Das Festival Impulse oder Wer das freie Theater fördert, investiert in die Zukunft des Theaters
15 Versuche für die Zukunft des Theaters – 15 Impulse Festivals
von Matthias von Hartz und Tom Stromberg
Nordrhein-Westfalen, 24. November 2009. "Fördern was es schwer hat", war der Leitsatz des Gründers und langjährigen Leiters des Impulse-Festivals Dietmar N. Schmidt. So achtzigerjahremäßig dieser Satz anmuten mag, ist er heute noch so gültig wie damals. Und das, obwohl nicht nur die wichtigsten ästhetischen Neuentwicklungen aus der freien Szene gekommen sind, sondern auch die interessantesten Regisseure. Impulse-Entdeckungen haben es seit 1990 in einer unglaublichen Erfolgsgeschichte an die Spitze mehrerer Stadt- und Staatstheater geschafft – Barbara Frey in Zürich, René Pollesch im Prater der Berliner Volksbühne, Jan Jochymski in Magdeburg oder Sebastian Hartmann in Leipzig.
Deswegen ist jede einzelne Ausgabe dieses Festivals stets auch ein Versuch über die Zukunft des Theaters gewesen. Dennoch bleibt die Situation prekär. Theater jenseits der Stadttheater ist noch immer skandalös schlecht finanziert und medial unterrepräsentiert. Das Festival "Impulse" ist eine der wenigen Gelegenheiten, die Kreativität der Szene einmal gebündelt zu sehen.
Nicht Institutionen, Künstler sollt Ihr fördern!
Eine Legende besagt, die gesamte Förderung für freies Theater in Deutschland sei etwa so hoch, wie die Förderung des Stadttheaters Regensburg. Selbst wenn das im Detail nicht stimmen mag, beleuchtet es doch das Phänomen, oder vielmehr ein Systemproblem, das eine Konsequenz der deutschen Vorliebe ist, nicht Kunst und Künstler zu fördern sondern Institutionen.
Einige andere europäische Länder machen das genau umgekehrt. So ist es kein Zufall, dass mit Künstlern wie Jan Lauwers und Johan Simons zwei der international wichtigsten Regisseure aus den Niederlanden oder Belgien kommen. Denn dort konnten sie über Jahre gemeinsam mit ihren künstlerischen Kollaborateuren ihre Sprache entwickeln, weil sie als Künstler gefördert wurden, um ihre Kunst zu entwickeln und nicht, um eine Institution zu befüllen.
Das gelingt im deutschen Stadttheater immer nur denjenigen, die als Hausregisseure ihr Team mit engagieren können. Alle anderen sind darauf angewiesen, in einer überschaubaren Probenzeit an jedem Ort neu im Ensemble Verbündete zu finden.
Dafür gibt es viele gute Gründe, aber mit Sicherheit ist das für Regisseure wie Schauspieler Kräfte zehrend, und führt zu anderen Ergebnissen. Trotzdem kann sich bisher hierzulande niemand ein anderes System vorstellen. Im Stadttheater von Antwerpen arbeitet Guy Cassiers seit einigen Jahren mit einem festen Ensemble, das nicht nur aus Schauspielern, sondern aus Künstlern unterschiedlicher Sparten besteht. Das Haus ist mit diesem Modell international spektakulär erfolgreich. Dennoch haben sich selbst die mutigeren der deutschen Kulturpolitiker noch nicht dazu durchringen können, ein solches Modell auch hier zu initiieren.
