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Im Schatten des Chihuahuas

von Kai Krösche

Wien, 27. Januar 2011. Eine Geschichte über die Liebe und gleichzeitig eine Geschichte über das Altern, mit dem mittlerweile 80-jährigen Otto Schenk in der Hauptrolle – eine Geschichte über Treue, Einsamkeit und Sehnsucht, die keine Altersschwäche kennt – schließlich, ganz im Kleinen: die Geschichte eines italienischstämmigen Witwers in New York, der auf dem nahegelegenen Hundespielplatz eine einsam scheinende, adrette Dame in seinem Alter kennen- und liebenlernt. Joe DiPietros im Original stark betiteltes "The Last Romance" hätte in seiner deutschsprachigen Erstaufführung in den Kammerspielen des Theaters in der Josefstadt Potential zum bewegenden, auf- und mitreißenden Schauspielertheater gehabt.

Mut zum Aufbruch wäre gefragt

Und tatsächlich: Die Darsteller agieren erwartungsgemäß ganz wunderbar; gewinnen ihren Rollen jene Zwischentöne ab, die die Figur vom Klischee trennen, klingen niemals abgebrüht-bühnengestelzt oder gar routiniert und füllen die Augenblicke der Stille – hier noch vor Otto Schenk insbesondere und allen voran Ingrid Burkhard als die verbitterte Schwester Rose – mit subtiler, viel mehr als Worte sprechender Mimik.

Das ist schön, das ist unterhaltsam. Aber das reicht nicht. Denn schon der deutschsprachige Titel, mit dem die Josefstadt die Inszenierung versehen hat, gibt eine problematische Richtung vor, die den gesamten Abend dominiert: "Ralph und Carol – Noch einmal verliebt" klingt da plötzlich locker-beschwingt der Titel – wie frisch aus dem RTL-Abendprogramm. Statt Liebe & Endlichkeit also eine heitere Pärchenromanze. Statt Mut zum Aufbrechen großer, vielleicht unfassbarer Themen (denn was anderes als unfassbar, auch in einer Komödie, ist die Liebe, ist der Tod?) also lediglich eine Liebeskomödie in abonnentenfreundlicher Dosis: Da wirkt auch die Videoprojektion auf den Vorhang, der kunstvoll-gekritzelte Originaltitel, der, will man's denn so sehen, in seinem ungebändigten Geschnörkel eine Ahnung der unabhängigen Maßlosigkeit der Gefühle gibt, lediglich wie ein Rudiment.

Ungeschickter Italiener mit Dauerakzent

Denn sobald das Spiel beginnt, bekommt das – zugegebenermaßen im Vergleich zum Autor dieser Zeilen ungleich belustigtere – Publikum wenig mehr als billige Witze ohne doppelten Boden und biedere Alte-Menschen-Romanze geliefert – mit all seinen Klischees: Die ängstliche Alte mit dem Geheimnis, der liebenswerte, aber etwas ungeschickte Italiener mit drolligem Dauerakzent und seine temperamentvolle Schwester.

Überhaupt, dieser Akzent: Was soll das? Macht dieser in einem Land wie den USA, in einer Stadt wie New York und vor allem: in englischer (oder besser: amerikanischer) Sprache natürlich Sinn, so erzeugt er in der deutschen Übersetzung eher jenes latente Gefühl der Peinlichkeit, das sich beim Hören deutschsprachiger Synchronisationen so mancher US-amerikanischer Filme einstellt.

Derart unverfroren jedoch, dass es schon wieder zum Lachen und Kopfschütteln zugleich ist, ist schließlich der Auftritt eines geradezu absurd-niedlich in die Menge glotzenden, nervös vor sich hinschnüffelnden, echten Chihuahuas: Da wird dann auf geradezu genüsslich-unverhohlene Art und Weise die eigene Publikumsgefälligkeit demonstriert. Die spätestens ab hier eintretenden Szenenapplause wird die Inszenierung dann auch bis zum Schluss nicht mehr los.

