Verwandlung eines Wohnzimmers - Wiener Festwochen
Umzug ins Ungewisse
14. Mai 2023. Die Wiener Festwochen eröffnen mit einer Zusammenarbeit von Regisseur Toshiki Okada und Komponist Dai Fujikura. Ihr Abend bringt das Anthropozän auf die Bühne: Heute gepflegte Wohlstandslangeweile, morgen Weltuntergang. Ganz nebenbei will er auch noch das Musiktheater neu erfinden.
Von Petra Paterno
14. Mai 2023. Der erste Auftritt gehört den Musiker:innen. Fünf Mitglieder des Klangforums Wien nehmen auf dem Halbrund des Bühnenpodiums Platz, bald steigen fünf Schauspieler:innen, aus dem Bühnenhintergrund tretend, in das Spiel ein. In der Halle G des Wiener Museumsquartiers hebt das Drama einer drohenden Zwangsräumung in Form eines groß angekündigten Vorhabens an: Die Uraufführung des Stücks "Verwandlung eines Wohnzimmers" soll nichts weniger als das Musiktheater neu erfinden.
Die Auftragsarbeit ist die erste Zusammenarbeit des japanischen Komponisten Dai Fujikura mit seinem Landsmann, dem Theatermacher Toshiki Okada. Beide sind innerhalb ihrer jeweiligen Zunft keine Unbekannten; die Musikstücke des Neutöners Fujikura gelangten bei den Salzburger Festspielen zur Uraufführung, und Okada war seit 2008 bei den Festwochen wiederholt zu Gast; zwei Mal wurde er bereits zum Berliner Theatertreffen eingeladen, zuletzt im Jahr 2022 mit "Doughnuts".
Große Ankündigungen nun, die eine nicht minder große Frage nach sich ziehen: Was ist das neue Musiktheater, das versprochen wurde? "Verwandlung eines Wohnzimmers" strebt eine Art Gleichberechtigung von Musik und Schauspiel an. Im Programmheft wird die enge Zusammenarbeit über Kontinente hinweg beschrieben: Komponist Fujikura war via Streaming von London aus bei den Proben in Tokio anwesend und reagierte mit seinen Kompositionen unmittelbar auf die Improvisationen der Schauspieler:innen. Er verschickte Musikfiles, die wiederum in den Probenprozess eingeflossen sind. Schöne neue Arbeitswelt.
Drumherumreden
Die neuen Möglichkeiten digitaler Zusammenarbeit können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen: Angesagte Musiktheaterrevolutionen finden selten statt. Dafür ist ein solider Theaterabend zu erleben, mit, nun ja, Theatermusik. Musik ist nicht erst seit gestern gleichwertiger Partner und integraler Bestandteil vieler Aufführungen. Die Hierarchien der Stilmittel sind längst am Wanken, selbst im Sprechtheater kommt die Sprache nicht zwangsläufig an erster Stelle, und gerade bei einem Theatermacher wie Okada sind Musik und Choreografie untrennbar mit der Inszenierung verbunden.
In "Verwandlung eines Wohnzimmers" wird die fünfköpfige Wohngemeinschaft aus der Wohnung delogiert und kämpft um ihr Wohnrecht – bis eine Naturkatastrophe ausbricht und alles aus den Fugen gerät. Die Figuren sprechen, wie so oft bei Okada, nicht über das, was sie bedrückt und betrifft, lieber wird scheinbar Alltägliches in knappen Sätzen und langen Pausen verhandelt. Ungesagtes schwingt hier immer mit. Nicht von ungefähr wird der japanische Theatermacher zuweilen mit Samuel Beckett verglichen, dem Klassiker des existenziellen Drumherumredens.
In dieses Prinzip fügt sich nun Fujikuras Komposition passgenau ein: Die Musiker begleiten, unterstreichen und kommentieren die Aufführung mit pointiert gesetzten Klängen, sich wiederholenden Clustern. Wenn die Rede vom Starkregen ist, dann ertönt eine Tonfolge die an heftigen Regenschauer erinnert. Ein Immobilienbesitzer und der Wohnungsverwalter bekommen verzerrte Stimmen, blechern wie Darth Vader klingen sie, wie Abgesandte vom Delogierungstodesstern.
Notfall ohne Notrufnummer
Der dauerprasselnde Regen hält die Bewohner davon ab, ihre Wohnung zu verlassen. Zwischen Sofa und Couchtisch kommen vier Frauen und ein Mann – ein Familienverband?, eine Wohngemeinschaft? – nicht zur Ruhe. Ihre Gespräche kreisen um mangelhafte Bettdecken, die erneuert werden sollten, dass man überdies viel besser schlafe, seit man sich hochwertige Bettwaren geleistet habe. In wenigen Sätzen bringt Okada die gepflegte Langeweile des modernen Wohlstandsleben auf die Bühne.
Die Choreografie ist ebenfalls typisch Okada: Jede der Figuren verfügt über ein stilisiertes Bewegungsrepertoire, Gesten begleiten wie Ticks jeden Satz, passen überhaupt nicht zum Gesagten. Eine der namenlosen Figuren spricht unablässig davon, dass sie von Ruhelosigkeit geplagt sei, während ihre Bewegungen an das meditative Tai Chi erinnern. Der Immobilienbesitzer wird später als aufgedrehter Samurai durch die Szenerie schreiten. Körper als Fremdkörper.
