Murmel Murmel - Der Shorty zum Theatertreffen 2013
Sinn unterliegt Sinnlichkeit
von Nikolaus Merck
Berlin, 5. Mai 2013. Er hatte es noch einmal betont, kurz vor dem Theatertreffen: Bloß keinen Sinn auf der Bühne will uns Herbert, Herbert Fritsch, der Jungregisseur, he he he, wie man ihn derzeit witzisch ruft. "Murmel Murmel" bietet gewiss keinen Sinn im herkömmlichen Sinn.
Es bietet die Vollendung der Fritschschen Formlust. Wir sehen Individuen in DDR-Hütchen-Chic, 60er-Jahre-Karo und -Nadelstreif gekleidet, mit einem gemeinsamen Wort im Munde, das jeder spricht auf seine ihm eigene Weise. Die hysterische Brüllerin mit der Mähne, der dickliche Erlöser und Kick-Geber, der Eiferer, der Augenverdreher mit dem Spagat-Tick, der Schulterrucker und Anzug-zurecht-Zuppler (das Können der Schauspieler von Herbert Fritsch is' a Woahnsinn!). Wir sehen, wenn die einfarbigen Begrenzungsblenden zu Ingo Günthers Marimbaphon ins Laufen kommen, die Entindividualisierung dieser matt ausgeprägten Subjekte, sehen die Verwandlung der Leiber in Dinge, die eine Komposition der Bewegung aufführen. Es führen die anfangs noch vielen kleinen Geschichten, das Anknurren, Auffahrende, das gesungene "Murmel Murmel", das Gequetschte, Gekiekste in die pure vollendete Form. Wir sehen und hören, was Theater ausmacht. Hier einmal nicht überdeckt von der krampfhaften Mithörerei der Wortbedeutungen, hier einmal treten Klangfarbe, Haltung, Modulation, alle Sprechmittel hervor, die der Bedeutung der Worte sonst die Bedeutung verleihen.
Und weiter geht's. Nach der Austreibung von buchstäblicher Bedeutung nimmt Fritsch auch die Restindividualität der SchauspielerInnen und ihrer Figuren zurück. Die Leiber werden in zwei großen Umkleide-Aktionen hinter dem grünen Hänger zunächst uniformiert – in bunten Tütüs werden sie den mondrianesken Hängern farblich, in ihrem Wallen und eurhythmischen Wägen dem furiosen Soffittenballett auch bewegungsmäßig angeglichen. Zuletzt erscheint die Truppe einheitlich als Varieté-Reihe mit Melodika und Grock-Maske. Der grüne Hänger hinten senkt sich herab, es bleiben Beine und Unterleiber, das Sinnliche triumphiert über den Sinn. Das Ballett der Dinge vollendet sich im kopflosen Bild.
Berlin hat "Murmel Murmel" schon bejubelt, die Kritiker jubelten, nun jubelt, verhalten erst, doch dann fröhlich und ausdauernd auch das Theatertreffen-Publikum. Unser Herbert, he he he, in Blau, mit offenem Hemdkragen, gebräunt und unerhört gut aussehend beim Alleingang auf der Bühne von hinten an die Rampe ganz vorne nimmt den Applaus als wohl gelaunter Souverän entgegen. Ein Wonnentag für ihn.
Hier geht es zur Nachtkritik der Premiere von Murmel Murmel an der Berliner Volksbühne.
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"Tir'd with all these, for restful death I cry..." (Shakespeare, Sonett 66)
was halten Sie vom Dadaismus?
Was halten Sie von der Commedia dell'arte?
Was halten Sie von Charlie Chaplins "Sauerkraut"-Rede als "Großer Diktator"?
Was halten Sie von der Schauspiel-Lehrmethode, Satzmelodien auf "Trallala" so zu formen, dass sie einen Befehl, eine Frage, ein Selbstbekenntnis oder einen Wutschrei ausdrücken können?
Davon kann man nur etwas " halten " wenn man weiß was das ist .
Das setzt eine Form von Sinnlichkeit voraus , die in einer gewissen Phase der theatergeschichte dem intelektualismus geopfert wurde . Das ist eine andere Generation . Lassen sie die in Ruhe !
Die halten uns alle eh für blöd . Ist vielleicht besser so . Alles vergeht .
