Blog - Das Volkstheater Rostock soll künftig ein "funktionelles Vierspartenhaus" sein
Zeichen auf Abbruch
26. Februar 2015. Eigentlich ist alles gesagt, aber irgendwie muss man seine Katerstimmung abschütteln nach diesem langen Rostocker Abend mit seiner schwerwiegenden Entscheidung für das Volkstheater der Hansestadt, es zu einem "funktionellen Vierspartentheater" umzurüsten. Der strukturelle Umbau, der ein Abbau sein wird, hatte sich angedeutet. Lange schon. Und doch hatte ich als Mecklenburger bis zuletzt die Hoffnung, dass kulturelle Standortargumente in Rostock vielleicht doch schwerer wiegen könnten als die immergleichen politischen Reflexe: Kasse leer? Kamma Kultur sparen. Zwar ist das Ganze erst einmal eine Absichtserklärung der Stadt, mit der sie in die Verhandlungen mit dem Land tritt. Aber: Üppiger wird's nicht, die Zeichen stehen auf "funktionelles" Funktionieren.
Wie auch immer die Rudimente aussehen werden, die von Oper und Tanz bleiben, um daran die Gastproduktionen ins Repertoire zu fädeln: Sänger und Tänzer werden sie sicher nicht enthalten. Welche Rolle die Norddeutsche Philharmonie spielen soll, bleibt unklar: ein reines Konzertorchester? Eine Begleiterin der Opern-"Koproduktionen", von einem rasenden musikalischen Leiter fix auf den neuesten Stand gebracht?
Am Ende bleibt vor allem Traurigkeit. Darüber, dass Argumente der Theaterbefürworter nicht zu zählen scheinen. Darüber, dass auch ein verstärktes Hinschauen wie im Nord-Schwerpunkt von nachtkritik.de 2011/2012 nichts bewirkt hat, zumindest nichts vor Ort. Darüber, dass eine Institution, die wir lieben (und die wir gerade deshalb in unserer Stadttheaterdebatte und in der täglichen Berichterstattung immer wieder kritisieren), nicht mehr als notwendig angesehen wird. Die Hansestadt hat ihrem Theater und dem neuen Intendanten nicht einmal die Chance eingeräumt, sich ihr Renommee nach einem über 20 Jahre andauernden Herunterwirtschaften zurück zu erarbeiten.
Dabei klangen die Nachrichten aus dem Volkstheater zuletzt vielversprechend: Mit seinem Auftakt im Herbst hatte Sewan Latchinian gezeigt, was möglich ist, wenn die Sparten kooperieren. Die Oper wurde in der Presse weit über die Stadtgrenzen hinaus gelobt, mit Ingrid Babendererde (nach Uwe Johnson) zeigte das Haus, wie lokale und zugleich welthaltige Stoffe fruchtbar gemacht werden können.
Was daraus jetzt werden soll, da alle Zeichen auf Abbruch stehen? Und zwar in Mecklenburg-Vorpommerns einzig verbliebener Großstadt, dem einzigen Ballungsraum im Land, der noch wächst, statt Einwohner zu verlieren, einer Stadt, die mit Luxuswohnungen am Hafen gerade eine wohlhabende Klientel lockt? Einem Ort also, an dem Zukunft ist? Nein, die Katerstimmung wird sich nicht so schnell verflüchtigen. Aber vielleicht ist das auch alles zu viel verlangt von Rostock: seinem Theater die Erstklassigkeit zu sichern, wenn der lokale Fußballverein mit ähnlich glorreicher Vergangenheit in der 3. Liga spielt. Noch, muss man angesichts der Tabellensituation sagen. Was hoffentlich kein Omen für die verbleibenden zwei Volkstheater-Sparten ist.
