Blog - Im Herrenklo der Volksbühne klebt ein Hate-Tim-Renner-Sticker
Aus dem NS-Phrasenpool
von Georg Kasch
Berlin, 21. Januar 2016. Der Schock muss wirklich tief sitzen. Sowohl bei der Berliner Volksbühne, deren Tage gezählt sind. Als auch bei ihren Fans. Wer immer der Urheber dieses Aufklebers ist, der im Dezember gleich mehrfach in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz gesichtet wurde – er (oder sie) hat einen echten Hass auf die Entscheidung, dass nach 25 Jahren der Intendanz Frank Castorfs Schluss ist. Und dass Berlins Kulturstaatssekretär Tim Renner nicht etwa Sebastian Hartmann, René Pollesch oder Herbert Fritsch zum Nachfolger bestimmte. Sondern Chris Dercon, München- und London-erfahrenen Kultur-Manager, dem man neoliberalistisches Verwalten und ein internationales Allerlei vorwirft.
die ihm für die Vorbereitung seiner Intendanz bewilligt wurden, werfen kein gutes Licht auf den Wechsel, dazu wurde in der Berliner Kultur zu lange gespart, dass es quietscht. Andererseits gehörte das Prinzip der Verschwendung schon immer zur Castorf'schen Volksbühne, die beim fliegenden Kartoffelsalat begann und mit der Lebenszeit des Publikums nicht aufhörte. Und reicht der Ärger über die Neuausrichtung des Hauses, um Tim Renner gleich derart an den Pranger zu stellen?
Nein, knapp drei Millionen Euro,Nichts gegen Kritik, Spott, Satire. Aber: "Spott und Verachtung dem Schädling und Kunstvernichter" heißt es da, und wer dabei an Nazi-Rhetorik denkt, muss sich nicht mal an der Fraktur-Schrift stören (die von den Nazis sogar abgeschafft werden sollte). Auch Kulturbolschewik gehörte zum Phrasenpool des NS-Staats. Da helfen auch bildungsbürgerliche Fremdwörter ("Sykophant"), Thomas-Bernhard- und Kleist-Anleihen nichts – wer sich einmal im Ton vergriffen hat, dem traut man nicht mehr.
Die Aufkleber kennen keinen Urheber, haben kein Impressum. Als anonymer Kommentar wäre das auf nachtkritik.de jedenfalls vermutlich nicht durchgegangen.
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Sind's Sparmaßnahmen, ein neues schwarzes Brett, eine Wandzeitung? Nicht unbedingt ein Beispiel von überbordendem Selbstbewußtsein, wenn man sich in den Rückzugsorten noch mit Parolen umgeben muß.
Warum musste das auf Nachtkritik?
Warum darf Baucks eine ähnliche Hassrede schreiben und wird nicht wie viele der anderen Meinungen von euch zensiert?
Es macht übrigens keinen Spaß die Kommentare hier zu lesen, auch nicht die zur "Judith".
Warum?
Weil inhaltsleere Retorik.
Ich verabschiede mich jetzt endgültig von der Nachtkritik und freue mich auf ein paar aufregende Abende in der Volksbühne. Karamasow kann man mehrfach sehen. Warum soll ich Ziet mit dem Geschreibsel auf dieser Seite verbringen?
Übrigens, auch am DT heften diese Aufkleber monatelang auf dem Herrenkloh.
PS: Bitte beim Lesen einen Beep drüberlegen, wem es zu ordinär ist.
Da ist im Übrigen außer einem Intendantenwechsel noch gar nichts konkret passiert. Hier scheint 'der Haß' schon mal gehörig die Hirne zu vernebeln. So was passiert, wenn man hasst.
mit Interesse habe ich Ihren vorstehenden Blogbeitrag gelesen. Das Pamphlet kam mir vor einiger Zeit selbst – und zuerst außerhalb der Berliner Volksbühne – unter. Es scheint doch recht mobil zu sein, wie andere Kommentierende ebenfalls befanden. Sie kritisieren, dass darin Begriffe Verwendung finden würden, die Propaganda-Phrasen des Hitlerfaschismus waren. Dies ist ein schwerer Vorwurf, der geeignet ist den Ruf des genannten Theaters und seiner Verantwortlichen zu schädigen, da Sie eine Urheberschaft der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz implizieren.
Dazu hätte ich Fragen, um deren Beantwortung, Herr Kasch, ich Sie auch deshalb herzlich bitte, damit solchen Zweiflerinnen und Zweiflern der Wind aus den Segeln genommen werden kann, die meinen könnten, dass Ihr Blogbeitrag womöglich die journalistische Sorgfaltspflicht verletze:
1. Welche Erkenntnisse haben Sie, die es gestatteten eine Urheberschaft der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz zu implizieren?
