Das letzte Feuer - Andreas Kriegenburg verhilft Dea Loher zum Triumph
Berückende Agonie des Alltags
von Frauke Hartmann
Hamburg, 26. Januar 2008. Manchmal nimmt das Leben einen nicht ernst. Ein Kind stirbt. Und Gewalt breitet sich aus wie Wellen von einem Stein, der ins Wasser gefallen ist. Eine allumfassende Bewegung der Oberfläche, des Sichtbaren, entsteht. Unwillkürlich überträgt sich die Gewalt auf das Schicksal derer, die beteiligt sind. Bis auch wir im Publikum Beteiligte sind.
Tod und Verstrickung
Das Kind ist vor ein Auto gelaufen, das eine aufgeregte Polizistin steuert, die einen Attentäter in einem anderen Auto zu verfolgen glaubt, der aber nur ein koksender Autodieb im Geschwindigkeitsrausch ist. Die Polizistin ist befreundet mit Karoline, die nach einer Krebsoperation keine Brüste mehr hat und die Geliebte des Vaters des Kindes ist. Der Autodieb ist der Lebensgefährte eines arbeitslosen Ex-Mitangestellten des Vaters. Und seine Ehefrau, die Mutter des Kindes, die ihre alzheimerkranke Schwiegermutter pflegt, begibt sich irgendwann in die Arme des einzigen Augenzeugen, eines Fremden, der den Tod ihres Achtjährigen mit angesehen hat und aus dem Krieg kommt. Aus welchem, erfahren wir nicht. Irgendwo ist immer Krieg.
Dea Lohers neues Stück "Das letzte Feuer", eine Auftragsproduktion des Thalia Theaters, erlebte gestern Abend seine Uraufführung unter der Regie von Andreas Kriegenburg. Und lieferte einen neuen Beweis für die traumwandlerisch funktionierende kongeniale Zusammenarbeit der beiden.
Kongeniales Theaterpaar
Loher ist eine Meisterin der Sprache. Das Stück besteht, wie fast immer bei ihr, nicht aus Handlung, sondern aus einer in Dialogen verpackten und sich langsam enthüllenden kollektiven Erzählung. Von dem Fremden erfahren wir, dass er sich über 24 Stunden in einem Pensionszimmer die Nägel gefeilt hat, schreiend, blutend, bis kein Fleisch mehr auf den Knochen war. Ein Bild, vor dem man nicht wie im Kino die Augen verschließen kann.
Diese Bilder im Kopf füllt Kriegenburg mit Fleisch und Blut. Zum Schmerz in Lohers Sprache erfindet er das Kino dazu. Mit den Bildern, die wir alle kennen, mit den abgenutzten Wohnungen, den Menschen in Unterwäsche, wie sie alleine sind, bügeln, aufräumen, an Selbstmord denken und sich verletzen, auf der Suche nach Wärme die Heizung umklammern.
Das aus ihrer Mitte gerissene Kind zeigt allen Weiterlebenden ihre Sehnsucht, zeigt, dass ihnen etwas fehlt, dass sie krank, verletzt, beschädigt sind. Und paradoxerweise ist es ausgerechnet die Alzheimerkranke, Katharina Matz in Höchstform, die sich als einzige an das Kind erinnert. Sie alle sind Nichtversteher, die Mitwisser werden wollen. Und dass sie nur ihre eigene Suche nach Sinn und Schuld und nur den eigenen Schmerz zur Verfügung haben, macht sie authentisch, wenn sie in aller Unzulänglichkeit die Geschichte zusammentragen. Und doch ist das ein großer Trost. Der einzige vielleicht, den Loher zu bieten hat.
Von Tür zu Tür: So ist das Leben
Das Bühnenbild von Anne Ehrlich besteht aus heruntergekommenen kleinbürgerlichen Räumen, die sich wie auf einem Karussell drehen und durch Türen miteinander verbunden sind. Ein Hamsterrad, bestehend aus Bad, Wohnzimmer, Küche, Schlafzimmer, Garderobe, Abstellraum, Hausflur, alle gefüllt mit hässlich beigefarbenen und braunen Möbeln, leeren Flaschen, Kleidungsstücken auf Bügeln, schmutziger Wäsche. Die Agonie des Alltags.
"Wir kehren die Scherben auf und fügen sie zusammen", sagen die Bewohner in ihren gebeugten Haltungen, später ist vom Glasscherbenviertel, der Einsamkeit im Abseits die Rede.
Kriegenburg lässt seine Schauspieler, denen Andrea Schaad mit ihren altertümlichen und spießigen Kostümen und ungepflegten Frisuren eine Aura des Gestrigen verpasst hat, auf seiner Drehbühne gegen die Drehbewegung laufen, um im Blickfeld zu bleiben, oder mit ihr abtreten, wenn sie stehen bleiben. Dieser Kniff gibt der Inszenierung ein hohes Tempo und eine Präzision, in der die großartigen Schauspieler etwa zwei Stunden laufen und daher improvisieren müssen. So ist das Leben, wenn man es nicht, wie Kriegenburg, manchmal anhält. Man geht von Tür zu Tür, durchschreitet nutzlose Räume und kommt nie irgendwo an.
Dazu, ebenso als Endlosschleife, die Musik von Laurent Simonetti, der Herzschlag des Stücks in einem verhaltenen Rhythmus, hin und wieder ein Kontrabass-Ton, kleine Melodielinien, ferner Gesang.
Am Ende dieses großen Abends ziehen die Leidtragenden der Erzählung Bilanz: zwei Tote, einer im Knast, zwei in der Klapsmühle, ein Verschwundener. Nur die Brustamputierte hat’s geschafft und ein Spezialgeschäft für erotische Prothesen eröffnet.
Das letzte Feuer, UA
von Dea Loher
Regie: Andreas Kriegenburg, Bühne: Anne Ehrlich, Kostüme: Andrea Schraad, Musik: Laurent Simonetti. Mit: Sandra Flubacher, Lisa Hagmeister, Hans Löw, Katharina Matz, Markwart Müller-Elmau, Jörg Pose, Natali Selig. Matthieu Svetchine, Angelika Thomas, Susanne Wolff.
www.thalia-theater.de
Mehr zu Dea Loher? Bitteschön, hier gibt's jede Menge.
Kritikenrundschau
Christine Dössel nennt Dea Loher in der Süddeutschen Zeitung (29.1.2008) die "Mater dolorosa unter den deutschsprachigen Dramatikern". Das Leid, das sie in ihren Dramen jeweils aufhäufe, überfordere selbst "harte Realisten". Aber so "feinnervig", wie sie es dann gestalte, hätte es auch eine gewisse poetische Natürlichkeit. Der Trost liege jeweils in der "Gemeinschaft der Leidtragenden. Auch "Das letzte Feuer" erzähle von einem "kollektiven 'Wir'" und sei "sehr versiert geschrieben, poetisch, lakonisch und traurig-komisch zugleich". Die permanente Drehbewegung, in der Andreas Kriegenburg und Anne Ehrlich dies dann allerdings am Thalia Theater zeigen, sei eine "mechanisch-elegische, waidwund zelebrierte Schmerzens-Rotation". Auch Simonettis hypnotische Musik schlage einem "erst aufs Gemüt, dann zunehmend auf die Nerven". Schauspielerisch hat es ihr gefallen, indes: "Ein wenig mehr Komik aber – und, nennen wir´s: Einkehr – hätten dem Unglück nicht geschadet."
