nachtkritikstream - Christopher Rüpings "Früchte des Zorns" als Livestream vom Schauspielhaus Zürich in Kooperation mit dem Baltic House Festival St. Petersburg
"Früchte des Zorns" live gespielt und gestreamt aus Zürich
9. Oktober 2020. Wie wird sich das Format des Livestreams weiter entwickeln? Was ist mit Inszenierungen möglich, die für den physischen Theaterraum produziert wurden, und jetzt zugleich analog und online laufen? Christopher Rüpings Inszenierung von Früchte des Zorns wird am Sonntagabend ab 19 Uhr als normale Vorstellung am Schauspielhaus Zürich im Pfauen gezeigt. Der Abend wird aber zudem als Livestream in Kooperation vom Baltic House International Festival in St. Petersburg zu sehen sein. Vorstellungsbeginn ist 19 Uhr, es gibt eine kurze Einführung von Rüping. Der Stream wird mit russischen Untertiteln laufen und von einem professionellen Kamerateam aufwendig live gefilmt und live gesendet. Der Livestream ist am Sonntag hier im nachtkritikstream ab 19 Uhr zu sehen.
Auf der Website des Schauspielhaus Zürich heißt es über die Inszenierung:
"Alle können es schaffen. Nur anstregen muss man sich, arbeiten, fleissig sein und sich nicht schonen. Dann können weder Armut noch Naturkatstrophen und schon gar nicht andere Menschen einen aufhalten. So ist zu Beginn von John Steinbecks epochalem Amerika-Epos die Familie Joad überzeugt und mit diesem Glauben zieht sie los in den goldenen Westen, wo überall Orangen wachsen und es Arbeit für jeden gibt. So heisst es. Die Wirklichkeit sieht anders aus. (...)
Die Figuren können in Steinbecks nobelpreisgekröntem Roman nicht ihr Schicksal in die Hände nehmen, denn ihre Hände sind gebunden. Als erste Inszenierung seiner Hausregie am Schauspielhaus Zürich inszeniert Christopher Rüping im Pfauen Steinbecks Geschichte zwischen Dürre und Sintflut, Paradies und Hölle. "Go West, go West / Where there’s fruit in every place / A smile on every face.'"
In Ihrer Nachtkritik schreibt Valeria Heintges bei uns:
"Wer sich einlässt auf dieses wilde, wahnwitzige Theater, sieht eine intelligente Steinbeck-Modernisierung. Der sieht auch ein wunderbar durchdachtes Bühnenbild von Jonathan Mertz mit aufblasbaren Gold-Kakteen und skelettösen Bäumen voller Orangen – auch sie nur aufblasbare Luft. Und er sieht ein großartiges Ensemble, in dem Wiebke Mollenhauer, Steven Sowah und Benjamin Lillie als Markenmenschen hervorragen und Maja Beckmann und Nadège Kanku als starke Joad-Frauen beeindrucken. (...) Rüpings 'Früchte des Zorns' gelingt ein hochkomplexer, hochverdichteter Theaterabend. Aber zuweilen überfordert der seine Zuschauer, will zu viel und verliert den roten Faden zwischen Radio Shows, Interviews, Original Steinbeck-Text. Und klebrigen Popsongs von 'California Dreaming' bis zu Adeles 'Hello', die Markenmensch und Musikerin Kotoe Karasawa mit phänomenal wandlungsfähiger Stimme süßlich dazwischen- und darüberwebt."
Früchte des Zorns
nach dem Roman von John Steinbeck
Inszenierung: Christopher Rüping, Bühne: Jonathan Mertz, Kostüme: Lene Schwind, Musik: Jonas Holle, Kotoe Karasawa, Dramaturgie: Katinka Deecke.
Mit: Maja Beckmann, Gottfried Breitfuss, Nils Kahnwald, Nadège Kanku, Kotoe Karasawa, Benjamin Lillie, Wiebke Mollenhauer, Steven Sowah.
Premiere am 25. Oktober 2019
Dauer 2 Stunden 45 Minuten, eine Pause
neu.schauspielhaus.ch
Mehr über das Baltic House International Festival in St. Petersburg
Mehr zu der Inszenierung in unserer nachtkritik vom Oktober 2019
Christopher Rüping experimentierte mit dem Livestream-Format in seinem mehrteiligen Dekalog, den wir im Frühjahr teilweise bei uns im nachtkritikstream und im Netztheater special gezeigt haben. Und auch seine Inszenierung von Trommeln in der Nacht entstand als Stream mit mehreren Kameras aus St. Petersburg, nämlich beim Gastspiel bei der "Theaterolympiade" im Alexandrinsky Theater Sankt Petersburg.
Mehr über Netztheater-Experimente unter anderem vom Schauspielhaus Zürich lesen Sie in den Überblickstexten Intime Räume – Wie das interaktive Netztheater den Zuschauer für sich entdeckt und nachtkritikstream – Wie das Streamen von abgefilmtem Theater der Bühnenwelt neue kulturelle Bedeutung verschaffen kann.
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Erst nach einer Weile wird die Inszenierung spielerischer, ihr Markenzeichen ist aber die ironische Halbdistanz, in der sie verharrt. Vor allem Benjamin Lillie mischt den Abend immer wieder auf, als Goldkettchen-Rapper kommt er nach der Pause auf die Bühne und fordert das Pfauen-Publikum dazu auf, im Mitmacher-Theater-Stil die Arme in seinem Rhythmus hochzureißen. Zwischen Kindergeburtstag, Ironie und tollen Gesangsnummern navigiert sich der Abend durch den Roman, kann dabei aber nicht überdecken, dass der rote Faden verloren ging oder nie erkennbar war, wie Valeria Heintges in ihrer Nachtkritik zurecht feststellte.
Spannend an diesem Livestream aus dem Zürcher Schauspielhaus ist vor allem, wie unterschiedlich die Corona-Regeln in Zürich und an den großen Häusern in Deutschland gehandhabt werden. Christopher Rüping schrieb hier darüber: https://twitter.com/CRueping/status/1315548939878367232?s=20
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2020/10/12/fruchte-des-zorns-christopher-ruping-schauspielhaus-zurich-theater-kritik/