Showtime für die Ameise der Kunst

von Thomas Askan Vierich

Wien, 30. Mai 2010. Ja, so soll Theater sein: Die auf der Bühne sind nachher fix und fertig - und wir gehen beschwingt nach Hause. Marc Hosemann stand die Anstrengung beim Verbeugen ins Gesicht geschrieben. Immer wieder hatte er in den zurückliegenden wortreichen anderthalb Stunden rufen müssen: "Penis und Vagina, Penis und Vagina, immer nebeneinander, immer dasselbe!" und war dabei über Sofas marschiert und unten drunter durchgekrochen. Wenn er seinen Einsatz verpasste, sprach die hinter ihm stehende Souffleuse vor, so laut, dass man es bis in die letzte Stuhlreihe hörte. Nur er verstand es nicht. Also entriss er ihr das Textbuch und deklamierte die nächsten Sätze direkt aus dem Script.

Um zwei Tage hatte man die Premiere von "Peking Opel" am Akademietheater verschoben. Man müsse noch mehr proben, hieß es lapidar. Noch mehr proben - bei Pollesch? Wenn Schauspieler ihre Einsätze verpassen, sich verhaspeln, frei improvisieren, dann gehört das bei ihm dazu. Kindergeburtstage, die charmant entgleiten. Ein Schelm, wer hier die Sinnfrage stellt. Man freut sich, wenn man die Anspielungen erkennt: Habe ich diese Szene nicht mal in einem alten Film gesehen?

Abgehalfterte Varietéstars

Jemand hämmert vehement auf eine Schreibmaschine ein, als sei sie ein Musikinstrument, das man virtuos beherrscht. Bei Pollesch hämmert das ganze Ensemble - gefilmt in Schwarzweiß. Verkrachte Künstlerexistenzen, die ihrem Vermieter Honig ums Maul schmieren, statt ihm die fällige Miete zu zahlen? Pollesch zitiert jetzt nicht mehr nur TV-Soaps und Kino, er greift zurück bis Puccini. Na, er hat ja auch den Text zur Oper "Metanoia" von Jens Joneleit geschrieben, die in der Inszenierung von Schlingensief im Herbst am Schillertheater Premiere haben wird.

In "Peking Oper", Verzeihung "Opel" beginnt alles mit Wackelvideokamera in Schwarzweiß. Eine Viertelstunde lang steht niemand auf der Bühne, nur eine kunterbunte, varietéartige Anordnung mit Schminktisch und Chaiselongue ohne Schauspieler. Auf einer Leinwand sehen wir Martin Wuttke, Catrin Striebeck und Marc Hosemann, wie sie exaltiert hinter der Bühne in die Kamera sprechen. Sie tragen wie abgehalfterte Varietéstars seidene Hausmäntel.

Über der Videoleinwand prangt: "Fame on you". Sie feiern ihren größten Erfolg, "Die stille Stunde" - Pantomime im Radio. Angeblich eine Sternstunde. Radiosprecher, die niemand hört. "So eine gute Idee werde ich nie wieder haben", schreit Wuttke. Und jammert über seine Muse Catrin Striebeck, die keine Muse mehr sein will, weil für sie "nur achtzig Prozent" dabei herausspringen. Außerdem ist sie auch die Muse von Marc Hosemann, Partner von Wuttke beim Radio, ein Autor, der stolz darauf ist, Stücke zu schreiben, die nie aufgeführt werden. "Darin bin ich sehr erfolgreich!"

"Nur Dialoge, keine Gedanken!"

Oder hat das Wuttke gesagt? Egal, alle sagen sowieso alles immer wieder. Wie üblich bei Pollesch wird viel gesprochen, teilweise improvisiert. Man weiß nicht genau, wovon gesprochen wird. Das ist Absicht. Es geht um die Unmöglichkeit der Kommunikation. "Nur Dialoge, keine Gedanken!", ruft Marc Hosemann. Oder war es Wuttke?

© Reinhard Werner
© Reinhard Werner

Für Martin Wuttke ist heute Abend Showtime. Wuttke kennt seinen Pollesch noch aus Prater-Zeiten in Berlin. Er wirkt mit seiner schwarzen Hornbrille und seiner intellektuellen Selbstzerfleischung wie ein zu gut gekleideter Woody Allen auf Speed. Wuttke schwätzt, schwitzt, tobt, tanzt - wie Marc Hosemann immer kurz vor dem Nervenzusammenbruch. Er hat ein Problem mit der Wahrheit, fühlt sich belogen und betrogen. Von seiner Muse. Die ihn auslacht. Wegen seines Wahrheitsbegriffs. Er solle sich lieber auf gute oder bessere Lügen konzentrieren.