In der Frankfurter Rundschau (28.1.2008) wagt Peter Michalzik einen großen Vergleich: Lese man zum ersten Mal Kafkas "Urteil", so stehe man "erst einmal mit offenem Mund da, erschüttert, verunsichert, erregt. Etwas davon hat auch das neue Stück von Dea Loher". "Das letzte Feuer" stelle "hartnäckig, gnadenlos, unersättlich die Frage ..., was es ist, das zwischen diesen – oder den – Menschen eine Verbindung herstellt. Was macht Gefühle, Verständnis, Vertrauen? Lange wurde diese Frage nicht mehr so intensiv gestellt." Es gebe in dem Stück "die witzige Seite des Nichts. Auf der anderen Seite liegen die einsame Verzweiflung und die endlose Traurigkeit. Auch weil sie nebeneinander bestehen", sei "Das letzte Feuer" "ein großer Text." Die stetig sich drehende Bühne, die Andreas Kriegenburg und Anne Ehrlich für ihre Uraufführung verwendet haben, sei "monoton bis zum Hypnoseschlaf und funktioniert trotzdem. Nachdem man es gesehen hat, lässt sich keine überzeugendere Umsetzung vorstellen." Zumal die Schauspieler allesamt konzentriert spielten und "mit Loher unnachgiebig in diesen Figuren" herumbohrten.
Dea Loher erschaffe in ihren Stücken "eine bilderreiche Trostlosigkeit", meint Katrin Ullmann im Tagesspiegel (28.1.2008). Und auch "Das letzte Feuer" sei "berührend, traurig und doch voller leisem, feinem Humor". Die immerzu sich drehende Drehbühne der Uraufführung aber hat Katrin Ullmann missfallen: "Dass diese spielerisch gemeinte Idee ... eher verspannte Auf- und Abtritte, eine schlechte Akustik und jede Menge Timing-Probleme mit sich führen würde", habe Regisseur Kriegenburg offensichtlich nicht bedacht. Dem Bühnengedrehe falle "auch Kriegenburgs übliche theatrale Bilderwelt zum Opfer. Er inszeniert Lohers Text zwar angenehm unpathetisch, doch gleichermaßen technisch. Kaum eine so ausgearbeitete Szene, dass sie über die Parkettreihen hinaus verständlich wäre. Inhalt, Sprache und Stimmung bleiben auf der Strecke."
Matthias Heine stellt in der Welt (28.1.2008) fest, dass es Dea Loher "nicht um Realismus zu tun" sei: "Deshalb reden ihrer Abgestürzten auch in einer hochtönenden poetischen Sprache, die klar macht, dass sie ... vor allem im Reich der Kunst leben." Mit seiner Drehbühne verwische Regisseur Kriegenburg "die Anflüge von Milieu-Realismus" sogar noch mehr. Über die Qualität des Stücks ist sich Heine trotzdem nicht ganz sicher: "Man mag zweifeln, ob Lohers Stück wirklich die Sterne erreicht, nach denen es greift." Aber: "Unbestreitbar ist, dass die Schauspieler es spielen, als wäre es schon jetzt eine große Tragödie der Weltliteratur." Und dann folgt noch die wunderbare Liebeserklärung an eine Schauspielerin: "Wahrhaft riesengroß ... ist die Leistung von Susanne Wolff, die ausgerechnet aus der unwahrscheinlichsten Figur den allerlebendigsten Menschen macht: Ihre brustamputierte Lehrerin strahlt so mysteriös schön, wie man es nie geahnt hätte, als man bei der Stücklektüre noch über diese allzu ausgedachte Gestalt die Nase rümpfte."
Simone Kaempf findet in der taz (29.1.2008), dass Dea Lohers "sprachgewaltiges" Stück den Vergleich mit dem Film "Babel" "nicht zu scheuen braucht". Auch Anne Ehrlichs Drehbühneist für sie kein Grund, sich zu beklagen. "Manchmal möchte man sie anhalten und die Bilder einfrieren, die von schöner leiser Trauer sind." Trotzdem: "Kriegenburg schafft es zwar, den Raum mit Gefühlen zu füllen und ihn wieder zu leeren, aber die glaubhafte Wendung ins schaurige Drama nimmt die Inszenierung nicht. In der Wohnung mit den abgeschlagenen Kacheln, vergilbten Tapeten und veraltetem Mobiliar erzählt sie mehr von sozialen Problemen, von Armut, Ausgrenzung und Blindheit den nächsten Menschen gegenüber. Und sie schaut mit liebevollem Blick auf die Wiederholungen des Alltags: das tägliche Aufstehen, Anziehen, Kaffeekochen, in dem auch tröstende Kraft stecken kann, immerhin."
Einen "erbarmungslosen Ringelreihen von Verzweiflung, Verlust, Krankheit, Schuld und Tod", nennt Christian Stöcker auf Spiegel online (27.1.2008) Lohers Stück. Kriegenburgs Urauffführung sei ein "schwindelerregender Traumatanz" und eine "vitale Demonstration dessen, was das Theater heute noch kann". Dabei sei die "Ansammlung Leidender, die Dea Loher zusammen in dieses Rennen ohne Ziel schickt, grotesk." Trotz der "permanenten Bewegung" geschehe auf der Bühne "fast nichts". In "einem stetigen Strom der Worte wird die Geschichte von einem zum anderen weitergereicht, mehr Prosa als Dialog".
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Es gibt gelungene Texte von Dea Loher, in denen sie ein Problem erörtert und ein Thema ernst nimmt (Leviathan, Blaubart). Ihre Panoramen des Elends der Welt sind oberflächlich, wirken kalkuliert und sind im schlechtesten Fall gut gemacht. Kein Unglück der Welt ist scheinbar ausreichend unfassbar, um die Mechanik der Szenen zu stören. Es wird immer Material geben zum Stückebacken fürs Betroffenheitstheater. Wer die Besonderheit nicht ernst und genau nimmt, trägt nichts zur Veränderung bei.
an meiner meinungsfreiheit brauchen sie wirklich nicht zu arbeiten, das habe ich mir schon selbst gedacht. da nutzen sie ihre zeit und energie lieber um noch öfter ins theater zu gehen, ihren stil zu schleifen und vielleicht auch mal ein fläschchen zu trinken, vielleicht ja mit ihrem kollegen aus der orthographischen abteilung...
aber trotzdem danke für die verlorene mühe.
ihr karl meins
ihr maar
Sie alle schleppend ein Trauma mit sich herum, die meisten mehrere. Sie bewegen sich, taumeln zwischen Schuld und Verzweiflung, Trauer und Wut. Dabei ist Lohers Theater kein Handlungstheater. Ihr Aktionsraum ist die Sprache. Das Stück wechselt zwischen Erzählung und Spiel, zwischen Erinnertem und vermeintlicher Gegenwart. Hauptakteur ist die Vergangenheit, alles ist schon geschehen, die Figuren fest in ihrem Griff.
Im Gegensatz zu ihrem letzten Stück "Diebe" ist der Schmerz, ist das Leid hier unverdünnt, es gibt kein Gegengewicht. Das ist die Stärke des Stückes: eine Intensität des Leidens, die ihr Bild in dem trostlosen Hamsterrad findet, in das Kriegenburg und Bühnenbildnerin Anne Ehrlich die ziel-, rast- und hilflos hin- und herlaufenden Figuren gesperrt haben und das nach und nach auch den Zuschauer hineinzieht, ein Sog des Leids, der kein Entrinnen zulässt.
