GDBA protestiert gegen Sparvorschlag für das Schweriner Theater
Ende der Tarifbindung?
Schwerin, 24. November 2011. Die Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger (GDBA) wendet sich aufs Schärfste gegen Vorschläge der Schweriner FDP-Stadtvertreter, die langfristige Existenzsicherung des Mecklenburgischen Staatstheaters Schwerin mittels Aufhebung der Tarifbindung zu realisieren. Die FDP "übersieht dabei, dass Theater immer personalintensive Betriebe sein werden und in Mecklenburg-Vorpommern seit 1995 gedeckelte Zuwendungen erhalten. Gerade in Schwerin hat es in dieser Zeit einen starken Stellenabbau gegeben, der es immer schwieriger machte, die geforderte künstlerische Ausstrahlung und die Präsenz dieses Hauses aufrecht zu erhalten", heißt es in einer Pressemitteilung der Genossenschaft (hier komplett im Wortlaut).
Anfang dieses Monats war mit einem Rettungspaket von einer Million Euro, das zu gleichen Teilen von Land und Stadt getragen wird, eine akut drohende Insolvenz des Schweriner Theaters abgewendet worden (siehe Meldung). Auf einer Sitzung der Schweriner Stadtvertretung am vergangenen Montag wurde die städtische Unterstützung bewilligt und zugleich über künftige Einsparpotenziale beratschlagt. Nach Schätzungen des SPD-Stadtvertreter Rudolf Conrades werde die vereinbarte Millionenhilfe bereits im März 2012 aufgebraucht sein.
Wie die Schweriner Volkszeitung (22.11.2011) berichtet, lenkte Conrades das Augenmerk auf die Personalkosten: "Im Jahr 2010 waren für die Leitungsebene des Theaters 933 000 Euro für Gehälter nötig. Das waren nach Angaben des Deutschen Bühnenvereins die höchsten Ausgaben unter den Theatern vergleichbarer Größe in Deutschland." Zudem seien 2302 Verträge "mit nicht ständig Beschäftigten" abgeschlossen worden. "Mehr Verträge hatten nur Theater in Berlin, Frankfurt am Main und in Dresden", sagte Conrades vor den Stadtvertretern.
Die FDP-Stadtvertreter brachten den von der GDBA jetzt kritisierten Zusatzantrag ein, "dass das Theater aus der Tarifbindung oder sogar aus dem Arbeitgeberverband austreten soll". "Die Personalkosten betragen 80 Prozent des Gesamtbudgets und steigen ständig", wird FDP-Politiker Michael Schmitz in der SVZ zitiert. "Diese Dynamik müssen wir durchbrechen."
Bis 14. Dezember solle die Intendanz nun ein Sanierungskonzept vorlegen. "Von der Schließung einer Sparte bis zur Entlassung von jeweils fünf Mitarbeitern in jeder Sparte ist alles möglich", zitiert die SVZ Oberbürgermeisterin Angelika Gramkow. Eine Herabstufung der Staatskapelle vom A- zum B-Orchester lehne sie jedoch kategorisch ab. Unter allen Fraktionen herrsche Einigkeit, "das Mecklenburgische Staatstheater möglichst als Fünf-Sparten-Haus zu erhalten", so die SVZ.
(GDBA / Schweriner Volkzeitung / chr)
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Mit Grüssen nach Schwerin und der Hoffnung, das sich alles zum besten wendet!
"Im Jahr 2010 waren für die Leitungsebene des Theaters 933 000 Euro für Gehälter nötig."
Schweriner Volkszeitung
Heißt das, dass diese Summe unter den Herren Kümmritz, Foremny, Dehler und Urbich aufgeteilt wird? Jährlich? das hieße soviel wie ca. 300'000 für den GI und 200'000 für die Spartenleiter?
Oder darf man unter Leitungsebene mehr Leute zählen?
Andere Berufsgruppen an den Theatern profitieren allerdings durch die Tarifverträge, und das in einem Maße, das zu ungerechten Bedingungen in den Häusern führt.
Die Bedingungen für Opernchormitglieder, Orchestermitglieder, Beschäftigte im Bereich TVÖD/TVL (Technik/Verwaltung) sind unvergleichlich besser (Grundgehalt / Arbeitszeit / Zulagen / automatische Gagenerhöhung nach Betriebszugehörigkeit). Vorallem ist den Theatern fast jeglicher Spielraum genommen, was die Gestaltung der Verträge und auch der Bezüge angeht. Eine Aufgabe der Tarifbindung würde in jedem Fall zu einer größeren Gleichbehandlung der Mitarbeiter führen.