Mangel an Innovation im Stadttheatersystem
Die Leistungen und vor allem das Niveau des deutschsprachigen Stadttheaters sind weltweit unbestritten. Aber mit zunehmender Dringlichkeit stellt sich die Frage, warum das System in all seiner Fülle nur begrenzt in der Lage ist, interessanten Nachwuchs zu produzieren, aus sich selbst heraus ästhetische Impulse zu generieren, kurz: zur Zukunft des Mediums einen angemessenen Beitrag zu leisten. Das wird Häusern wie Kampnagel, dem HAU, dem FFT oder dem Mousonturm mit ihren viel zu kleinen Budgets überlassen
Nun mag man sagen, Innovation kommt immer von der Peripherie, weshalb dies kein allzu dringliches Problem der Künstler ist, die den Sprung ins System machen. Aber es bleibt ein Problem für diejenigen, die diesen Sprung gar nicht wollen, weil für sie die Arbeitsweise im Repertoire- und Ensemblebetrieb nicht funktioniert. Denn all jene Künstler, die kollektiv produzieren, nicht mit professionellen Schauspielern arbeiten oder andere Produktionsformen bevorzugen, um ihre Interessen und Themen zu realisieren, fallen tendenziell durch die Raster dieses institutionsgebundenenen Fördersystems. Und das ist nicht nur ein Problem für sie persönlich, sondern auch für das Theater an sich.
Was mag uns an Innovationen, Themen und großen künstlerischen Momenten verloren gegangen sein, weil mittlerweile die Spezialisierung unseres reichen Theatersystems so weit fortgeschritten ist, dass Innovationen nur noch unter ganz erheblichen Reibungsverlusten entstehen oder eingekauft werden müssen? Manche viel versprechende Karriere konnte man in den letzten Jahren stagnieren sehen, weil die freien Budgets auch für talentierte und erfolgreiche Künstler einfach nicht wachsen und der Schritt ins Stadttheater aus unterschiedlichsten Gründen nicht stattgefunden hat. Doch Wachstum ist jenseits des Stadttheatersystems nur durch Internationalisierung möglich. In Deutschland ist auch dies nicht vorgesehen.
Eigensinn und widrige Produktionsverhältnisse
Die prominentesten Erfolgsgeschichten von René Pollesch oder auch Rimini Protokoll innerhalb dieses Systems sind da leider keine echten Gegenbeispiele. Denn bei genauem Hinsehen ist deren Weg eher ein Beleg für die beschriebene Problematik. Nur weil einzelne wenige verrückte Intendanten (vier, um genau zu sein) den Mut und die Geduld hatten, diesen Künstlern über längere Zeit die Produktionsbedingungen zu ermöglichen, die sie brauchten, haben diese Künstler mit ihren Arbeiten die Qualität und Sichtbarkeit erreichen können, durch die sie dann auch für andere "engagierbar" wurden. Noch über Jahre mussten sowohl Pollesch als auch Rimini Protokoll dennoch ständig aufs Neue mühsam ihre Produktionsbedingungen an den Theatern durchsetzen: "Nein, sehr freundlicher Vorschlag, aber es interessiert mich immer noch nicht, endlich mal einen Klassiker zu machen. Nein, es ist für uns auch heute noch nicht das Wichtigste, mit den Stars des Ensembles zu arbeiten."
Klar, gibt es auch im Stadttheater immer wieder Projekte, Filmdramatisierungen etc. Aber im Kern bleibt der Betrieb spezialisiert auf das Produzieren von Dramen mit einem Ensemble im Sechs-Wochen-Rhythmus. Weder Theaterabende mit Experten oder Serien, noch ortsspezifische Inszenierungen oder Langzeit-Projekte entstehen da ohne Kampf – wohlgemerkt ein Kampf mit Strukturen, nicht mit Inhalten oder gar der Kunst, also in Auseinandersetzungen von mäßiger Produktivität.
Wenn heute ein Künstlerduo wie Monika Gintersdorfer und Knut Klaßen ihr Theater erkennbar ganz zentral aus der Arbeit mit Performern von der Elfenbeinküste speisen, versteht man einfach nicht, wie sich Intendanten wünschen können, man möge mit ihren Schauspielern "auch sowas machen".
Wenn Hans-Werner Kroesinger für seine dokumentarischen Theaterabende monatelang politische Ereignisse der jüngsten Vergangenheit durchleuchtet, dann macht es wenig Sinn, von ihm eine Arbeit mit Ensemblemitgliedern in vier Wochen zu wollen. Das ließe sich für viele der Künstler des diesjährigen Festivals ähnlich formulieren. Zusammengefasst: wenn diese Künstler an ihrem Theater arbeiten, dann arbeiten sie daran, mit diesem schönen alten Medium angemessen auf die Gegenwart zu reagieren – und möglicherweise auch etwas für die Zukunft zu entwickeln.
