Die Familie Schroffenstein - Thomas Bischoff inszeniert Kleist auf dem Schachbrett
Alle sind gleich. Alle sind schlecht.
von André Mumot
Göttingen, 18. April 2009. Gewiss, es hätte nahe gelegen. Aber vielleicht wäre es auch die banalste Lösung gewesen, das Stück schlicht ins Heute zu ziehen, es mit den einschlägigen Bildern aus der Gegenwart unserer Krisengebiete zu illustrieren. Denn "Die Familie Schroffenstein", Kleists ungestümes, im Mittelalter angesiedeltes Frühwerk von 1803, scheint sich perfekt dafür anzubieten.
Zuerst einmal ist es selbst eine Gewaltexplosion. Reihenweise fallen hier die Leichen, Köpfe werden an Torbögen genagelt, Kindern die Finger abgeschnitten, und unentwegt werden in drängenden, aufgewühlten Versen erbitterte Hasstiraden ausgespieen. Zum anderen jedoch analysiert das Stück äußerst präzis und nachvollziehbar das Zustandekommen von Gewalt und ihrer Eskalation. Fünf unbarmherzige Akte lang wird mit durchdringender Klarsicht die logische Abfolge von Aktion und Reaktion protokolliert.
Parade aggressiver Gesten
Insofern überrascht es nicht, dass die blutige Erbfehde zwischen zwei verfeindeten Zweigen des Adelshauses Schroffenstein an diesem Abend auf einem Schachbrettboden ausgetragen wird, auf dem alle Beteiligten in genau abgezirkelten und streng choreographierten Bewegungen ihre Züge machen. Regisseur Thomas Bischoff geht im deutschen Theater Göttingen aber noch einen Schritt weiter und schematisiert die Personen so lange, bis sie tatsächlich zu austauschbaren Spielfiguren werden. Es bleibt die Parade aggressiver Gesten: Kalt und bedrohlich stehen sie einander gegenüber, dann geben sie sich plötzlich Ohrfeigen, ziehen den Degen und fechten einige Momente lang mit bemerkenswerter Eleganz.
Diese Männer und Frauen verleumden einander, schließen Allianzen, laufen zum Feind über und kehren dann ohne ersichtlichen Grund ins ursprüngliche Lager zurück. Der üppige Text ist dabei stark zusammengekürzt worden, und in der ersten (ermüdenden) Stunde ist es fast unmöglich, die Motivationen der Handelnden in diesem Ritus zu entwirren, ihren Hintergrund, ihre Pläne, ihre Attacken zu verstehen. Was auch nicht gewünscht wird.
Barocke Stillleben mit Totenschädeln
Dementsprechend tritt Julia Hansen gleich in beiden Lagern der Familie als Mutter auf (einmal mit offenen, einmal mit zusammengebundenen Haaren, immer aber mit derselben kalten Attitüde) und unterstreicht die schnell gewonnene Einsicht: Alle sind gleich. Gleich schlecht.
Dass sich die Schroffensteins aus Warwand und die Schroffensteins aus Rossitz, die beide um Vorherrschaft und Besitz streiten, für den Zuschauer dann doch auseinander halten lassen, ist hauptsächlich dem wunderlichen Bühnenbild von Isabelle Krötsch zu verdanken. Die Herrensitze präsentieren sich nämlich als gut bestückte Kunstmuseen. Während man in Warwand barocke Stillleben mit symbolträchtigen Totenschädeln aufgehängt hat, zieren in Rossitz hübsche Nachahmungen gängiger Caspar David Friedrichs die Wände: "Der Mönch am Meer" prangt neben dem "Klosterfriedhof im Schnee" und den zerklüfteten Eisschollen aus dem "Eismeer".
