In den Seziersaal geschoben

von Georg Petermichl

Wien, 26. August 2009. "Und weil der Mensch ein Mensch ist...", prangt auf einer Tafel in der ausnehmend gemütlichen Theaterlounge. Hier werden also sozialistische Ideale gepflegt: Die Zeile stammt aus Bertolt Brechts "Einheitsfrontlied", ein Stück Musikgeschichte, das einst Arbeiter aus ihren Sitzen hob und sich vereinigen, oder zumindest vereinigt singen, ließ. Angeschlossen an die Lounge befinden sich mit einer türkis gekachelten Halle samt Deckenschiene, über die früher das Seziervieh rein geschoben wurde, und dem steil ansteigenden Auditorium zwei weitere Räume des ehemaligen Anatomischen Instituts für Veterinärmedizin.

 

Seit 2006 ist das "3raum Anatomietheater" der Aktionsraum von Hubsi Kramar, 61 Jahre alt, und seinem linkspolitisch ausgerichteten Theaterschaffen und beherbergt Kramars "SHOWinisten", der mit 30 Jahren Bestehenszeit ältesten Wiener Off-Theatergruppe. In diesem Off-Theater wird traditionell die psychosoziale Borniertheit des Landes seziert. Im besten Fall wähnt man sich dort inmitten schriller Abgesänge des modernen Weltgefüges, vorgetragen von Laien und Profidarstellern mit avantgardistischen Avancen: Neoliberalismus, Rechtspopulismus und Co. taumeln dann im unmittelbaren Fiebertraum.

Eingeschworene Truppe
Oder aber man findet sich im konventionellen Alternativtheater wieder, das sperrig inszeniert auf die Spiellust und das soziale Kreativgefüge einer eingeschworenen Theatergruppe pocht. Die Saisoneröffnung 2009/2010 mit "Ein idealer Gatte" von Oscar Wilde stellt eher letzteres dar, soviel sei vorweg genommen.

Im Februar 2009 bekam Hubsi Kramars Stück "Pension F." höchste internationale Presseaufmerksamkeit. Schon vor der Premiere wollten die österreichischen Boulevardzeitungen, allen voran die "Kronenzeitung", darin eine theatralische Herabwürdigung der Opfer im "Inzestfall von Amstetten" erkennen. Pressevertreter fanden dann in ebendieser Lounge entweder ihren Skandal (der Boulevard), oder ihre gelungene Mediensatire (deutsche Qualitätsmedien), oder eine gelungene Mediensatire mit unzureichenden ästhetischen Qualitäten (österreichische Qualitätszeitungen) wieder. Im September ist "Pension F." zum EXPONTO Festival in Ljublijana und zum MOT in Skopje eingeladen.

Skandal machen immer die anderen
Hubsi Kramar steht dem Medienrummel pragmatisch gegenüber. Schon 2000 hatte er sich in SS-Uniform mit einem weißen Rolls-Royce zum Wiener Opernball kutschieren lassen und damit gegen den Rechtsruck der Regierung demonstriert. Hitler-Gruß. Verhaftung wegen Widerbetätigung. Freispruch. Das wahre Theater, meint er im Interview, findet in diesem Land damals wie heute in der Öffentlichkeit statt.

Konkreter beruft er sich derzeit dabei auf Peter Matejkas Stück zur Bucherscheinung "Putsch und Schtup", das im Oktober im selbigen Theater Uraufführung feiern wird. Die Bevölkerung werde vom Boulevard ständig mit Skandalmeldungen aufgeputscht – richtiggehend überfüttert. Und anschließend werde sie wieder runtergeholt auf die selbstgeschaffene Tatsache, dass das Skandalöse ständig passiert. Unter diesen Voraussetzungen sei Theater für ihn nutzlos ohne einen aktuellen politischen Bezug: Kramar beschreibt sich selbst nicht als Provokateur: "Ich werd' provoziert als normal denkender Mensch. Den Skandal, den machen die Anderen."

Abseits dieser auch mit internationaler Aufmerksamkeit belegten Skandale rund um sein Theaterschaffen, ist Kramar an einer gesamtheitlichen, alternativen Theaterarbeit interessiert. So gründete er beispielsweise sein 3raum-Anatomietheater unabhängig von der groß angelegten Bewegung durch die Wiener Theaterreform. Vom Koproduktionshaus "brut" grenzt er sein Haus daher ab, nicht künstlerisch, aber prinzipiell, da es hoch subventioniert, nach gängigen Marktmechanismen erfolgreich bleiben muss. "Ich bin ein Werkstattmensch. Ich bin auch dafür, dass man scheitern kann." Kramars Werkstatt hat vergleichsweise andere Produktionszwänge: Seine Stücke entstehen manchmal in einer Nacht und erleben ihre Premieren nach drei Probendurchläufen. Produktionen wie "Ein idealer Gatte" sind dann laut Kramar auch eher dazu gedacht, den "Kontakt zum Bürgerlichen im Theater" nicht zu verlieren.