Gruß
Claus
Wie können Sie nur? "Bomben auf Monte Carlo" überdeckt überhaupt nicht die Gewalt der deutschen Gesellschaft von 1931/32. Die Sehnsucht nach dem starken Mann wird aufgenommen und, in diesem einen kurzen historischen Moment noch, auf die Schippe genommen. Der Revue-Darsteller Hans Albers als Kapitän, als Führer in spe. Schauen Sie noch einmal genauer hin.
Und zu behaupten, Murmel entspreche der "ästhetischen und intellektuellen Dummheit, die einem jeden Tag aus allen Kanälen entgegen schreit" ist einfach nicht zutreffend. Es verfehlt schon allein die höchst genaue Körper- und Sprach(Geräusch)arbeit, von allem anderen zu schweigen.
@Steckel
Es gibt, verehrter FPS, keinen Grund "all dessen" müd' zu sein. Es ist der Fritsch halt in meinen Augen ein wenn nicht Gegen-, so doch anderer Entwurf zum Literaturtheater, bei dem wir in der Tat, so ist es angelegt, ganz Ohr und weniger Aug' sein sollten. Ich will das aber, vielleicht war das missverständlich, überhaupt gar nicht gegeneinander ausspielen. Warum sollte einer auf Shakespeare verzichten wollen, nur weil er Fritsch auch goutiert? "For restful death I cry ..."? Darauf antworte ich mit Asterix und Obelix: "Wieso weint er? Ist er verliebt?"
Herzlich
Wär' nicht mein Liebchen hier, ich läg' im Sarg.
Shakespeare Sonett 66 (Übersetzung: Ulrich Erckenbrecht)
Aber das wollen wir doch nun wirklich nicht, Herr Steckel.
In welcher? Und wann und wem wurden die "T" und die "I" und das fehlende "l" geopfert?
Lieber nm - missverständlich ist gar kein Ausdruck!
Das tut mir leid !
Das Problem ist , dass alles Elitäre im Theater so unglaublich alt macht und all das relativiert mit dem man angetreten ist . Das Kindliche , Blöde , Naive eben nicht Durchdrungene .
Schwarze Klamotten sind halt ein bisschen Out .Aber keine Sorge . Das kommt wieder .
Alles vergeht .
Gruß
Claus
Lieber Herr Steckel,
wenn Sie die 1. Seite in Piscators "Politischem Theater" lesen oder die Narren-Lieder aus "Twelfth Night" oder Max Reinhardts Rede "Über den Schauspieler", werden Sie Antworten auf Ihre Frage finden.
Das klingt leider eklektisch oder bildungshuberisch. Ich kann nichts dafür, dass es in allen Zeiten Menschen gegeben hat, die den "Unsinn" gegen den "Sinn" verteidigten oder den "Körper" gegen den "Geist".
"Das bloß deklamatorisch Glänzende" (Otto Brahm)
was'n pathos für so einen abend. ich fand's nett, aber letztlich dann doch weit hinter den eigenen ansprüchen zurückgeblieben. malewitsch ist da eigentlich ganz gut als referenzpunkt, auch zeitlich. lassen wir es auch magritte sein - also mehr als 50 jahre zu spät, wenn das bühnengeschehen auf der höhe der zeit sein will. eine mehr oder minder gelungene retroshow. nett, aber weiß gott nicht innovativ - datt is klassische moderne, die muß man nun wirklich nicht verkläre oder überhöhen.
ps und wo soll bei dem abend eigentlich ein risiko eingegangen worden sein...
bestimmt nicht mehrere abende lang erträglich..und mit der zeit, ja, langweilig, da so leicht durchschaubar..und emotional papieren.. aber so einmal dazwischen, wie esspapier, das nicht satt macht, aber so schön prickelt zwischen den zähnen...ganz okay...
es ist nur keine theaterinnovation, wie die inszenierung evtl behaupten will...aber wenn man das so läßt, wie es ist : ein etwas altbackenes theaterexperiment, konsequent durchgezogen (was ja schon mutig ist) : hut ab!!
Ist "Innovation" nicht auch eine schon etwas veraltete Vokabel aus dem bildungsbürgerlichen 19. Jahrhundert?
Mir scheint Fritsch HEUTE ein Solitär zu sein. Dass Geschichte sich in "Renaissancen" vollzieht, ist offenbar bei den EWIGNEUEN noch nicht durchgesickert.
P.S.: RENAISSANCE, nicht Wiederholung
(Er kam erst allein, sah echt gut aus, der Auftritt, dann mit Zwach und Günther - jnm)