"Zwiegespräch" vom Burgtheater Wien - Der Shorty zum Theatertreffen-Gastspiel
Nurmehr Verschiebemasse
28. Mai 2023. Ein Paravent trennt die Generationen und verschafft den Jungen mehr und mehr Raum. Die Alten und ihr von Peter Handke verfasstes Sinnieren – ist das Kunst oder kann das weg?, scheint Rieke Süßkow in ihrer Inszenierung zu fragen. Wie wirkte die Arbeit beim Theatertreffen-Gastspiel?
Von Esther Slevogt
28. Mai 2023. Es geht erst mal stumm los, was bei der raunenden Geschwätzigkeit, mit der gemeinhin Peter Handke als Autor in Erscheinung tritt, schon mal ein Statement ist. Andererseits ist Handke natürlich auch der Autor eines Theatertextes, der gänzlich ohne gesprochene Worte auskommt: "Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten". Also schiebt sich erst mal wie eine riesige Raupe minutenlang ein paraventartiges Monstrum in den Raum. Quietschend und ächzend scheint dieses zunächst noch kaum zu definierende Ungetüm seinen Ort zu suchen, den es dann bald drohend einnimmt: als Raumteiler zwischen Leben und Tod, aber auch zwischen den Generationen.
Als die Kunst noch besser war
Miriam Stängl heißt die Bühnenbildnerin, die sich dieses Setting erdachte, 1993 in Wien geboren und die erste Szenografin, die den 3sat-Preis beim Theatertreffen bekam, gestern, nach dem Gastspiel des Wiener Akademietheaters beim Theatertreffen, wo die Uraufführungsinszenierung von Peter Handkes "Zwiegespräch" (in der Berliner Volksbühne) lief. Es war auch der 33. Geburtstag der Regisseurin Rieke Süßkow, wie beim Applaus der Schauspieler und Grande des Wiener Burgtheaters seit der Zeit von Handke-Uraufführer Claus Peymann, Martin Schwab, fröhlich kund und zu wissen gab.
Das Interessante an diesem Abend ist der Zugriff. Der Text des achtzigjährigen Peter Handke (Otto Sander und Bruno Ganz gewidmet) ist eine Art Selbstgespräch über Zeiten, als die Kunst, das Leben und natürlich auch das Theater noch besser war. Als die Kunst noch lebte und existenziell berührte. Ein bisschen präsentiert sich Handke, beziehungsweise sein literarisches Alter Ego, auch wie ein alt gewordener Wiedergänger von Goethes Wilhelm Meister, der wahrscheinlich wirklich selber glaubt, noch irgendwie Anteil an Wundern (der Kunst und überhaupt) gehabt zu haben, zu denen wir profane Bewohnerinnen der Gegenwart gar keinen Zugang mehr haben. In eine ebensolche böse Gegenwart setzt dann die Inszenierung den Text: ein Altersheim, wo ebenso schöne wie kaltherzige Pflegekräfte die Alten zunächst noch ver-, aber bald schon entsorgen.
Granden versus Avatare
Hier treffen wir dann die großen alten Burgschauspieler Branko Samarowski, Martin Schwab und Hans-Dieter Knebel, wie sie den Zeittunnel der Sprache in Richtung dunkles 20. Jahrhundert mit seinen Verwerfungen öffnen. Großväter, die Hornissenvölker morden, in dem sie sie in Baumlöcher einbetonieren, die Tiere foltern – allerlei Grausamkeiten werden angesprochen. Und das Dritte Reich als dunkle Schuld entzweit die Großväter von ihren Nachgeborenen. Zwischendurch leuchten vergangene Theaterwunder in den Erinnerungen der Alten auf, von denen einer nach dem anderen auf dem Weg eines bösen Spiels ins Jenseits, also hinter den Paravent befördert wird.
Schnippisch lassen dagegen die jungen Heim-Schwestern, von den Schauspielerinnen Elisa Plüss und Maresi Riegner mit hochformalisierten Gesten fast ein wenig avatarhaft verkörpert, den manierierten Handke-Text von ihren Lippen perlen. Die Kostümbildnerin Marlene Duken hat das Personal des Abends in Outfits zwischen Traum und Alptraum, Rentnerdandytum (die Alten) und instagrammatischem Glamourtum (die Jungen) gesteckt. Wie farbenfroh das alles ist (von lebenssattem Grün bis Blau und Pink), sieht man im sepiafarbenen Licht, in das Marcus Loran die Szenerie die meiste Zeit taucht, überhaupt nicht. Nur manchmal leuchten sie in kurzen Lichtwechseln in ihrer ganzen Farbkraft auf. Was man auch als Kommentar zur Perspektive verstehen könnte, die Handke aus Sicht der Macher*innen auf die Dinge hat: sepiagetrübt eben und ohne weitere Differenz.
"Früher war alles besser!"-Geseufze
Leider aber schnurrt die Sache dann doch vorüber, ohne weiter mit diesem Befund umzugehen oder an Fahrt aufzunehmen. Erst freut sich die Kritikerin noch, wie hier Handkes Text auf eine Jugend trifft, die ihm Saures gibt, weil er eben selbst schon so sauertöpfisch daher kommt mit seinen halbgaren Überlegungen zum verlorenen Absoluten in Kunst und Leben und "früher war alles besser!"-Geseufze – und dass der Handke-Text dann aber aus den Mündern der Jungen von eben der zeitgenössischen Hohlheit getragen klingt, von der er sich ja eigentlich distanziert. Aber dann machen sie nix draus, die Jungen. Handke hat das letzte Wort.
Hier geht es zur Nachtkritik der Premiere am Burgtheater Wien im Dezember 2022, hier zu unserer TT-Festivalübersicht.
Täglich Neues vom Berliner Theatertreffen gibt es in unserem Theatertreffen-Liveblog.
Mehr zum Thema: Im Theaterpodcast #57 spricht Mirjam Stängl mit Matthias Koch über die Kunst, als Bühnenbildnerin einen Raum zu gestalten.
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