Spekulationsblase Suez-Kanal
Für den geschwätzigen Stillstand, den Wilde in diesem Stück dem ausgehenden viktorianischen Zeitalter unterstellte, hat Hanna Hollmann eine kleine, off-weiße Bühne mit Schrägen und Mikro-Hochebenen bereitgestellt. Ein holpriges Abendparkett also dient hier als Arbeitsgrundlage für die konversationsvernarrte Gesellschaft rund um Sir und Lady Chiltern.

Der aktuelle Zeitbezug entsteht durch die Spekulationsblase rund um das Suez-Kanal-Bauprojekt, in die Sir Robert Chiltern (Markus Kofler) verwickelt ist. Sein bereits begangener Politmissbrauch scheint nachträglich die superintegre Gesellschaftsblase der Chilterns platzen zu lassen. Denn das soziale Enfant-Terrible Mrs. Cheveley, gegeben von der Wiener Society-Drag Lucy McEvil, droht dieses Vergehen zum eigenen Spekulationsgewinn auffliegen zu lassen. Typisch für den Autor gibt es aber auch noch den Dandy Lord Goring (Stefano Bernardin), der im Fortgang eines der letzten Stücke von Oscar Wilde alles zu richten weiß.

Kein Blick für die Existenz des Gegenübers
Hubsi Kramar bietet als Regisseur eine äußerst abfallende Gesellschaft auf: Der stocksteifen Julia Karnel als Lady Chiltern und ihrem blasierten und bis in die Fingerspitzen nervösen Ehemann (Kofler) – beide in höchstbiederer Fin-de-Siecle-Klamotte – stehen bucklige Diener (Klaus Windbichler) oder solche in Bermudashorts (Bernd Charabara), ein Vicomte de Nanjac samt seinem Zahnfleisch-Lächeln aus der Rocky-Horror Show (Christian Rajchl) oder eine tratschige Damenschaft (Ulli Kohout, Sandra Korczynski) mit zuviel Rüschen und Maschen gegenüber (Kostüme: Hanna Hollmann).

Letztlich scheitert die Produktion aber schon daran, dass die Bühne keinen Platz für das typisch gesprächige Flanieren bietet, bei dem die Abgründe der Oscar-Wilde-Gesellschaft aufgetan werden könnten: Hier gibt es keinen Platz für einen Blick, der genießerisch die gefährdete Existenz des Gegenübers fixiert. Letztlich bleiben damit 120 Minuten, deren Qualitäten in der Einzeldarstellung von Fin-de-Siecle-Charakteren untergehen. Vom anarchischen Potential, vom befreienden Einfallsreichtum, der oftmals diese Bühne beherrscht war, an diesem Abend wenig zu spüren.

 

Ein idealer Gatte
von Oscar Wilde
Regie: Hubsi Kramar, Bühne und Kostüme: Hanna Hollmann.
Mit: Lucy McEvil, Stefano Bernardin, Elisabeth Prohaska, Hubsi Kramar, Markus Kofler, Julia Karnel, Iris Maria Stromberger, Ulli Kohout, Christian Rajchl, Sandra Korczynski, Bernd Charabara, Klaus Windbichler.

www.3raum.or.at

 

Kritikenrundschau

"Man merkt es Kramars Regie vor allem im ersten Teil an, wie sehr er Sozialkritik üben will." Denn da zünde die Geschichte nur in Ansätzen, schreibt Peter Jarolin im Kurier (28.8.). Statt ganz auf Wildes grandiose Pointen zu vertrauen, setze Kramar oft noch eines drauf, arbeitet mit dem pädagogisch wertvollen Zeigefinger. Anders nach der Pause, wo auf Hanna Hollmanns mehrstöckiger Bühne "die sprichwörtliche Post abgeht", wo auch Kramar - er selbst gibt den Vater von Lord Goring – "sich als Regisseur ideal freigespielt hat." Fazit: "Wenn der Hausherr des 3raum-anatomietheaters im ersten Teil noch an der Temposchraube dreht, könnte Kramar an seinen Vorjahreserfolg mit Wildes 'Lady Windermeres Fächer' sicher mühelos anknüpfen."

 

Kommentare  
Kramars Idealer Gatte: Iris Maria Stromberger erfrischend
Ich frage mich, weshalb der Autor Iris Maria Stromberger nicht erwaehnt... ihre maedchenhaft kokett angelegte "Mabel" war aeußerst erfrischend.
Kramars Idealer Gatte: viel Situationskomik
Ich finde wunderbar, wie Julia Karnel und Markus Kofler in dieser kurzen Zeit den Bogen spannen von dem korrekten Lord und einer überaus moralischen Lady Chiltern bis zu einem Paar, dass sich am Ende geläutert wiederfindet und uns dabei berührende Einblicke in deren Gefühlsleben gewährt.Im Gegensatz dazu die Leichtigkeit des Geplänkels zwischen Mabel und Lord Goring, der Atem bleibt einem fast stehen bei der Dreistigkeit einer Mrs. Chevely, und nicht nur der Wortwitz O. Wildes, auch Situationskomik sorgte heute für viele Lacher. Ein wunderbarer, gelungener Abend.
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