Hier liegt aber auch die Schwäche: Das Stück und mit ihm die Inszenierung ist ein Strudel des Leids, des Schwerzes, der Verzweiflung, der von Beginn an nichts anderes zu lässt. Die Figuren werden letztlich austauschbar, Abziehbilder des Schmerzes, und mit ihnen die Gründe des Leids. Krankheit, Verlust, Schuld - alles wird zu einem Leidensbrei, jenseits dessen es kein Glück, keine Freude, ja keine Hoffnung gibt und geben darf.
Und so hilft am Ende auch ein großartiges Ensemble (allen voran die herausragende Katharina Matz - als Mutter mit Alzheimer die einzig würdevolle Figur) nicht gegen den Eindruck, ein plakativ einseitiges Schmerzensszenario vor sich zu haben, das am Ende nur noch anstrengt und jeden Erkenntnisgewinn in Düsternis erstickt.
Vielen Dank für Ihre Ablehnung. Starke Reaktionen sind mir immer lieber als gar keine.
@Stefan
Spüren Sie da tatsächlich ein Miteinander der Figuren? Eine, ach dies schreckliche Wort, Interaktion? Oder sind dies nicht eher Prototypen, die für unterschiedliche Ausprägungen wie Gründe des Leids stehen, exemplarisch, Abziehbilder eben. Generell wird bei Loher eher wenig interagiert, das ist auch nicht schlimm, mir fehlt in Das letzte Feuer nur ein wenig die Entwicklung. Letztlich ist das Feld nach dem ersten Auftreten aller Figuren abgesteckt, das meiste danach ist Wiederholung. Natürlich ist die Intensität des Leidens größer als beispielsweise in Diebe, ist der Schmerz auch existenzieller. Das greift an, das zwingt den Zuschauer in die Mitte dessen, was da passiert. Aber eben nur eine Zeit lang. Danach ergehen sich die Figuren in immer neuen Schleifen des Gleichen. Das mag intendiert sein, führt meines Erachtens aber dazu, dass die Nuancen verschwinden oder eben mir dem breiten Pinsel so verteilt werden, dass keine Abgrenzung mehr zu sehen ist. Am Ende wird alles eins, ein großes verzweifeltes Ganzes. Das ist in Diebe anders, wo Loher und Kriegenburg Grenzen zulassen, auch räumlich. Wo komische Momente das Leid kurz unterbrechen, um es bei seiner Wiederkehr nur stärker erscheinen zu lassen. Schmerz und Verzweiflung wirken stärker, weil man ihnen Raum lässt und sie nicht in einer 2-Stunden-Dauer-Dosis auf den Zuschauer einprasseln lässt. Das schafft auf die Dauer weniger Erschütterung als Ermüdung.
Das Stück war noch einigermaßen erträglich, aber an der Sprache lag das bestimmt nicht. Einige Kritiker feiern das Stück, als sei hier ein poetisches Feuerwerk abgebrannt worden. Wer bei dieser Beziehungslosigkeit und der Fähigkeit, aneinander vorbeizureden, irgendeine Kunstsprache ausfindig macht, senkt seine ästhetischen Maßstäbe auf ein Minimum herab. Für das Stück braucht man kein Ingenium oder eine geschärfte Sensibilität. Wenn Frau Kaempf die Dialoge als "sprachgewaltig" bezeichnet, kann ich sie nur beglückwünschen: sie ist angesichts ästhetischer Mediokrität und Gefälligkeit bereits zufrieden und weiß auch den Anflug melancholischer Süße zu schätzen. Ich habe es damit leider etwas schwerer.
Wegen der zum Teil guten schauspielerischen Leistungen war das Stück immerhin noch mittelmäßig.
Dieses ständige Beisammensein auf der Bühne ist ja von Kriegenburg so gewollt und nicht von Dea Loher so vorgesehen, obwohl man sie alle ja als eine Art Schicksalsgemeinschaft begreifen kann. Dennoch lässt sich das ja kaum anders spielen, als auf dieser Drehbühne, die ja ständig wechselnde Orte zeigt aber durchaus auch ein Treten auf der Stelle impliziert. Interaktion ist sicher anders, da haben Sie Recht. Es ist ja eher so, das von Dea Loher dieses sich nahe kommen vermisst wird und dass das dann erst am Schluss tatsächlich mit diesem lockeren gemeinsamen Talk der Protagonisten geschieht. Es ist doch so, das sich Menschen in wahrer Liebe und echtem Schmerz erst wirklich näher kommen können. Gefühle zu zeigen fällt nicht jedem leicht und einer wirklichen Trauerkultur wird ja in der heutigen Zeit kaum noch Platz eingeräumt. Indem Kriegenburg die Figuren zwingt, ständig auf der Bühne präsent zu sein, bricht er diesen Pessimismus in Lohers Stück. Es wird hier nichts gewollt schleifenartig wiederholt. Alles ist eben schon immer da gewesen und wird nun durch eine äußere Einwirkung wie den tragischen Tod des Jungen nur noch verstärkt. Die Schicksale in Diebe sind nicht wirklich existentiell. Ich will das nicht abwerten, aber es hat einfach nicht diesen starken Eindruck bei mir ausgelöst.
Nach langer Theaterabstinenz sind wir am vergangenen Sonnabend, d. 27. November, mehr oder weniger durch Zufall und völlig unvorbereitet in eine Vorstellung des Deutschen Theaters Berlin geraten. Gegeben wurde „Das letzte Feuer“ von Dea Loher in einer Inszenierung von A. Kriegenburg am Thalia-Theater Hamburg.
Wenn es eine Pause gegeben hätte, wären wir einfach gegangen und hätten uns über den Missgriff ein wenig geärgert. Denn bis zur Mitte des Stücks hatten wir nur eine im Brecht’schen Deklamationsstil präsentierte Aufzählung aller möglichen prekären Unfälle des modernen Lebens präsentiert bekommen. Im Sinne von „Theater spielen“ war wenig passiert. Gespielt wurde nur eine einzige Szene. Nämlich nachdem Karoline, die Brust-amputierte Nachbarin der Hauptfiguren erzählt hatte, mit wem alles sie „gefickt“ hatte, wurde eine Kopulation von Karoline mit dem „Fremden“ sehr realitätsnah vorgeführt. Und ausgerechnet diese Szene wurde mittels einer Videokamera parallel und doppelt gezeigt. Die Geschmacksausrichtung des Regisseurs war darin klar erkennbar.
Nach der Mitte des Stücks ging es in diesem Stil weiter. Eine Malaise und Unglücksnachricht nach der anderen wurden rezitiert, wohlgemerkt nicht gespielt! Selbst die Taliban mit ihren Sprengstoffgürteln kamen ins Visier. Berichtet wurde auch das Ertränken einer alten dementen Mutter in der Badewanne durch ihren eigenen Sohn. Ich sagte gerade zu meiner Frau. „Jetzt fehlt in dem ganzen Ablauf nur noch ein richtiger Mord auf der Bühne“. Da gab es eine zweite Spielszene. Der „Fremde“, der kurz vorher der Hauptfigur Susanne seine Liebe erklärt hatte, fing plötzlich an, diese Frau zu schlagen und viehisch zu misshandeln.
