Der Chor filmt mit

18. März 2023. Zu den Bildern, die man heute vom Krieg erhält, gehören die Handy-Bilder ganz klar dazu. Regisseurin Sahar Rahimi zeigt in ihrer Aischylos-Inszenierung "Die Perser" am Theater Basel den Chor mit Handykameras und Wahrheiten im Netz des Geoblocking.

Von Jürgen Reuß

Bilder vom Krieg: "Die Perser" von Sahar Rahimi am Theater Basel inszeniert © Eike Walkenhorst

18. März 2023. Jüngst hat die polnische Regisseurin Malgorzata Warsicka im Theater Freiburg die von der belarussischen Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch gesammelten Zeugnisse russischer Frauen aus dem 2. Weltkrieg mit Trojanischen Klagen gerahmt. Es ist seltsam, losgelöst von den jeweiligen Inszenierungen hat so eine Rückbindung existenzieller Konflikte wie dem Krieg an die Antike irgendwie etwas Mulmiges. Als würde man in die von Ismail Kadare so eindrücklich beschriebene Welt der endlosen Blutrachezyklen im albanischen Hochland eingetaucht. Als bekäme man an ritueller Stätte auch so ein schwarzes Bändel ums Handgelenk geflochten, mit dem der Eintritt in als schicksalhafte Naturgewalt inszenierte Tötungszyklen besiegelt würde. Die Welt mag sich weiterdrehen wie sie will, am archaischen Gesetz ändert das nichts.

Jetzt haben im Theater Basel Aischylos' "Die Perser" Premiere. Auch in Sahar Rahimis Inszenierung spielt nach dem Ende des damals größten jemals dagewesenen Abschlachtens ein kleines Mädchen schon wieder mit einem ferngesteuerten Panzer. Was soll das aussagen? Die Zivilisation hat ein neues Gewand, aber wenn das Blut wallt, fordert das Blut sein Recht? Was bringt’s? Trost, Reinigung, Erkenntnis?

Geoblocking im Youtube-Kanal

Vielleicht muss man vor diesem Hintergrund den Einstieg in Rahimis Perser als klugen Warnhinweis lesen. Auf fast bühnenfüllender Leinwand ist da nämlich der bekannte Youtube-Hinweis zu lesen, dass der gewünschte Content in deinem Land auf Wunsch der Regierung nicht zur Verfügung steht. Alles, was wir, wenn sich diese Leinwand hebt und die Bühnensicht freigibt, trotzdem sehen werden, ist also eigentlich unterdrückte Wahrheit. Wir werden uns in die schöne neue Welt der Verschwörungsdeuter begeben. Und was erzählt die uns vom Krieg?

Perser 1 EikeWalkenhorst uIm Westen nichts Neues: Atossa (Katja Gaudard) verkündet ihren Untergangstraum an Perser-Anführer Xerxes (Julian Anatol Schneider), den Urheber des ganzen Unheils © Eike Walkenhorst

Der Chor besteht aus posenden Insta-Girlies, die vor dem Spiegel des Publikums zu kitschigem Sinead O’Connor-Geschmachte erstmal Trauergesichter üben, bevor das Ganze in ein Schlachtfeldporno kippt. Auf einer Bühne, die im Westen nichts Neues verspricht, röcheln verstümmelte Soldaten endlos im Nebel, bis der Chor der Influencerinnen wie ein Zombieheer aus dem Fitnessstudio über sie herfällt und sich die bei laufender Handykamera lustvoll aufgegeilt gefledderten Gedärme als Trophäe um den Hals wickelt.

Triumph-Szenen

Dann entert Atossa (Katja Gaudard) wie aus dem Oligarchenweibchenkatalog gepellt die Szenerie und verkündet ihren schicksalsschwangeren Untergangstraum. Dann erhebt sich der zuvor gefledderte Universal Soldier als Bote, bezeugt eindrücklich die unendlichen Verluste, während er sich allmählich in Xerxes selbst, den Urheber allen Elends wandelt - von Mutter Atossa immer wieder ob seines Überlebens angeklagt. Vorbote dessen, dass sie später im Stück mit einem Stein in der Hand nach dem Sohn schaut und blutbesudelt in seltsamer oberkörperfreier Iggy-Pop-Pose offenbar über die erfolgreiche Beseitigung des Looserkönigs triumphtrauert.

