Die letzten Zeugen - Shorty zum Projekt von Doron Rabinovici und Matthias Hartmann beim Berliner Theatertreffen 2014
Lebensleistungsbewegt
von Wolfgang Behrens
Berlin, 13. Mai 2014. Ich will ehrlich sein: Ich hätte diesen Abend lieber in einem anderen Rahmen erlebt. Nicht in dem des Theatertreffens. Denn natürlich ertappe ich mich dabei, wie ich hier – bei einem Festival, das noch immer als die Leistungsschau des Theaters im deutschsprachigen Raum gilt – nach den ästhetischen Qualitäten der Inszenierung suche, die ja zu den zehn bemerkenswertesten der Saison gehören soll. Doch Matthias Hartmann hat mit vier Schauspielern des Burgtheaters nicht viel mehr als eine Lesung mit Dias eingerichtet, eine Lesung in Anwesenheit derer, um deren Erinnerungen es hier geht. Sehr schlicht und kunstlos ist das. Und da, wo die Inszenierung doch ein wenig auf sich aufmerksam macht – wenn etwa eine in der Mitte der Bühne platzierte Frau in Großaufnahme Sätze aus den Erinnerungen auf einer Endlospapierrolle mitkalligraphiert –, da streift sie sogar schnell das Geschmäcklerische.
Doch Inszenierung ist an diesem Abend Nebensache. Es geht einzig und allein darum, den Geschichten dieser sechs Menschen zuzuhören, die da im hinteren Teil der Bühne sitzen, sowie der Geschichte einer während der Vorbereitung des Projekts bereits Verstorbenen. Wahre Geschichten von Entrechtung und Demütigung, von Verfolgung und Deportation, von Tod und Überleben in den Jahren nach 1938, nach dem Anschluss Österreichs an das Nazi-Reich. Und da die "Letzten Zeugen", nach denen dieser Abend heißt, ihre Erinnerungen – ca. 70 Jahre nach den ungeheuerlichen Vorgängen – nicht mehr lange durch ihre persönliche Präsenz werden beglaubigen können, ist jeder Moment, den man mit ihnen verbringt, wertvoll, jeder Moment mit Lucia Heilmann, Vilma Neuwirth, Suzanne-Lucienne Rabinovici, Marko Feingold, Rudolf Gelbard und Ari Rath (von Ceija Stojka bleiben ihr Bild und ihr Gesang).
Wenn am Ende jedes Erinnerungsstrangs der jeweilige Zeitzeuge nach vorne geführt wird und ein paar Worte ans Publikum richtet, dann wird die stille Bewegung im Raum zur fast körperhaften Erfahrung. Und wenn sich zum Schlussapplaus der ganze Saal spontan und geschlossen erhebt, um die Lebensleistung dieser Menschen zu ehren, dann wird schnell klar, dass das Theater genau der richtige Ort ist, um noch einmal möglichst vielen die persönliche, die durch die Kraft der realen Gegenwart geadelte Begegnung mit ihnen zu ermöglichen. Wenn aber das Theater der richtige Ort ist, warum nicht auch das Theatertreffen?
Die Nachtkritik der Wiener Premiere von Die letzten Zeugen im Oktober 2013.
Unsere Theatertreffen-Festivalübersicht mit Nachtkritiken und Kritikenrundschauen zu allen Premieren sowie Shorties zu den TT-Gastspielen.
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Das Theater ist meines Erachtens einer der größten öffentlichen Räume, in dem man die Anwesenheit von anderen Menschen erfahren kann, ohne dass eine gewisse Intimität oder Intensität der Begegnung verloren geht. Will sagen: im Kino fehlt die reale Präsenz, im Stadion mit 80.000 Zuschauern die Intimität/Intensität. Was der Abend "Die letzte Zeugen" leistet, haben ähnlich auch schon viele Abende in Literaturbuchhandlungen oder in Schulen oder an anderen Orten geleistet. Aber das Theater zielt eben auf eine größere Öffentlichkeit, in der dann momentweise so etwas wie eine große Kollektiverfahrung entstehen kann. Die Stille beispielsweise beim Verlassen des Zuschauersaals gestern war überaus ungewöhnlich. Solche Erfahrungen zu ermöglichen, dafür ist das Theater der richtige (oder, defensiver formuliert: ein richtiger) Ort. Und warum dann nicht auch das Theatertreffen?
- bzgl. der Lebensleistung enmpfehle ich ihnen nun den Text noch einmal zu lesen.
- Von welchen Mitteln der Repräsentation reden Sie überhaupt? Und in welcher Art und Weise sind diese für sie hinterfragenswert? Das müssten Sie schon genauer ausführen - sonst bleibt das ein etwas verquaster Vorwurf, der alles und nichts heißen kann.
- "Lebensleistung": Keine Angst, das habe ich schon gelesen; aber es steht eindeutig, dass der Applaus (!) offenbar als Ehrung gedacht war - und das werden Sie einem Publikum schwerlich absprechen können. Das bezog sich ja dezidiert nicht auf die Aufführung selbst, sondern eben auf die Reaktion der Zuschauer. Genauer lesen.
Und ganz konkret ginge es doch darum, welche in der konkreten Inszenierung verwendeten Mittel Sie hinterfragenswert finden - das Lesen der Geschichten durch Schauspieler, die Ergänzung durch Bilder, das Aufschreiben der Geschichten auf einem langen Blatt papier? Was daran wurde ihrer Meinung nach unreflektiert verwendet, und inwieweit hat das die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Abend gestört; also wo hätten Sie ihre Kritik konkret eingehakt?
So bleibt das ein allgemeines Geraune, das keine Diskussionsgrundlage ist, sondern nur ein nichtssagendes Nörgeln.
Eine andere Frage ist es aber doch wohl schon, ob dieser Abend auch zum Theatertreffen gehört. Ist die Inszenierung qua Theater so bemerkenswert, dass sie es verdient hat, hier zu laufen? Und das ist eine Frage, die man m. E. eigentlich nur formal beantworten kann -- da kann es doch dann nicht mehr nur um Inhalt und politischen oder moralischen Anspruch gehen.
Komplette Kritik: http://stagescreen.wordpress.com/2014/05/16/zeugnis-geben/