Erzählung aus dem Leben

Aber doch. Es gibt sie trotzdem, die Szenen, in denen sich etwas öffnet und den Blick plötzlich freigibt auf eine ungeahnte Tiefe. Wenn zum Beispiel Otto Schenk als Ralph von seinem Vorsingen an der Metropolitan Opera erzählt und im Hintergrund er selbst, als junger Mann (gespielt vom jungen, überzeugenden Sänger Thomas Weinhappel), eine italienische Arie singt. Da lesen wir im Gesicht des jungen Ralph Unsicherheit, Leidenschaft, Sehnsucht – und dasselbe im Gesicht des alten Mannes. Bei allem Pathos: Da ist dieser Widerspruch auf der Bühne, durch den das Gefühl einer Erkenntnis dringt; einer bestürzenden, traurigen zwar – aber da zeigt das Theater, was es kann (auch wenns zugegeben ein eher einfacher Trick ist). Aber das hätte es öfter geben können, geben müssen.

So aber geht der ernste Kern hinter der leichten Komödie unter zwischen szenenapplaudierendem Publikumsgejohle, im je nach Sichtweise "charmanten" oder aber nervigen, stereotyp-kalauernden Italienischakzent und den herzigen Kulleräuglein eines kleinen Hündchens.


Ralph und Carol - noch einmal verliebt (DSE)
von Joe DiPietro
Regie: Dieter Berner, Bühne und Kostüme: Rolf Langenfass, Dramaturgie: Katharina Schuster, Musikalische Leitung: Anna Sushon,
Mit: Otto Schenk, Christine Ostermayer, Ingrid Burkhard, Thomas Weinhappel.

www.josefstadt.org

 

Vom Theater in der Josefstadt besprachen wir zuletzt Kap Hoorn, von Igor Baursima selbst zur Uraufführung gebracht. Und im Juni 2010 spielte Otto Schenk in Einmal noch anlässlich seines 80. Geburtstags.

 

Kritikenrundschau

Es handele sich zwar um ein "schlichtes Komödchen", schreibt Barbara Petsch in der Wiener Zeitung Die Presse (20.1.2011). Auch Regisseur Dieter Berner habe "eher gemütlich, gemütvoll" inszeniert. Doch das Ensemble entzückte sie rundum: speziell Otto Schenk als Charmeur Ralph. "Klar, das Ganze ist ein Heimspiel für den bald 81-Jährigen," schreibt die Kritikerin. "Aber es gab schon weniger Gelungenes dieser Art."

"Der Szenenapplaus beim ersten Kuss ist da nur noch Formsache, der Beifall nach zwei überraschungsarmen Stunden groß," schreibt Dorian Waller in der Tageszeitung Der Standard (29.1.2011) über die Wiener "Rückeroberung" dieser Komödie durch "zwei Oldies". "Schlicht ist das im Wesentlichen aus einer Stufe bestehende Bühnenbild von Rolf Langenfass, harmlos der Humor. Dass Ralph und seine Schwester als Italoamerikaner beständig mit italienischem Akzent sprechen, lässt manche Schmähs noch ein wenig altbackener wirken."

"Sicher: DiPietros 2008 uraufgeführtes Stück ist etwas vorhersehbar," schreibt der Wiener Kurier (29.21.2011) "Aber es bietet – zumal in Dieter Berners geradliniger Regie und dem kargen, praktikablen Bühnenbild von Rolf Langenfass – den Darstellern viel Raum zur Entfaltung." Wenn etwa "der vielfache MET-Regisseur Schenk über den Zauber der MET und die Oper im allgemeinen räsoniert", komme auch Rührung auf. "Denn man merkt, wie sehr der große Schauspieler die Oper tatsächlich liebt." Schenk gelinge zudem das Kunststück, "diesen Ralph auf Freiersfüßen vollkommen unpeinlich darzustellen. Selbst eine – angedeutete – Liebesszene mit Carol (anfangs hinreißend schnippisch, später schön wahrhaftig: Christine Ostermayer) wirkt in ihrer Zartheit und Unschuld ganz natürlich. Eine fabelhafte Leistung beider Künstler."

 

 

 

Kommentare  
Ralph und Carol, Wien: lieber die Dame mit Hündchen
Treffende Formulierung - die "herzigen Kulleräuglein eines kleinen Hündchens". Diese kleinen Ratten mit Stummelbeinchen sind eben noch lange keine Garantie für gutes Theater. Dann lese ich schon lieber "Die Dame mit dem Hündchen" von Anton Tschechow.
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