Flirrender Schauspielstil

20. Januar 2011. Wenige Wochen vor ihrem 67. Geburtstag am 26. Februar ist am Sonntag die Schauspielerin und Regisseurin Ulrike Schloemer nach schwerer Krankheit gestorben. Sie gehörte zur westdeutschen Schauspielergeneration, die Ende der 1960er Jahre das bundesrepublikanische Theater revolutionierte.

1944 im brandenburgischen Beelitz geboren, war sie in den 1970er Jahren Mitglied des legendären Schaubühnenensembles um Peter Stein. Zu den Regisseuren, mit denen sie darüber hinaus gearbeitet hat, gehörten u.a. Klaus Michael Grüber, Frank-Patrick Steckel und Andrea Breth. In den 1990er Jahren begann Ulrike Schloemer, deren flirrender Schauspielsstil sie besonders für Aus-der-Welt-Gefallene prädestinierte, auch selbst zu inszenieren.

Berühmt wurde 1991 ihr Else-Lasker-Schüler-Soloabend "Was soll ich hier?", der am Schauspielhaus Bochum entstand, wo sie von 1986-1995 engagiert war. 1996 brachte Ulrike Schloemer in Wuppertal Hans Krasas Kinderoper "Brundibar" auf die Bühne. 2002 inszenierte sie dort auch Else Lasker-Schülers Schauspiel "Arthur Aronymus und seine Väter". In den letzten Jahren arbeitete sie freischaffend, u.a. am Deutschen Theater Berlin, dem Staatstheater Darmstadt und am Theater Dortmund. Ulrike Schloemer gehörte zu den Mitbegründern der internationalen Armin T. Wegner Gesellschaft (Wuppertal/Los Angeles).

(sle)

 

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Kommentare  
Ulrike Schloemer gestorben:
Kabale und Liebe, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit....
"Mein Odem schwebt über Gottes Fluss -
Ich setze leise meinen Fuss
Auf dem Pfad zum ewigen Heime." (Else Lasker-Schüler)
Ulrike Schloemer gestorben: gute Reise, Prinz von Theben
...was für ein Verlust...ich werde IMMEr an sie denken wennich im Foyer der Bochumer Kammerspiele bin,wo ihr genialer Lasker-Schüler abend stattfand...gute Reise,Prinz von Theben..
Ulrike Schloemer gestorben: mit den Zugvögeln fort
Hinter meinen Augen stehen Wasser,
Die muß ich alle weinen.
Immer möcht ich auffliegen,
Mit den Zugvögeln fort.
O ich bin so traurig ----
Das Gesicht im Mond weiß es.
Drum ist viel samtne Andacht
Und nahender Frühmorgen um mich.
Als an deinem steinernen Herzen
Meine Flügel brachen,
Fielen Amseln wie Trauerrosen
Hoch vom blauen Gebüsch.
Alles verhaltene Gezwitscher
Will wieder jubeln,
Und ich möchte auffliegen
Mit den Zugvögeln fort.

(Ein Lied, Else Lasker-Schüler)
Ulrike Schloemer gestorben: so intensiv
ich denke oft an die Tage rund um Deinen Geburtstag im Jahr 1990, an denen wir Elses Schreibschnipsel auf dem Fußboden Deiner Berliner Wohnung zu einem Theaterstück sortiert haben. Es schneite dicke Flocken und wir freuten uns auf die Arbeit. Dass dieser Abend "Was soll ich hier?" zu einem Deiner größten Erfolge wurde, ahnten wir natürlich noch nicht.
Dein Gerechtigkeitsgefühl war so intensiv, dass selbst ich darüber oft erschreckt bin. Du kanntest keine Grenzen. Wer oder was Dir am Herzen lag, hast Du verteidigt. Ohne Rücksicht auf Dich und Deine Gesundheit. Ich liebe Dich
Ulrike Schloemer ist tot: Du warst zugleich jung und alt
In aller Bescheidenheit warst Du eine der Größten: Eine lichte Zauberin, die keine Angst hatte, das Dunkle anzusehen. In der Liebe, auf der Bühne, im Leben. Für dich gab es keine Frage nach "Kompromissen" zwischen Tiefe und Leichtigkeit - du konntest beides zugleich! Genauso war "jung" oder "alt" keine Kategorie für Dich und Deine Kunst - Du warst immer beides! Dein Spiel und Deine Zuneigung war voller Wahrhaftigkeit, Humor und Ernst. Ich erinnere mich: Jedes Wort, jede Zeile, die Du gestaltet hast - für Dich, für die Sprache, für die Dichter und für Dein Publikum - war Dir Wochen intensivster Vorbereitung wert. "Mal eben" gab es mit Dir nicht!
Dein großes Herz und Deine wundervolle Stimme hast Du oft den Wesen gewidmet, die wenig gehört werden: Bäumen, Tieren, Kindern, Flüchtlingen und aus der Welt gefallenen oder gestoßenen Dichter/inn/en.
Nun bist Du selbst aufgebrochen aus dieser Welt. Dich hier zu erleben war wie fliegen lernen. Nun wünsch ich Dir Guten Flug,
liebste Ulrike
Ulrike Schloemer gestorben: wer auserwählt war
Für Ulrike Schloemer-Klan