Das wurde wiederum so ausführlich und so realitätsnah dargeboten, dass ich die Kontrolle über meine Emotionen verlor. Ich stand auf, brüllte laut meinen Unmut heraus und verließ umgehend diesen Ort - von meiner Frau rausgedrängt und am ganzen Leibe zitternd.
Am anderen Tage haben wir aus den Rezensionen im Internet erfahren, dass tatsächlich noch ein Mord passiert ist, und zwar der Selbstmord des „Fremden“. Er übergoß sich mit Benzin und zündete sich an.
Weiterhin konnten wir lesen, dass dieses Stück mit einem Dramatikerpreis ausgezeichnet wurde, Herr Kriegenburg „kongenial“ inszeniert hatte und Dea Loher zur Professorin berufen wurde.
Beim Lesen weiterer Rezensionen über andere Stücke wurde uns klar, dass dieses Stück von Dea Loher die etwas noblere Spitze eines Eisberges ist, der sich viel tiefer und massiver unter der Gürtellinie des tolerierbaren Geschmacks ausdehnt. Das deutsche Regietheater scheint, ähnlich wie große Teile des Fernsehens, zu einem Sperma-, Blut- und Scheiße-Medium verkommen zu sein. Ganz genau können wir das aber nicht beurteilen.
Indessen sehen wir eine starke Parallele zu Thilo Sarrazins Thesen. Sarrazin sieht in den ausufernden Finanztransfers des Sozialstaates die Hauptursache für die offensichtlichen Missstände in der Migrations-, Bildungs-, Arbeitsmarkt- und Steuerpolitik, die dahin führen, dass Deutschland intellektuell, kulturell und wirtschaftlich ausgezehrt wird.
In der Theaterlandschaft scheint, bedingt durch die laufenden Finanzspritzen der Kommunen und Länder, dieser Auszehrungsprozess bereits abgeschlossen zu sein. Das intellektuelle Niveau, das sich dort eingependelt hat, ist wahrscheinlich nicht mehr zu unterbieten. Das Publikum hat sich offenbar allmählich daran gewöhnt.
Ein Aufstand scheint notwendig zu sein. Er sollte vom Publikum kommen. Aber vielleicht ist das eine unrealistische Erwartung? Vielleicht hat das Publikum ein echtes Verlangen nach diesen Gewalt- und Sexthemen – als Ausgleich für ein langweiliges materielles Wohlstandsleben, das es trotz Hartz IV in solcher Breite noch niemals in der Menschheitsgeschichte gegeben hat???
Albert Manque
hier eine kleine Aufzählung für Sie zur Kenntnisnahme:
W. Shakespeare (1564 - 1616)
ROMEO UND JULIA: ein Totschlag, zwei Morde, zwei Selbstmorde, einer durch Gift, der zweite mit Hilfe eines Messers - alles on-stage
TITUS ANDRONICUS: sieben Morde, zwei Hinrichtungen, ein Ritualmord, ein Tod durch lebendiges Vergraben, eine Vergewaltigung, eine Verstümmelung, eine Selbstverstümmelung – einiges on-stage, anderes wird berichtet
RICHARD III.: vier Morde, zwei Hinrichtungen, eine Verbrennung auf dem Scheiterhaufen, ein Selbstmord – on- und off-stage
HAMLET: ein Selbstmord, zwei Auftragsmorde, ein Totschlag, fünf Vergiftungen, teilweise Mord, Unfall oder Totschlag – on- und off-stage
Das läßt sich noch erheblich fortsetzen.
Auch reichlich zu finden bei Sophokles (497/496 v. u. Z. – 406/405 v. u. Z.), Euripides (480 v. u. Z. – 405 v. u. Z.), Christopher Marlowe (1564 – 1593), John Webster (1579 – 1634) Goethe, Schiller, Kleist, Büchner (alle 18. Und 19. Jahrhundert)
Und das sind alles "nur" dramatische Texte - Schauen Sie jetzt noch auf die Historie der menschlichen Zivilisation und deren Gegenwart ...
es tut mir ja leid für Sie, das Sie nach langer Theaterabstinenz, wie lange diese angehalten hat, sollten Sie uns noch verraten, gerade in dieses Stück geraten sind. Sie müssen übrigens ziemlich lange dem Theater fern geblieben sein, wenn Sie sich noch in dem Maße darüber erregen können. Das Dea Loher es einem nicht gerade leicht macht mit ihren Schmerzensszenarien der geschundenen Seele, sollte man aber vorher wissen. Sie wären vermutlich in „Diebe“ von der selber Autorin ebenfalls in der Regie von Andreas Kriegenburg besser aufgehoben gewesen, da dieses Stück sich bei gleichbleibender Thematik eher dem breiten Geschmack des Publikums annähert und dafür die entsprechenden Preise (Publikumspreis in Mühlheim, Einladung zum Theatertreffen 2010) bekommen hat. Über „Das letzte Feuer“ konnte man noch kontrovers streiten, über „Diebe“ nicht mehr. Wenn Theater diesen Zustand der allgemeinen Zustimmung erreicht hat, dann wäre es Zeit sie zu schließen. Über die sogenannten Finanzspritzen von Kommunen und Ländern für Theater scheinen Sie nicht richtig informiert zu sein, lesen Sie ruhig öfter hier darüber nach. Wie Sie dann aber sogar den Bogen bis zu Thilo Sarrazin gezogen bekommen, verblüfft mich schon. Dass Deutschland intellektuell und kulturell ausgezehrt ist, liegt sicherlich am wenigsten an den Theatern, sondern an den immer geringeren Zuwendungen für Kultur und Bildung, hier ist die Politik in der Pflicht und da war Sarrazin lange genug Mitgestalter. Theater ist in erster Linie eine Kunstform unter vielen und kein Bildungstempel, für den Sie es offensichtlich halten. Es gibt einige gute Lösungen für Ihr Problem. Erstens: Sie mischen sich konstruktiv in die Diskussionen um Theater ein. Zweitens: wenn Sie das nicht wollen, gründen Sie Ihr eigenes Theater mit Thilo Sarrazin als Intendanten oder Drittens: Sie bleiben weiterhin lieber dem Sperma-, Blut- und Scheiße-Medium Theater fern. In diesem Sinne, mit freundlichem Gruß Ihr Stefan
Am Deutschen Theater hat nun ein Ehepaar wütend den Saal verlassen. Ein Mann hat seinen Unmut herausgebrüllt. Es ist das nicht die schlechteste Nachricht für das Theater.
Herr Manque spricht mir aus der Seele - habe das Stück auch nicht bis zum Ende durchgehalten. Und das Traurige ist doch nicht, dass das irgendein Stück ist - sondern offiziell das beste Stück des Jahres. Und ein Jahr später wird es diese Schimmelpfennig-Banalität. Doch, Herr Behrens: Das sind schlechte Nachrichten fürs Theater.
Natürlich sind viele Leute bei Schleefs Aufführungen gegangen, nicht alle haben die Zugabenblöcke am Ende erlebt. Ehrlich gesagt, hätte ich es mich auch enttäuscht, wenn das nicht passiert wäre.
