Party zur goldenen Endzeit

29. April 2023. Bevor der Mensch im Klimakollaps untergeht, kann er es ja noch mal so richtig krachen lassen. Und wie das ausschaut, zeigt Michelle Steinbeck in "Die beste aller Zeiten". Regisseur Franz Broich besorgt die Basler Uraufführung wie in einem Karussell auf Speed.

Von Claude Bühler

"Die beste aller Zeiten" von Michelle Steinbeck am Theater Basel © Lucia Hunziker

28. April 2023. Erneut steht der Weltuntergang auf dem Spielplan des Theaters Basel, wenigstens das vierte Mal seit der Intendanz Benedikt von Peters (seit Spielzeit 2020/21). Die Variante von Hausautorin Michelle Steinbeck verpackt aktuelle Medienhits wie die Klimakrise, Verschwörungserzählungen oder das oberflächliche Tiktok-Lebensgefühl in mittelalterliche Märchenmotive, um einen Ausblick zu veranstalten, wie es, Stand jetzt, mit uns kommen könnte: dass nämlich nur Bakterien von uns bleiben werden.

Im Land der "extinction hedonists"

"Als der König merkte, dass die Probleme in seinem Land sich häuften, da sah er, dass es zu spät war", denn auf "Dürren folgten Fluten": So gleitet es in Leuchtschrift über der nahezu leeren Bühne vorbei. Mit orientalischem Trauerklang bespielt Elmira Bahrami auf der Violine und am Keyboard unsere Seelen. Alsbald kippt er in pumpende Rave-Klänge. Denn der König, Typ: Hippie-Gottvater mit Stock und E-Zigarette, ist auch Anführer der "extinction hedonists" und "rief aus die goldene Endzeit" mit "bedingungslosem Grundeinkommen". Eine Bedingung hat er gesetzt, nämlich auf die Fortpflanzung zu verzichten. Sprich: Dauerparty und dekretierte Fröhlichkeit bis zum Fade Out des Menschengeschlechts. Das Partyvolk beschimpft zornesfreudig Hoffnung als Lüge.

Zeiten3 Lucia Hunziker uParty bis zum Abwinken: Julian Anatol Schneider lebt im Land der Untergeher © Lucia Hunziker

Aber die eigensinnige Königstochter Vastolla schminkt sich den Trauerlook "Misty Eyes and rosy noses" (reales Tiktok-Beispiel) und begeht die Todsünde, nicht glücklich zu sein. Statt sie verfassungsmäßig aufzuhängen, macht der Vater den großen Fehler, sie vor den Fernseher zu setzen. Dort sieht Vastolla eine Werbesendung für Silikonbabys (stilgerecht in der Art billiger Dauerwerbesendungen, inklusive Material-Reißtest-Demonstration). Das Verhängnis nimmt seinen Lauf. Die Tochter träumt vom Hofnarren, der sich in einen "leckeren Matrosen" verwandelt – und ihr ging "vor Wonne der Mund über".

Der Aufstand der Hoffnungsgruppen

In der Silikonbabyfabrik, wo man enthusiastisch-zynisch die lebensechten Produkte ("bleiben ewig, sterben nicht") für die emotionalen Bedürfnisse der noch Lebenden anpreist, beginnt die entflammte Vastolla sich plötzlich über das "Museum der Gegenwart" zu beklagen. Im väterlichen Endzeit-Regime sei die Hoffnung "zu kurz", sie brauche mehr davon. Der Samen ist gesetzt. Es entstehen sogar protestierende "Hoffnungsgruppen" im Land.

Ob Vastolla zu ihrem Glück mit "Hoffnungsbauch" auf einer Insel mit Zauberschloss findet, oder ob sie in einem Fass zu Tode stürzt, stellt Steinbeck in unterschiedlichen Erzählungen zur Auswahl. Wahrscheinlicher ist das Fass. Denn am Ende treiben Bakterien im Meer, die auf die nächste Evolutionsstufe, die Mehrzeller warten. Es klingt wie eine Hymne.