Wuttke stutzt, dann jammert er weiter über ausbleibende Inspiration, das Nettsein "in einer unwahren Gemeinschaft", die "miese Anti-Radikalität", den elenden "Zwang zur Individualisierung". Jonathan Meese zitierend, schreit er: "Ich bin die Ameise der Kunst" und krabbelt über die Bühne. "Das hast du jetzt bestimmt nicht verstanden, Schatz!", wirft er seiner untreuen Muse an den Kopf. "Aber du hast es wenigstens mal gehört."

Witze und tiefere Einsichten

Wuttke trägt ein gelbes Hemd mit weißem Kragen und schwarzer Fliege. Dazu eine enge schwarze Satinhose und Stiefeletten mit hohem Absatz. Kollege Hosemann hat die Kostümbildnerin Nina Kroschinske in einen knalligen, karierten, etwas zu weiten Anzug gesteckt, Catrin Striebeck trägt erst ein eng anliegendes braunes Kleid, das ihr bis zu den Knöcheln reicht, später darf sie auf hochhackigen Schuhen über die Schleppe ihres beeindruckenden schwarzen Kleides stolpern. Kroschinske gibt den Figuren etwas Strizzihaftes, aber auch Fröhliches.

Fröhlich bramarbasieren sich die durch ihre Textcollagen. Die intellektuelle Bandbreite reicht vom erzählten Witz ("Wo ist eigentlich Ihre Frau? Zuhause. Woher wollen Sie das wissen? Ich trage ihre Schuhe.") bis zu tiefer reichenden Einsichten: "Vielleicht sollte ich lieber dazu übergehn, mich mit dem zu beschäftigen, womit ich mich sowieso gerade beschäftige. Dann bräuchte ich auch keine Muse. Oder so etwas Belangloses wie Inspiration."

Das haben Schauspieler wie Zuschauer wörtlich genommen: Die einen haben sich voll reingehängt und die anderen sind voll mitgegangen. Polleschs wilde Worte haben einem das Hirn kräftig umgerührt. Das hat sehr gut getan.

 

Peking Opel (UA)
von René Pollesch
Regie: René Pollesch, Bühne: Janina Audick, Kostüme: Nina Kroschinske, Video: Kathrin Krottenthaler, Licht: Felix Dreyer, Dramaturgie: Amely Joana Haag.
Mit: Catrin Striebeck, Marc Hosemann, Hermann Scheidleder, Volker Spengler, Stefan Wieland, Martin Wuttke.

www.burgtheater.at

 

Mehr zu René Pollesch im nachtkritik.de-Glossar. Pollesch-Star Martin Wuttke spielte am Burgtheater zuletzt in Das Begräbnis von Thomas Vinterberg.

 

Kritikenrundschau

"Peking Opel ist eine Happy Hour (eigentlich eineinhalb), die auf die ziemlich ansprechendste Art, die Theater so zu bieten hat, zum Nichtverstehen einlädt", fasst Margarete Affenzeller den Abend im Wiener Standard (1.06.2010) zusammen. Polleschs Theaorie- und Reflexionsmaterial, in früheren Arbeiten in großen Mengen direct importiert, werde zunehmend ausagiert: Die Schauspieler fallen regelmäßig aus ihren Rollen. Dahinter stecke "harsche Repräsentationskritik".

"Warum sieht man sich Uraufführungen von René Pollesch an?", fragt Norbert Mayer in Die Presse (1.06.2010), um dann die Unfertigkeit des Abends zu geißeln und festzustellen: "Ein großer Wurf war's aber nicht, selbst wenn einiges geboten wurde". Mayer befindet, dass Pollesch in der Krise stecke, muss aber zugeben: "Es ist tatsächlich ein Spaß, diese dadaistische Endlosschleife anzuhören. In der letzten halben Stunde wird sie aus nicht nachzuvollziehenden Gründen als lange Bettgeschichte sogar noch spannend."

"Fertig waren nach eineinhalb Stunden ,Peking Opel' (…) nur die Schauspieler", kalauert Michaela Mottinger im Kurier (1.06.2010) und kritisiert die Textunsicherheit von Volker Spengler und Marc Hosemann: "Da griff selbst der alte Pollesch-Schmäh, der jeden Verhaspler als konsequent Freud'schen Versprecher bejuxt, nicht mehr." Alter Egos des Autors seien die Figuren mehr noch als sonst; die Schauspieler agieren "entlang am Nervenzusammenbruch", ausführlich preist sie Martin Wuttke. Letztlich scheint sich auch Mottinger amüsiert zu haben: "Wenn demnächst alle ihren Text können, wird das ein Super-Abend."