Ich bin übrigens weit davon entfernt, mich über Albert Manques Wut lustig zu machen. Der Abend hat etwas in ihm ausgelöst, und er hat es artikuliert. Das ist eine Wirkung des Theaters, eine sehr emotionale, und ich halte eine solche ... ja, eine solche Katharsis in der Tat für besser als "Muschelkotzen" (@GT).
Nein, macht er nicht; es hat im übrigen schon immer auch andere Bühnenbildner bei ihm gegeben.
Ja, so war es! Wir sind vorurteilsfrei und völlig unvoreingenommen in dieses Stück gegangen. Dann kam eine Wut auf, wie ich sie vorher noch nie gespürt hatte. Man macht sich Gedanken. Wo bin ich hier? Muss ich mir so was bieten lassen? Man muss irgendetwas dagegen tun!
Die negativen Emotionen ergaben sich aus dem Missverhältnis zwischen einer über lange Strecken nur deklamatorisch rezitierten Unglückskette, die schon vorab für eine miese Stimmung sorgte, und der plötzlich überrealistisch gespielten Misshandlung einer Frau. Es war offensichtlich ein Regiegag. Der Zuschauer sollte extra geschockt werden.
Ähnlich kann man die Kopulationsszene vor allem als Regiegag sehen. Aber Kopulation ist etwas Angenehmes, wenn sie beiderseits einvernehmlich geschieht, wie in diesem Fall. Die genussvoll realistische Darstellung einer Kopulation auf der Theaterbühne ist in der heutigen von Porno und Sexexhibitionismus geprägten Zeit nur eine billige Plattitüde. Doch die Misshandlung eine Frau derart zu zelebrieren, wie es in „Das letzte Feuer“ geschieht, das ist eine riesige Geschmacklosigkeit.
„Theater ist in erster Linie eine Kunstform unter vielen…“ (Stefan) Ja, so ist es! Nehmen wir zum Vergleich die Kochkunst. Man kann aus den üblichen Speisezutaten (Kartoffeln, Reis, Nudeln, Fleisch, Gemüse, Gewürzen u.a.) ein Gourmet-Essen zaubern. Wie oft wird daraus aber nur einen Fraß gemacht, den manchmal nicht mal Hunde und Katzen mögen. Genauso kann man aus den Zutaten des Theaters (Bilder, Texte und Schauspiel = Show + Spiel) ein Erlebnis für den Zuschauer zaubern. Das Erlebnis darf eine neue Sicht sein, eine Erkenntnis, eine Bestätigung oder Widerlegung eigener Lebensansichten und –erfahrungen. Das Erlebnis darf traurig oder lustig sein, Tragödie oder Komödie. Aber es sollte kein „Fraß“ sein, der nur darauf angelegt ist, die Zuschauer zu schocken und zu deprimieren. Das ist jedenfalls unser persönlicher Anspruch an eine Aufführung, wenn wir dafür Zeit und Geld investieren.
Aus dieser Sicht kann man Dea Lohers Stück nicht mit „Hamlet“, „Romeo und Julia“ u.ä. vergleichen, nämlich nach der Anzahl der Morde, die da passieren (Eric Ender ). In diesen Stücken spielt doch eine ganz andere Musik als in dem Thrash-Stück von Dea Loher.
Es stellt sich die Frage, warum es heutzutage überhaupt soviel Ekel- und Thrash-Theater gibt. Ich habe eine Antwort versucht, indem ich auf das heutige durch Sozialstaat und vielerlei Versicherungen vor Widrigkeiten geschützte und darum oft langweilige Wohlstandsleben hingewiesen habe. Obwohl viele interessante Bemerkungen gefallen sind, auf diesen Punkt ist leider keiner der Kommentatoren eingegangen. Statt dessen wurde mehr über meine Persönlichkeitsstruktur und „politische Ecke“ räsoniert (Stefan, Falk Schreiber).
„Verblüfft“ hat natürlich der Bezug zu Sarrazin. Sarrazin hat Fakten und Tatsachen genauer unter die Lupe genommen, die an sich jeder von seinen Alltagserlebnissen her kennt, aber weitgehend mit Augenzudrücken behandelt hat. Sarrazin hat mit Daten und Statistiken wissenschaftlich nachgewiesen, dass die vom Transfersystem des Sozialstaates verabreichten Wohltaten an bestimmte Menschengruppen nicht die beabsichtigte Wirkung gezeigt haben, sondern das genaue Gegenteil davon. Ebenso sehe ich die Trash-Tendenz in der Theaterlandschaft.
Die Theater im Allgemeinen sind ein Teil der Freizeitwirtschaft. Ein Theater im Einzelnen ist ein Produktionsbetrieb wie eine Autofabrik. Eine Menge Leute leben von der Theater-„Produktion“ – die Haushandwerker, Kassenfrauen, Einweiser, Putzer, Bühnenbildner, Schauspieler, Dramaturgen, Regisseure und Intendanten. Im Unterschied zur Autofabrik sind die Produkte des Theaters immateriell. Aber sie haben einen Gebrauchswert. Sie müssen einen Gebrauchswert haben, sonst gäbe es keine Existenzberechtigung für diesen Wirtschaftszweig. Genauso wie Autofabriken pleite gehen, die nur schlechte Autos bauen, sollten Theater durchaus etwas leiden, wenn sie Thrash fabrizieren. Dieses ökonomische Prinzip wird durch die Subventionen ausgehebelt. So war mein Bezug zu Sarrazin gemeint.
Die Vorstellung „Das letzte Feuer“ am 27. November 2010 war gut besucht. Also war es kein Thrash-Stück und hatte einen echten Gebrauchswert? Oder die meisten Besucher hatten Freikarten!?
Es ist wie so oft: „Der Vorhang schließt und alle Fragen bleiben offen.“ (Bekannter Autor).
Der Vollständigkeit halber sollte man hinzufügen, dass Kriegenburg natürlich immer noch auch selbst Bühnenbilder entwirft, zuletzt am DT beispielsweise für den Sommernachtstraum, Diebe oder den Prinz Friedrich von Homburg.
Ihren Bezug zu Sarrazin habe ich schon verstanden, er behandelt z.B. Menschen nach ihrem Gebrauchswert. Das hat mit Theater und Kunst nichts zu tun. Wenn Sie Kunst einen Gebrauchswert zuordnen wollen, häkeln Sie lieber Topflappen, die können Kunst sein und gleichzeitig einen hohen Gebrauchswert haben.
Was ist das denn für "eine ganz andere Musik", die etwa in Shakespeares "Titus Andronicus" spielt? Das Theater hat zu allen Zeiten oder zumindest immer wieder mal den Schock als Mittel verwendet, im "Titus" gibt es wahrhaft barbarische Szenen, für die "Medea" hat Euripides eigens einen Kindermord hinzuerfunden, den es im Mythos vorher nicht gab. War das alles "Trash"-Theater (übrigens nicht "Thrash", wenn ich das, so penibel, wie wir Schweizer sind, anmerken darf)? Vielleicht. Aber es hat einigen Leuten etwas gesagt, daher spielt man die Stücke auch Jahrhunderte später noch, und das Theater gibt es auch noch.
Also nochmal: Warum werden Sie gleich so grundsätzlich? Sie haben sich geärgert, Sie werden Ihren Freunden vom Besuch des Abends abraten, und Sie werden vielleicht inskünftig Stücke von Dea Loher und Inszenierungen von Andreas Kriegenburg meiden. Das sollte der Rache genug sein. Aufgrund Ihrer Wut aber das Subventionssystem aushebeln zu wollen, das halte ich, mit Verlaub, Herr Manque, für kurzschlüssig.
