Körber Studio Junge Regie - Thalia Theater Hamburg
Humor und Härte
12. Juni 2023. "Szenische Lesung, Sorry!" Beim Körber Studio Junge Regie setzt sich Elena Hoofs "This Is Not A Safe Space" in einem starken Nachwuchsregie-Jahrgang durch. Und beweist künstlerischen Eigensinn in einem Umfeld handwerklicher Kunstfertigkeit. Eine Festival-Bilanz.
Von Falk Schreiber
12. Juni 2023. "Ich bin Max Böttcher", stellt sich Max Böttcher vor, "Schauspieler und Performer." "Ich bin Lisa Heinrici", sekundiert Lisa Heinrici, "Schauspielerin". Womit das Spannungsfeld des Körber Studios Junge Regie im Hamburger Thalia Theater schon mit Gil Hoz-Klemmes "Gustaf Gründgens/Shame! Shame! Shame!" von der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt abgesteckt wäre: Das fünftägige Treffen von Theaterstudierenden versammelt alljährlich Nachwuchskünstler:innen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum (sowie einer jährlich wechselnden Gasthochschule, diesmal der Lithuanian Academy for Music and Theater aus Vilnius), und weil die Hochschulen mit den Entsendungen ihr Profil schärfen, also Postdramatik in den Vordergrund stellen (Gießen und Hildesheim), popkulturgestählte Coolness (Berlin und Hamburg) oder ordentliches Schauspielhandwerk (Wien und Salzburg), treffen hier ganz unterschiedliche Theaterästhetiken verhältnismäßig ungebremst aufeinander. "Schauspieler und Performer" auf der einen Seite, "Schauspielerin" auf der anderen.
Dekonstruktion eines Denkmals
Interessanterweise verbindet Hoz-Klemme beide Aspekte in seinem Beitrag. Der Abend ist als Reenactment eines Interviews, das Günter Gaus 1963 mit Gründgens führte natürlich hochironisches Diskurs- und Fußnotentheater, gleichzeitig ist das Stück aber auch eine kritische Würdigung ganz großer Schauspielkunst. Die in den vergangenen Jahren nur dann zum Thema wurde, wenn sie eben Teil des Lehrplans war. Diesmal aber macht sich Hoz-Klemme mit sympathischer Uncoolness freiwillig an die Dekonstruktion eines Denkmals. Reizend.
Wobei das gut beherrschte Handwerk aktuell ohnehin eine Renaissance erlebt: die Körperarbeit im Vereinzelungsstück "Not No One" von Elias Geißler (Theaterakademie Hamburg)! Die Raumnutzung in Glen Hawkins’ Romandramatisierung "Bin ich ein überflüssiger Mensch?" (Akademie für Darstellende Kunst Ludwigsburg)! Die genaue Textlektüre in Marion Hélène Webers verhältnismäßig traditioneller Horváth-Aktualisierung "Kasimir und Karoline oder Jugend ohne …" (Mozarteum Salzburg)! Der komödiantische Charme in Alexander Vaassens Liebesanalyse "Die Geschichte mit der Lampe – Fragmente einer unendlichen Liebe" (Folkwang Universität Essen).
Pandemisch geprägt
Der Wermutstropfen solcher Kunstfertigkeit: Eine performative Arbeit wie Elena Hoofs "This Is Not A Safe Space" (Institut für Medien, Theater und Populäre Kultur, Hildesheim), die wegen ihrer autobiografischen Schutzlosigkeit eigentlich optimal in das von Thalia-Intendant Joachim Lux ausgerufene Festivalmotto "Seid eigensinnig!" passen würde, wirkt da plötzlich wie ein Fremdkörper. Wobei "This Is Not A Safe Space" zugegebenermaßen als Theater ausnehmend gut funktioniert: Hoof beschreibt hier ihre Krise, als sie nach einer Covid-Infektion ins Koma fiel. Und findet hierfür eine ganz eigene performative Form: "Für alle, die das nicht erwartet haben – das ist eine szenische Lesung. Sorry." Interessant derweil, dass sich Paula Lynn Breuer mit dem teils spröden, teils hermetischen "To Tell A Story Is An Act Of Love" (Zürcher Hochschule der Künste) ebenfalls mit Krankheit auseinandersetzt – augenscheinlich ein Thema für eine Künstler:innengeneration, die einen Teil der Ausbildung während der Corona-Pandemie verbringen musste. Immerhin: Auch Edit Kaldors Eröffnungsrede betont, dass hier Studierende versammelt sind, bei denen das Trauma Corona prägend für die eigene künstlerische Biografie ist.