Ein typischer Pollesch, befindet Judith Schmitzberger in der Wiener Zeitung (1.06.2010), "inklusive Spielräumen hinter der Bühne samt Video-Übertragung, sich wiederholenden, mäandernden Textblöcken, latenter emotionale Aufgebrachtheit und tragikomischem Slapstick". Pollesch befasse sich mit der Frage nach Kommunikation und Autorschaft, "bei der es immer wichtiger wird, wer etwas gesagt hat und nicht mehr, was es eigentlich war." Schmitzberger resümiert: "Ein dichter, komplexer Abend, der nachwirkt. Und dessen kritische Schärfe und Sinn erst allmählich aus dem scheinbaren Unsinn heraussickern."

“Wieder klappert die Wortmühle am rauschenden Bach des Diskurses”, beobachtet Ulrich Weinzierl in der Welt (1.06.2010). “Diesmal fließt, beziehungsweise rast er durchs Wiener Akademietheater. Gerne würde man sagen: Es reicht!” Aber so ganz kann sich Weinzierl dem Charme des Abends nicht entziehen: Nach halbstündiger Verzögerung erlebt er “einen Hexenkessel des hellsten Wahns, hinter dem listige Intelligenz hervorblitzt.”

Stephan Hilpold schreibt in der Frankfurter Rundschau (2.6.2010): Hollywood und René Pollesch teilten die Leidenschaft für die "große Emotion", die sich bei Pollesch schon lange in "pure Hysterie" verwandelt habe. Worum sich die Erregung in "Peking Opel" drehe, sei "so genau" nicht zu sagen. "Um fehlende Inspiration, um die verschwindende Muse, die Wahrheit in der Sprache, die tagtägliche Lüge." Man könnte es auch "das Pollesch-Problem" nennen, eine "Abwandlung des Adorno-Problems: Wie führe ich ein richtiges Leben im falschen?" In Wien schnurre die "Pollesch-Maschinerie" in "vielen Momenten" zwar "herrlich" vor sich hin, hätte aber mehr Öl, sprich Proben vertragen. Im Zentrum des Abends stehe der "grandiose Martin Wuttke". Er funktioniere wie "ein Durchlauferhitzer, aus dem sich Slapstick, Alltagskonversation und Theoriegebrabbel brühend heiß ergießt". Seine Kompagnons auf der Bühne täten sich da schwerer, "die wahnwitzigen Erregungsmomente" erreichten sie nur selten.

 

