Neue Formen der Autorschaft und kreative Prozesse am Theater - Während der Podiumsdiskussion beim Theatertreffen wurden vor allem Schuldige gesucht
Tod der Verlebendigungsmaschine
von Matthias Weigel
Berlin, 14. Mai 2014. "Aber was passiert mit den Texten? Verschwinden sie? Was heißt das für unsere Kultur?" Angst. Verzweiflung. Nichtwahrhabenwollen. Am Ende der Diskussionsrunde in den Berliner Festspielen bringt es eine Verlagsmitarbeiterin aus dem Publikum auf den Punkt, worum es eigentlich geht.
Mit dem Bedeutungsverlust von "Texten" sind natürlich nur Dramentexte gemeint, und es spricht hier die verständliche Verunsicherung derer, die ihre Leben mit der Erstellung oder der Verwertung von dramatischen Texten verbringen, und spüren, dass etwas im Umbruch begriffen ist. Vorangegangen ist eine Theatertreffen-Podiumsdiskussion zum Thema "Theaterautorenförderung", der ganze Tag stand unter dem Thema "Neue Formen der Autorschaft". Die punktuelle Panik löste Festspielintendant Thomas Oberender aus, der aus dem Publikum sehr klar und schlüssig noch einmal die Motivation dafür darlegte, den Stückemarkt in gewohnter Form abzuschaffen: "Das Theater ist längst mehr als eine Verlebendigungsmaschine von Literatur."
Und wer ist schuld?
Auf einem anderen Blatt steht zwar geschrieben, ob das neue Stückemarktkonzept (von Oberender selbst als "Übergang" bezeichnet) schon ausgereift ist. Aber wie richtig Oberenders Grundfeststellung ist, spiegelt sich indirekt einerseits in der Dünnhäutigkeit und den Schuldzuweisungsarien der Diskutanten wieder, und andererseits darin, dass über diese tiefgreifende Feststellung in letzter Konsequenz gar nicht weiter geredet werden konnte oder wollte.
Denn es war ja auch ein Tag des Theatertextbetriebes. Und so stieg man auf die einleitende Steilvorlage von Theatertreffen-Jurymitglied Peter Laudenbach gern ein: Der Markt sei mit Nachwuchsautoren übersättigt, bei der Quantität hätten es jetzt sogar die wenigen guten Stücke noch schwieriger, Aufmerksamkeit zu bekommen, und die Uraufführungsschwemme verhindere auch noch Zweitaufführungen anderer, besserer Stücke. Überhaupt werde sowieso nur noch für Jurys und nicht mehr für den Zuschauer geschrieben und die einzige Funktion der Schreibschulen und Förderprogramme sei die Selbstreproduktion.
Die Anderen!
Das Argumentationsniveau war somit vorgegeben, und so ist nun auch endlich geklärt, wer alles Schuld an der ganzen (nebulösen) Dramatik-Misere trägt: zu unreife Dramatiker, die nicht "innehalten" und ihre Lehrzeit überspringen, bzw. Dramatiker, die nicht auf die Themenvorschläge oder Tipps aus den Dramaturgien eingehen wollen (Andreas Beck); Theater, die aus Marketinggründen lieber zu Film- oder Romanadaptionen greifen, oder Schreibschulen, die viel zu junge Dramatiker auf den Markt werfen und verheizen wollen (Marion Victor); Theater, die nur die Uraufführungs-Aufmerksamkeit abgreifen wollen und Festivals, die immer Preise vergeben müssen, auch wenn nichts Preiswürdiges im Wettbewerb steht (Laudenbach); Nachwuchs-Regisseure, die sich mit Uraufführungen profilieren müssen und nicht wenigstens einmal nur dem Text dienen wollen (Philipp Löhle).
Prost am Tisch! Im Prinzip können also alle weitermachen wie bisher, wenn sich nur die anderen mal anständig verhalten würden. Es bleibt dem Theatertextbetrieb nur zu wünschen, dass er irgendwie noch den Anschluss schafft. Denn die "neue" Arbeitsrealität, die "neuen" Ausdrucksformen und Schaffensprozesse des Theaters scheinen schon fast außer Sichtweite zu sein.
Neue Formen der Autorschaft und kreative Prozesse am Theater
Autor sein – (k)ein Wunschkonzert. Gegenwart und Zukunft der Theaterautorenförderung
Mit: Andreas Beck (Intendant Schauspielhaus Wien), Peter Laudenbach, Philipp Löhle (Autor) und Marion Victor (Verlag der Autoren), Moderation Christine Wahl.
www.berlinerfestspiele.de
Bericht zu den Stückemarkt-Gastspielen und dem neuen Stückemarktkonzept von André Mumot.
