Rosafarbene Hölle

27. April 2024. Regisseurin Yana Eva Thönnes hat sich in kürzester Zeit einen Namen gemacht, wie man fernab aller Klischees von Gewalt, Missbrauch, Suizid erzählen kann. Mit "Dunkler Frühling" nimmt sie nun den Roman von Unica Zürn als Grundlage und gibt dem Unwirklichen einen Raum.

Von Leo Haverkamp

Yana Eva Thönnes' "Dunkler Frühling" nach Unica Zürns Erzählung am Neumarkt Zürich © Philip Frowein

27. April 2024. Wie erzählt man auf der Bühne von einem Suizid? Schon seit Goethes Werther ist die Gefahr potenzieller Nachahmungen durch explizite Suizid-Ddarstellungen bekannt. Jüngere Beispiele, wie das der Serie Thirteen Reasons Why entfachten neue Debatten über den Umgang mit dem Komplex. Aber Suizide nicht zu thematisieren? Das wäre mindestens auch streitbar.

Das Ende, das die Schriftstellerin Unica Zürn für die zwölfjährige Protagonistin ihrer Erzählung "Dunkler Frühling" vorgesehen hat, wählte sie wenig später selbst. Regisseurin Yana Eva Thönnes greift Zürns 1969 erschienen Roman auf, aber beruft sich in ihrer Inszenierung am Züricher Neumarkttheater eher auf das Surreale in der Biografie der Schriftstellerin, statt eine tragische Lebensgeschichte auf Schuld- und Präventionsfragen zu durchleuchten.

Ins Nichts verschwinden

Allein die Bühne (Dominic Huber) könnte aus einem David-Lynch-Film stammen. Der Samtteppichboden und die von rosa Vorhängen gesäumten Stufen hinauf zum Altar erwecken für einen kurzen Moment den Anschein eines billigen Las-Vegas-Hochzeitssettings. Doch scheint es, als würde der Altar in der Tiefe der Bühne eher auf einen Sarg warten als auf Verlobte. Zudem hängt vorne rechts ein "Exit"-Schild an Silberketten von der Decke, was in der Schweiz auch der Name für  eine Sterbehilfeorganisation ist.

Begräbnis oder Las-Vegas-Hochzeit? Der Teppich ist rosa, das Ensemble trägt Schwarz in "Dunkler Frühling" © Philip Frowein

Schon der Abschiedsmonolog wird nicht zum Publikum gesprochen. In einem langen schwarzen Kleid schreitet Melina Pyschny von links auf die Bühne, spricht rechts ins Off, macht kehrt und hat die Szenerie quasi schon wieder verlassen, als der Monolog endet: "Wisst Ihr nicht, dass sich hier ein Kind aus Liebe getötet hat?" Mit dem ersten Satz aus Zürns Erzählung, schiebt sich dann ein auf der Seite liegender Körper (David Attenberger) wie eine Raupe auf die Bühne: "Vater ist der erste Mann, den du kennenlernst." Immer wieder tritt jemand wie in Trance hinter einem der Vorhänge hervor, um nach ein paar Sätzen wieder ins Nichts zu verschwinden.

Familiärer Missbrauch

Die Worte richten sich an die Verstorbene, deren Leben jetzt nachvollzogen wird. Bruder, Vater, Mutter, Freund*innen und Geliebte determinieren das Leben und ebnen seinen Lauf in den Suizid. Ab und zu kommt auch die Sterbende selbst zu Wort. Dabei wissen alle erstaunlich genau von den gegenseitigen Abgründen zu berichten, sprechen von Affären, Selbstbefriedigungspraktiken und Gedanken, wie man sie sonst nur seinem Tagebuch anvertraut. Meist sind es nur wenige Sätze, hinuntergeworfen zwischen den wechselnden Rollen, die von der Entdeckung der Sexualität, der Vergewaltigung durch den Bruder oder einer unglücklichen Liebe erzählen. Gesprochen mit klarer, fester Stimme.

dunkler fruehling1 1200 Philip Frowein uRaum für das Unwirkliche: Im Bühnenbild von Dominic Huber in "Dunkler Frühling" © Philip Frowein

Nur die Körper verraten das Unbehagen: Immer wieder ziehen sie sich zusammen, sacken an einer Wand herunter, räkeln sich auf dem Boden, driften ins Sexuelle oder reflektieren überzeichnete Darstellungen von Geisteskranken. Mal stützt sich ein gestreckter Arm an eine Wand, mal schickt eine gerunzelte Stirn Blicke ins Nichts. Ab und zu erhängt sich jemand an der eigenen Faust oder stößt sich ein imaginäres Messer in den Bauch. Der Trauerfeier entsprechend tragen alle Schwarz, auch wenn einige der Kostüme von Katharina Pia Schütz auch auf einer Fetischparty durchgehen würden.

Schatten nachspüren                

Rechts von der Bühne begleitet Marina Mello den Abend an der Harfe. Von den kurzen Seiten erklingt der helle Wahnsinn, die schweren Molltöne verheißen nichts Besseres (Kostproben hier). Immer wieder zerreißen schiefe Klänge und Radiohead-artig verzerrte Melodien den letzten Realitätsbezug. Dem Nicht-Zeigbaren wird auch für etwa zehn Minuten Raum geboten, als nach kurzem Blackout die Bühne leergefegt nur von einem Elektroremix bespielt wird, wie er nächste Woche in Berlin bei den Après-Erster-Mai-Demo-Raves laufen könnte.

Es ist dieses Abhorchen einer dunklen Seele, das Sichverlassen auf einen unfassbaren Text und dessen Echo in den Körpern, das das Besondere dieses Abends ausmacht. Das Echte ist mit Zürns Geschichte gegeben; auf der Bühne wird den Schatten nachgespürt und dem Unwirklichen Raum gegeben, statt das Unbegreifliche nachvollziehen zu wollen.

Dunkler Frühling

von Unica Zürn
Regie & Textfassung: Yana Eva Thönnes, Bühne: Dominic Huber, Kostüme: Katharina Pia Schütz, Dramaturgie: Tine Milz, Harfe: Marina Mello, Regieassistenz: Sophia Senn, Ausstattungsassistenz: Noé Wetter, Regieassistenz / Mitarbeit Musik: Paul Grimshaw.
Mit: David Attenberger, Challenge Gumbodete, Melina Pyschny, Claire Vivianne Sobottke.
Premiere am 26. April 2024
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause

www.theaterneumarkt.ch

 

Kritikenrundschau

Regisseurin Yana Eva Tönnes und das Ensemble am Neumarkt geben Unica Zürns großem, düster schillernden Text den stimmigen Hallraum, so Andreas Klaeui im SRF (29.4.2024). "In einem surrealistischen Setting. In einer Sprache, die ohne Pathos das Grauen heraufbeschwört." Und mit einer Bewegungschoreografie, die zwischen kindlichen Gesten und neurotischem Zwang schwanke. Eindrücklich sei das. Fazit: Ein kluger und unaufdringlicher Umgang mit Unica Zürns Text. "Eine Wiederentdeckung, die sich lohnt."

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