Kommentare  
Peking Opel: warum die Verschiebung?
Und, was hat jetzt die Verschiebung um zwei Tage gebracht, ausser dass man 2x 400 Leute um die Aufführung geprellt hat (vorallem wenn man den zweiten Absatz dieser Kritik liest) ?
Das Publikum ist dem Hr. Direktor anscheinend ganz egal. Es wird nicht einmal ein Ersatztermin angeboten, sondern nur mehr eine Aufführung in der heurigen Saison und tschüß.
Peking Opel: lasst die Zwänge Zwänge sein!
Dass eine Produktion aufwendig zur Premiere kommt und dann nach einer Aufführung in den Herbst verschwinden muss, finde ich auch einen bedenklichen Umgang mit Ressourcen, hat aber wohl mit den Film- und Fernsehengagements der Schauspielerinnen und Schauspieler zu tun. Da geht wohl das Geldverdienen vor dem Ensemblegedanken ud die Produktion darf es büßen. Aber: Was wäre denn die Alternative für die Theaterführung gewesen? Eine Produktion halbfertig einem Publikum vorsetzen und alle Beteiligten zur Aufführung zwingen, egal wie das Resultat aussieht? Da finde ich es doch besser, die Zwänge des Theaterbetriebs Zwänge sein zu lassen und einmal zu sagen: Wir proben noch zwei Tage ...
Peking Opel: Good Morning Österreich oder Berlin-Brandenburg?
Wie kommt der eigentlich auf das Thema "Radio"? Und gehts da jetzt um österreichische oder berlin-brandenburgische Radiomoderatoren? Ist DAS Inspiration? Oder gabs dazu eben ne Filmvorlage, "Good Morning Vietnam" zum Beispiel?
Peking Opel: Heinz Erhardt der Postdramatik
Wieso Woody Allen? Wuttke ist der Heinz Ehrhardt der postdramatk
Peking Opel: die blutüberströmte Muse beklatschen
Oder gehts da um das Thema der sogenannten "Medienpartnerschaften" zwischen Radio und Theater? Das ist die Geldverwertungsmaschinerie, welche Nicolas Stemann in den "Kontrakten des Kaufmanns" kritisch-politisch hinterfragt. Am Ende sollen alle die blutübertrömte Muse beklatschen, sich am Live-Tod, dem Tod in den Augen, berauschen. Und Heinz Ehrhardt, das ist Humor für Doofe.
Peking Opel: merkwürdige Fragerei
@ S I
Stehen Sie jetzt auf dem Kopf, oder was soll die merkwürdige Fragerei? Bei mir verhärtet sich der Eindruck, das der Kritiker hier a) entweder noch nie bei Pollesch war, b) eher sonst Modenschauen bespricht oder c) ein Achterl zu viel Heurigen vor der Vorstellung hatte.
Wenn es tatsächlich so lustig war, erübrigt sich doch jede Frage nach der politischen Relevanz und es wären jetzt nur noch die Fragen zu klären, ob das Hirn links oder rechts rum gerührt wird, wie man einen „Peking Opel“ fährt und wie hoch die Absätze der Damenschuhe tatsächlich sind?
Peking Opel: nicht publikumsfeindlich
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Ich war in der gestrigen Vorstellung, in der noch Plätze frei waren. Auch erzählte mir meine Sitznachbarin, dass ihr die Karten von Samstag auf Sonntag an der Kasse umgetauscht wurden. Also ganz so dem Publikum feindlich wie Sie es darstellen, war die Direktion nicht als sie zu Gunsten der Qualität auf Quantität verzichtet hat.

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Ich habe gestern Stunden bevor ich ins Theater ging Ausschnitte aus Yoko Onos Film "Rape" gesehen, vielleicht inspiriert davon erschien mir auch dieses Stück vor allem ein Vorführen der Persönlichkeitsveränderungen, der Zwänge und Ängste, die ständige Präsenz der Öffentlichkeit in sich trägt.
Peking Opel: Warum besetzt man so ungünstig?
Nur zur Klarstellung: Ich hatte Karten für die Vorstellung am Freitag und wurde vom Kartenvertrieb angerufen: Ich bekäme mein Geld zurück, Aussicht auf Tickets für die verbleibenden zwei Vorstellungen gäbe es aber auf gar keinen Fall - ich solle es im Herbst wieder versuchen. Gleiche Aussage an der Kassa. Dass Sitze freibleiben mag sein (es gibt ja auch Abonnenten, die dann nicht kommen ...), aber zumindest mir wurden die Karten nicht umgetauscht. Sollte es so sein, dass manchen die Karten umgetauscht wurden und manchen nicht, so ist das Vorgehen des Burgtheaters noch mehr zu bedauern ...

Aber sei's drum: Das Burgtheater ist wahrscheinlich ohnehin das einzige Theater, das eine Premiere so ungünstig ansetzt, dass selbst im Besten Fall nur vier Vorstellungen möglich sind, und es dann gar nur zwei werden. Vielleicht liegt es daran, dass die Schauspielerinnen und Schauspieler so selten Zeit haben - nur, warum besetzt man dann so ungünstig? Vielleicht will aber der Hausherr Zeit für seine Inszenierungen freihalten, wer weiß?

Nichts desto trotz freue ich mich auf die Herbst-Vorstellungen - in Wien gibt es ja einstweilen durch die Festwochen Stefanie Carp sei Dank genug tolles Theater zu sehen.
Peking Opel: Flug buchen
Normalerweise gehen mich die Vorgänge in Wien nichts an...
Nur zur Information:
Herr Spengler und Herr Hosemann spielen heute Abend in der Berliner Volksbühne in "Medea".
Die interessierten Wiener können ja noch schnell einen Flug buchen.
Peking Opel: skandalöses Vorgehen
Nr. 7 wieder einmal, wie immer die Stimme der Direktion.
Falls wirklich ein Teil der Karten getauscht wurde ist das ein skandalöses Vorgehen.
Die Sonntagsaufführung war nicht einmal im Internet angeboten, sodaß überhaupt keine Chance bestand Karten zu bekommen.Freut mich, dass Nr. 7 doch noch Karten hatte.
Peking Opel: viel Spaß im Admiralspalast
@ Stefan: Ach so. Hauptsache lustig. Na, dann weiterhin viel Spaß im Admiralspalast - bei "Frühling für Hitler" zum Beispiel. Für mich erübrigt sich die Frage nach dem Politischen nicht, auch und gerade bei Pollesch nicht.
Beschreiben Sie doch erstmal Ihre eigene Wahrnehmung, bevor sie hier jetzt wieder den Pollesch-Fan als Hampelmann-Voyeur spielen. Und ansonsten gehen Sie vielleicht doch lieber in den Zirkus oder ins Pornokino, da wird ihnen die Art heftiger Befriedigung geboten, deren Gehalt sie nicht enttäuschen wird. Da müssen Sie dann auch nur noch drüber nach-denken, wie hoch die Absätze der Damenschuhe tatsächlich sind.
Peking Opel: eigene Stimme!
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Nummer 7 ist stets ihre eigene Stimme!