Debattentexte zur Neuausrichtung des Stückemarktes auf nachtkritik.de:
Zur Entscheidung, den Stückemarkt des Berliner Theatertreffens neu auszurichten von Sascha Krieger (12.11.2013)
Warum Autoren am Theater nicht mehr gebraucht, Schreiber aber dringend benötigt werden – ein Plädoyer für den Writers' Room von Ulf Schmidt (13.11.2013)
Wunschzettel für einen neuen Stückewettbewerb von Frank Kroll (4.12.2013)
Kritikenrundschau
"Was wären die Festivals ohne die Diskussionen über ihren Betrieb?", fragt Doris Meierhenrich in der Berliner Zeitung (15. Mai 2014): "Zunächst mal langweiliger. Dann natürlich auch unehrlicher sich selbst gegenüber, den Bewunderern und Kritikern." Denn die Diskussionen seien unschätzbar wichtig: "Sie bringen gedanklich zum Rotieren, was allen Mitrotierern das Gefühl gibt, mitzuwerkeln an der Zukunft des Ganzen." Peter Laudenbach habe in seinem Eingangsvortrag die Frage gestellt, was es mit der Gegenwartsdramatik mache, wenn man sie zwei Jahre mal einstelle. Dass sie empfindlich einbräche, glaube niemand. Dennoch sei Neuschreiben seit Jahren „in“, aber "wie das Gehaltvolle finden im übergroßen Salat der Dürftigkeit?" Für Andreas Beck sei Autorenförderung und -findung wie Gartenarbeit: Es gehe darum, fleißig, konzentriert und beständig nach Innen zu graben; das finde Philipp Löhle auch. "Ausnahmen sind Löhle und Beck sicher: Löhle mit seinen verlässlich gespielten Texten und Beck mit seinem Wiener Schauspielhaus, das als eines der wenigen Theater für Gegenwartsdramatik auch gute Auslastung vorweist", so Meierhenrich. Die Fundstücke einer „neuen Autorschaften“ seien auch zu erleben gewesen, mit Lutz Hübner, Bastian Trost und Chris Thorpe. "Eigentlich kein Wunder, dass Thorpe auf die Frage nach der „Autorschaft“ später im „Camp“ vorschlägt, den „Autor“ am besten einfach mal als Anonymus zu begreifen und nur die Stimmen der Texte sprechen zu lassen. Ja, was wäre dann?"
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(abgesehen davon: hat Oberender schon ein Rechercheprojekt oder eine Performanceinstallation generiert? also bitte, frust einstellen, und sich der realität stellen)
Meiner Meinung nach gibt es einfach zu viele Theaterschaffende, die nichts anderes gemacht haben, als Theater und Ästhetik. Ein Autor ist auch deshalb nicht mehr von Nöten, von Nöten aber wenn er aus einem Bereich kommt, der nicht Kunst ist, weil er dann maßgeblich AHNUNG hat.
Geschichten erzählen kann jeder, tut auch jeder. Ein größeres Bild oder einen größeren Kontext wahrnehmen, ist aber Sache eines analytischen Herzens und Verstandes. Vorbildliches, zukünftiges Theater? Dann weg von diesem Bullshit und zurück in die konkrete Welt. Zu viele halten das Philosophiebuch für ein Geschichtsbuch, verwecheln ideologische Sätze für etwas konkretes und Ästhetik für sozialkritisch.
Gleichzeitig kann man über die Szene auch etwas anderes gesagt werden: jeder von uns, der Ahnung hat, aber auch nett genug ist, sich selbst nicht ganz abzuschotten, eine Verwundbarkeit zu zulassen, wird in den Magen getreten, von oben herab, aus Neid manchmal sogar. Was natürlich idiotisch ist. Solange also ihr nur Dekor für eure eigenen Weltanschauungen braucht. Solange ihr nur Goldrahmen für euer eigenes Bild von der Welt braucht, wird euer Theater nie so weit gehen können, wie es könnte. Alles was euch bleibt ist eure eigene Einbildung aus denen wir ausgeschlossen bleiben. Und Gott sei Dank auch, denn zumindest sind unsere Schubladen, in denen wir unser Unveröffentlichtes stapeln, originell.