Die Du

Die Du,
im Unklaren

Raum und,
wundersam gefühlt,
befreiend klare
Gewebe geschaffen;

die Du aus Trauer und
erfahrner Not
Leben, Freude und,
stark empfindend,
Nachdenken gestaltet;

die Du,
wer auserwählt war,
mit lieber, tiefer
Liebe gesegnet;
Du,
Besondere
Du

Petrus Klan
Ulrike Schloemer: entscheidende Inspiration
Eine Ausnahmeschauspielerin, ein grosser, zarter und warmherziger Mensch! - Du warst eine entscheidende Inspiration für all das, was mir in unserem Beruf begegnet ist!
Ulrike Schloemer: Verse vom Regenbogen
Zu Ulrike Schloemers „Flirrendem Schauspielstil“

Ohne Zweifel war Ulrike Schloemers Schauspielkunst von großem Talent und akribischem Fleiß geprägt. Aber was ihre Textbehandlung, ihre Figuren so einzigartig machten, sie unter anderem für kongeniale Else Lasker- Schüler-Interpretationen prädestinierten, war eine ganz außergewöhnliche Gabe: nämlich jene, die in dieser traurigen Meldung der „nachtkritik“ als „flirrender Schauspielstil“ bezeichnet wird.

Ohne diese Begabung wäre ihre besondere Anziehungskraft, die sie schon früh in der „Wupper“ als Amadeus (Staatstheater Wiesbaden 1978), später als die Dichterin in „Ich und Ich“ (Schauspielhaus Wuppertal 1980), und dann auf dem Höhepunkt ihrer schauspielerischen Laufbahn in ihrem Soloabend „Was soll ich hier“ und - wieder in der „Wupper“ - als Mutter Pius (Beides Schauspielhaus Bochum 1991 und 92) zeigte, nicht denkbar gewesen; um hier nur den Lasker-Schüler-Strang ihrer Arbeiten zu erwähnen.