Die nach Erzählung der Zuseherin umgetauschte Karte befand sich im Rang links, 1. Reihe Seite. Möglicherweise handelte es sich um eine Wahlabo-Karte, da sie etwas von einer Kategorie erwähnte. Es hat ihr - das wird sie allerdings nicht fröhlicher stimmen - sehr gut gefallen.
Peking Opel: Lob der Kleinstaaterei
Ja, auch ich durfte mir letztens im BE einen mäßig witzigen Kästnerabend ansehen, weil Herr Wuttke wahrscheinlich zu Proben in Wien, München oder sonst wo weilte, anstatt in Berlin Gretchens Faust zu spielen, der isländischen Aschewolke und der Reiselust unserer Starschauspieler sei Dank.
Vielleicht sollte man doch wieder die Kleinstaaterei einführen. Da hatten die Schauspieler noch wirklich feste Engagements und es war bei Strafe verboten, ohne Einverständnis des Landesvaters, außerhalb der Landesgrenzen zu verweilen. Schiller konnte noch ein Lied davon singen, der musste sich zu seinen eigenen Premieren außer Landes schleichen.
Peking Opel: vom neuen Bundespräsidenten verkündet
Liebe I S, äh S I, Ihre Phantasie geht wohl wieder mit Ihnen durch oder ist es doch nur der fehlende Sinn für Humor. Ich bezog mich hier auf die etwas weitschweifige und trotzdem inhaltlose Kritik und hatte nur Ihre Fragen dazu als Aufhänger benutzt. Sie sind nicht persönlich angesprochen. Das Rene Pollesch keine reinen Boulevardstücke aufführt, ist mir klar, allerdings nicht was ein Peking Opel ist und was der dann mit Radio zu tun hat und warum das Ganze dann noch von Ihnen mit Den Kontrakten des Kaufmanns in Verbindung gebracht wird, außer vielleicht der mäandernden Textblöcke wegen. Aber Sie werden mich sicher gleich aufklären. Vielen Dank im Voraus.
Vielleicht meint Pollesch ja auch nur, dass Opel bald von China übernommen wird und dass das dann in einer Antrittsrede des neuen Bundespräsidenten Deng Xiaoping im Radio verkündet wird.
Übrigens können Sie auch die anderen Kritiken lesen, es gibt also eine Vorlage von Ernst Lubitsch: "Serenade zu dritt“ und da kommen wir dann dem Friedrichstadtpalast doch ziemlich nahe, oder? Da wird dann Giorgio Agamben vom Kurier auch gleich noch zum Neo-Marxisten gemacht, halt mich fest. Das Schlusswort der Wiener Zeitung ist auch kaum noch zu toppen. Mal sehen, wie lange die zum Nachwirken brauchen, bis es zu sickern beginnt.
Peking Opel: Wuttke hat festes Engagement
martin wuttke hat ein festes engagement. am wiener burgtheater.
Peking Opel: nicht in Wien?
@ Stefan: Ja. Es geht hier aber nicht um einen "mäßig witzigen Kästnerabend" am BE, sondern um "Peking Opel" im Wiener Burgtheater. Da Sie Thomas Askan Vierichs Kritik mit Skepsis betrachten, dachte ich, dass Sie den Abend nun aus Ihrer Perspektive schildern würden. Oder waren Sie am Ende gar nicht in Wien?
Peking Opel: Raab politischer
also ich finde stefan raab politischer als rene pollesch.
Peking Opel: Muse und Godard
@ Stefan: Ist doch ganz einfach, ein Peking Opel ist eine Peking Oper, eine weibliche Arie, die man hören muss, um sie sinnlich erfahren und nicht rational verstehen zu können. Und das ist zugleich ein Peking Opel, so ein Abwrackprämienopel, der allein den Konsumkreislauf von Gewinn und Profit in Gang halten soll.

