Drei große Diktatorinnen

von Andreas Wilink

Düsseldorf, 21. September 2013. Der Frieden – zumindest das Verhandeln über seine Modalitäten – ist die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Im Februar 1945 treffen sich auf der Krim die siegermächtigen Winston Churchill, Franklin D. Roosevelt und Josef Stalin. Der britische Gast schätzt Champagner, der Mann im Rollstuhl sieht gern Filme, etwa Disneys "Dumbo", der Gastgeber im Marschallrang erweist sich, unter anderem, als spezieller Hundefreund und Mann von herber Polit-Poesie. Man kartet in Jalta die neue Weltordnung aus, markiert Einflusssphären, summiert Schadensersatzansprüche, plant die Teilung bis hin zur Zerstückelung Deutschlands.

Wesentliches betrifft die Zukunft Polens – westliche Demokratie oder Satellit Moskaus –, das gegen Interessen auf dem Balkan und im Mittelmeer verrechnet wird. Zur "joy of politics" gehören Sympathie, Soldatenehre und Status-Fragen, das Sinnen auf und das Fürchten von Betrug. Und schließlich ist da noch ein unsichtbarer, jedoch vom Exil in England aus nicht stummer Vierter: Charles de Gaulle.

Schwatzhafter Polit-Poker

Im Auftrag des Düsseldorfer Schauspielhauses hat der Schwede Lucas Svensson für seinen Landsmann Staffan Holm, basierend auf Protokollen, aber frei fantasierend, den sehr langen Polit-Poker geschrieben: der erste Akt in sieben, der zweite in elf Bildern, die außer Facon geraten. Bei der Lektüre des Stücks, das zunächst den Insulaner, danach den Amerikaner, schließlich den Russen im Solo vorstellt, fallen beträchtliches Selbstgefallen und Schwatzhaftigkeit auf – bei einigen ironischen Schärfen und sarkastischen Schleifen. Wobei das Bühnen-Trio – übrigens drei fröhliche Zecher – weniger zur Dürrenmatt-Groteske neigt, als zu anglo-realistischer Präsenz. Für ersteres spräche jedoch, dass in der Regie-Anweisung als Schauplatz "der dunkle Raum Welt" genannt wird. Auch heulen irgendwo Hunde, als sei eine mythologische Meute von der Kette gelassen. Der Ort muss oberhalb der Niederungen irdischen Geschehens liegen. Mit dem Feldstecher lassen sich die Kontinente betrachten. Churchill, dem grimmen Kriegsmann ("Der Krieg ist die Grundsituation. Der Frieden ist immer nur eine Pause."), gewährt der Autor von dieser Warte aus Überblick auf das Empire von Afrika bis Indien, auf die Fronten von den russischen Weiten bis zum zerbombten Hitler-Deutschland.

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Stina Ekblad  © Sebastian Hoppe
In einem einschüchternd hohen, steingrauen Saal (Bente Lykke Møller) ist bei Holm das Männerding Krieg – oder das, was davon als papierraschelnde Materialschlacht bleibt – eine weibliche Angelegenheit. Wodurch die historische Aufstellung sich erst recht zur theatralischen Aktion und Fiktion erklärt. Imogen Kogge, Karin Pfammatter und Stina Ekblad verleugnen nicht ihr Geschlecht. In grauen Kostümen, mit hochgestecktem Haar und ohne Maske sind sie: drei große Diktatorinnen, die aber mit der wie ein Requisit von Chaplins Hinkel daliegenden Erdkugel kaum spielen.

Wie bei jedem richtigen Herrn in einer Komödie stehen Knechte zur Verfügung. Einer heißt Smith, der andere Harry, der dritte Lavrentij. Auch die Stichwortgeber und Laufburschen der Big Three haben eine Menge zu reden, ebenfalls über Polens Schicksal oder über die Sexgewohnheiten der englischen Frau und gehören in der Uraufführung ebenfalls dem "schwachen Geschlecht" an. Was Holm veranlasst hat, eine erotische Verführungsszene - lesbisch oder schwul, man kommt ganz durcheinander - einzubauen, bleibt unerklärlich.