Verlust an ästhetischer und gesellschaftlicher Relevanz
Vielleicht muss es noch einmal explizit gesagt werden: Wer versucht, Kunst an die Notwendigkeiten von Institutionen anzupassen, arbeitet im besten Fall am Überleben der Institution. Das ist aus vielen Gründen nachvollziehbar und ehrenwert, nur mit der Weiterentwicklung von Kunst hat das in der Regel wenig zu tun. Theater hat in den letzten Jahrzehnten nicht nur an gesellschaftlicher Relevanz erheblich verloren, sondern (im Vergleich mit anderen Kunstgattungen) auch viel von seiner Fähigkeit, zum ästhetischen Diskurs beizutragen. Da gibt es einiges zu tun.
Wir wünschen uns, dass Künstler in Zukunft so gefördert werden, wie es die Entwicklung ihrer Kunst erfordert. Das mag immer wieder anders sein. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist es selten so, wie es Institutionen nahelegen, die man sich irgendwann ausgedacht hat.
Wir schlagen vor, eine Konzeptionsförderung für die darstellenden Künste einzuführen, auf überregionaler Ebene für herausragende Künstler Förderungsinstrumente jenseits der momentanen begrenzten kommunalen Maximalbudgets zu entwickeln und mindestens ein größeres Haus unserer wahnsinnig dichten und reichen Theaterlandschaft nach dem Antwerpener Modell in einen flexibleres Theater umzustrukturieren.
Die Jury hat ihre Arbeit getan: Dreizehn freie Gruppen zeigen ab morgen ihr Theater in NRW. Wir sind zuversichtlich, dass wir in ein paar Jahren sehen werden, dass auch diese Ausgabe des Festivals wieder ein Versuch über die Zukunft des Theaters war.
Matthias von Hartz und Tom Stromberg sind seit 2007 die künstlerischen Leiter des Festivals Impulse.
www.festivalimpulse.de
Mehr über das Festival Impulse im nachtkritik-Archiv: Das 1990 gegründete Festival fand zuletzt im Jahr 2007 statt, und wurde von She She Pop eröffnet. Auch damals wurde auf der Abschlussveranstaltung schon selbstbewusst über die Wiedergeburt des Theaters aus dem Geist der freien Szene diskutiert. Die Preise des letzten Festivals gingen an Ivana Müller und Showcase Beat LeMot für Räuber Hotzenplotz. Die Puppenspieler von Das Helmi erhielten den Dietmar-N.-Schmidt-Preis.
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Denn die Thematik würde sich eignen für eine sehr differenzierte Diskussion. Strombergs und von Hartzens Text gibt einen guten Input. Man nickt mit dem Kopf und sagt: Genau, so ist's! Nur: Schöne Worte ändern leider nichts. Das Missverhältnis in der Subventionierung der Sparten ist das grundlegende Problem. Wenn man die Beseitigung des Armutsstatus der freien Szene ernsthaft angehen will, müsste man sich anlegen mit den gröberen Feinden des differnzierten und angriffigen Sprechtheaters. Mit den Grossbürgern, dem Adel, den Sponsoren. Diese Gruppen halten die Hände über die Oper und beschützen mit ihrem Einfluss den reichlichen Subventionsfluss. Fürs Sprechtheater bleibt natürlich auch noch was übrig. Das meiste dieses Rests fliesst dann in die Kassen der Staatstheater, wo die etwas weniger hochbegabten Sprösslinge der guten Familien ( die höher begabten sitzen in den Management der Banken oder dirigieren in der härteren Zone der Oper ) ihren Sandkasten haben, um ihre Visionen zu realisieren. Diese Staatstheater in Händen des Bürgertums fressen also den Rest des Wenigen, das nach den Fressorgien der Oper noch übrig bleibt für die darstellenden Künste. Die Brosamen gehen dann in die freie Szene.