Perser 3 EikeWalkenhorst uDarius (Edgar Eckert) im Palastinneren © Eike Walkenhorst

Zwischendurch entsteigt noch Oligarchenpapa Darius seiner Superluxusunterweltyacht, die über den Memorialbildschirm eines geschickt mit einer hochgefahrenen Wand stilisierten Palastinneren flimmert. Offenbar hat ihm das Jenseits erlaubt, die Seinen mit einer Überwachungskamera auch postmortal weiter zu beobachten.

Mädchen mit Spielzeugpanzer

Der inzwischen in Guerillauniform gewandete Instachor ist von seinem geckenhaften Machoauftritt offenbar not amused, winkt drohend mit MGs, taucht am Schluss allerdings in burkaähnliche Tracht wieder auf, stampft wütend wie bei einem Maori-Ritual, bevor dann das bereits erwähnte Mädchen den Spielzeugpanzer über die Bühne steuert. Das zyklische Schicksal des Westens ist mal wieder besiegelt.

Was fängt man mit so einer Inszenierung an? Vermutlich kann man sich mit etwas gutem Willen etwas tiefer in irgendwelche Subtext hineinwühlen, aber der Verdacht, dass solches Deutungsspiralen letztlich im archaischen Gesetz zyklischer Götter des Gemetzels, ob religiöser oder medialer Natur, hohl drehen, lässt erschöpft davon absehen.

 

Die Perser
von Aischylos, nach einer Übersetzung von Kurt Steinmann
Regie: Sahar Rahimi, Bühne & Kostüm: Evi Bauer, Videodesign: Joscha Eckert, Musik & Sounddesign: Niklas Kraft, Lichtdesign: Vassilios Chassapakis, Chorleitung: Julia Kiesler, Dramaturgie: Kris Merken.
Mit: Edgar Eckert, Katja Gaudard, Julian Anatol Schneider, Chor: Sascha Annina Bitterli, Katharina Gieron, Lilly Hartmann, Emma Madita Mösch, Alina Maria Schmidli.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause
Premiere am 17. März 2023

www.theater-basel.ch

 

Kritikenrundschau

"Sahar Rahimi hat eine drastisch bebilderte Klage gegen Krieg inszeniert – und mit ihrer Interpretation klagt sie auch das Publikum, jeden von uns, den Westen, an, Gewalt und Vernichtung tagtäglich zuzulassen", so Heidi Ossenberg in der Badischen Zeitung (20.3.2023). Es gelte an diesem Abend zu verstehen: "Das Mädchen spielt noch immer Krieg und die Menschen haben nichts gelernt". Um Schuld gehe es, um Verantwortung, individuell und kollektiv. Einige Szenen seien schwer erträglich, "einzelne Zuschauer verlassen das Theater". Fazit: "Was ist gewonnen? Die Wut rausgelassen? Der Trauer Kunst und Aktion entgegengesetzt? Das dargestellte Leid ausgehalten? Das ist alles verständlich. Aber es bleibt auch entsetzlich hilflos.

Regisseurin Sahar Rahimi führe erst an die Grenze des Erträglichen und schliesslich in rätselhafte Gefilde, schreibt Dominique Spirgi in der BZ (20.3.2023). Die eigentlichen Protagonistinnen seien der "fünfköpfige Chor der Fitness-Girls", die den Aischylos'schen Chor der Greise spielen. "Das ist hier durchaus stimmig, zumal dieser Chor mit hoher Präzision Ausserordentliches leistet". Wenn dann zwei sterbende, stark verwundete Soldaten mit herausquellenden Gedärmen in Zitterkrämpfe verfallen, gehe es an die Grenze des Erträglichen. Rahimi wolle aber auch über den Klageschrei gegen den Krieg hinausgehen. 

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