Situationen mit Männern

von Hartmut Krug

Gera, 10. April 2009. Die Bühne ist ein offener Platz, wie Shakespeare es wollte. Aber hier donnert und blitzt es nicht, sondern über das ovale Halbrund der Betonrückwand, an der zwei auf Leitern erreichbare Podeste kleben und aus der weitere Podeste gezogen werden können, ziehen Videowolken.

Bühnenbildner Johannes Zacher hat einen schicken Auftrittsort für die Schauspieler gebaut, und Regisseur Uwe Dag Berlin inszeniert ihnen darauf lauter scheinbar bedeutsame Auftritte. Doch hier findet gerade nicht statt, was in Jan Kotts, das Programmheft ausfüllendem Essay beschworen wird: kein Blutbad als Albtraum, kein Kampf von Macbeth und seiner Lady miteinander, kein dramatischer Sog. Gezeigt wird stattdessen ein kühl auf Wirkung bezogenes und allein mit szenischen Einfällen komponiertes Äußerlichkeitsspiel.

Schillers Shakespeare
Wohl allein wegen des Schillerjahres wurde Schillers wenig gespielte, weil etwas bedächtige Übertragung gewählt, in der dieser gemäß seinem Tragödienideal Macbeth edler als bei Shakespeare erscheinen lässt und in dem die Hexen zu antiken Schicksalsgöttinnen werden. Das aber sind sie in Gera nicht, sondern drei Frauen von heute, drei Sekretärinnen in Kostümen, die ihre ersten Texte chorisch aus der Financial Times lesen (woraus keinerlei Anspielung auf aktuelle Bankkrisen folgt), um sie dann in eine Schreibmaschine zu tippen, sie mit der Melodie des Thule-Liedes aus dem Faust zu singen oder sie, eine böse Tat berichtend, in Konkurrenz gegeneinander zu sprechen.

Ein Musiker mit goldenem Laub und Teufelshorn auf dem Kopf marschiert mit Saxophon oder Klarinette als kommentierender und atmosphärisch untermalender Darsteller von Hekate/Propolos über die leere Bühne, in deren Mitte ein roter Arzt-Drehstuhl steht. Regisseur Uwe Dag Berlin inszeniert lauter scheinbar originelle Situationen mit Männern, natürlich in Ledermänteln, die bedeutsam sprechen, wie sie es seit alters her im Stadttheater tun. Die Aufführung gibt sich zeitlos heutig, ohne sich bewusst im Heute zu verankern.

Turnschuhkrieger unter Originalitätsdruck
Hier gibt es kein psychologisches Entwicklungsspiel, keine Tragik von Menschen, die Gewalt als Mittel benutzen und dabei erfahren, wie diese Gewalt sie selbst immer stärker beherrscht. Dies alles verschwindet unter dem deutlichen Originalitätsüberdruck der Regie. Statt die Figuren von innen zu erschließen, werden sie von außen interessant gemacht.

Dabei kommt es zu schauspielerisch nicht immer beherrschten Situationen. Macbeth und Banquo, zwei lockere, junge Männer, tragen unterm Mantel nur Unterhemd oder Shirt, und der Turnschuhkrieger Banquo kaut offenmäulig grinsend unentwegt Kaugummi oder betrachtet begeistert die Photos, die man von ihm mit dem Handy gemacht hat. Die blonde, körperbetonte Lady trägt unterm engen Kleid einen Dolch im Schenkelhalfter und turnt mit Macbeth einige unentschiedene Körperübungen, wobei sie ihm, ganz wie im schlechten Film, auch mal das Hemd aufreißt. Doch die Beziehung des Paares bleibt wie vieles in dieser Inszenierung effektvoll undeutlich.

Später wäscht sich Lady Macbeth, an der Stirn eine Art Grubenlampe, ohne viel Zeit zur inneren Auseinandersetzung zu haben, in der Badewanne das imaginäre Blut von den Händen. Dabei wird sie von einem hämisch böse giggernden Arzt und einer hexenhaft triumphierenden Kammerfrau belauscht. Die leere Wanne ist ohnehin ein gern genutztes Requisit und ein Auftrittsort, in und um den herum man sich immer wieder blutig oder nachdenklich oder schlicht effektvoll versammelt.

Der Dolch und seine tiefere Bedeutung
So hangelt sich Uwe Dag Berlins Inszenierung mit großem Wirkungs- und Formwillen von Einfall zu Einfall und verliert dabei jeden zusammenhängenden Interpretationswillen aus den Augen. Die zwei pausenlosen Aufführungsstunden ziehen sich mächtig hin. Das Ganze ist ehrgeiziges Oberflächentheater.