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"Also nochmal: Warum werden Sie gleich so grundsätzlich?" (Ivo Peterhans)
Mit meinen beiden Beiträgen Nr. 18 und Nr. 28 wollte ich nur sagen, dass die Subventionen und der aus der Wohlstandsgesellschaft entstandene Zeitgeist m.E. einen ungünstigen Einfluß auf die Qualität der Theater-Produktionen ausüben.
In den Diskussionen wurde dieses Thema leider nicht berührt. Statt dessen wurde überwiegend mein persönliches Kunstverständnis aufs Korn genommen. Das hat aber überhaupt keine Bedeutung in Bezug auf das genannte Hauptthema.
"Albernheit, Drastik, Provozierendes"(ödön), Sozial- und Gesellschaftskritik mag ich sogar ausgesprochen gern und bin überhaupt nicht "verkrustet". Es muß halt gut gemacht sein, Qualität haben. Darauf kommt es an.
Albert Manque
die Sache mit der Wohlstandsgesellschaft ist vielleicht ein interessanter Punkt, aber wohin führt er? Das Theater z.B. in Palästina oder im Sudan ist nicht sehr raffiniert, da es dort, in einer Gesellschaft, die sich im Kriegszustand befindet, um eher simple Ansagen geht. Der Krieg scheint - Handke sehnt sich ja förmlich danach - eine gewisse Einfachheit zu begünstigen.
Uns aber geht es gut, und deshalb entfernt sich unsere Kunst auf mehr oder weniger raffinierte Weise vom wirklichen Leben. Und ab und an brauchen unsere Sinne auch eine inszenierte gröbere Ansprache: einen Zombie-Film oder eine drastische Gewaltdarstellung auf der Bühne. Als Ausgleich zu unserem risikoarmen Luxusleben.
Wollen Sie tauschen? Würden Sie lieber im Krieg leben, und dafür eine edle, einfache Theaterkunst sehen?
Richtig, es muss "gut gemacht sein". Ist es in diesem Fall ja auch. Zumindest ist das meine Meinung und die nicht weniger anderer. Sie haben eine andere, die Sie vermutlich auch n´mit anderen teilen. Ihre Meinung ist Ihr gutes Recht, so wie meine meines ist. Eine Meinung ist aber eben genau das und kein Fakt. leider geben Sie Ihrer persönlichen Ansicht eine Allgemeingültigkeit und Ausschließlichkeit, die andere nicht zuzulassen scheint.
Und das mit dem "Gebrauchswert" von Theater ist gelinde gesagt Unfug. Was wäre denn ein "Gebrauchswert" von Theater? Ist es nicht auch ein "Gebrauchswert", starke Emotionen auszulösen, aucvh negative? Ich habe es kürzlich an anderer Stelle schon gesagt: Die Faszination von Theater liegt doch gerade in seiner Vielfalt, in seinem Alles-sein-können. Es gibt Theater, das bildet und solches, das verstört, es gibt schönes und hässliches, visuelles und textlastiges, texttreues und collagenhaftes und und und... Theater begeistert und verärgert, es fesselt und langweilt, es öffnet neue Perspektiven ider wiederholt Altbekanntes. Nichts davon möchte ich missen, auch nicht das Erlebnis, verärgert aus einem Stück laufen zu dürfen.
erregend "einfacher Abend" in die Glieder fährt, denn draußen wird dann ja unfehlbar der
Krieg toben.
Glückwunsch, Herr Manque, Sie scheinen hier doch einen Ansprechpartner für ihre
Holzschnitte gefunden zu haben, für den die gerade richtig gemacht sind: wenn Settembrini und Naphta in Leipzig einmal ausfallen sollten, fahren Sie dorthin, beide !!; ich sehe da eine gewisse Chance, daß Sie gemeinsam, wohl sogar sehenswerter als im bei nachtkritik beäugten Probenfilm, da den dritten Weg finden: nicht zu raffiniert und lebensunwirklich, nicht zu einfach und allzuwahr ..
erst mal danke, das Sie sich weiter an der Diskussion beteiligen, dafür nehme ich auch gerne das mit den Topflappen zurück, obwohl ich gerade wieder mal neue bräuchte, aber da ist eigentlich immer auf meine Tante Verlass und Weihnachten ist ja auch nicht mehr weit. Ihr Resümee fällt leider wieder sehr allgemein aus. Bitte besuchen Sie trotzdem weiter das Theater und überdenken Sie auch ruhig mal ihre Wahl zu Gunsten andere Häuser, vielleicht werden Sie ja doch noch überrascht. Ich halte allerdings nichts von Empfehlungen, man muss selber fündig werden und bisweilen etwas auf der Suche leiden. Die Entwicklung des Zeitgeist mit den Subventionen für Theater in Zusammenhang zu bringen, halte ich aber für gefährlich. Das ist das Argument derer die Theater nicht mehr für notwendig halten, also als Luxus den man sich nicht mehr leisten sollte. Ihr eigener Geschmack ist gar nicht das Problem, sondern die Schlüsse die sie daraus ziehen. Sie setzen Ästhetik mit Inhalt gleich und können nicht differenzieren. Da ich in letzter Zeit etwas durch die Gegend reise, um über den Berliner Tellerrand zu schauen, verfüge ich mittlerweile über einen recht guten Überblick, was so in den Stadttheatern in Deutschland los ist. Jetzt zitiere ich sie mal: "Es muß halt gut gemacht sein, Qualität haben. Darauf kommt es an." Das ist mir zu kurz gedacht. Damit kommt Theater nicht sehr weit, das Grundbedürfnis der Bevölkerung und deren Anspruch an Kultur zu decken ist zu wenig. Anspruchsvolles Theater biedert sich gerade eben nicht an den breiten Geschmack an, was natürlich einen gewissen Unterhaltungsgrad nicht grundsätzlich ausschließt. Man muss nicht unnötig im Theater leiden, der Weg nach draußen ist nicht versperrt, aber man sollte nicht nach einer verkorksten Vorstellung sofort den Thesen der Kultursparer oder sogar denen von Thilo Sarrazin verfallen. Bleiben Sie kritisch und interessiert, in diesem Sinne Ihr Stefan.
@ Arkadij
Sie machen mich neugierig, waren Sie in Leipzig oder wie kommen sie jetzt auf Settembrini und Naphta? Ich habe die Inszenierung am letzen Samstag gesehen und bin eigentlich immer noch sehr begeistert, aber dazu vielleicht demnächst mehr.