Dass in dieser durch Geldflüsse klar definierten und dadurch hierarchisierten Theaterwelt die freien Szene nur den Status eines Castingsformats für die Stadttheater hat, ist logisch. Wenn sich etwas ändern sollte, müssten sich die Veranstalter mit den Künstlern solidarisieren und gemeinsam mobilisieren gegen das Ungleichgewicht der Subventionierung. Das zu machen, wäre aber dumm von den Veranstaltern. Denn dadurch würden sie das ganze Gefüge in Frage stellen, das auch für die Karrieren der Veranstalter massgeblich ist (und ihnen auch die Jobs ermöglicht hat, wurden sie ja selber von Systembewahrern des Bürgertums gewählt).
Den Veranstaltern und Betriebsmenschen bleibt dann nichts anderes übrig, als die Erfindung von selektionierenden Formaten, die sie dann "Impulse", "Freie Hunde", "Freischwimmer", "Politik im Freien Theater" oder "Hope and Glory" nennen. So bleibt am Ende der Hierarchiekette der austauschbare freie Szene Künstler, der seine Trauer und seine Müdigkeit und Desillusionierung über diese Castingformate in einem Blog rausschreit. Das mache ich hier nun nicht. MIR GEHT ES GUT, JA. SUPA. ECHT TOLL. Die einzige mögliche Befreiung aus dieser strammen Hierarchie wäre die Solidarisierung der Künstler und die inhaltliche Diskussion und vielleicht auch die eine oder andere Belagerung eines Theaterhauses. Aber sowas gibt es natürlich nicht.
Beim blöden Rumgrinsen in den Festivalzentren und beim Posen vor den Jurymitgliedern verbrutzelt es auch dem politischsten Hirn seine Sensibilität. THAT'S SHOWBUSINESS. Man soll sich nicht darüber beklagen! Ist schon klar. Wir alle machen mit. Aber beklagen tun wir uns dann eben doch immer wieder. Er wurmt halt schon, dieser Kreislauf des Wiederkäuens. In der gemeinsamen Solidarisierung gegen die bösartige Uebersubventionierung der Oper hätten wir zumindest sowas wie einen gemeinsamen Feind.
Ich persönlich meine aufrichtig, dass es im Moment mehr Spass machen würde, den zu bekämpfen als in Festivalzentren neidisch auf den Kollegen zu schielen, der einen Preis gewonnen hat.
das theater als bildungsanstalt gehört in jede größere stadt. damit der bürger auch weiß, was theater ist. verordnet werden dem bürger dann (je nach haus also stadt variierend) gradlinige steh- und sprechtheaterversionen, wie in meinem fall.
stil ist das neue wort. das stadttheater gibt einen stil vor, an dem der bildungsbürger seinen intellekt messen kann. sollte der bürger scheitern, so ist dies nicht so schlimm, da sich der stil alle paar jahre ändert. (ich weiß, manchmal ist das warten unerträglich)
stadttheater steht nicht mehr für vielfalt sondern für führungsstil. es wird zwar immer wieder über besucherzahlen gemeckert, letztlich wird halt solange geschummelt bis stil und stadttheater zusammenpassen. gezeigt und inszeniert wird ausschließlich was dem könig gefällt. sollte nicht bei einem stadttheater die stadt, das volk, der könig sein? ein breites angebot an unterschiedlichen stilrichtungen wäre wünschenswert, damit das stadttheater auch seine einigermaßen gesicherte finanzierung als bildungsanstalt verdient!
stattdessen bekommt man die vorlieben des theaterkönigs, meist intendant oder oberspielleiter genannt, jahr um jahr "aufs auge gedrückt" und hofft, das dieser oder jener weggelobt oder weggeworben wird. den theaterkönig interessiert weder sein volk noch sein theater - einzig sein geldbeutel bzw. seine karriere.
wenn der könig am stadttheater entthront werden würde, dann wäre das system stadttheater offener, kreativer, vielseitiger - und der neid und das dauergrinsen auf festivals wäre unnötig, da fast ein jeder dort hofft, einen thron oder zumindest einen titel am stadttheater zu erlangen. (von dem man sich zumindest eine zeitlang regelmäßig ernähren kann)
mit herzlichen grüßen aus chemnitz