Leider überzeugt auch Hauptdarsteller Alexander Flache nicht: wenn er seinen Monolog "Ist dies ein Dolch" spricht, wird vorher eine kleine Plastikfigur aufgezogen und auf den Boden gestellt. Dazu grimassiert der Darsteller seinen Monolog mit mimisch-gestischem Totaleinsatz in die unfreiwillige Komik, – und rotes Schummerlicht soll dazu die tiefere Bedeutung schaffen.

Wenn die Kampfszenen am Schluss nicht gespielt, sondern aufgesagt worden sind, erleidet Macbeth den Tod auf seinem roten Arzt-Thronsessel, der zum elektrischen Stuhl wird, wozu alle anderen das Zischen des einfließenden Stromes imitieren und der neue König Malcolm endlich Schuhe anzieht, – nämlich die von Macbeth. Doch bereits der erste Tanz in ihnen misslingt. Wenn man böse sein wollte, könnte man dies als Metapher für das Bemühen der gesamten Inszenierung nehmen. Einer Inszenierung, die keinen inneren Kern, sondern nur Regie-Einfall-Posen und -Positionen kennt.


Macbeth
von William Shakespeare
Deutsch von Friedrich Schiller
Inszenierung: Uwe Dag Berlin, Bühne: Johannes Zacher, Kostüme: Franziska Harbort, Musikalische Einrichtung: Peter Schneider, Video: Moritz Tittel. Mit: Peter Prautsch, Moritz Tittel, Martin Andreas Greif, Alexander Flache, Benedikt Balthasar, Corala Sigg, Stefan Migge, Andreas Unglaub, Stephan Clemens, Peter Carl, Peter Schneider, Gisela Aderhold, Anna Röder, Florence Matousek, Mechthild Scrobanita, Juliane Meyerhoff, Ulrich Milde.

www.tpthueringen.de


Mehr Macbeth? Im März 2009 inszenierte Bruno Cathomas das finstere Mordspiel in Chemnitz. Stephan Kimmig interpretierte den Stoff im Wiener Burgtheater im Dezember 2008 als psychologisches Kammerspiel. In Leipzig legte Intendant Sebastian Hartmann im Oktober 2008 seine rabiate Magdeburger Spaßtheaterversion des Stücks von 2005 noch einmal auf.

 

Kritikenrundschau

Weil Schillerjahr ist, ließe Uwe Dag Berlin "Macbeth" eben in der Übersetzung Schillers spielen, vermutet Henryk Goldberg in der Thüringischen Allgemeinen (13.4.). Dessen Eingriffe seien auch "aus einem einfachen Grunde nicht weiter von Belang: weil hier nichts weiter von Belang ist". Und auch auf der Bühne nichts "außer banalen Vorkommnissen, außer Effekten". Macbeth und Banquo "tragen die Hundemarke der Soldaten, (...) posieren in das Blitzlicht der Handys. Macbeth sucht die Nachricht seiner Beförderung blätternd in der Zeitung". Zwischen ihm und der Lady geschehe "nichts Bemerkbares, keine Partnerbeziehung", auch "nichts zwischen den anderen, kein Untertext, der etwas meinen, etwas wollen, etwas bedeuten könnte." Berlin wolle die Geschichte wohl als "gegenwärtig zeigen, (...) doch es bleibt ganz allgemein. Die zwei langen Stunden mühen sich von Effekt zu Effekt – und bleiben seltsam leer, substanzlos. Da ist kein tragender Gedanke, der den Abend zusammenhält, und, wohl auch daraus folgend, keine schauspielerische Arbeit, die eine Figur entwickelt". Nur Moritz Tittels als Malcolm, habe am Ende "wenigstens einen Ton, der hören macht, eine Figur, die ein Unenträtseltes hat". Es bleibt "eine allgemeine, diffuse Erörterung zum Thema Macht".

Dass der rot bezogene Stuhl Macbeth am Ende "zur mit Strom betriebenen Richtstatt" wird, sei "nur einer der überraschenden Momente" dieser Inszenierung, für Volker Müller von der Freien Presse (14.4.) eine der "besten Leistungen" von Uwe Dag Berlin in Ostthüringen. Der Regisseur nutze die "straffe, glättende" Schiller-Fassung, um "modernes, intelligentes Theater hinzuzaubern", klebe dabei "nicht sklavisch an der Überlieferung, baut Gags und Abstruses es und lässt der jugendlichen Spiellust allen Raum der Welt". Die "Substanz des Stoffes" werde indes "nicht angetastet, sondern für heutige Ohren und Augen erst richtig zum Leben erweckt". Ausstatterin Franziska Harbort sprühe "vor Einfällen" und lasse "mittels kecker Accessoires und praller Farben diverse Rang- und Bedeutungsunterschiede zwischen den Helden deutlich werden", während die Akteure "Glanz, Verführung und Elend des Herrschens" packend vorführten. Das "nahezu komplett aufgebotene Ensemble" zeige sich "durchweg in Hochform".

 

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