Keine Zeit für Black History Month

13. Februar 2024. Der Februar ist Black History Month. Eine Zeit, Schwarze Erzählungen in den Kanon einzuspeisen, als Akt der Öffnung und Solidarisierung, als Mittel neuer Gemeinschaftsstiftung. Diesen utopischen Kern der postkolonialen Perspektive gilt es festzuhalten, gerade in diesen Tagen, da sich allerorten der Blick verengt und rigoros Fronten gezogen werden.

Von Atif Mohammed Nour Hussein

13. Februar 2024. Auf den Tag genau vor zwölf Jahren, am 13. Februar 2012, berichtet nachtkritik.de von einem Ereignis, das von heute aus betrachtet zu einem radikalen Bruch mit einer rassistischen Darstellungspraxis an Theatern im deutschsprachigen Raum führte: Protest gegen Blackface im Theater. Die Geschichte dürfte bekannt sein.

Dass diese (wortwörtliche) Erhebung Schwarzer Menschen/Menschen of Color/bis dahin marginalisierter Theaterleute einen emanzipatorischen Prozess einleiten würde, war so nicht vorhersehbar. Es bedurfte neben der Geduld, der Aufklärung, den vielen Debatten, nicht zuletzt dem Einüben eines neuen Umgangs miteinander, um in dieser politisch umkämpften Zone neue künstlerische Maßstäbe zu definieren, eben auch einer Öffentlichkeit, die bereit war das aufzunehmen.

Ballhaus Naunynstraße Berlin als Ort der Identitätsstiftung

Mit dem Ballhaus Naunynstraße in Berlin-Kreuzberg, im Frühjahr 2012 noch unter der Leitung von Şermin Langhoff, zu deren Team auch Tunçay Kulaoğlu und Wagner Carvalho gehörten, bildete sich sehr schnell der Raum, in dem Schwarze Theaterkünstler*innen, Autor*innen und Wissenschaftler*innen nach einer neuen Selbstbestimmung, zu einer eigenen Sprache finden konnten. Und das von Anfang an nicht, um umgekehrt Ausschlüsse zu etablieren, sondern einen common ground. Zwar verstand sich das Ballhaus (schon mindestens seit 2008) als identitätsstiftend, nie aber als identitär.

Und dennoch gab es vor nicht allzu langer Zeit eine irritierende Frage aus der Berliner Senatsverwaltung für Kultur an Mitglieder verschiedener Jurys, die die Verwaltung zur Förderung und Finanzierung der Freien Theater und Künstler*innen beraten. Wie die (Neu)-Ausrichtung unter der Künstlerischen Leitung von Wagner Carvalho zu bewerten sei, wollte man* wissen – präziser, ob "das nicht alles zu Schwarz wäre". Die Antwort war so simpel wie umfassend: "Nö!"

Kreolisierung der Welt

Wer annimmt, so etwas wie der Black History Month, und damit auch beispielsweise das aktuelle Festival "Black Berlin Black – United Polyphonic" im Ballhaus sei eine exkludierende Veranstaltung, irrt. Vielmehr geht es darum, Geschichte und Geschichten Schwarzer Menschen/Menschen of Color einzubringen in einen sich stetig erweiternden, vielstimmigen Kanon. Das bedeutete im Anfang vielleicht, sich dem weißen, europäischen, stets vermessen wollenden Blick bis hin zur Überkenntlichkeit zu stellen. Doch letztlich geht es um eine "Kreolisierung der Welt", wie sie als anzustrebende Möglichkeit durch den Essayisten und Romancier Édouard Glissant in Aussicht gestellt wurde. In "Flight of the Canaries" von Bishop Black heißt es an einer Stelle: "We don’t have history, we have ancestry." Ein schwermütiger Satz.

Glissant würde dem vielleicht entgegnen: "Wir wurden geprägt von einer Praxis der Oralität, die unmittelbar, ja geradezu instinktiv war. Die Oralität hat ihre eigenen Strukturen: Der kreolische Erzähler wiederholt, und ich sage provokativ, dass die Wiederholung eine moderne Form der Erkenntnis ist. Der kreolische Erzähler wiederholt, er zerstört die Geschichte, die er erzählt. Wenn er eine Geschichte erzählt, verschachtelt er sie in einer anderen, fängt noch eine Dritte an, kommt wieder auf die erste zurück, das heißt, er hält sich nicht im Geringsten an die Erzählstruktur des Westens."

Und weiter: "Die Oralität hat die Schriftsprache nicht ersetzt, sondern ist in sie eingedrungen und hat sie verändert. Mittlerweile ist die Oralität der Erzählung Ausdruck der Revanche aller oralen Kulturen, die wegen ihrer Mündlichkeit für minderwertig gehalten wurden."

Revanche mag seltsam klingen. Schaut man jedoch "Echoing Europe – postcolonial reverbarations" von meLê yamomo, läßt sich schnell erkennen, wie spielerisch, wie liebevoll dieses Wort sein kann. "Echoing Europe" wirkt hier als kongeniale performative Synthetisierung Glissants.