Idiot, Kobold und Sphinx

Churchill, eine dramatische Persönlichkeit, spricht flüssig von Demokratie, was mit seinem Alkoholkonsum zu tun haben mag. Sekretär Smith (Betty Freudenberg) hört kaum zu, aber attestiert Britanniens Leader "vernichtend konsequent" zu sein. Außerdem hält sich Sir Winston für einen Idioten, aber unter genialen Bedingungen. Indes macht er originelle Einlassungen zur Entwicklung der Intelligenz, die er mit dem Verzehr von Austern in Verbindung bringt. Imogen Kogge – stabil, etwas plusterig und die Backen blasend – lässt als hüftbetonte Matrone am ehesten das Vorbild durchscheinen, spielt munter drauf los und steht kräftig unter Dampf, als hätte sie Thomas Bernhards Figurenklang in ihrem Resonanzraum archiviert.

jalta1 280 sebastian hoppe uKarin Pfammatter und Xenia Noetzelmann
© Sebastian Hoppe
Roosevelt, schon des Todes gewärtig, vertraut auf "die Dynamik des Augenblicks", bleibt gern allgemein und scheint selten bei der Sache, mit Ausnahme seiner Vision von den Vereinten Nationen. Ein Zivilist eben, anders als sein bombiger Adlatus (Xenia Noetzelmann), der Lufteinsätze flog, aber listig ("Ich bin mein eigener Doppelagent") und mit den Schwächen der Krankheit operierend. Karin Pfammatter, lady- und businesslike und ein bisschen Dame Kobold, mischt ihm eine zarte, aber irgendwie auch zähe Substanz unter. Stalin, bei durchschimmernder Paranoia und Lust an der Psychofolter, ist Herr des Geschehens, erhält ideologische Nachhilfe von Sekretär Lavrentij (Elena Schmidt), den er arg kujoniert, wird hofiert von Roosevelt und lässt Churchill jovial auflaufen. Stina Ekblads unergründliches Sphinx- und Pharaonen-Antlitz erfüllt sich schönstens im Flirt mit einem Totenkopf.

Falten im Mantel der Geschichte

Die Regie folgt treu und brav der Vorlage – mehr lässt sich nicht sagen. Wohl aber fragen: Was sollen der Kleider- und Geschlechtertausch? Außer, dass die drei Kessen es können: Kanzler können bzw. Premierminister, Präsident, Sowjetführer – und Hauptrolle. Frau taugt zur Machtpolitik ebenso maskulin, professionell, heuchlerisch und skrupellos. Mehr Gender-Theorie steht nicht zur Debatte. Im großen Mantel der Geschichte, dessen Muster zu Recht den gerechten Krieg darstellt, gibt es Falten mit unsauberen Stellen. Die Sieger gehen noch kurz vor der deutschen Kapitulation bedenkenlos über Leichen, kalkulieren Millionen Opfer, Flüchtlinge, Kriegs- und zivile Bombardement-Tote.

Bei Svensson hat Joseph Goebbels das letzte Wort, bei Staffan Holm bekommt es Marlene Dietrich, deren "Lili Marleen" der US-Adjutant anstimmt, bevor der britische Smith sich ebenfalls mit Pathos, Sentimentalität und abgesoffenen Idealen aus der Geschichte verabschiedet. Moralsatter Applaus.

 

Jalta (UA)
von Lucas Svensson, aus dem Schwedischen von Jana Hallberg
Regie: Staffan Valdemar Holm, Bühne und Kostüme: Bente Lykke Møller, Licht: Torben Lendorph, Dramaturgie: Stefan Schmidke. 
Mit: Imogen Kogge, Karin Pfammatter, Stina Ekblad, Betty Freudenberg, Xenia Noetzelmann, Elena Schmidt, Winfried Küppers. 
Dauer: 2 Stunden 45 Minuten, eine Pause.

