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Die Insel der Fuckholes

14. Dezember 2011. Für die Süddeutsche Zeitung (14.12.2011) interviewt Alexander Menden den britischen Dramatiker Simons Stephens zur Einstellung seines Landes gegenüber Europa, aus Anlass des jüngsten Vetos von Premierminister David Cameron gegen eine Änderung der EU-Verträge. Von einer polarisierten Öffentlichkeit im Königreich berichtet Stephens und bekennt: "Als Künstler interessiert mich dieser Dauerzustand existentieller Furcht natürlich sehr."

Europa halte derzeit als "fremder Sündenbock" für eine umfassendere wirtschaftliche und lebensweltliche Verunsicherung auf der Insel her, wobei der Dramatiker Stephens selbstkritisch mitreflektiert, dass er seine Gegner in ähnlicher Weise als homogene Masse anspricht: "Aber in meinem Kopf sind City-Banker alle ein Haufen schleimiger, habgieriger fuckholes, die sich am Versagen und an den Schwächen ihrer Mitmenschen bereichern." Er habe eine "intuitive Abneigung" gegen die konservative Tradition, die von Margaret Thatcher bis zu David Cameron, "ihrem lächelnden, dicklichen, schweinegesichtigen Ziehsohn", reiche.

Gleichwohl macht Stephens auch einen rationalen Kern der Europafeindlichkeit vieler seiner Landsleute aus: Man hege gegenüber der EU einen "Widerwillen, sich den Launen und Entscheidungen einer Institution zu beugen, über die wir nur begrenzte demokratische Kontrolle haben". Die Euro-Krise komme Politkern wie Cameron in ihrem Ressentiment gegen die Gemeinschaftswährung und ihrer Rückendeckung für das Bankensystem gelegen:  "Dabei war es ja nicht der Euro, der die europäischen Volkswirtschaften hat kollabieren lassen, sondern die Art von Bankgeschäften, die diese Politiker selbst so eifrig beschützen." Als Künstler betrachte Stephens diese konfliktreiche Lage mit großem Interesse. "Aber der Vater in mir sagt gleichzeitig: Ihr macht die Zukunft meiner Kinder kaputt!"

Und wie reflektiere das Theater auf der Insel diese Situation? "Viele britische Theatermacher, wenn auch bei weitem nicht alle, haben eine erstaunlich xenophobe Haltung gegenüber kontinentaleuropäischem Theater", sagt Stephens, der regelmäßig in Deutschland aufgeführt wird und eine enge Arbeitsbeziehung mit dem Regisseur Sebastian Nübling unterhält. "Einer der einflussreichsten Männer im britischen Theater hat über mich gesagt, mein Talent sei durch meine enge Beziehung zum deutschen Theater 'ruiniert' worden." Dabei empfinde Stephens das britische Theater als "museal" und selbstbezogen. Schier "komplett umgehauen" habe ihn dagegen Thomas Ostermeiers Hamlet letzthin beim Gastspiel in London.

(Süddeutsche Zeitung / chr)

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