Verengung der Begriffe

Allerdings, der Geist der, beispielweise, durch die Autorinnen May Ayim, Sharon Dodua Otoo, oder Mithu Sanyal, die Künstlerinnen Simone Dede Ayivi, Isabelle Redfern oder Fernanda Costa in die Welt getragen wurde und wird, ist bedroht: Ihre transgressive, identitätsübergreifende Sprache, ihre dekolonialisierenden Ideen werden konterkariert. So sind die Begriffe postmigrantisch und postkolonial mittlerweile verzerrt und zur Chiffre für engstirnige, ausgrenzende Positionsbestimmungen geronnen. Nicht zuletzt auch wegen der Kaperung durch radikale ahistorische und apolitische Bewegungen. Ursprünglich gesetzt, um eine neue Gegenwart, eine anzuerkennende Realität zu beschreiben, ein tatsächliches universalisierendes Menschenverständnis zu entwickeln, soll es wiederholt zu Stigmatisierung, Trennung in Freund und Feind, Gut und Böse führen.

Die Perfidie, mit der Räume öffnende Taktiken wie die Bühnenbesetzung im Schauspiel Frankfurt durch Mitglieder der Jüdischen Gemeinde 1985 jetzt ins Zerstörende, Auslöschende verkehrt werden, ist atemraubend. Umso wichtiger ist es, sich die hier verlinkte Aufzeichnung der Veranstaltung (Bühnen) Besetzungen – Symposium nach "Der Müll, die Stadt und der Tod" vom 25. April 2021 im Schauspiel Frankfurt anzuschauen. Das Video ist sehr lang – aber es die Zeit wert.

Denn, wenn die durch die kubanische Künstlerin Tania Bruguera initiierte 100-stündige Lesung von Hannah Arendts "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft" im Hamburger Bahnhof gesprengt wird – und das nicht, weil es kritische Betrachtungen zu Hannah Arendts Hauptwerk gibt, sondern weil man* Arendt negativ, d.h. antisemitisch als Jüdin markieren und so beispielhaft vernichten will, dann hat das nichts mit Widerstand, Selbstermächtigung und nichts mit strukturellem Verständnis komplexer Zusammenhänge zu tun. Wer glaubt, so Leid und Sterben zu beenden, hat nicht sondern ist verloren. Dafür müssen nicht einmal historische Vergleiche bemüht werden. Es reicht zu schauen, in wessen reaktionärem Fahrwasser man* da schwimmt.

Es braucht die Neueroberung postkolonialer Begriffe

Zu erleben, wie sich an Orten wie dem Ballhaus Naunynstraße bestimmte Identitätskonflikte, die man* als Theaterkünstler*in, Dramaturg*in, Autor*in mit sich selbst hat, weil oft noch die Sorge mitschwingt, man gehöre doch nicht dazu, hätte nicht wirklich das Recht sich öffentlich zu äußern – man* ist zu Schwarz, zu migrantisch, zu queer – wie sich diese Konflikte in künstlerische Freiheit auflösen lassen, entlastet sehr. Entlastet auch davon, bestimmte Auseinandersetzungen an anderen Orten dann eben nicht (mehr) führen zu müssen, sich nicht um diese Rechte streiten zu müssen.

Jasco Viefhues, Dokumentarfilmer und (zur Zeit) Dramaturg am Schauspiel Dortmund sagte dazu, wie bedeutend es für ihn sei, an einem Ort arbeiten zu können, an dem alles immer wieder neu ist, kein Kanon wiedergeschaut werden muss. Und dass er das Theater als Labor verstehen wolle, in dem es nicht um Wissensproduktion geht, sondern um tatsächliche Forschung, für die, wenn nötig, Vergangenheiten erfunden werden müssen; das heißt den Resilienzraum für das Gegenwärtige als Resonanzraum für das Mögliche zu nutzen.

Um diese Prozesse der Ablösung von aufgebürdeten Strukturen, diese Entwicklung von Freiheit nicht ins Nichts laufen zu lassen – und diese Gefahr besteht, muss die emanzipatorische Dimension kritischer Begriffe wie postkolonial neu beschrieben, neu erobert werden. Er darf nicht vollends der umklammerte, für Verhärtung, Exklusion, gar Antisemitismus stehende Kampfbegriff werden, nur weil es Kräfte gibt, die das gern so hätten. Dann erst wird es wieder möglich sein, Schwarze, afrodiasporische, afropäische Geschichte/n befreit als das zu zelebrieren, was sie in all ihrer Offenheit, Diversität und Fluidität sind. So muss, trotz oder wegen des Black History Month alle Aufmerksamkeit, alle Solidarität zu denen, die sie jetzt am dringendsten brauchen.

Kolumne: Atif Mohammed Nour Hussein

Atif Mohammed Nour Hussein

Atif Mohammed Nour Hussein ist Regisseur und Puppenbauer. In seiner Kolumne stöbert er zwischen Verschobenem und Ablagerungen im Überbau.

Kommentare  
Kolumne Hussein: Sehr wichtiger Text!
Danke für diesen großartigen Text!
Kolumne Hussein: Viele Türen zum Weiterdenken
+1
Das ist ein wirklich richtig toller Text, der eigentlich noch viel länger sein könnte, weil er so viele Türen zum Weiterdenken öffnet.
Liebe nk-Redaktion, "Kreolisierung der Welt" klingt nach einem tollen Thema, das gerade auch formal und strukturell betrachtet noch mehr Raum bekommen dürfte.
Kolumne Hussein: Erinnerung und Ausblick
Vielen Dank für diesen sehr lesenswerten Text!
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