Das Musenthema kann man da insofern anknüpfen, als dass die Muse der Opel ist. Denn nach Godard verbrennt die Kunst das, wovon sie sich inspirieren lässt - also zum Beispiel das Leben anderer Menschen - und macht es zu Geld.
Darauf spielt auch Stemann an, wenn er selbstironisch darauf verweist, dass er Jelineks Texte auch nur "vernutzt", was ihm von anderer Seite dann wieder als "Regietheater" vorgeworfen werden könnte - deswegen das blutüberströmte Jelinek-Double (Patrycia Ziolkowska).
Schließlich, Giorgio Agamben ist ein italienischer Philosoph, welcher von den Thesen Carl Schmitts ausgeht und letzteren quasi "linksrum" liest. Man kann Carl Schmitt natürlich auch "rechtsrum" lesen, und da sind wir dann bei der Neuen Rechten. Aber das führt jetzt vielleicht wirklich zu weit.
Peking Opel: AfghanOpoly
Danke S I, die Muse hat schon zugeschlagen. Dieser Thread ist die reinste Inspiration. Da ich natürlich nicht ständig nach Wien fliegen kann, hier meine Version.

AfghanOpoly oder das große Spiel um ein Amt.
Eine Groteske für Martin Wuttke.

Kanzleramt.
Es läuft im Fernsehen die Rücktrittspressekonferenz des Präsidenten. Der Ton ist abgeschaltet.
Die Kanzlerin: Also, das hätte er nicht sagen dürfen, das mit den Handelswegen.
Außenminister: Ja, es rufen schon den ganzen Tag die hiesigen Burka-Schneider an, ob da alles noch sicher ist. Soll ich mal runter fahren?
Verteidigungsminister: Du bleibst hier.
Kanzlerin: Hören Sie auf zu streiten. Meine Herren, ich brauche Vorschläge. Wo kriegen wir einen neuen Präsidenten her?
Stille.
Die Kanzlerin stellt den Ton wieder an.
Präsident: Habe die Ehre, Habe die Ehre, Habe die Ehre...
Er schaut verkrampft, seine Frau zieht an seinem Jackenärmel.
Die Kanzlerin hämmert auf den Fernseher ein: Ich finde den Ausschaltknopf nicht.
Sie schaltet endlich den Ton wieder ab. Stille. Der Präsident wird von seiner Frau vom Mikrofon weg gezerrt.
Da stürmt der Kanzleramtsminister herein: Frau Kanzlerin, der Raab ist am Telefon. Er will uns eine Castingshow anbieten.
Kanzlerin: Wer, was, eine Castingshow?
Sie reißt ihm den Hören aus der Hand: Herr Bohlen?
Alle: Raab, der heißt Raab.
Kanzlerin: Ach so. Herr Raab, was kann ich für Sie tun?
Raab: Ich biete ihnen eine Castingshow an. Das hat ja mit der Lena schon prima geklappt. So einen Erfolg könnten Sie dringend brauchen. Ich habe bereits mit allen TV-Sendern Verträge abgeschlossen.
Kanzlerin: Wie soll denn das ablaufen?
Raab: Na, ist doch ganz einfach. Es melden sich alle Bürger mit mindestens Abitur und echt authentischer Ausstrahlung. Wenn alles gut geht, sind wir vor dem nächsten Song Contest fertig.
Kanzlerin: Was, solange und singen sollen die auch noch? So was hatten wir doch schon.
Raab: Ja, aber bedenken Sie doch mal, dieses tolle Image. Die Lena wird doch jetzt direkt zur neuen Königin der Herzen.
Der Fernseher läuft und zeigt Lena die Satellite singt. Die Massen kreischen.
Kanzlerin: Danke, Herr Horn, Sie haben mich da auf eine Idee gebracht.
Sie legt auf und wirft den Fernseher aus dem Fenster.
Kanzlerin: Meine Herren, ich habe einen Plan.
Alle schauen sie gespannt an.
Kanzlerin: Meine Herren, wir führen die Monarchie wieder ein.
Alle schauen verblüfft.
Außenminister: Und wer soll König werden? Also, der Pinkelprinz geht nicht, zu schlechtes Image.
Verteidigungsminister: Ja, und der Franz ist schon Kaiser.
Kanzlerin: Meine Herren, es muss doch einen geben, der mindestens drei Sätze ohne zu stocken hintereinander sprechen kann und nicht ständig aus der Rolle fällt.
Kanzleramtsminister: Frau Kanzlerin, ich hab es. Ein Schauspieler muss her.
Alle: Ein Schauspieler, wo sollen wir den denn hernehmen?
Kanzleramtsminister: Ich kenne da einen Regisseur, den Pollesch, der hat auch Ahnung von Politik. Der kann uns sicher helfen.
Nimmt das Telefon, wählt und gibt den Hörer der Kanzlerin.
Am anderen Ende: Ja, bitte?
Kanzlerin: Herr Castorf?
Alle: Pollesch, der heißt Pollesch.
Kanzlerin: Ah ja, Herr Pollesch, können Sie uns einen guten Schauspieler empfehlen?
Pollesch: Na klar, ich mache gerade in Wien was mit dem Wuttke. Wie sitzen hier zusammen im Cafe Imperial.
Kanzlerin: Imperial? Gut. Geben Sie mir den Mann.
Am anderen Ende: Wuttke, ja, bitte?
Kanzlerin: Wir brauchen einen richtig guten Schauspieler für eine Königsrolle.
Wuttke: Da sind Sie bei mir genau richtig, ich habe sie alle drauf. Wen wollen Sie haben, den Heinrich, den Edward oder den Richard?
Die Kanzlerin: Also, ich dachte da mehr an so was bodenständiges und volksnahes.
Wuttke: Hm, also mehr so was wie den Ubu. Das könnte gehen.
Alle mit Fragezeichen in den Gesichtern.
Wuttke: Wie hoch wäre denn die Gage? Und ich brauche täglich die Flugbereitschaft, ich habe ein festes Engagement am Burgtheater.
Kanzlerin: Unser Budget ist leider nicht so üppig. Wir können nur 10 Freiflüge im Jahr spendieren und es gibt ja hier auch ein schönes kleines Schloss.
Wuttke: Also, den Lear geb ich euch nicht. Da könnt ihr euch einen anderen Dummen suchen.
Er legt auf. Die Kanzlerin ist verzweifelt: Meine Herren, jetzt hilft nur noch eins.
Sie holt tief Luft. Alle schauen wieder sehr gespannt.
Kanzlerin: Meine Herren, es hilft nichts, jetzt müssen wir Fußballweltmeister werden. Dann überstehen wir auf jeden Fall die nächsten 4 Jahre.
Alle knien sich vor ein Jogi-Löw-Bild und fangen an zu beten.