Ist schon Weltuntergang?
Diffuse Zukunftsängste durchdringen häufig die Inszenierungen des Japaners, brodelnde Stimmungen, kurz vorm Armageddon. In "Verwandlung eines Wohnzimmers" bricht tatsächlich eine nicht näher definierte Katastrophe aus: "Was ist denn hier los? Kann mir das jemand erklären", heißt es im Text. Ein Notfall ohne Notfallnummer. Erstaunlicherweise geht es nach der Katastrophe auf der Bühne aber nicht viel anders zu als zuvor. Möbelstücke stehen nicht mehr an ihren Plätzen, die Musik ist um einen Takt aufgeregter. Aber darüber hinaus? Im Grunde sind nur die Schauspieler:innen verschwunden. Sie stecken nach dem Unglücksfall in Ganzkörperkostümen, die ihnen eigentümliche geometrische Formen verleihen. Mit menschlichen Gestalten hat das nichts mehr zu tun.
Will uns der 90-minütige Abend etwa sagen, die Welt drehe sich immer weiter, selbst wenn der Mensch von der Bildfläche verschwunden sei? "Verwandlung eines Wohnzimmers" ist kompakt komponiert und sicher arrangiert, franst gegen Ende jedoch aus, weil das Stück seinen Fokus just im Moment der Weltuntergangsstimmung verliert. Ein finaler Untergang, einmal unspektakulär? In der Theorie sicherlich eine interessante Überlegung, als Bühnenshow eine eher müde Angelegenheit. Dann schon lieber ein Ende mit Schrecken.
Verwandlung eines Wohnzimmers
von Toshiki Okada mit Musik von Dai Fujikura
Regie: Toshiki Okada, Bühne: dot architects, Kostüme: Kyoko Fujitani.
Mit: Izumi Aoyagi, Chicko Asakura, Wataru Omura, Mariko Kawasaki, Ayana Shiibashi, Makoto Yazawa und dem Ensemble Klangforum Wien. Premiere am 13. Mai 2023
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
www.festwochen.at
Kritikenrundschau
Von einem einem zwiespältigen Festwochen-Auftakt spricht Stephan Hilpold in der Wiener Tageszeitung Der Standard (15.5.2023). Sprache und Bewegungsrepertoire des Abends seien voneinander entkoppelt. "Dazu sirrt und flirrt die Musik des Klangforums Wien, geht draußen ein Regen nieder, greifen die Musiker beherzt in die Seiten ihrer Streichinstrumente." An vielen Stellen halte sich die Komposition von Dai Fujikura aber zurück und lasse dem kargen Spiel Raum – mitunter sogar so viel, dass die musikalischen Einsprengsel kaum ein Eigenleben entfalten und man sich die Frage stellt, warum justament die Musiker im Vordergrund sitzen, wenn sie in Wahrheit dann doch den Soundtrack für dieses dystopische Spiel liefern."
Von einer grundlosen Wohnungs-Kündigung und den vergeblichen Versuchen, die Delogierung abzuwenden, erzähle der Abend, so Reinhard Karger in der Kleinen Zeitung (15.5.2023). Für die surrealen Vorgänge findet Toshiki Okada jedoch keine adäquate szenische Sprache. "Die bizarren, aus der Gestik des Kabuki-Theaters heraus entwickelten Körperverrenkungen der japanisch sprechenden Darsteller reichen dazu nicht aus." Folglich sorge die vom Klangforum Wien klangvoll gespielte Musik von Dai Fujikura für die schönsten Momente dieses seltsam disparaten Abends sorgte, "fein modellierte Klangflächen, reizvoll durch die instrumentale Kombination." Die Intention einer neue Form von Musiktheater werde freilich nicht eingelöst.
"Die massive Entschleunigung totaler Zivilisationsermüdung wird in den 80 Minuten des Abends zu einem traumerzeugenden Sedativ", schreibt Till Briegleb in der Süddeutschen Zeitung (21.5.2023). Gesungen werde nicht in diesem von den Wiener Festwochen beauftragten neuen Musiktheater; neu sei vielmehr, dass hinter dem Orchester Theater gespielt werde, das im Halbrund an der Rampe sitzt. Mit stark illustrativen Klängen untermale der Komponist Dai Fujikura Okadas zentrales Stilmittel, die Schauspieler:innen langsame, absurde Bewegungen zu ihrem Texten aus führen zu lassen. "Die große innere Unruhe der Zurückgezogenen findet ihre Entsprechung in dissonanten Tonfolgen, die über die Instrumente wandern, der Starkregen und die Aufregung erklingen in rasantem Pizzicato, der unheimliche Gast kündigt sich an durch typische Akkorde des Suspense-Kinos." Anders als im echten Horrorgenre schockiere Okadas unergründliches Maskentheater nicht, vielmehr werde der Untergang des bürgerlichen Ehrgeizes und des mit der Todesstrafe abgegoltenen lauten Optimismus wie ein sanfter Übergang inszeniert – "mit einer kleinen Portion Humor".
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