Presseschau vom 1. Februar 2016 - Simon Strauss berichtet in der FAZ über die Berliner Konferenzen der Dramaturgischen Gesellschaft und der AdK
Genug mit der Politikberatung
1. Februar 2016. Liegt ein Problem des Theaters in der "ungeschulten Empfindlichkeit vieler Theaterleute gegenüber der idealistischen Sendungskraft ihres eigenen Mediums?" Das und anderes überlegt Simon Strauss in der FAZ in seinem Text über die Berliner Konferenzen der Dramaturgischen Gesellschaft und der AdK, die beide über die desolate Lage des deutschen Theaters beraten haben.
"Woher rührt im Moment bei Theaterleuten das tiefe Bedürfnis nach moralischer Hyperhygiene? Wo ist die Neugier geblieben, die Sehnsucht nach Gefahr, Provokation und Auseinandersetzung?", fragt Simon Strauss in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Theater war doch immer dann am stärksten, wenn es sich nicht an tagespolitische Reinheitsgebote gehalten hat, "wenn es wüst und unberechenbar war, angriffslustig und widerständig. Und nicht nur demütig wiedergegeben hat, was auf den verschiedenen Kanzeln im Land sowieso schon gepredigt wurde." Es fehle, so Strauss über seinen Besuch der Konferenz "Was soll Theater?" an der Berliner Akademie der Künste, "zumindest so der Eindruck an diesem Abend, der Mut zur Eigenart, zum selbstbewussten Bekenntnis: Was kann Theater, was andere nicht können, wo liegt seine besondere Kraft im Vergleich zur bildenden Kunst, zu den beliebten Serien?"
Am Ende liefere dann der Gastgeber selbst noch den eindrücklichsten Redebeitrag. Das Theater sei im Moment von einer "Krise der Empathie" befallen, diagnostiziert Ulrich Matthes in der Schlussrunde, es fehlten Inszenierungen, die berühren, den Zuschauern an Herz und Seele gehen wollen. Es brauche wieder mehr Gefühlspotential, mehr emotionale Anstiftung.
"Sein leidenschaftlich vorgetragenes Plädoyer geht einem nach. Auch als man knapp eine Woche später bei der nächsten Theaterkonferenz sitzt", organisiert von der Dramaturgischen Gesellschaft aus Anlass ihres sechzigjährigen Bestehens. Etliche Theatermacher seien zusammengekommen, um sich über "virulente Themen der zeitgenössischen dramaturgischen Berufspraxis" auszutauschen und damit "einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Positionsbestimmung des Theaters" zu leisten, wie es in der Ankündigung heißt.
"Handfeste Politikberatung", bedeutet das vor allem für jemanden wie André Leipold, Mitglied des "Zentrum(s) für politische Schönheit". Für Strauss spiegele sich darin "der auf der Konferenz vorherrschende rüde-zynische Umgang mit dem wider, was ursprünglich einmal als wertvollste Währung der Branche galt. Im Grunde gilt 'Kunst' hier nämlich nur noch als vertrocknetes Efeublatt, das die glänzende Scham der Tagespolitik nicht mehr verdecken kann und soll." Was vordergründig nach Emanzipation klinge, bedeutet letztlich nichts anderes als Profanisierung und Distinktionsverlust.
Wenigstens einer ruft dann doch noch: "Beschreibungsimpotenz". Lukas Bärfuss, Autor und Dramaturg aus Zürich, geißele die Vorstellung eines unmittelbar "politischen Theaters" energisch als Ausgeburt eines "zweckrational-profitorientierten" Gewinndenkens. "Die große Kraft des Theaters liege doch gerade darin, keine vorgefertigten Erwartungen zu erfüllen, andere Zielsetzungen zu verfolgen als die, die 'da draußen' gelten würden. Nach dem Grundsätzlichen zu suchen, dem, was sich immer gleich bleibt, müsse heute die Losung sein – 'Im Anachronistischen ist das eigentlich Politische versteckt', ruft Bärfuss dem ungläubigen Publikum zu. Das scheint nicht empfänglich zu sein für seine Botschaft."
Strauss' Fazit: Das Problem liege in der "ungeschulten Empfindlichkeit" vieler Theaterleute gegenüber der idealistischen Sendungskraft ihres eigenen Mediums. Gepaart mit einem übertriebenen Zutrauen in ihre Arbeitsstätte als besonders prädestinierte soziale Institution.
(sik)
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