ENDE
Peking Opel: Herrschaft des Spektakels
@ Stefan: Da fehlt jetzt aber noch der Radiosender, welcher ebenfalls allein auf Profit aus ist und dafür über Leichen geht. Das ist die Herrschaft des Spekakels, welches die Politik und die Beziehungen zwischen Menschen durch das Starsystem (DSDS, Raab - Lena, Fussball usw.) ersetzt:
"Das Spektakel hat die ganze Schwäche des abendländischen philosophischen Projekts geerbt, das in einem von den Kategorien des Sehens beherrschten Begreifen der Tätigkeit bestand; [...] Es verwirklicht nicht die Philosophie, es philosophiert die Wirklichkeit." (Guy Debord)
Und wer weiss, vielleicht wird ja auch bald Lars von Triers "The Boss of it All" Wirklichkeit. Ein Schauspieler wird angeheuert, den Mitarbeitern einer Firma zu kündigen, weil der Chef selbst, welcher sich als Stellvertreter-Chef dieses fiktiven Chefs ausgibt, sich damit der persönlichen Verantwortungsübernahme entziehen kann. Das Theater beginnt dort, wo das Theater endet.
Peking Opel: mit dem wohlstandsverzogenen Apparat
Eine Arbeit, die mit dem wohlstandverzogenen Theaterapparat arbeitet, naechste Produktion bitte nur noch hinter geschlossensn Tueren spielen oder nur live uebertragen nach Korea. Auf die Kommentare freu ich mich.
Peking Opel: Fernsehen ohne Ton
@ S I
Sie sind ja nie zufrieden. Wo soll ich denn da jetzt noch ein Radio einbauen? Tonloses Radio funktioniert vielleicht noch in Bildern aber nicht als Text. Fernsehen ohne Ton muss fürs erste reichen. Das ist wie mit der Anarchie. Ein bisschen geht immer, all zu viel davon läuft oftmals aus dem Ruder, siehe König Ubu.
Peking Opel: nicht der eigene Schreibversuch
@ Stefan: Es geht hier nicht um Ihre eigenen Schreibversuche. Es geht hier um Pollesch. Und um Radiosprecher, Pantomime im Radio und Stücke, die nie aufgeführt werden.
Peking-Opel: zum Thema Schreibversuche und Gegenwartsdramatik
empfehle ich christian rakows kommentar!

