Bound to hurt - Beim Sommerfest auf Kampnagel zeigen Douglas Gordon und Philip Venables die leidende Frau
Monumente der Einsamkeit
von Alexander Kohlmann
Hamburg, 6. August 2015. Eine Frau liegt unter einem riesigen Bettlaken in der Mitte der Bühne, leere Flaschen stehen drum herum, Kerzen flackern. Es ist finstere Nacht, die Stunden, in denen jene Dämonen kommen, die die Helden der Popmusik immer wieder besungen haben.
"Als größte Eventbude des Sommers" bezeichnet sich das diesjährige Internationale Kampnagel-Sommerfestival selbst. Und nach einem überraschend gepflegten Auftakt mit dem Choreografie-Klassiker Available Light versprach die zweite große Premiere echten Budenzauber. Was für eine Aufstellung: Der anarchische, schottische Allround-Künstler Douglas Gordon trifft auf die leidenschaftlichsten Vertreter der Popkultur. Klangvolle Namen waren angekündigt, allesamt Künstler, deren Songs überquellen vor düsterer Leidenschaft: Throbbing Gristles “Almost a Kiss”, Madonnas “Oh Father”, Jacques Brels “Next!”, Eminems “Crazy in Love” – schon beim Lesen der Texte wird einem schwindelig.
Hinter der Bettwäsche die Finsternis
In der Kampnagel-Vorhalle lodert vor der Uraufführung ein brennender Flügel auf riesigen Leinwänden. Gordon hatte ihn für seine Installation "The End of Civilisation" 2012 angezündet, auf der Grenze zwischen dem einstigen Römischen Reich und dem heutigen Schottland. Jetzt zeigen Videoprojektionen, wie dieses Monument der Hochkultur in einem radikalen Vernichtungsakt den Flammen geopfert wird – und fragen uns, wie erst die Lyrics der Popbarden diesen radikalen Künstler anfachen werden. Beim Eingang in die Halle werden uns auch noch Ohr-Stöpsel überreicht. Ein wenig mulmig wird einem jetzt schon: Douglas Gordon, war das nicht der Wahnsinnige mit der Axt?
Die maximale Erwartungshaltung verpufft. Übrig bleibt ein visuell ziemliches überflüssiges, lauwarmes Etwas. Ruth Rosenfeld, die bereits unter Frank Castorf und Herbert Fritsch gezeigt hat, zu was für Eskapaden sie fähig ist, verharrt den gesamten, knapp einstündigen Abend in der Pose der leidenden Frau in der Nacht. Mal suhlt sie sich unter dem Laken und leuchtet mit der Taschenlampe durch die Bettwäsche in die Finsternis. Mal betet sie den Mond an, der als rundes Verfolgerlicht an der Rückwand der Halle erscheint. Über ihrem Lager funkelt eine Art bizarrer Weihnachtsbaum, von der Decke herunter hängt das verschlungene Knäuel mit vielen bunten Lampen.
Nach innen spielen
Die Popsongs erkennt nur, wer wirklich gut mit den englischen Texten und Melodien vertraut ist. Trotzdem, der Klangteppich, den der britische Star-Komponist Philip Venables gespannt hat, ist der faszinierendere Teil des Abends. Die Mischung von klassischen Klängen des kleinen Orchesters am Bühnenrand und die Aus- und Höhenflüge in die Pop-Geschichte faszinieren – und finden gemeinsam mit Ruth Rosenfelds klarer Stimme immer wieder zu berührenden Monumenten der Einsamkeit. Augenblicke sind das, die aber in der Dauer-Beschallung wie alle extremen audiovisuellen Reize an Wirkung verlieren.
Das liegt sicherlich auch daran, dass die Schauspielerin wie in ein Korsett gezwängt erscheint. Sie kann den extremen Emotionen körperlich keinen Ausruck verleihen, darf nicht loslassen und sich dem Wahnsinn hingeben, der diesem Abend durchaus inne ist. Sie muss mit schmerzverzerrtem Gesicht nach innen spielen, kann die ungeheure Spannung, die der Körper ausstrahlt, zu selten aufbrechen lassen.
