzt Sigmund Rascher zugeordnet war, der grausame Versuche an Menschen durchführte. Er sei "von der Schaufel des Krematoriumsofen heruntergefallen", lässt Arzt aus dem Buch "Auf dem Nebengeleise" zitieren. Weitere schriftstellerische Arbeiten scheinen nur leicht durch, wenn Riccabona am Ende münchhausengleich ins All startet. Die Tatsache, wie rasch Menschen den Entzug des Lebensrechtes von Mitbürgern tolerieren, rückt über die Inszenierung von "Wunsch und Widerstand" hingegen eindringlich in den Fokus.

Wunsch und Widerstand. Eine Überlebensgeschichte
von Thomas Arzt
Regie: Stefan Otteni, Ausstattung: Matthias Strahm, Musik: Oliver Rath.
Mit: Luzian Hirzel, Dietmar Pröll, Maria Lisa Huber, Julian Sark, Silke Buchholz, Nurettin Kalfa.
Premiere am 11. Februar 2023
Dauer: 2 Stunden 40 Minuten, eine Pause

landestheater.org

 Kritikenrundschau

Thomas Arzt "erzählt Riccabonas Leben in einem großen Bilderbogen", schreibt Julia Nemiz im Standard (14.2.2023). Der Autor lasse der Vorgeschichte etwas viel Raum. Dietmar Pröll als alter Max Riccabona werde zum Zuschauer seiner Vergangenheit, als säße er im Theater seines eigenen Lebens. "'Angenommen, es ist gar nichts wahr, würden Sie es trotzdem hören wollen?', fragt der alte Riccabona zu Beginn. Ja, wir wollen. Denn Arzt, Otteni und das stark aufspielende Ensemble zeichnen einen Menschen, der im Wahnsinn des Faschismus Fantastereien fand, um zu überleben."

"Regisseur Stefan Otteni betrachtet die Familiengeschichte der Riccabonas und die gesellschaftspolitischen Entwicklungen in Teilen und aus der Distanz heraus ohne Anspruch auf Wahrheit oder Vollständigkeit", so Sieglinde Wöhrer in der Neuen Vorarlberger Tageszeitung (14.2.2023). Szenen wechselten schnell, manches werde nur angerissen, Sätze nicht zu Ende gesprochen, genauso wie die Geschichte der Riccabonas nicht zu Ende erzählt werde. "Fragen bleiben offen, die vielschichtige Biografie splittet sich auf in Fragmente einzelner Tage. Es geht nicht um Antworten, nicht um eine Person, die akkurat ihre Erfahrungsberichte für die Nachwelt bereithält, sondern um die Schwierigkeit der Erinnerung selbst."

Kommentare  
Wunsch und Widerstand, Bregenz: Großes Kino
... wir waren in der zweiten Vorstellung: Großes Kino! Großes Lob an Autor und alle Mitwirkenden. Man denkt man geht in eine lokale Geschichte und landet dann in einem Theater, das von Fremdheit in der Welt erzählt.
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