Es war Ulrike Schloemers radikale Authentizität und der unbedingte Wille - und vor allem auch das Können - ihr ureigenes Gespür vom Ausgestoßenen, Verletzten, Andersartigen, ja Jenseitigen und Seligen in den Dienst einer Rolle, eines Textes zu stellen und für jeden im Theater unmittelbar erfahrbar zu machen. Sie hatte – um ein Bild zu bemühen – das Vermögen vom unendlich fernen Asgard über die Regenbogenbrücke zu ihrem Publikum hinüber zu tanzen, um ihm Nachricht von drüben in Gestalt eines einfachen Kinderliedes vorzusingen; auch wenn es mitunter ein verstörendes war. Dabei arbeitete sie ohne Netz und doppelten Boden, begab sich ungeschützt und verletzlich in den Probenprozess; und so misslang ihr auch bisweilen dieser gewaltige Brückenschlag unter den Anforderungen, welche die alltägliche Routine des Theaters, der Konkurrenzkampf, der Zeitgeist der Regie, der unerbittliche Markt und nicht zuletzt sie selbst an sich stellten; dann hatte sie – um im Bild zu bleiben - genug damit zu tun sich selbst am Regenbogen festzuklammern, um nicht zwischen die Welten zu stürzen; und gleichzeitig die wundersame Brücke, die Verbindung, für fernere Erzähl-Gelegenheiten fest zu halten. Meist aber konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, als könne sie einem bei ihren Auftritten noch irgendeine verborgene Pforte in der Welt, von der man eigentlich schon immer gewusst, deren Vorhandensein man aber ganz vergessen hatte, öffnen. Bisweilen wies sie einem mit einem verschmitzten Lächeln auch noch die ersten Schritte des Wegs. „Flirrend vom Regenbogen“ erzählte sie in ihrer eigenen sehnsuchtsvollen, manchmal abgründigen, öfter aber lichten und doch wieder ganz irdischen Sprache. Und mit dieser sehr ursprünglichen Begabung, die nicht einfach nur ein Geschenk war, sondern deren Erhaltung ihr in der hiesigen Realität eine unglaublich kraftraubende Verteidigung abverlangten, war sie den Ursprüngen des Theaters ganz nah; und diese Ursprünge sind es ja, auf die sich die Theaterschaffenden auch immer wieder zurückbesinnen sollten. Darum ist ihr Tod ein so schmerzlicher Verlust für die Bühne; und glücklich kann sich schätzen, wer die Schauspielerin Ulrike Schloemer in einer der Aufführungen am Schauspielhaus Bochum, an den Berliner Häusern, dem Staatstheater Wiesbaden, den Stadttheatern Köln, Dortmund, Wuppertal, oder an sonst einem der vielen Orte, in denen sie wirkte, erleben durfte; wenigstens aber einer ihrer Lesungen beiwohnen konnte, bei denen sie in Wuppertal noch bis wenige Wochen vor ihrem endgültigen Gehen ihre außergewöhnliche Gabe, ihr flirrendes Können unter Beweis stellte und Verse vom Regenbogen sang.
Ulrike Schloemer: Nur Ewigkeit ist kein Exil
...und so ist es kein "Zufall", dass der Regenbogen - über ihr und über mir - einer ihrer treuesten Begleiter blieb, bis sie ging: Das letzte Lied, welches Ulrike bei Bewusstsein hörte, war "Somewhere over the rainbow..." (!) -in ihrer Lieblingsversion von Judy Garland. Der "Goldene Topf" am Fuß des Regenbogens hat sie nie interessiert. Um so mehr aber das vergängliche Farbenspiel des Lichts, die unendliche Ausdehnung und das "Darüber-Hinaus".
"Nur Ewigkeit ist kein Exil" - diesen gewaltigen Satz von Else Lasker-Schüler hast Du uns wie selbstverständlich nahegebracht, Ulrike. Also - bis dann! Auf Wiedersehen in der Heimat über dem Regenbogen! "Und Immergrün schlingen wir um den Tod und geben ihm - Leben".
In Liebe Dein Mann
Ulrike Schloemer: ein Wiedersehen in der Heimat
leider ist für viele ewigkeit ein exil in unserer schnellen zeit, zeitgemäß

wie höre ich so gerne (und schon lange) immer wieder
somewhere over the rainbow (unvergessene Judy Garland!)

ein wiedersehen in der heimat über dem regenbogen! -
wie klingt es doch altmodisch, doch ebenso dauerhaft!
und immergrün schlingen wir um den tod und geben ihm - leben
wie sind diese worte doch tröstlich und hoffnungsfroh
in unserer zeit
da scheinbar alles in brüche geht
Ulrike Schloemer: immer wieder überrascht
"das Leben ist doch nur Urlaub - aber ein Urlaub wovon?" fragte Ulrike mich vor Jahrzehnten. Dieser Frage nachzugehen blieb bis zum Schluss ihr Anliegen: der Goldtopf am Ende des Regenbogens bedeutet schließlich nicht unbedingt materiellen Reichtum, sondern vor Allem seelischen. Endlich die Einheit finden von Geist, Seele und Körper - das ist der Goldene Topf am Ende des Regenbogens. Ich könnte mir vorstellen, dass Ulrike ihn vor ihrem Gehen doch gefunden hat. Sie hat mich immer wieder überrascht...
Ulrike Schloemer: Stärke und Zartheit
Stärke und Zartheit

Was mir in Erinnerung bleibt, sind Stärke und Zartheit, die sich bei Ulrike und ihrer Arbeit vereinigten. Ich hatte die wunderschöne Erfahrung, sie bei Probe und Aufführung mit ihrem Else Lasker-Schüler-Programm in Bochum erleben zu dürfen. Und ich weiß zwar nicht wie, aber ich bin mir sicher, Else und Ulrike haben sich gut gekannt...
Ulrike Schloemer: Erinnerung
Von 1965-1967 war Ulrike Schloemer Schülerin an der Fritz-Kirchhoff-Schule. Ich durfte mit ihr als junger Schauspiellehrer das Stück "Tiny Alice" von Edward Albee inszenieren. Ulrike Schloemer spielte die Alice. Sie war genial. Ich werde sie nie vergessen.
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