Luther und Wagner sind schuld

4. April 2013. Im Interview mit Frederik Hanssen vom Tagesspiegel spricht Barrie Kosky über seine erste Spielzeit als Chef der Komischen Oper. Und er weiß auch, warum die Deutschen eine Art Schuld empfinden, wenn sie Spaß haben.

Die nämlich gibt es im angelsächsischen Sprachraum nicht, so Kosky. "Es hat natürlich mit der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert zu tun. Aber auch mit Martin Luther." Das sei für ihn sowieso der Staatsfeind Nummer 1. "Nicht nur, weil er antisemitisch war, sondern auch weil er Humor, das Lachen unterdrücken wollte. Warum um alles in der Welt soll man sich nicht für ein paar Stunden vergnügen dürfen?" Luther sei auf jeden Fall mit schuld an der unseligen Trennung von E und U in Deutschland, der wertvollen ernsten und der vermeintlich schlechten unterhaltenden Kunst.

Auf die Frage, dass die Trennung durch staatliche Förderpolitik zementiert werde, antwortet Kosky: "Was wiederum auf Richard Wagner zurückgeht, der ja einzig die ernste Kultur als die wahre deutsche Kultur gelten ließ. Vater und Sohn, die beim Hausmusikkonzert Bach-Stücke spielen: So wird der gesamte Bereich abgetrennt, in dem Freude und Humor regieren. Für mich aber gibt es keine vertikale Kultur, keine Leiter, bei der gewisse Genres auf einer höheren Stufe stehen als andere." Koskys Bild sei ein horizontales: "In der Kulturlandschaft existieren sie alle nebeneinander, 'Wozzeck' und 'Gräfin Mariza', 'Die Soldaten' und 'West Side Story'. Es kommt nur darauf an, jedes einzelne Stück so gut, so authentisch wie möglich zu machen." (sik)

 

Kommentare  
Presseschau Kosky: E+U Augenwischerei
Dieses völkerpsychologische (kryptorassistische) Gequatsche von U und E-Trennung als Spezialeigenschaft der Deutschen geht mir wirklich auf die Nerven. Die Engländer und Amerikaner kennen den Unterschied zwischen élite- and popular-culture, zwischen highbrow and lowbrow, die Franzosen unterscheiden zwischen musique populaire und musique savante etc. Wo, bitte, steckt denn da "das Deutsche"?

Auch der Verweis auf Luther ist Augenwischerei: Die Anglo-Amerikaner haben Cromwell und die Puritaner überstanden, ohne dass das gesamte Volk seinen Humor verloren hätte, die Franzosen haben den absolut humorlosen Calvin und die Attacken der Jansenisten überstanden, ohne sich ihren Kölner Offenbach verderben zu lassen.

Offenbar hat Barrie Kosky, der übrigens tolle Arbeit an der Komischen Oper leistet, selbst einen Liebesentzugskomplex, wenn er dem Volk der Didi Hallervodens und Dadaisten einen Humor-Schuldkomplex andichtet. Der Umstand, dass der Unsinn uralt und milliardenfach durchgekaut ist, macht die Sache nicht intelligenter.
Presseschau Kosky: fröhliche Furze
Dem Meister Guttenberg ist zuzustimmen. Von Luther stammt immerhin das Diktum vom fröhlichen Furze, den wollen wir doch nicht missen.

Was mir allerdings an den Nerven zerrt, ist dieses ewige Gequatsche vom "Horizontalen": Es geht ja nicht immer nur um "Leitern", sondern schlicht um Differenzierungen. Aussagen wie "It's all so fascinating" hören doch irgendwo auch bei Kosky auf, oder warum inseniert er nicht eine Revue mit den besten Songs von den Kastelruter Spatzen? "Gräfin Mariza" und "Wozzeck" spielen schlicht in unterschiedlichen Ligen, sie sind auf unterschiedliche Weise gut gemacht. Und wenn es darum geht zu entscheiden, wo eine genuin neue Sprache zu vernehmen ist, dann muss man halt für den "Wozzeck" stimmen. Das heißt ja nicht, dass man "Gräfin Mariza" deswegen im Keller verstecken muss - aber was bringt es so zu tun, als seien beide im Grunde gleich?
Presseschau Kosky: altersbedingte Schrumpfung
Fröhliche Furze? Apropos: "Deswegen verstehe ich die Szene mit dem Bund der Vertriebenen nicht recht. Sicherlich war das ein einziges Nazinest und handelt es sich um einen verbohrt-heimattümelnden Haufen, auf dessen Geriatrisierung und altersbedingte Schrumpfung wir alle sehnsüchtig warten. Verglichen aber mit völkischen Forderungen aus der Linken und all jener, mit denen sie sich so gern solidarisieren, verglichen mit deren Forderungen und Sympathien für Kampfmethoden, die auf Land und Boden pochen wie auf das verbriefte Recht aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie, ist doch der BdV eine Mäusefurz. Entschuldigung, aber..."
(die wütende Fußnote von Detlef Bismarck aus Dirck Lauckes "Angst und Abscheu in der BRD", möglicherweise anspielend auf Bertolt Brechts "Furcht und Elend des Dritten Reichs")
Presseschau Kosky: laugh out loud
If Kosky has got it wrong would one of you Germans please explain why it is regarded as a social outrage to laugh out loud in a German theatre. Peter Ustinov once said that you cn tell if a German is having a hilarious time when the corner of his lips begin to move upwards...and that's about as far as it gets.
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