Zeiten1 Lucia Hunziker uNur keine Hoffnung aufkommen lassen: Elmira Bahrami, Andrea Bettini, Marie Löcker und Julian Anatol Schneider auf der Bühne von Jana Furrer © Lucia Hunziker

Das ist Pessimismus, getarnt als (biologischer) Realismus. Botschaft: Der Mensch ist speziesgerecht dem Untergang geweiht, er soll sich nur mal in der evolutionären Folge nicht zu ernst nehmen. Die Figuren auf der Bühne sind zu Funktionen verflacht, sodass aus ihnen kaum je unerwartete Regungen hervorbrechen. Das Stück wirkt über Strecken wie eine dahineilende, überhitzte Twitter-Diskussion. In schnellen Sätzen treibt Steinbeck einen philosophierenden Haltungsstreit an.

Ein Monolog reißt die komplexen Theorien der amerikanischen Feministin Donna Haraway an – es wirkt hier wie bizarres Sektengeschwätz. Aus nicht weniger als elf, höchst unterschiedlichen Quellen – Spongebob, Bibel, Simone Weil, ein arabischer Skeptiker des Mittelalters etc. – hat sie kunstfertig Märchenhaftes, Irrwitziges, Flaches zu einer Welt geformt, in der niemand zu einem Ruhepunkt kommt, kein Dialog mehr fruchtbar ist.

Mit Speed, ohne Widerstände

In Franz Broichs erster Schauspiel-Inszenierung auf der Kleinen Bühne fühlt sich der Abend etwa so an wie ein Karussell auf Speed in Nahaufnahme, trotz entschleunigender Song-Einschübe. Er wirkt stets verspielt, fasst aber nie Boden, wirkt flüchtig wie die vorbeihuschenden News und Postings in der Medienwelt, unterstützt von Videos und Live-Kamera, versiert umgesetzt von einem aufgeräumten Ensemble.

Das modisch aufgemachte Pop-Märchen soll die aktuelle Welt durchaus schonungslos zeigen. Es eckt aber nie an. Für Ansätze zu Kritik fehlt der Dorn des Sarkasmus im Getriebe der Show. Oder ein subtiler Subtext. Nur einmal lässt Broich mal abrupt eine Leinwand fallen – und verdutzt stehen alle ratlos herum. Man kann sich wohl fühlen, wie etwa der frenetische Schlussapplaus beim jüngeren Premierenpublikum zeigte. Die ätzende Ironie und das Hässliche gelten wohl als gegeben, das wird schulterzuckend entgegengenommen.

 

Die beste aller Zeiten
von Michelle Steinbeck
Uraufführung
Regie: Franz Broich, Bühne: Jana Furrer, Kostüme: Karoline Gundermann, Musik: Elmira Bahrami, Lichtdesign: Stefan Erni, Roland Heid, Dramaturgie: Kris Merken.
Mit: Elmira Bahrami, Andrea Bettini, Martin Hug, Marie Löcker, Julian Anatol Schneider.
Premiere am 28. April 2023
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, Pause

www.theater-basel.ch

 

Kritikenrundschau

"Steinbecks Satire ist scharf, sie hat einen unerbittlichen Blick auf all das, womit wir uns täglich herumschlagen: Die Verlogenheit von Social Media, das Dickicht von Wahr- und Falschmeldungen, die Ratlosigkeit der Theorien", so Andreas Klaeui auf SRF 2 Kultur (2.5.2023). Franz Broich inszeniere das Endzeit-Märchen mit viel Sinn für Rhythmus und spannungsvolle Atmosphäre. "Es ist eine bittere Pille, die Steinbeck uns zu schlucken gibt, eine traurige Party, die Broich anrichtet. Darüber sollte ihre einnehmende Geschmeidigkeit nicht hinwegtäuschen."

Kommentar schreiben