Maske

von Teresa Präauer

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30. Juni 2015. Wer hat eigentlich den Namen des beliebten sozialen Netzwerks einmal mit "Fratzenbuch" übersetzt? Es wird wohl jemand gewesen sein, der es kennt und nutzt – und der oder die gleichzeitig dabei etwas von dem Grausen empfindet, das einen mitunter kalt erwischen kann beim Durchscrollen. Oder ist es ein wohlig-warmes Grausen? Nein, uns hier graust vor nichts, denn wer die Kunst liebt, der macht nicht Halt vor den Abgründen der Menschen. Im Gegenteil: mit Freude, Humor und Forschungsgeist widmet er oder sie sich dem Studium ihrer Erscheinungsformen. Wollte man die Kulturgeschichte der Masken fortschreiben bis in die Gegenwart, müsste man die Smartphone-Fotografie doch mitbedenken und sehen, dass die Gattung ihr prächtigstes Album geschaffen hat.

kolumne teresa2Duckface

Und es ist eine bildästhetisch stereotype Sprache, die sich dort aktuell durchgesetzt zu haben scheint: bevorzugt wird der Blick von unten hinauf ins Objektiv. Das macht, wir wissen es alle, das Kinn schmäler und die Augen größer. Für die Haltung der Lippen muss nicht erst das berühmte "Duckface" bemüht werden, es reicht ein spitzes Schnütchen, ein verschmitzes Grinsen. Ein bisschen so, als hätte man gerade ein Bonbon gestohlen, in den Mund gesteckt und entschuldigt sich dafür mit süßem Blick. Kein bemühtes Lächeln wie auf den Porträts der analogen Zeit, man muss sich nicht erst aufstellen, um dann geknipst zu werden: es entsteht vermeintlich aus dem Moment heraus, das Kamera-Auge bloß eine Armlänge oder einen Selfie-Stick entfernt. Wie nebenbei, gerade erst aufgewacht, und doch optisch schon so appetitlich. Die amerikanische Illustratorin Maira Kalman hat übrigens eine wunderschöne und lustige Serie gemalt von diesen alten, früheren Fotos des Sich-Aufstellens: Girls Standing on Lawns, Mädchen auf dem Rasen.

Vom Troll, Guy Fawkes und Lambada

Wer sich demonstrativ gegen das Dikat des Hübschen stellen will, verzieht das Gesicht, auch das nach den bekannten Regeln: Als "Troll-Face" könnte man das bezeichnen – wie das "Meme", das fragt: "U mad?". Aber der Troll guckt so vorwitzig-unschuldig, dass man ihm im vorhinein schon alles verziehen hat, auch, wenn er in Kommentarforen sein Unwesen getrieben haben sollte.
Ja, und dann gibt es auf diesen Bildern noch den aufgerissenen Partymund und im Weiteren dann die Zunge, die Zunge. Sie könnte hier ein eigenes Kapitel in Anspruch nehmen, aber als Forschungsgebiet ist sie bereits ausgelagert an einen Kollegen aus meinem Think Tank.

Und die Maske im Theater? Sie ist da: als Tiermaske, Gasmaske, Schminke, Teufelsmaske, Nô-Maske, Panda-Maske, Jelinek-Maske, Merkel-Maske, Vermummung, Karnevalsmaske, Totenmaske, Accessoire zum Kothurn, Eselsmaske, Guy-Fawkes-Maske, Blackface, Whiteface, Zombie-Maske, Strickmütze mit Blicklöchern, Commedia-Maske und so weiter. Wahrscheinlich ist die Maske auch das, was man als Kind als erstes mit dem Begriff Theater verbindet.
Ich habe einmal als Zehnjährige in einem Musical unserer Schule, man sagt "mitgewirkt". Es bestand aus einer überzeugenden Mischung aus Geisterschloss und Lambada, dem Sommerhit des Jahres 1989 Tribut zollend. Dafür habe ich mit meinem Vater eine Maske gebaut, sie bestand aus Mullbinden, blutroter Farbe und flexiblen Augäpfeln, die bei "Chorando se foi" aus meinem Gesicht springen sollten. Meine alte Grundschullehrerin hat danach zu mir gesagt, sie hätte bei diesem Auftritt eine ganz neue Seite an mir entdeckt.

Und jetzt, ihr im hohen Norden oben, tippt einmal in die digitale Bildersuchmaschine das süddeutsch-österreichische Wort "Schiachpercht". Und ich meine damit nicht: auf Facebook.

 

teresa praeauerTeresa Präauer ist Autorin und Zeichnerin in Wien. Sie erhielt 2012 für den Roman "Für den Herrscher aus Übersee" den aspekte-Literaturpreis für das beste deutschsprachige Prosadebüt. Ab 2. Juli nimmt sie in Klagenfurt an den 39. Tagen der deutschsprachigen Literatur, dem Wettlesen um den Ingeborg-Bachmann-Preis 2015 teil. In ihrer Kolumne Zeug & Stücke spürt sie den Einzelteilen nach, aus denen Theater sich zusammensetzt.

 

Zuletzt schrieb Teresa Präauer in ihrer Kolumne "Zeug & Stücke" über Aussprache auf der Bühne, über Schauspieler-Memoiren, Cosplayers auf der Leipziger Buchmesse und funkelnden Glitzer-Staub im Theater.

 

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