(Georg Kasch)
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Jedenfalls scheinen ihnen die geplanten Strukturmaßnahmen nicht allzu viel auszumachen. Keine Proteste einer breiten Mehrheit wie bei der drohenden Insolvenz des Drittligavereins Hansa. Solidaritätsnoten Kulturschaffender für das Theater von überall her, nur nicht aus Rostock selbst
Im Übrigen fordert die Kommunalpolitik auch keine Abschaffung von Sparten, wie es hier beschrieben wird, sondern eine Kooperation zweier Sparten mit anderen Häusern. Für den Zuschschauer ist es zunächst einmal gleich, wo seine Vorstellungen produziert werden. Für ihn zählt vor allem, dass ein bestehendes Angebot weiterhin erhalten bleibt
Jede Verweigerungshaltung der Theaterleitung, Veränderungen möglich zu machen, wird dem Ansehen des Hauses in der Öffentlichkeit weiteren Schaden zufügen. Das insbesondere unter dem Aspekt, dass das Volkstheater den mit Abstand größten Anteil im Etat der Kulturförderung der Stadt Rostock für sich beansprucht.
http://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Theater-Rostock-vor-harten-Einschnitten,theaterrostock144.html
Denn: Kunst/Theater kann man immer machen. Unabhängig vom Geld. Es müssen sich nur Menschen dafür zusammen finden. So eine Kürzung ist immer bedauerlich, doch sie bietet auch eine neue Chance. Soll das OFF-Theater, das Bürger Theater zu neuem Leben erwachen! Dafür bedarf es nur ein wenig Mut und Liebe leidenschaftlicher Theatermacher.
http://www.ostsee-zeitung.de/Vorpommern/Stralsund/Politik/Rostock-will-Stralsund-die-Gorch-Fock-wegschnappen
http://www.veus.de/index.php/de/news/227-verlaesst-die-gorch-fock-i-stralsund
Ich ärgere mich immer darüber, wenn Kultur und Bildung so behandelt werden, als seien es zwei Dinge, die nichts miteinander zu tun haben. Wenn ich die Kultur einer Region auf ein Nichts zusammenstreiche, verhindere ich auch Bildungserlebnisse, die über die bloße Zweckabrichtung des Heranwachsenden aufs Funktionieren in einer durchrationalisierten Gesellschaft hinausgehen. Eine Kulturinstitution wie das Theater i s t eine Bildungsinstitution, warum begreift das keiner?
bitte lesen Sie diese Kommentare nicht, Sie werden den Kater sonst nie wieder los. Der hirnverbrannte IS-artige Fundamentalismus der Stellungnahmen („Lieber im Sport-und Kultur-Sektor sparen, als bei Bildung, Gesundheit oder bei beim Verkehrsnetz“, als gäbe es da keine Zusammenhänge!) korrespondiert nicht nur mit den aktuellen Verwüstungen im Museum von Mossul, sondern weckt die gleichen Zweifel: ob hier noch von einem evolutionären Prozeß die Rede sein kann, ob wir nicht vielmehr den Beginn eines Ent-Entwicklungsprozesses konstatieren müssen, an dessen absehbarem Ende der Homo sapiens den ohnehin nie wirklich fundamentalen Geist zugunsten einer rein vegetativen Existenzform aufgegeben hat, die in ihren verschiedenen, einander bekriegenden Ausprägungen nur noch auf die einfachsten grobstofflichen Reize zu reagieren imstande ist, wie sie durch die Dreieinigkeit von Kapital, Kalaschnikow und Konsum geschaffen und gewährleistet werden. „Die Politik“, die sich gegen diesen Verblödungskatarakt stemmen müßte, fährt stattdessen auf ihm Paddelboot, in der Hoffnung, wenigstens auf diese Weise noch an ein paar Wählerstimmen zu kommen. Die Deutschen waren noch nie ein „Kulturvolk“, nun ist der Zeitpunkt endgültig verpaßt - sie sind ein Kommentarvolk geworden. Ich leide mit Ihnen, das darf ich Ihnen versichern.
