Karoline und Kasimir - Noli me tangere - Volkstheater Wien
Yeah, you know, whatever!
26. Februar 2022. Dass das Nature Theater of Oklahoma bei seinem Einstand am Wiener Volkstheater Ödon von Horváth nicht texttreu nacherzählen würde, war klar. Munter springt die New Yorker Performancegruppe, die noch nie unter Ideenmangel litt, zwischen Werk und Leben des Dramatikers hin und her – am liebsten auf Rollschuhen.
Von Andrea Heinz
26. Februar 2022. Nach der Flucht vor den Nazis und der düsteren Prophezeiung eines Wahrsagers während eines Gewitters auf den Champs-Élysées von einem Ast erschlagen zu werden – und dies, nachdem man zuvor noch das Angebot eines Hollywood-Regisseurs abgelehnt hatte, einen mit dem Auto mitzunehmen (da zu gefährlich): Auf so romaneske Art und Weise wie Ödön von Horváth kam kaum ein Schriftsteller zu Tode. Josef Hader hat den Ast mal getroffen, er (also der Ast) hat ein wahnsinnig schlechtes Gewissen. Und nun erzählt auch das wohlbekannte, vom Off-Hit schon lange zum anerkannten Mainstream aufgestiegene Nature Theater of Oklahoma die Geschichte in seinem Volkstheater-Debüt noch einmal neu – diesmal aus Sicht des Opfers.
Wobei es eigentlich mit einem von Horváths Stücken losgeht in der Wiener Uraufführung von "Karoline und Kasimir. Noli me tangere", oder eigentlich mit dem stark verfremdeten, pseudo-naturalistischen Gespräch zwischen einem Regisseur (Elias Eilinghoff) und seinem Schauspieler (Bence Mezei). Sie wollen "Kasimir und Karoline" machen. Oder irgendwie auch nicht. Sie wissen es nicht so genau; wir auch nicht. Es ist ein Prozess, sie verlieren sich darin, und: "Yeah, you know, whatever", das ist doch großartig! Oder nicht?
So in etwa kann man sich diesen Abend vorstellen. Los geht es mit einem Teil von "Kasimir und Karoline", im Schnelldurchlauf erzählt in der Attrappe einer Theaterbühne (Michael Sieberock-Serafimowitsch), hinter der man das Bild eines eher tristen Vergnügungsparks aufgezogen hat: Bence Mezei erzählt, verkürzt und ein wenig lakonisch, die Geschichte nach, während die Figuren in feinstem Arbeiterklasse-Zwirn mit Hosenträgern und Schiebermützen (Kostüme: Mona Ulrich) in Stummfilm-Manier und hart overactend umeinander her tanzen.
Erzählt wird nicht nur durch die übertriebene Mimik, sondern auch durch ein Vokabular an Gesten und Bewegungen, das den ganzen Abend über eine Art zweite Sprachebene bildet. An Spielfreude und Ideen mangelt es dem Ganzen nicht, das merkt man schon hier. Aber es nutzt sich eben auch schnell ab, das immer wieder propagierte dramaturgische Prinzip der Ziellosigkeit gerät dem Abend zunehmend zum Nachteil. Auch der verfremdete Horváth-Titel des Abends - "Karoline und Kasimir - Noli me tangere" - legt nur scheinbar eine Spur aus, die nicht wirklich erkennbar ausbuchstabiert wird.
Prinzip der Ziellosigkeit
Aber weiter im Text: Mit "Kasimir und Karoline" war es das dann auch schon wieder, die folgenden Szenen erzählen die letzten Stunden von Horváth in Paris nach. Aus seiner Sicht, nicht aus der des Astes. Verwendet wurden laut Programmheft neben dem Romanfragment "Adieu, Europa!" auch Notizen und Interviewpassagen, und weil man keine weiteren Auskünfte dazu erhält, kann man ein bisschen rätseln, was noch Horváth-Sätze und was schon "Zwischenschaltungen aus dem Universum des Mainstream-Pop" sind. Die gibt es nämlich auch, aber das kommt später. Erst einmal spricht der in der Inszenierung von mehreren Schauspieler:innen dargestellte Horváth (Samouil Stoyanov) im Hotelzimmer mit sich selbst (Frank Genser). Offenbar sind das größte Problem dieses Mannes nicht die Nazis, sondern seine Selbstzweifel.
Todesarten und Verschwörungstheorien
Er irrt durch die Straßen von Paris (verkörpert durch eine einsame Straßenlaterne und später ein Foto der Champs-Élysées, wie sie heute aussehen), trifft auf allerlei wandelnde Frankreich-Klischees und geht schließlich ins Kino. Auf einem der Balkone der Bühnenattrappe nimmt er in einer Kinositzreihe Platz, während unten der Walt-Disney-Film "Schneewittchen und die sieben Zwerge" gegeben wird (den Horváth vor seinem Tod tatsächlich sah).
Im Film wird die böse Königin vom Blitz getroffen, woraus der Abend eine Reflexion auf Verschwörungstheorien macht bzw. die Frage aufwirft, ob Horváths Tod womöglich eine kosmische Verschwörung war – was überhaupt nicht aufgeht, denn dafür bleibt alles etwas zu, naja, ziellos. Dafür sind das Rollschuhballett, das hier aus der Schneewittchen-Geschichte gemacht wird, und seine Erzählerin Lavinia Nowak zum Schreien komisch und eines der Highlights des Abends.