Um nicht falsch verstanden zu werden, ich möchte gar nicht, dass Menschen, die seit Jahrzehnten für das Funktionieren der Theater sorgen, schlechter gestellt werden als bisher. Aber es kann einfach nicht angehen, dass immer wieder ausschließlich bei einem Teil der Mitarbeiter gespart wird, nämlich bei denen sich mit "Kunst" beschäftigen. Es kann übrigens genausowenig sein, dass innerhalb der Technik für die Gleiche Arbeit Zulagen gezahlt werden oder nicht, jenachdem in welcher Terifgruppe sich ein Mitarbeiter befindet.
Die augenblicklich an den Theatern arbeitenden müssen sich ohnehin keine Sorgen machen, für sie gilt ja "Vertrauensschutz". Aber mittelfristig könntem die Theater durch eine Lösung der Tarifbindung wieder Spielräume für die "Kunst" zurückbekommen.
@A.R. ganz so schlimm ist es nicht, laut "Theaterstatistik 09/10" zählen in Schwerin 13 Personen zur Leitungsebene (also durchschnittlich 72.000 € pro Nase und Jahr, aber es wird sicher nicht gerecht geteilt ;-) ). Zur Leitungsebene zählen laut Kleingedrucktem: Intendant, Verwaltungsdirektor, Spartenleiter, Chefdramaturg, GMD, Künstl. Betriebsdirektor, TD, Ausstattungsleiter.
Danke für die Info. Gehen wir mal davon aus, dass der G.I. ca 150'000 und die Spartenleiter 100'000 bekommen- macht bei 13 Gehältern 11'500/ respektive 7'700 pro Monat. Ich nehme mal nicht an, dass am Theater Schwerin irgendeiner der festen Schauspieler über 3000 im Monat verdient. Lassen sie mich mal schätzen- der Schnitt liegt so bei 2'300?
Ich finde, bevor jede Sparte fünf Mitarbeiter einbüßt, sollten die Gehälter dieser "Leitungsebene" offengelegt und diskutiert werden. Dass man diese nur schwer kürzen kann, ist mir klar. Aber vielleicht ist die Frage, ob ein G.I. das Fünffache und Spartenleiter wirklich das Dreifache der Repräsentanten und Leistungsträger eines Hauses (die Schauspieler) verdienen sollten, auch mal Gegenstand einer Analyse von PriceWaterhouseCooper? Ich fände jedenfalls eine stärkere Umverteilung hin zu denen die mit ihrer Person jeden Abend dem Theater ein Gesicht und eine Stimme geben, sinnvoll.
Vielleicht tut's 'ne Premiere weniger pro Sparte auch?
Zitat: "keine Angst für die Solisten (Schauspieler, Sänger, Tänzer, Assistenten, Dramaturgen etc) würde sich auch nichts ändern. Denn für diese Berufsgruppen heißt die Bindung an den NV-Bühne finanziell gar nichts (nur die Mindestgage im Festengagement darf nicht unterschritten werden). Eventuell bekämen die Theater allerdings wieder die Möglichkeit die Solisten BESSER zu bezahlen als bisher."
Das stimmt nicht. Auch für Solistinnen und Solisten hat die Tarifbindung an den NV Bühne entscheidende Bedeutung. Um jetzt keine unendlichen Tarifvertrag-Erläuterungs-Romane zu schreiben, vielleicht nur soviel als Beispiel: Im NV Bühne - der im Übrigen auch für Chormitglieder gilt - nehmen Solisten selbstverständlich an tariflich vereinbarten Gagenerhöhungen teil. Wie zuletzt im April 2011 (siehe: http://www.buehnengenossenschaft.de/recht/normalvertrag-buehne-recht ).
In Berlin mussten alle Kolleginnen und Kollegen jahrelang auf tariflich vereinbarte Gagenerhöhungen verzichten, da das Land Berlin aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten war.
Und dort wurden die Solisten NICHT plötzlich BESSER bezahlt.
Wer mehr zu den Auswirkungen einer Abkopplung von der Tarifbindung wissen will: http://www.buehnengenossenschaft.de/leitartikel-augustseptember-2010