Presseschau vom 4. April 2013 - In der Zeit porträtiert Mounia Meiborg den Regisseur Antú Romero Nunes
Schwächen zu Stärken machen
4. April 2013. Am Samstag hat Antú Romero Nunes' neuer Abend N' Haufen Kohle am Maxim Gorki Theater Premiere, eine deutsch-mexikanische Koproduktion, die auf einem realen Bankraub in Argentinien basiert. Mounia Meiborg porträtiert den Regisseur in der Zeit, mit der schönen Schlagzeile: Nichts ist mehr authentisch – nur noch das Theater.
"Nur fünf Prozent der Deutschen, das hat er irgendwo gelesen, gehen ins Theater. Fünf Prozent! Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand FDP wählt, schwul ist oder keinen Job hat, ist höher", zitiert Mounia Meiborg Nunes, der Theater folglich nicht als "Regel, sondern als Ausnahme" sehe, "nicht als selbstverständlich, sondern als ziemlich kurios". Eigentlich sei für den Regisseur alles bestens. "Aber bei jeder neuen Arbeit denkt Nunes an die fünf Prozent – und vor allem: an die fehlenden 95 Prozent." Dann schaue er von außen auf den Betrieb, in dem er steckt, und frage sich etwa: "Wie kann eine junge Deutsche, die frisch von der Schauspielschule kommt, eine Griechin spielen, die vergewaltigt wurde und ihr Kind verloren hat? Wie soll ein Regisseur das inszenieren? Und warum sollte ein Zuschauer das glauben?"
Und deshalb habe Nunes die Aufgaben für alle Beteiligten neu definiert. "Der Regisseur und die Schauspieler sollen sich dem Stoff von ihrer eigenen Person aus nähern. Alles andere, sagt er, sei unehrlich." Der Umweg, die Probensituation, die Not als Schauspieler, Schwierigkeiten mit alten Texten, das werde bei Nunes zum Teil der Erzählung.
Anfangs boten ihm viele Intendanten Stücke von Dramatikern mit Migrationshintergrund an. "Nunes lehnte ab. Er suchte sich möglichst sperrige deutsche Autoren: Heinrich von Kleist, Tankred Dorst, Wolfram Lotz. Zum Abschluss seines Regie-Studiums an der Berliner Hochschule Ernst Busch inszenierte er Schillers Romanfragment Der Geisterseher, eine
Arbeit, die später am Gorki-Theater zu sehen war."
Nunes will, lesen wir, dass der Zuschauer starke Gefühle hat. Vor allem, weil das Theater ohnehin an vielen Schwächen leide, wie er findet, "der Film hat Schnitte, das Rockkonzert hat einen Star, der Zirkus hat einen Zauberer. Das Theater hat nur den Schauspieler, der eine Rolle spielt." Aus dieser Schwäche entwickle Nunes eine Stärke. (sik)
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Klingt auf den ersten Blick logisch, kommt mir auf den 2. aber wie ein 100-Meter-Läufer vor, der nach 50 m abbricht.
Jede Schauspielerin, die eine vergewaltigte Griechin spielt, bringt ihre eigene Persönlichkeit mit ein, egal, ob sie das zum Thema der Aufführung macht oder nicht. Die Frage ist nur, wie radikal man dabei vorgeht und wie weit man geht, um in das absolut Andere reinzukriechen und es in jener theatralen Weise zu "verstehen", die dem Theater eigen ist. Dass es nie zu Identität zwischen Darstellung und Dargestelltem kommt, weiß die Zeichentheorie spätestens seit de Saussure vor über 100 Jahren. Aber wenn man von Anfang an die Flinte ins Korn wirft, wie bei Nunes' Räubern z.B. geschehen (die auf andere Weise ein Vergnügen sind), kommt man natürlich nicht weit und dreht ständig in dem Gebiet, das der Zeitgeist einem absteckt, seine Kreise, statt neugierig darauf zu sein, was jenseits des Tellerrands ist.
Vielleicht ist ein Grund dafür, dass sich nur 5 % für Theater, aber 35% für (z.B.) Quentin Tarantino interessieren, ja auch der, dass sich nicht so viele Menschen für die Probleme eines Berufsstandes interessieren. Wenn sie in Schillers Räuber gehen (z.B.), wollen sie (also manche, ich spekuliere nur und viele Menschen haben auch viele unterschiedliche Interessen) vielleicht gerade nicht das sehen, was sie eh schon wissen, sondern das, wo Schiller absolut fremd ist. Und wenn diese seltsame Waldromantik des 4. Aktes mit dem Vater im Turm und diesem komischen fütternden biblischen Raben einfach weggestrichen wird (z.B.), dann ist das natürlich keine sehr geistreiche Art und Weise, sich mit einem Problem auseinander zu setzen. Vielleicht müssten Regisseure einfach wieder mutiger mit der Überforderung durch die Texte umgehen, statt einfach alles auf die millionenfach reproduzierten Pop-Bildchen runterzubrechen. Aber da ist man natürlich auf der sicheren Seite. Da weiss man, dass man eine bestimmte Gruppe von Menschen schon mal hinter sich hat, die sich in ihren Denkgewohnheiten bestätigen.
Sorry. Ich find Nunes gar keinen üblen Regisseur. Mir geht einfach dieses klischierte Gequatsche der 2010er Jahre auf den Senkel. Das klingt alles so nach Schauspielschule.
Hoffentlich liest das kein Schauspieler.
Und wie Meibourg so eine Aussage noch zu einer hohen Weisheit stilisiert. Da fragt man sich, ob beide jemals wirklich im Theater waren?!
Das Theater kann doch all das auch.