Horváth wird dann noch einen emotionslosen, laienhaft agierenden Robert Siodmak (grandios: Samouil Stoyanov) und eine Frau namens Frieda (Julia Franz Richter) im Café treffen, welche erst eine langatmige Schimpftirade auf Wien und dann eine etwas wohlfeile Kritik daran loslässt, dass es bei den Gebrüdern Grimm keine guten Rollen für ältere Frauen gibt bzw. sie dann nur noch böse Hexen sein dürfen. An diesem Abend stehen aber ohnehin nur sehr junge Frauen auf der Bühne, oder die Frauen werden von Anziehpuppen gespielt, das Problem stellt sich also zum Glück gar nicht.
Euphorischer Szenenapplaus
Auch seinen Tod erzählt Horváth (nun Frank Genser) schließlich noch selbst – das zweite Highlight ist jedoch weder diese noch sonst eine Szene, sondern die Choreographie, die das Ensemble zu Ed Sheerans "Shape of you" hinlegt und für die es euphorischen Szenenapplaus gibt. Dass Samouil Stoyanovs Familie eine Theaterballettschule hat und er selbst unter anderem Ballettunterricht nahm, ist nicht zu übersehen.
Auch ein paar starke Momente helfen jedoch nicht darüber hinweg, dass das Ganze mit zweieinhalb Stunden deutlich zu lang ist. Es ist kein schlechter Abend, aber ein streckenweise zäher und in der Summe unausgegorener, der vor allem von seinem bemerkenswert starken Ensemble lebt (zu dem auch noch Ausnahme-Souffleur Jürgen Weisert gehört). Es gab schon deutlich bessere Arbeiten des Nature Theater of Oklahoma.
Karoline und Kasimir – Noli me tangere
nach Ödön von Horváth
Regie: Nature Theater of Oklahoma / Kelly Copper, Pavol Liška, Bühne: Michael Sieberock-Serafimowitsch, Kostüm: Mona Ulrich, Dance Captain: Bence Mezei, Lichtdesign: Paul Grilj, Sounddesign: Michael Sturm, Dramaurgie: Claus Philipp, Jennifer Weiss.
Mit: Elias Eilinghoff, Frank Genser, Bence Mezei, Lavinia Nowak, Julia Franz Richter, Samouil Stoyanov, Jürgen M. Weisert.
Premiere am 25. Februar 2022
Dauer: 2 Stunden 50 Minuten, eine Pause
www.volkstheater.at
Kritikenrundschau
Die Inszenierung komme nicht über das Spiel mit den verschiedenen Ebenen von Illusion hinaus, schreibt Julia Danielczyk auf ORF.at (26.2.2022). "Die gesellschaftspolitische Kraft der Verquickung von Fakten und Fiktionen bleibt Behauptung, von den katastrophalen Auswirkungen autoritärer Regime, von der Hellsichtigkeit und Zeitlosigkeit in Horvaths Stücken ist nichts zu spüren." Und weiter: "Copper und Liska gelingt zwar eine rasante Revue über den Theaterbetrieb, für die von ihnen artikulierte Frage nach zeitadäquaten Dramaturgien und Stücken und nach dem grundsätzlichen 'Worum geht’s eigentlich?' bleiben sie die Antwort schuldig."
Das Nature Theater of Oklahoma komme auf die wunderbarste Weise vom Hölzchen aufs Stöckchen, schreibt Ronald Pohl im Standard (27.2.2022). "Immerzu bleibt die Arbeitshypothese des Regiepaars Kelly Copper und Pavol Liška aufrecht: Der Umweg, die Ausflucht, die Abschweifung führen am sichersten zum Ziel." Pohl resümiert: "Das Wiener Volkstheater scheint angekommen zu sein im Antiillusionismus. Bezauberung durch Entzauberung: Das Wiener Publikum sollte sich diese famose Beweisführung nicht entgehen lassen."
Überraschend unterhaltsam aber nicht unbedingt tiefschürfend, so lautet Almut Spieglers Urteil in der Presse (27.2.2022). Das Ensemble entwickle "beachtliches komödiantisches Berserkertum".
Peter Jarolim vom Kurier (27.2.2022) bejubelt "eine lustvoll-geistreiche, mitunter herrlich infantile Hommage an das Theater, an den Film und somit indirekt auch von Ödön von Horváth". Das Nature Theatre of Oklahoma entwerfe in drei atemberaubenden Stunden eine Art völlig überdrehtes Biopic. "Auf diese Produktion muss man sich einlassen. Wer das aber macht, wird reich belohnt."
"MIt der Zeit wird die Repition recht strapaziös. Egal, am Ende scheint die 'dramatische Logik' von Horváths Tod unter einem abbrechenden Ast so schlüssig wie das Postulat, dass Kunst Risikobereitschaft, Haltung, Selbstkritik braucht", schreibt Ute Baumhackl in der Kleinen Zeitung (27.2.2022) über den "fulminanten Theaterabend".
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