Elf Regeln soll'n es sein

von Wolfgang Behrens

10. Dezember 2019. Ein zentraler Moment des Theaterlebens, der mir zwangsläufig verschlossen blieb, als ich noch ein Kritiker war, ist das Vorsprechen der Schauspielabsolvent*innen an den Häusern, an die sie engagiert zu werden hoffen. Dabei ist das ein für alle Beteiligten höchst aufregender, weil naturgemäß berufs- und karriereentscheidender Vorgang. Und zugleich ein sehr seltsames Ritual: Eine bis in die Haarspitzen motivierte Bewerberin (oder ein Bewerber) entblößt sich emotional vor einigen wahlweise neugierig, semi-aufmerksam oder eisig blickenden Intendanten-, Hausregisseurs- und Dramaturgengesichtern, die sich am Ende meist ein routiniertes "Danke. Wir melden uns!" abringen.

kolumne 2p behrensAls Neudramaturg durfte ich jetzt endlich einige Vorsprechen erleben, und erstaunlicherweise habe ich dabei den Eindruck gewonnen, dass viele Schauspielstudent*innen auf die eigentliche Situation gar nicht so gut vorbereitet wurden und deshalb viele vermeidbare Fehler machen, die meist gar nichts mit ihrem Talent zu tun haben. Daher stelle ich hier einmal 11 (natürlich höchst subjektive) Regeln zur Diskussion, die ich Absolvent*innen für ihre Vorsprechen an den Theatern mit auf den Weg geben würde.

1. Bedenke stets, dass die dich einladenden Theater Schauspieler*innen suchen und keine Inszenierungen! Das heißt, du solltest als Persönlichkeit in deinen Rollen erkennbar bleiben und nicht hinter den Ideen eines Schauspieldozenten oder Mentors verschwinden. Wenn du deine Rolle vom Band einsprechen lässt, während du dazu Trampolin springst, dann kann das als Performance interessant sein; der Theaterleitung aber hilft es in Bezug auf deine schauspielerische Begabung nicht weiter. (Dies ist übrigens auch eine dringende Bitte an die Dozent*innen: Baut eure Schauspielerschüler*innen nicht mit euren Einfällen zu!)

2. Setze nicht allzu sehr auf deine akrobatischen Fähigkeiten! Dass du an deiner Schauspielschule technisch gut ausgebildet wurdest und hervorragend stolpern, fallen und gegen Wände laufen kannst, davon kann man ausgehen. Zeigst du aber nur wenig mehr, als dass du hervorragend stolpern, fallen und gegen Wände laufen kannst, legst du einer Kommission die Vermutung nahe, dass du mit anderen schauspielerischen (zum Beispiel sprachlichen) Talenten nicht allzu gesegnet bist.

3. Verschwende keine Zeit mit Umziehen! Um Schillers Elisabeth vorzusprechen, brauchst du kein güldenes Krönungsgewand im Tudor-Stil anzulegen: Während du dich umziehst, langweilen sich Intendant*innen und Dramaturg*innen bloß, kriegen schlechte Laune und kommen auf dumme Gedanken. Eine gut gearbeitete Rolle macht in jeder Kleidung Eindruck.

4. Veranstalte keine Requisitenschlacht! Einen Stuhl wirst du auf jeder Probebühne vorfinden. Wenn für deine Performance ein Bierkasten oder ein brennendes Ölfass zwingend notwendig ist, dann stimmt etwas mit deiner Performance nicht. Wenn du den Bierkasten oder das Ölfass zu Hause lassen kannst, sparst du dir überdies Reisegepäck.

5. Suche dein Heil nicht im Schreien! Schreien kann ein tolles Mittel sein, um einen bestimmten Emotionsdruck zum Ausdruck zu bringen, aber schreien kann eigentlich jeder, und im Grunde klingen beim Schreien auch alle ziemlich gleich. Wenn du deine eigene Persönlichkeit zum Vorschein bringen willst, wirst du mit den leiseren Tönen besser fahren.

6. Mache nicht zu viele bedeutungsschwangere Pausen! Es kann leider schnell passieren, dass du gerade in einer tiefen Emotion wühlst, während eine Schauspieldirektorin oder ein Dramaturg vor dir auf die Uhr schaut. Daher sollte dein Vortrag, insbesondere übrigens am Beginn, auf keinen Fall so verpaust sein, dass deine Zuschauer mit den Gedanken schon weiter sind als du mit deinen Emotionen. Umgekehrt wäre es jedenfalls besser.

7. Versteife dich nicht auf deine Interpretation! Wenn ein anwesender Regisseur mit dir arbeiten will und eine andere Interpretation vorschlägt, solltest du es ausprobieren und nicht umständlich erklären, warum du es aber so und so gemacht hast. Theaterarbeit ist Proben ist Ändern: Wenn du schnell reagieren kannst, qualifiziert dich das für diesen Prozess.

8. Bereite wenigstens eine Rolle auf Hochdeutsch vor (wenn du an einem deutschsprachigen Theater vorsprichst)! Diese Regel zielt nicht darauf, nichtdeutsche Muttersprachler*innen vom Theater fernzuhalten. Es geht darum, dass die Verantwortlichen im Theater gerne wissen wollen, wie es klingt, wenn du einen deutschen Text sprichst. Wenn du ein französischsprachiges Chanson und eine Rolle im niederbayerischen Dialekt vorbereitest (alles schon vorgekommen!), dann hat die Kommission schlicht ein Informationsdefizit.

9. Überschätze nicht die Wirkung deines vorbereiteten Liedes! Das Lied sollte immer nur eine Draufgabe sein – zumindest, wenn du primär als Schauspieler*in und nicht als Sänger*in arbeiten möchtest. Mit dem Lied anzufangen, ist ungeschickt, weil es dadurch länger dauert, bis du zum Wesentlichen kommst.

10. Sei glaubhaft! Eine simple positive Regel, aber vielleicht die allerwichtigste. Wenn du ohne große Show einen glaubhaften Ton, eine glaubhafte Emotion, einen glaubhaften Moment herstellen kannst, dann kann das ein Vorsprechen entscheiden. Denn ganz vielen Theatermacher*innen geht es noch immer um den Menschen auf der Bühne und nicht um virtuose Performancemaschinen.

11. Schau dir genau an, wer über dich richtet! Auch diesen letzten Hinweis halte ich für enorm wichtig: Ein Vorsprechen ist nicht einseitig; nicht nur die Theaterleitung will dich als Schauspieler kennenlernen, auch du solltest die Theaterleitung kennenlernen, die dich potentiell engagieren wird. Wenn sich die Leute, die über dich befinden, als Arschlöcher erweisen, solltest du ihnen das sagen bzw. du darfst ihnen gerne eine Absage erteilen, bevor sie dir absagen. Du willst zwar arbeiten, aber deinen Stolz darfst du nicht verlieren!

So, das war's. Vielen Dank! Wir melden uns!

 

Wolfgang Behrens, Jahrgang 1970, ist seit der Spielzeit 2017/18 Dramaturg am Staatstheater Wiesbaden. Zuvor war er Redakteur bei nachtkritik.de. Er studierte Musikwissenschaft, Philosophie und Mathematik in Berlin. Für seine Kolumne "Als ich noch ein Kritiker war" wühlt er u.a. in seinem reichen Theateranekdotenschatz.

 

Zuletzt untersuchte Wolfgang Behrens die Dialektik von Trüffelpyramiden und der Schaubühne als moralische Anstalt.

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