Amphitryon - Vorarlberger Landestheater
Auftritt der Computergötter
25. April 2024. In "Amphitryon" erscheint Göttervater Jupiter der Königin Alkmene in Gestalt ihres Gatten und löst damit eine Identitätskrise aus. Von welchem Olymp könnte heute ein Gott herabsteigen? Vom Hightech-Olymp? Als Geburt der Künstlichen Intelligenz? Angelika Zacek blickt durch die Tech-Brille auf Kleists Komödie. Und findet herrliches Verwirrrspiel.
Von Christa Dietrich
25. April 2024. Biden mit Trump am Wirtshaustisch, ein Handschlag von Elvis und Kim Jong-un, der Papst mit Maschinengewehr im Arm. Bevor das erste Wort aus dem Versdrama von Heinrich von Kleist fällt, lässt Angelika Zacek Bilder auf die Bühne projizieren, die nur manipuliert sein können. Leicht als Fake identifizierbar sind sie und so spaßig wie der hinzugefügte Prolog.
In Gestalt einer künstlichen Intelligenz, mit Text aus ChatGPT bekunden Jupiter und Merkur ihre Absicht, die Menschen zu täuschen: "Wir wollen wandeln auf der Erde Sphäre und spielen dort ein Spiel, wie keines wäre", dröhnt es aus dem Bühnennebel. Eine kleine Lockerungsübung zum Auftakt, bevor der Einspieler verschwindet und das Drama auf der Bühne, in Blankversen ohne Mikroportverstärkung, seinen Lauf nimmt.
Ins Identitätsspiel geworfen
Lustig begann es, ernst geht es weiter. Das heißt, nicht ganz. Die österreichische Regisseurin Angelika Zacek hat bei ihrer ersten Inszenierung am Vorarlberger Landestheater ihren Deutungsrahmen gesetzt: Die olympischen Götter, die in den Amphitryon-Dichtungen von der Antike über Molière bis Kleist agieren, müssten heute nicht mehr Fiktion bleiben, sondern könnten im Zeitalter der Tech-Industrie als Ausprägung einer Künstlichen Intelligenz mit den Menschen um Identität ringen.
Doch nicht als Cyborgs besuchen Jupiter und sein Gefährte Merkur hier die Erde, sondern immer noch als Ebenbild von Amphitryon und seinem Diener Sosias. Bei ihrem Gefährt geht Ausstatter Gregor Sturm in die Vollen: Eine glänzende Kugel schwebt vom Bühnenhimmel, sie findet gerade noch Platz im streng umgrenzten, dreieckigen Feld, in dem eine Drehtür die Akteure ins Spiel wirft. Eine gute Idee. Ausgeliefert sind die Menschen ihrer trügerischen Wahrnehmung und der unlösbaren Frage nach der Wahrheit der Identität.
Berauschende Liebesnacht
Bei dem so nachvollziehbaren wie herausfordernden Ansatz der Inszenierung bleibt der rein emotionale Konflikt zwischen dem jungen Ehepaar Amphitryon und Alkmene gleichwohl erhalten. Alkmene, der Jupiter in der Gestalt ihres Mannes entgegentritt, zehrt noch lange von ihrer berauschenden Liebesnacht mit dem Gott. Wie authentisch Maria Lisa Huber den Genuss daran bekundet, ist ein zentraler Moment. Nicht Verführung ist ihr widerfahren, Selbstbewusstsein legt sie an den Tag, etwas irritiert ist sie zwar, aber der Schrecken zieht erst ein, wenn ihr klar wird, dass es kein Mensch gewesen sein konnte, mit dem sie sich vergnügte.
Alkmenes Dienerin Charis, zur der Merkur sich mit dem Aussehen ihres Gatten Sosias begibt, ist aus starkem Holz geschnitzt. Isabella Campestrini darf mit dem Publikum flirten, wenn Merkur alias Sosias so gar nicht auf ihr Begehren reagiert. Nonchalant erledigt sie das, und so passt es auch, dass es keine Hierarchie mehr gibt bei den Frauen. Die Kleider der Fürstin und ihrer Angestellten sowie die Locken sind gleichermaßen edel und ausladend.
Handfeste Komödie
Als reizvolle Attitüde oder als Verweis darauf, dass sich Kleist bei seinem 1807 veröffentlichten "Amphitryon" auf die Fassung von Molière berief, ist die Haartracht der Herren ebenfalls üppig. Das lässt zumindest schmunzeln, denn dass es bei den Männern noch viel Entwicklungspotenzial gibt, wird von der Inszenierung ausgekostet. Sie schlagen sich, sie balgen sich und sie sind verstimmt. Eine historisierende Komödienästhetik ist es, die David Kopp (Sosias) und Nico Raschner (Merkur) mit viel Körpereinsatz in grellen Kostümen zum Schwingen bringen und die Luzian Hirzel (Amphitryon) und Grégoire Gros (Jupiter) so unterbrechen, dass sie die Problematik des um seine Identität ringenden Menschen eindrücklich vermitteln.
Der Krieg, aus dem Amphitryon zurückkehrt, bleibt in der gestrafften Fassung von Angelika Zacek unerwähnt. Die KI-Problematik setzt den Fokus, ohne dass sie dem Stück übergestülpt wirkt – und ohne dass sie Kleists Klassiker etwas von seiner Kompaktheit und Spannung wegnimmt.
Amphitryon
von Heinrich von Kleist
Inszenierung: Angelika Zacek, Bühne und Kostüm: Gregor Sturm.
Mit: Maria Lisa Huber, Isabella Campestrini, Luzian Hirzel, David Kopp, Grégoire Gros und Nico Raschner.
Premiere am 24. April 2024
Dauer: 2 Stunden, eine Pause
www.landestheater.org
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