Aber zunächst: Ein Blick in die Zahlen hilft, wie häufig. Es gibt ja den veröffentlichten Teil der Theaterstatistik des Deutschen Bühnenvereins 2013, mehr habe ich nicht. Ohne Anspruch auf große Genauigkeit ergibt ein schneller Blick mit Taschenrechner:
In Deutschland hat MVP die meisten Theaterplätze auf 1000 Einwohner (28,5), das sind 5,68% der gesamten Plätze Deutschlands (die Rechenweise 'auf 1000 Einwohner' bezieht sich nicht auf die Gesamteinwohnerzahl des Bundeslands, sondern der Einwohner am Sitz des Theaters, was übrigens für Berlin zu einer sehr niedrigen Zahl von 5,5 Plätze auf 1000 Einwohner führt, das nur am Rande).
In MVP finden 5,1% der Theaterveranstaltungen in Deutschland statt, und 4,9% der Neuinszenierungen. Nur noch 3,1% aller deutschen Theaterbesuche finden in MVP statt, wobei die Zahl eigentlich dem Bundesland nicht gerecht wird, wenn man mal die Gesamteinwohnerzahl nimmt: wenn es auf 82 Mio. Deutsche 20 Mio. Theaterbesuche gibt, sind 660.000 auf 1,5 Mio. McPommeraner nicht schlecht.
Aber die Auslastung! Von 16 Bundesländern ist MVP bei der Auslastung: bei Oper 14. Platz, Tanz 15., Operette 15., Musical 15. Schauspiel letzter Platz, Kinder/Jugendtheater 15., Konzert 14., Figurentheater letzter Platz.
Bei den Karten ist es so, daß in MVP (zusammen mit Sachsen-Anhalt) nach Berlin die wenigsten Abonnements verkauft sind, und insgesamt die höchste Quote an verbilligten Karten verkauft werden.
Immerhin werden in MVP nur 2,9% der öffentlichen Zuschüße ausgezahlt, das führt dazu daß das Bundesland nach Bayern den niedrigsten Zuschuß pro Besucher (104,94 Euro) hat, unter dem Bundesdurchschnitt von 115,74 Euro/Besuch. Trotzdem: viel Geld.
MVP ist kein reiches Bundesland, leistete sich aber bislang relativ viel Theater. Das die Politik in Zeiten knapper Kassen da ansetzt, ist doch eigentlich selbstverständlich. Das kann man bedauern - und ich tue das auch - aber Politik muß ja (eigentlich) für alle gemacht werden, und nicht nur für eine kleine, privilegierte Kaste.
Da also gleich die Rostocker Entscheider mit dem IS zu vergleichen und überhaupt wortreich den Untergang des Abendlandes zu bedauern, womit man sich in interessanter Gesellschaft befindet, ist der wahre Verblödungskatarakt. Die Spitze der Ironie aber ist, daß Dauerkommentierer Steckel über den Übergang zum Kommentarvolk lamentiert. You can't make this shit up.
Aus dem Rathaus kann es kein Interesse an einem zeitkritischen Spielplan geben. Auf dem Speiseplan der Biederstraße 15 stehen Brecht, Ringelnatz und natürlich Latchinian selbst. Alles leicht verdauliche Stoffe, wegzulutschen wie ein zuckersüßes Bonbon und ganz im Sinne der Administration, die in den letzten Tagen einmal mehr unter Beweis gestellt hat, dass sie mit einem Schulterzucken und einem Grinsen imstande ist knallhart autokratisch zu führen. Folgerichtig, aber auch zahnlos, lächerlich und hochnotpeinlich ist es, dass Latchinian nun die Installation eines Volksbegehrens als sein nächstes großes Projekt ankündigt
Ganz besonders schlecht stehen nun die Steigbügelhalter zu dieser miesen Schau da. Was ist denn aus dem Sechsspartentheater geworden, das unter anderem auch auf nachtkritik.de beworben wurde? Kein Wort mehr davon. Stattdessen neue Rechenspielchen. Weitere Solidaritätsadressen an einen Intendant, der es tatsächlich schafft euch einen zu recht vergessenen Johnson-Erstling als „lokal und zugleich welthaltig“ zu verkaufen.
