Presseschau vom 15. Dezember 2015 – Dieter Dorn im Interview mit der Berliner Morgenpost
"Theater ist nicht dazu da, aktuelle Phänomene abzubilden"
"Theater ist nicht dazu da, aktuelle Phänomene abzubilden"
15. Dezember 2015. Anlässlich seiner Inszenierung von La Traviata, die an der Berliner Staatsoper Premiere hat, spricht Dieter Dorn im Interview mit der Berliner Morgenpost über Oper, Theater und auch darüber, ob sich Theater nicht lieber aus der Tagespolitik heraushalten sollte.
"Unser europäisches Theater beruht nach wie vor auf dem antiken griechischen Theater. Die großen Autoren der damaligen Polis sind immer noch die Beispielgeber für heutige Autoren", holt Dieter Dorn im Interview mit Volker Blech in der Berliner Morgenpost (15.12.2015) aus. Und bei denen "ging es nie um den jeweiligen Tag, sondern um die Fragen, wo etwas herkommt und was es bedeutet".
Auf die Frage, ob sich Theater aus der Tagespolitik heraushalten sollte, antwortet Dorn zwar mit "Nein", aber relativiert sofort, dass es auch schlecht beraten sei, sich tagespolitischen Themen auszuliefern. Denn: "Das Theater verfügt über ein ganz anderes Instrumentarium. Es ist nicht dazu da, aktuelle Phänomene abzubilden, sondern sie und ihre Ursachen sinnlich erfahrbar zu machen."
Das heißt für ihn bei der Beschäftigung mit Themen rechter Gewalt und Flüchtlingen: "Es gibt ungeheuer gute Schauspieltexte, in denen die Themen Flüchtlinge, aber auch Gewalt, Rassismus und Nationalismus anhand von Geschichten behandelt werden. Das ist etwas anderes, als die Zeitung, das Internet oder das Fernsehen auf der Bühne zu reproduzieren." Brecht habe in seiner "Mutter Courage" Ende der 30er-Jahre über Menschen im 30-jährigen Krieg geschrieben und nicht über den aktuellen. "Und alle wussten, worum es ging." Das Theater sollte das tun, was andere nicht können. Deswegen sei er auch dagegen, Video und Fernsehen in Inszenierungen hineinzuzwingen. Da werde nur der Technik anderer Medien hinterher gelaufen, und man bleibe trotzdem zweite Liga. "Theater ist der leere Raum und der spielende Mensch vor Menschen. Und für mich gehört auch dazu, dass der Mensch nicht einfach so in Gut und Böse eingeteilt wird."
(sik)
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