http://nachtkritik-stuecke2010.de/index.php/auswahl/418
Peking Opel: es fehlt, was über Wiedererkennung hinausgeht
@ 24.: Ja. Der Kommentar beschreibt tatsächlich sehr gut, was der heutigen Gegenwartsdramatik möglicherweise fehlt. Nämlich das, was über den deskriptiven Alltags-Realismus hinausgeht. Der Wiedererkennungseffekt des Ist-Zustands kann schnell langweilig werden. Besser wäre "Das Sichere ist nicht sicher. So, wie es ist, bleibt es nicht." (B.B.)
Peking Opel und Mülheim
Wie kommen wir denn nun vom Peking Opel nach Mühlheim? Das Pollesch in Mühlheim und beim Theatertreffen schmählich vergessen wurde, ist doch eh klar. Mal abgesehen davon, das Rakow hier ganz schön drauf haut, sehe ich das auch ähnlich, aber wozu das? Sicher sind die Stücke von Dea Loher und Schimmelpfennig voller Allgemeinplätze und recht banal, das aber auf ziemlich hohem Niveau. Das muss man erst mal so hinkriegen. Und dann auch noch den Jungdramatikern Laucke und Stockmann so was wie Oberflächlichkeit und Krämern im Kleinen vorzuwerfen, das geht etwas weit. Die können schließlich auch nichts dafür, das sie bereits jetzt, mit diesen noch etwas unbedarften Stücken ausgewählt worden sind. Da hat es wohl doch an guten Alternativen gefehlt und man wird bei der Preisvergabe nicht um die Kontrakte des Kaufmanns von Elfriede Jelinek herumkommen, das ist doch sehr offensichtlich. Ich sehe mir gerade den Live-Stream an. Mal sehen wie es ausgeht.
Ein gutes Beispiel, wie man diesen „Realismus der kleinen Anzeichen“, wie es Christian Rakow nennt, umgehen kann, hat übrigens Philipp Löhle mit den Überflüssigen gegeben. Hier muss der Zuschauer noch kleine Umwege denken und kann nicht nur eindeutige Bilder entschlüsseln. Hier gut, da böse gibt es nicht. Löhle zeigt mit seinem kleinen Eastern sehr gekonnt, wie dieses Ungewohnte im Realismus aussehen könnte. Vielleicht liegt ja tatsächlich im Changre eine Chance der Beliebigkeit zu entkommen.
Peking Opel: Kleinstaaterei ist vorbei
@ Stefan: Was meinen Sie eigentlich mit der Formulierung "hier gut, da böse gibt es nicht"? Haben Sie sich Polleschs Dialektik da nicht vielleicht auch ein wenig zurechtgebogen? An anderer Stelle mussten Sie ja unbedingt schonmal auf den Schmuggel "rechter" Musikkassetten und die Diskussion des Begriffs "Fidschis" als rassistisches Schimpfwort verweisen (in Bezug auf Dirck Lauckes "Für alle reicht es nicht"). Und was meint bei Ihnen jetzt eigentlich der Begriff des "Changre"? Ging es um das "Genre"? Lernen Sie Französisch. Kommen Sie in der globalisierten Welt an. Kleinstaaterei ist vorbei.
Peking Opel: Stefan meinte "Genre"
Liest das eigentlich auch jemand hier? Ich meine natürlich Genre.
Schweres Wort und schwer zu machen.
Mülheimer Dramatikerpreis: einfache Dialektik
Ich meine die Sichtweise in manchen der Stücke in Mühlheim, z.B. Der goldene Drache von Schimmelpfennig mit einer sehr einfachen Dialektik, aber schön verpackt in eine nette Fabel mit der Grille und einem reisenden Zahn. Französisch kriege ich einfach nicht hin, tut mir leid.
Polleschs Peking Opel: total zeitgemäß
besser gehts derzeit nicht..egal ob stegreif oder improvisiert, ameise der kunst, wuttkes getappel auf der couch mit damenstiefletten an, das kobolthafte hystrerische ist total zeitgemaess, grossartiger theatereinschub einer theaterunfreudigen pm.thxs pollesch!
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