http://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Volkstheater-Intendant-ist-kaempferisch,theaterrostock144.html
die einzige frage ihres textes, die sich lohnt zu bedenken oder gar beantworten, ist die nach den zwei neuen sparten:
das Figurentheater hat bisher schon über 25 umjubelte Vorstellungen gehabt.
die bürgerbühne probt seit drei Monaten, und hat am 11. April premiere ...
http://www.volkstheater-rostock.de/de_DE/partner
http://www.volkstheater-rostock.de/de_DE/1-stapellauf-neubeginn-titanic
Es gab in dieser Spielzeit bereits u.a. Mozart, Moliere, Horvath, Fassbinder, Goethe, Johnson, Heine, und eine Vielzahl zeitgenössisches wie Wikmarks "modernen Tod".Den Roman "Ingrid Babendererde" hatte außer Ihnen glaube niemand vergessen, er gilt gemeinhin als frühes Meisterwerk und eine der treffendsten Beschreibungen der Zustände in den Anfängen der DDR.
- Planungssicherheit für das Theater bis min. 2020 zu gewährleisten
- Den Wiedereinstieg in den Flächentarifvertrag für die Beschäftigten des
Theaters bis 2020 zu gewährleisten
zudem sollen
- betriebsbedingte Kündigungen ausbleiben
- die Hälfte der Kosten für einen Theaterneubau durch das Land übernommen
werden
Das sind zumindest vier Punkte, die Kasch in seinem Blogbeitrag nicht einmal streift. Ferner soll nicht unerwähnt bleiben, dass es eine Vielzahl kritischer Leserbeiträge zu den Berichten über das Theater Rostock gibt, wie man sie auf nachtkritik.de in dieser geballten Form nicht findet. An vielen Stellen wird darauf hingewiesen, dass es gar nicht darum geht, das Theater ganz und gar abzuschaffen, sondern darum geht, vorhandene Mittel gerechter aufzuteilen. Hier ist der Artikel in ganzer Länge. Die Kommentare befinden sich unter dem Beitrag
http://www.das-ist-rostock.de/artikel/51186_2015-02-24_zwei-plus-zwei-oder-vier-minus-zwei/
Der letzte Versuch Planungssicherheit herzustellen war vor einem halben Jahr die Schließung der Spielstätte Theater im Stadthafen um die Tanzsparte zu erhalten. Kurz darauf schloss das Orchester einen Haustarifvertrag bis 2020 ab, in dem es auf Millionen verzichtete um Planungsicherheit zu erhalten.
Diese Sicherheit hielt nicht mal ein Jahr.
Wie soll man solchen Verhandlungspartnern überhaupt noch vertrauen?
Wieso nicht auch über Kooperationen für die Bühne nachdenken. Es muss ja nicht mit dem verschlafenen Theater Schwerin sein. Das Thalia in Hamburg wäre eine schöne Alternative. Nunes, Stemann, Rüping spielen Wagner, Jelinek, Lotz. Sicherlich nicht zum Nachteil eines Rostocker Publikums.
An der Debatte hier stören mich zwei Dinge: die – wie ich finde, naive – Obrigkeitshörigkeit der akademischen Rostocker Stammbesucher, die nicht zu sehen scheinen, dass ihr Theater klein gemacht werden soll, mit irreparablen Folgen. Und die wenig sachkundigen Vergleiche mit dem FC Hansa, der zwar mehr Fürsprecher hatte als das Volkstheater (Kunststück), aber keineswegs eine breite Unterstützung in der Bevölkerung / Öffentlichkeit, wie hier suggeriert wird.
So oder so – gut, dass nachtkritik ein Forum für das Thema bietet.