Nein, ich war im September das letzte Mal in Leipzig, zuvor im Februar dieses Jahres; ich habe freilich die Kritiken dazu hier auf nachtkritik de. verfolgt, die, das darf der Abend allemal für sich einstreichen, sehr kontovers und in der Wertung breit gestreut waren (von Ihnen kommt dann demnächst wohl eine etwas
ausführlichere Empfehlung). An Settembrini und Naphta, zwei, die sich geradezu suchen und finden und "ergänzen" (Sie schreiben das im Steckel-Thread an und geben sich zwei Drittel der Antwort auf Ihre Frage an mich ("Warum hier Naphta/Settembrini ??") im Grunde darin selbst) und wohl nur im Roman "ausschalten", erinnerten mich die beiden Herren Manque und Peterhans dann schon (wie sie hier auftraten), und es gefiel mir, Sie im Gedanken in einer Stückinszenierung unterzubringen, zu der die Fronten "der Kritik" noch nicht so festgefahren zu sein schienen/scheinen, einer Stückinszenierung offenbar, die ein anderes Besteck erfordert als die beiden Duellanten hier bislang aufzufahren bereit waren (anläßlich der Loher-Inszenierung); es war auch eine Art Andeutung zu einem Blick
"über den Tellerrand": sei es nun den Berlins, sei es nun den einer einzigen Inszenierung an einem einzelnen Spieltag (die hier geradezu zu einem pars pro toto aufgeblasen erscheint !)- umso besser, wenn ich mich selbst dabei ein wenig an meine Centraltheater- bzw. Scala- bzw. Lofft- Abende (siehe Schernikau,
da spielte Ihr Tip ja schon einmal eine Rolle) erinnern kann: der Winter begünstigt Bilanzierungen und Ausblicke gleichermaßen, und Leipzig kann ich nur empfehlen als Theaterstadt.
Der "Zauberberg" lag freilich auch aus jenem Grunde nahe, Rückschau
und Vorausschau zu halten. Meine Lübeck-Fahrt zum "Dr. Faustus" habe ich ein wenig verschoben, zumal im Februar noch einmal die geballte Ladung der Mann-Bearbeitungen im Mann-trifft-Wagner-Zyklus
gezeigt werden wird und ich zu dieser Zeit eine Freiwoche im Schichtplan habe (wenn nichts Unvorhergesehenes passiert).
Ansonsten nehme ich jetzt mehr die lokalen Theaterabende wahr und gegen Ende des Jahres noch einmal einen Abend in Rostock, der am 30.12. Premiere hat (und von der Nachtkritik bedacht wird, ich tippe auf Herrn Rakow, der ja aus Rostock stammt ...): zwei Wochen darauf werde ich nach Berlin kommen und wohl das eine oder andere der hier besprochenen Stücke zu sehen bekommen (und nicht nur die);
Sie streben über den Tellerrand Berlins hinaus, ich werde versuchen, auf diesem Teller zu landen: Teller und Kochduell, ... das ist fast schon wieder der Bogen nach Leipzig (ein anderes Mal).
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@Prospero
Sie sagen "..."Gebrauchswert" von Theater ist gelinde gesagt Unfug."
Einerseits zeigen Sie damit, dass Sie die Arbeiten von Adorno und Horkheimer nicht kennen.
Andererseits geben Sie anschließend selbst eine Definition des Gebrauchswertes von Theaterproduktionen, die mit meiner Annonce übereinstimmt.
Ich habe es nur schlichter ausgedrückt, indem ich darauf hinwies, dass Theaterproduktionen von immaterieller Natur sind und den Marktgesetzen unterliegen.
Wenn man Ihren Beitrag #12 nochmal liest, sieht man, dass wir beide auch in der Beurteilung der Inszenierung von "Das letzte Feuer" am DT konform gehen.
Ihr letzter Satz "... Eindruck, ein plakativ einseitiges Schmerzensszenario vor sich zu haben, das am Ende nur noch anstrengt und jeden Erkenntnisgewinn in Düsternis erstickt." beschreibt genau die Empfindungen von mir und meiner Frau. Der Unterschied ist nur der, dass Sie als Dauer-Theaterbesucher an Gewaltszenen mehr gewöhnt sind.
In "Das letzte Feuer" hat der Mißhandler die Frau schon mehrmals niedergeschlagen, an die Wand geboxt und durch den Raum geschleift. Der Gipfel der Geschmacklosigkeit ist halt, dass er dann noch den Kopf der Frau ins Toilettenbecken stopft und ausserdem auf den Kopf draufschlägt.
Wer da nicht ausrastet, der muss schon ein sehr rohes Gemüt haben.
@Ivo Peterhans
Sie sagen "Und ab und an brauchen unsere Sinne auch eine inszenierte gröbere Ansprache: einen Zombie-Film oder eine drastische Gewaltdarstellung auf der Bühne. Als Ausgleich zu unserem risikoarmen Luxusleben"
Das scheint wirklich ein Phänomen in unserer Zivilisation zu sein, die sich freiheitlich gibt, aber trotzdem durch Tausende von Gesetzen und Ausführungsbestimmungen eingeengt ist.
Der Widerspruch zwischen den immer noch vorhandenen archaischen Veranlagungen der Menschen und dem oft tristen Alltagsleben sucht darin seinen Ausgleich.
Übrigens hätten Sie statt Palästina und Sudan auch die DDR für Ihren Vergleich heranziehen können.
Das Publikum damals goutierte am stärksten feinsinnige und versteckte Anspielungen auf die Dummheit und Brutalität des staatlichen Machtapparates.
Die wenigen Stücke, die solches boten und dennoch nicht der Zensur zum Opfer fielen, waren immer Publikumsrenner.
@Stefan
Sie sagen "...er behandelt z.B. Menschen nach ihrem Gebrauchswert. Das hat mit Theater und Kunst nichts zu tun."
Auch Sie sollten Adorno und Horkheimer lesen und eventuell auch Karl Marx!
Sie haben uns geraten, lieber Topflappen zu häkeln als ins Theater zu gehen. Das haben Sie später zurückgenommen und geraten: "Bitte besuchen Sie trotzdem weiter das Theater und überdenken Sie auch ruhig mal ihre Wahl zu Gunsten andere Häuser, vielleicht werden Sie ja doch noch überrascht. "
Diesen Rat haben wir gestern, am 11.12.2010 befolgt und "Der Gott des Gemetzels" von Yasmina Reza im Berliner Ensemble angeschaut, inszeniert von Jürgen Gosch.
Es ist ebenfalls ein Stück über Beziehungsprobleme in der bürgerlichen Welt von heute.
Die Bühne dreht sich nicht und zeigt 1 1/2 Stdn. immer denselben Raum.
Es wird auch gekotzt, vom "vögeln" geredet, und es kommt zu Tätlichkeiten.
Aber hier s p i e l e n Schauspieler von der ersten bis zur letzten Minute, und sie zelebrieren geistvolle Dialoge mit Witz und Überhöhung ohne Übertreibung niederer Maßlosigkeiten.
Es war ein Theaterabend, der Freude und Genuß bereitete. Na bitte, es geht doch!
Wir sind wieder etwas mit der Theaterwelt versöhnt.
Albert Manque
Ich möchte mich ja nicht mit Ihnen streiten, aber wie Sie im Zusammenhang mit Thilo Sarrazin auf Adorno, Horkheimer und Marx kommen ist mir ein Rätsel, das müssen sie mir näher erklären. Aber vielleicht meinen Sie die pessimistische Spätphase von Horkheimer, aber schon in der Dialektik der Aufklärung wähnt er ja zusammen mit Adorno die Menschheit wieder auf dem Weg in die Barbarei. Nun ja, vielleicht sind wir da jetzt angekommen und Dea Loher zeigt uns das etwas explizit. Vielleicht sind Sie ja auch einer Benjaminschen Chokwirkung erlegen, und haben sich nun bei Yasmina Reza hoffentlich bestens erholt. Sie hatten Glück und haben sich das wohl beste Stück das am BE läuft ausgesucht, leider ist es nun abgespielt. Kämen wir dann zu Marx, vielleicht ist es eher angebracht das System zu ändern, anstatt wie Sarrazin es rät, das nur gebildete Leute Kinder haben sollten.