2. Haben Sie die Leitung der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz informiert und ihr Gelegenheit gegeben zum Sachverhalt selbst Stellung zu nehmen?
Und:
3. Ist Ihnen bekannt seit welchem Tag der abgebildete Aufkleber im Herrenklosett der Berliner Volksbühne angebracht ist?
4. Ist Ihnen bekannt wie häufig die den gesamten Raum umfassende Reinigung bzw. Sanierung der Klosetts erfolgt, und wann diese zuletzt erfolgt ist?
5. Haben Sie den Aufkleber auch bereits an einem anderen Ort gesehen? Fall ja, wo? Falls ja, vor oder nach Ihrer ersten Sichtung dieses Aufklebers am beschriebenen Örtchen?
Ich habe zudem begründete Zweifel an der Eindeutigkeit Ihres Urteils, das Pamphlet griffe auf den "NS-Phrasenpool" zurück. Auf Ihrem Foto erkennen Sie den verwendeten Begriff "Kulturbolschewik". Ich wäre neugierig auf eine Debatte über den Bedeutungsunterschied zum Begriff "Kulturbolschewist". Fürderhin erkennen Sie den Begriff "Schädling". Der die mannx hinter der Stachelschrift vermied(en) offenkundig mit "Volksbühnenschädling" zu spotten. Denn das wäre als ein Spiel mit dem ekelhaften Menschenhassbegriff "Volksschädling", dessen sich die Nationalsozialisten bedienten, beziehungsweise dem Wort des "Schädlings am Volkskörper" zu verstehen gewesen, und gar nicht lustig. – Oder einfach Satire?
So steht da nun, mit spitzer Zunge, also immerhin ein "Schädling" neben anderen, bunt gemischten Grotesken. Überhaupt nicht nett. Aber lässt sich wirklich schlussfolgern, dass dies tatsächlich die vollzogene Apostrophierung eines Begriffs aus der Zeit ist, in der die Volksbühne am Horst-Wessel-Platz stand? Oder ist das Pamphlet nicht nur dick auftragende, ätzende Kritik? Und was apostrophiert eigentlich ein Jonathan Meese bei leicht angewinkelt ausgestrecktem rechten Arm? Ich meine, die schmerzhafte Schmonzette gut vor Augen, sogar und tatsächlich ein ganz großes Kennzeichen. Und doch ist selbst das, aus gutem Grund, in einer wehrhaften Demokratie, die den Hitlerfaschismus überwundenen hat, kunstvoll straflos – im Namen der Satire.
@5: Über Geschmack lässt sich streiten. Ad Renner: Was ist der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank? Und bitte Vorsicht mit den Nazivergleichen. Sagen Sie doch mehr über ein allzu oft eindimensionalisiertes Lesen aus als über ein (feiges?) mehrdeutiges Verfassen. Die Sticker klingen nicht so als ob sie die Absicht hätten, eine Sachdebatte zu führen. Dann sollten wir sie auch nicht entlang einer solchen Latte messen. Da hat G. Kasch recht.
@11: Wohin blicken Sie denn? Vom eigenen Sockel hinunter? Mich fasziniert eher, dass vor Monaten nur eine kleine Welle durch's Feuilleton schwappte und nun die Debatte "Castorf-Kill" neu aufflammt. Das ist leider zu spät. Auch die Renner-Hater sind zu spät dran. Der Mann hat sich unsäglich verhalten (Entscheidung, Prozess, Diskussion), aber er kommt damit durch. Denn: AM ENDE KOMMEN TOURISTEN.
@16: Solche Beschwichtigungsrhethorik gab es auch vor der Dercon-Berufung. Das ist leider eine derart kunstphlegmatische Bräsigkeit, bei der ich mich wundere, warum Sie sich überhaupt die Mühe machen, hier zu kommentieren, wenn es Ihnen doch alles so egal ist. Mit einer solchen Haltung kann man Bibliothekar werden, weniger Debattant.
'Allen Hasses wert'? Was kommt dann, zünden wir Autos an, schmeißen Scheiben ein? Oder kleben nicht mehr nur bescheuerte Aufkleber in die Toiletten, sondern jagen sie gleich hoch?
Ach so, Sie wollen nur die 'rettet Castorf'-Debatte nochmal starten... dann schnell rüber in den 'Judith'-Thread.
Kann sein, daß ich phlegmatisch bin, aber wenn ich mir die derzeitige Berliner Landesregierung so ansehe, scheint mir Herr Renner vor deren himmelschreienden Problemen fast gar nicht mehr zu sehen zu sein. Kultursenator ist übrigens Michael Müller.
Und schließlich for the record: mir ist die Castorf-Abberufung und die Berufung von Dercon nicht egal, ich begrüße sie. Meiner Meinung nach sollte kein Intendant länger als 12-15 Jahre auf demselben Stuhl sitzen, schon gar nicht, wenn er selber inszeniert.