Das Wunder der zweiten Hand
Anders ein einsamer Trommler im Orchester. Der Mann trommelt nicht, sondern schlägt immer wieder minutenlang brachial mit der Faust auf sein Instrument ein, als wollte er es in seine Einzelteile zerlegen. Die körperliche Anstrengung und die enorme Aggression erzählen mehr über die existentielle Not, als das kunstvolle Geschehen vorne an der Bühne. Man wünscht sich mehr davon.
Ganz zum Schluss gelingt es Gordon doch noch, uns zu überraschen (wer diesen Moment sucht, sollte jetzt nicht weiterlesen). Eine zweite kleine Hand kommt plötzlich unter dem Laken zum Vorschein. Die einsame Frau war nie alleine: Aus dem zerknitterten Lager schält sich ein etwa dreizehn Jahre altes Mädchen. Wenn die beiden sich begegnen, ansehen, berühren und nonverbal miteinander kommunizieren, tun sich endlich assoziative Welten auf. Ist das eine Art jüngeres Ich, das junge unschuldige Mädchen, das dieses Nachtgespenst einst war? Jetzt könnte die Erzählung beginnen.
Bound to hurt
von Douglas Gordon/ Philip Venables
Regie und Design: Douglas Gordon, Musik: Philip Venables, Dramaturgie: Laura Berman, Regiemitarbeit: Jasmina Hadziahmetovic.
Mit: Ruth Rosenfeld, Saraa Sigrist, Ensemble Adapter (Gunnhildur Einarsdóttir, Matthias Engler, Kristjana Helgadóttir, Iñigo Giner Miranda, Ingólfur Vilhjálmsson, Johannes Pennetzdorfer)
Dauer: 1 Stunde, keine Pause
www.kampnagel.de
In "Bound to Hurt" öffne sich "ein Angstraum", werde "in gut dosierten Pausen aber auch wieder geschlossen", schreibt ein*e auf der Webpräsenz der Welt (Zugriff 8.8.2015) nicht namentlich genannte Autor*in. So sei "Bound to Hurt" "tatsächlich mit einer visuellen und akustischen Horrordusche à la Hitchcock vergleichbar: Eine gruselige Collage aus intensiven Schreckmomenten, die vorbeirauschen und ein beklemmendes Gefühl hinterlassen."
Einen "düster-poetischen Glanzpunkt" hat Annette Stiekele für das Hamburger Abendblatt (8.8.2015) erlebt. Der Abend entfalte "einen fast somnambulen Reiz mit stark berührenden Momenten, wenn sich Rosenberg im Funzellicht Trost spendender Weinflaschen in ein Bettlaken am Boden hüllt. Singend und rezitierend wandelt sie sich zur Schmerzensfrau, die alle Aggregatzustände von Begehren und Gewalt durchlebt." Der "episodische Charakter des Abends" berge zwar "die Gefahr der Beliebigkeit, doch die Akteure drehen die Schmerzschraube stets gekonnt eine Umdrehung weiter."
Der schottische Kunststar Douglas Gordon habe mit "Bound to Hurt" vor allem ein Ungleichgewicht zwischen Musik und Regie inszeniert, findet Till Briegleb in der Süddeutschen Zeitung (11.8.2015). "Während die von Gordons Musik-Partner Philip Venables als Avantgardeverfremdung arrangierten Popsongs brachial, aber eindrücklich von dem Erwachsenwerden der Hörgewohnheiten erzählen, muss die singende Schauspielerin Ruth Rosenfeld pathetisches Liebesleid, in Bettlaken gehüllt aufführen", etwa mit Eminems Hit "Kim", "um in gequälter Manier ein Gefühl auszudrücken, das von der Musik in vielfach stärkeren Atmosphären erreicht wird". Diese "Beschränkung auf eine einzige emotionale Inszenierungsformel" wirke "leider wie ungares Beiwerk aus Kunst-Depressionen".
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