Letztere werden dann später auch noch mal stark vergrößert aus dem Schnürboden herabgelassen und bilden zusammen mit einer bühnenhohen Nachbildung der Rügener "Kreidefelsen" die Kulisse für die herben Liebesszenen des Kleist'schen Romeo-und-Julia Paares Ottokar (Benjamin Berger) und Agnes (Marie-Isabel Walke). Außerdem kommt immer wieder ein leerer Goldrahmen hinabgeglitten, hinter dem die Figuren als lebende Bilder in würdevollem Pathos erstarren können.
Befremdlich verhalten
Was also wird hier zum Thema? Für die Entstehungsprozesse von kollektiver Gewalt interessiert sich Bischoff offensichtlich nicht, ebenso wenig für das, was in den Figuren vorgeht, während sie fanatisch ihr eigenes Unglück heraufbeschwören. Offenbar geht es ihm vielmehr darum, die Posen der Gewalt, das Pathos der heldenhaften, stolzen Gesten zu entlarven, die verharmlosende Ästhetisierung von Mord und Totschlag. Und gerade weil es mehr als genug gegenwärtige Beispiele für dieses Phänomen gäbe, wirkt die Entscheidung, hierfür die morbide Dekadenz des Barock und die ekstatische Friedhofsschwärmerei der Romantik heranzuziehen, doch befremdlich verhalten.
Schlimmer noch: Wenn sich die im Grunde uninteressanten Schachfiguren gegenseitig Zug um Zug vom Brett fegen und all das Sterben vor historischen Prospekten nur als lächerlich austauschbare Sinnlosigkeit erscheint, wird auch jedes Konfliktbewusstsein negiert. Die Bilder dieser schöngeistigen Ausstellung haben nichts mit einer Gewalt zu tun, die fühlbar oder bedrohlich, die real werden könnte. Das Theater bleibt ganz bei sich selbst, es führt eigentlich bloß Theatergesten vor, und wenig gibt es, was einem gleichgültiger sein könnte.
Die Familie Schroffenstein
von Heinrich von Kleist
Inszenierung: Thomas Bischoff, Ausstattung: Isabelle Krötsch. Mit: Ronny Thalmeyer, Meinolf Steiner, Benjamin Berger, Daniel Sellier, Florian Eppinger, Marie-Isabel Walke, Philip Hagmann, Kai Wißner, Julia Hansen, Nikolaus Kühn, Sybille Weiser.
www.dt-goettingen.de
Mehr lesen über Kleists finsteren Erstling? Im Oktober 2008 inszenierte Stephan Rottkamp Die Familie Schroffenstein im Düsseldorfer Schauspielhaus. Thomas Bischoff tauchte im Oktober 2008 in Chemnitz mit seiner Inszenierung von Lessings Emilia Galotti tief in die Abgründe der deutschen Geschichte.
Kritikenrundschau
"Sehr intellektuell" sei Bischoff die Schroffensteins angegangen, schreibt Peter Krüger-Lenz im Göttinger Tageblatt (20.4.), sein Ansatz sei "nachvollziehbar", die "Umsetzung nicht immer". Bischoff habe auch diesmal wieder "ein Extrakt gewonnen". Er richte sein "Augenmerk auf den Hass und die Kette von Gewalt, die die Mächtigen immer weiter fortschmieden". Das "opulente barocke Bühnenbild" von Isabell Krötsch, das vor Bezügen nur so strotze, dränge sich mit seiner Brillanz leider mitunter zu weit in den Vordergrund. Dabei sei "Kleists Figurenkonstellation schon kompliziert genug", erschwert werde das Verständnis zudem dadurch, dass Bischoff "weniger Charaktere, sondern Figuren auftreten" lasse. Damit nehme er seinem Personal "die Möglichkeit zur Entfaltung". Ein "regie- und kopfbetontes Gesamtwerk, das konsequent auf Nachdenken setzt".
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Vielen Dank für diese sehr klare und richtige Kritik.
Die Frage die Sie stellen kann ich nur wiederholen:
Was ist hier eigentlich Thema ?