www.duesseldorfer-schauspielhaus.de


Kritikenrundschau

Lucas Svensson habe eine "radikal demokratische Komödie geschrieben", berichtet Ulrich Fischer für die Sendung "Fazit" auf Deutschlandradio Kultur (21.9.2013) und lobt die "feministischsatanische" Inszenierungsidee von Holm, "fast alle Rollen von Frauen spielen" zu lassen. Denn: "Wie allgemein bekannt, vor allem in Männerkreisen, die es schmerzlich am eigenen Leib erfahren, gibt es keine scharfsinnigeren Kritiker des starken Geschlechts als Frauen." In der zweiten Hälfte "kippt die Komödie, sie wird rätselhaft, absurd, bekommt tragische Züge." Insgesamt handle es sich um eine "herausragende Uraufführung".

"Churchill, Stalin und Roosevelt auf der Bühne, gespielt von Frauen, das klang ungewöhnlich. Vielleicht hätte diese Premiere eine Ahnung geben können, was Holm entwickeln wollte," schreibt Stefan Keim auf Welt online (23.9.2013). Doch es wurde aus seiner Sicht "einer dieser kunstbeflissenen Langweiler, durch die er gescheitert ist. Schon das Stück des bisher durch Jugendstücke bekannten Svensson ist ein ungelenkes Gelaber ohne Dramaturgie und Form." Immerhin könne man spüren, dass die Schauspieler noch kämpfen. "Das ist kein totes Ensemble, sondern eine Gruppe im Stich gelassener Darsteller, die in einem künstlerisch führungslosen, auseinander fallenden Theater ihre Haut zu Markte tragen."

"Ein zäher Brocken von drei Stunden, in dem mehr viel mehr gesprochen als miteinander gespielt wird," so Annette Bosetti in der Rheinischen Post (23.9.2013). Eine Verortung des Stoffs findet aus ihrer Sicht nicht statt, Zeitangaben fehlen, der Zuschauer sollte ihrer Empfehlung zufolge daher bereits gut vorbereitet in die Vorstellung kommen. Warum dieses Stück in den Hauptrollen ausschließlich mit Frauen besetzt wurde, bleibe offen. "Vielleicht wollte Regisseur Holm zeigen, welches Potenzial in Frauen steckt, dass ihnen politisches Kalkül nicht abgeht – wie Margret Thatcher und Angela Merkel es vormachen."

"Als wäre der Wahlkampf nicht schon langweilig genug gewesen," schreibt Andreas Rossmann in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (23.9.2013). "Jalta" sei redselig, aber bis auf ein paar Sticheleien und Sarkasmen rhetorisch nicht weiter aufregend: "Raschelndes Papier." Wohin dieser Autor mit seiner Komödie wolle, wird für Rossmann im Verlauf dieses Abends nicht recht erkennbar. "Die werkgetreue Inszenierung von Staffan Valdemar Holm, der, noch als Düsseldorfer Intendant, das Stück in Auftrag gegeben hatte, hilft da auch nicht weiter."

Ein "Theaterabend ohne große Wirkung," schreibt Marion Troja in der Westdeutschen Zeitung (23.9.2013). Häufig frage man sich an diesem ermüdenden, knapp dreistündigen Theaterabend, was Autor und Regisseur mit dem Stück wohl im Sinn gehabt haben.

Schauspielerisch habe der Abend einiges zu bieten, "doch obwohl der Text intelligente Fragen nach der Mentalität von Siegern und nach dem Wesen der Politik stellt, wirkt das Ganze allenfalls punktuell erhellend", schreibt Martin Krumbholz in der Süddeutschen Zeitung (25.9.2013). Woran liegt es? "Der Widerspruch zwischen der Dimension des Raums und der Trübnis seines Outfits - gleichsam ein Schwarzweißfilm auf der Bühne - erscheint nicht unklug gedacht und geht konzeptionell doch nicht auf." Es mag auch einerseits daran liegen, dass die Interessensgegensätze der handelnden Personen zu geringfügig sind, "andererseits daran, dass der frühere Düsseldorfer Intendant ein wenig schwerblütig am Text klebt".

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