Das Kunst auch zur Ware wird, kann nach Adorno ja nicht negiert werden, hat sie dadurch aber einen tatsächlichen Gebrauchswert. Erst der Kunstbetrieb definiert doch den materiellen Wert eines Werkes. Natürlich will man mit Theater auch sein Geld verdienen, das bedeutet aber nicht Kunst für den allgemeinen Geschmack zu machen. Kunst sollte autonom sein und nicht nach ihrem Wert beurteilt werden. Dessen war sich Adorno auch bewusst, seine Kritik zielt ja auch dahin. Drehen Sie es wie Sie wollen, das Leben ist nicht nur ein ästhetisches Problem und über Kunst lässt sich ja bekanntlich dann doch streiten.
Zwei wichtige Korrekturen
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1.
Sarrazin rät nicht, dass nur gebildete Leute Kinder haben sollten. Das ist eine ganz falsche und schlimme Unterstellung!
Sarrazin zeigt anhand offizieller und gültiger Statistiken, dass sich in den letzten 2 bis 3 Generationen durch die Finanztransfers des Sozialsystems die (sozialen) Unterschichten überdurchschnittlich und der Rest der Bevölkerung unterdurchschnittlich vermehrt haben. Unbestreitbar ist dies keine gesunde Entwicklung. Man kann nun verschiedene Rezepte zur Heilung entwickeln. Sarrazin plädiert für drastische Einschränkungen des Transfersystems, weil es jegliche "Anstrengungsmotivation" tötet.
Auf Dauer hat dies ungünstige Auswirkungen auf den Rohstoff "Intelligenz". Das ist der einzige Rohstoff, den Deutschland hat.
Genauso plädiere ich für eine Abschaffung der Subventionen für die Theater, weil unter der Fahne "Kunst muss experimentieren und darf alles!" durch die Subventionen die Abteilung "Sperma, Blut und Scheiße" forciert, bzw. überhaupt erst ermöglicht wird.
In den letzten 3 Jahren wurde an den deutschen Theatern mehr Kunstblut verbraucht als in den 20 Jahren vorher. Wofür soll das gut sein???
2.
"Erst der Kunstbetrieb definiert doch den materiellen Wert eines Werkes."(Stefan) Dieser materielle Wert ist der T a u s c h w e r t(z.B. der Eintrittspreis für eine Theatervorstellung), nicht der Gebrauchswert. Einige lieben Brahms(hoher Gebrauchswert von Brahms' Musik), andere lieben Brahms nicht(geringer Gebrauchswert von Brahms' Musik).
Diejenigen, für die "Das letzte Feuer" einen hohen Gebrauchswert hat, die möchte ich als Kulturbarbaren bezeichnen.
Albert Manque
vielen Dank für Ihre „wichtigen“ Erklärungen. Was würden wir nur machen ohne Sie, wir Kulturbarbaren? Ich hoffe Sie fühlen sich nicht all zu sehr von uns gestört, ich werde demnächst ganz leise bei Dea Loher applaudieren und nicht mehr Buh rufen bei Herrn Stein im BE. Meine bluttriefende Jacke werde ich ganz verschämt, draußen vor dem BE an einen Baum hängen und die Messer fein säuberlich abwischen, damit Sie des Geruchs nicht gewahr werden. Des weiteren werde ich mich täglich kasteien und versprechen keine falschen Götzen mehr anzubeten und Transferleistungen, Pfui was für ein Unwort, werden ich aus meinem Wortschatz streichen. Ich werde jeden Tag ein Kapitel Thilo Sarrazin lesen und die Bücher von Karl Marx, Adorno und Horkheimer auf dem Bertold-Brecht-Platz den Flammen übergeben. Die Bestimmung des Gebrauchswertes von Kunst überlasse ich Zukunft lieber Ihnen, da Sie ja so weise sind. In tiefer Ergebenheit, Ihr Stefan.
Sie haben Recht! Das Wort "Kulturbarbaren" ist ein Fehlgriff. Ich möchte mich dafür entschuldigen, obwohl ich Adorno vorschieben kann, der mich mit seinen Thesen zur "Kulturbarbarei" beeinflusst hat.
Bitte lassen Sie mich den unseligen Satz aus Beitrag #41 durch diesen ersetzen: "Diejenigen, für die "Das letzte Feuer" einen hohen Gebrauchswert hat, die möchte ich als unsensibel bezeichnen."
Im Übrigen finde ich es nicht so gut, dass Sie wieder nur personalisieren und unterstellen, statt auf das Thema aller meiner Beiträge (Der Einfluss der Subventionen auf die Qualität der Produkte des Gegenwartstheaters) einzugehen: "Bestimmen Sie alleine, welches Theater förderungswürdig ist und welches nicht? Diese diktatorische Grundeinstellung ...".
Wenn ich nach einem niederschmetternden Theatererlebnis meine Meinung zur Wirkung von Subventionen äußerte, wollte ich eigentlich weiter nichts als eine Diskussion über diesen einen Punkt bewirken.
Ich will weder "bestimmen" noch "diktieren". Mein Einfluss auf diesem Gebiet ist sowieso gleich Null. Und schließlich ist "Gebrauchswert" in der Kunst eine sehr unscharfe Kategorie.
@Stefan
Sie haben, verpackt in einer hübschen Satire, ebenfalls nur personalisiert und das eigentliche Thema völlig ignoriert.
Immerhin wünschen Sie jetzt weniger Blut auf der Bühne, und Sie wollen das Buch von Sarrazin lesen. Danke!!!
@Prospero
Ich übergehe Ihre Bemerkungen über die Personalie Manque und möchte ansonsten Ihrem Beitrag zustimmen.
Höchstwahrscheinlich würde der Wegfall der Subventionen die Vielfalt reduzieren.
Es gäbe zwar weniger "Möglichkeiten des Scheiterns", aber auch weniger Möglichkeiten "des Gelingens".
Qualität garantiert nicht absolut, dass sich eine Produktion auf dem Markt durchsetzt. Werbung, Manipulation und der überwiegend seichte Geschmack der Masse könnten eine Nivellierung bewirken, wie wir sie mit dem Privatrundfunk und Privatfernsehen erleben.
Albert Manque
Sie sagten "- wieso kann es nicht bei unterschiedlichen Standpunkten bleiben;"
Damit haben Sie Recht!
Darüber hinaus muss ich meinen Standpunkt korrigieren, der besagte, dass die Qualität der Theaterproduktionen sich verbessern würde, wenn die Subventionen wegfallen würden.
Inzwischen habe ich mich über die Höhe der Subventionen informiert.
Sie bewegen sich zwischen 85% und 50% der Kosten einer Theater-/Opernkarte - mehr in Richtung von 80%.
Wenn diese Subventionen wegfielen, dann würden wahrscheinlich alle ernstzunehmenden Theater- und Opernhäuser sterben müssen. Ganze Berufsgruppen würden verschwinden.
Wir bekämen eine Kulturszene wie im Südsudan oder im Gaza-Streifen.
Das möchte ich nun ganz und gar nicht!
Dann lieber hin und wieder ein Stück aus dem Sperma-, Blut- und Kot-Genre ertragen.
Ein bekehrter Albert Manque