Unterschiedliche Produktionsbedingungen
Darüber hinaus gibt es natürlich wie immer Produktionen, die nicht nach Studiumsarbeit aussehen, sondern nach fertigen Inszenierungen, Produktionen, die in Zusammenarbeit mit kooperierenden Bühnen entstanden sind und dort teilweise auch im Repertoire laufen. Der Hamburger Beitrag "Not No One" etwa ist eine Kooperation mit der Berliner Volksbühne. Naemi Friedmanns "Die Zofen" (Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch Berlin) kooperiert mit der hauseigenen Puppenspielabteilung, wobei insbesondere die von Melanie Sowa gestaltete Puppe die durchaus stadttheatertaugliche Genet-Inszenierung prägt. Und Elias Emmerts "Tal der Tränen. Eine Orestie" (Otto Falckenberg Schule München) ist eine Zusammenarbeit mit den Münchner Kammerspielen.
Emmert trotzt dem (dieses Jahr überraschend wenig gepflegten) Genre der Antikenüberschreibung mit den geballten Ressourcen des A-Klasse-Theaters eine erfrischend unverbrauchte Perspektive ab, indem er den "Orestie"-Stoff als Generationenkonflikt innerhalb einer dysfunktionalen Familie neu erzählt, unter besonderer Berücksichtigung von Klimakatastrophe und Letzter Generation. Das ist cool, unterhaltsam, auch politisch relevant – nur leider lässt sich eine so aufwendig ausgestattete Arbeit kaum vergleichen mit einem Studierendenprojekt, das unter prekären Bedingungen auf der Probebühne der Hochschule entwickelt wurde.
Gutes Handwerk
Echte künstlerische Querschläger, die sich jenseits der theatralen Form positionieren, gibt es dieses Jahr kaum – neben "This Is Not A Safe Space" vielleicht Tanju Girişkens immersive New-Wave-Migrationsstudie "befristet/für immer" (Bayerische Theaterakademie August Everding München), die aktuelle Migrationsbewegungen in die Realität des Publikums verlagert. Es geht um Wirtschaftsmigrant:innen, die keine Gastarbeiter:innen sind, sondern hochqualifizierte Fachkräfte, und die Ausgrenzung über die Sprache erfahren, eine Erfahrung, die auch Girişken kennt, der 2012 in Istanbul sein Schauspielstudium beendete und dann in der Türkei als Schauspieler arbeitete, bevor er ab 2020 in München Regie studierte. Girişken lässt seine Darsteller:innen also ganz direkt ins Publikum fragen, wer von den Zuschauer:innen wegen Mehrsprachigkeit diskriminiert werde, um von dort aus seine Analyse zum Fetisch Sprache zu starten.
Und auch Max Smirzitz beschäftigt sich mit Sprache beziehungsweise mit Sprachskepsis. Sein "piece for drumset and powerpoint" (Institut für Angewandte Theaterwissenschaft Gießen) schillert zwischen Konzert, Literatur, Bildender Kunst und ein ganz klein wenig Theater, als hochverdichtetes Stück, in dem das live gespielte Schlagzeug ohrenbetäubend den projizierten Text antreibt und mittels Rhythmuswechseln, Synkopen, Verschiebungen ins Chaos kippen lässt.
Und interessanterweise zeigt auch Olivia Axel Scheuchers "Highway Of Heroes" (Max Reinhardt Seminar Wien) einen jenseits tradierter Formen entwickelten Zugriff, indem hier der soldatische Körper mit dem queeren Körper identifiziert wird. Inhaltlich ist das wahrscheinlich der originellste Ansatz des diesjährigen Tableaus, den Scheucher dann allerdings mit einer verhältnismäßig unoriginellen Theaterästhetik koppelt und brav ein Stück mit Anfang und Ende sowie in sich ruhenden Figuren inszeniert. Womit der Kreis zu den das Festival prägenden handwerklichen Fertigkeiten wieder geschlossen wäre.
Was wie jedes Jahr schön ist: zu beobachten, wie die Nachwuchskünstler:innen zu Festivalbeginn noch Konkurrenzverhalten zeigen, das im Laufe der folgenden fünf Tage immer mehr abgeschliffen wird, zu Gunsten einer in Teilen solidarischen Gemeinschaft. Einer solidarischen Gemeinschaft, die sich freilich am letzten Abend wieder auflöst: Da vergibt eine Jury, diesmal besetzt mit Yunus Ersoy (Dramaturg:in am Berliner Maxim Gorki Theater), Ludwig Haugk (Dramaturg am Deutschen Schauspielhaus Hamburg), Kathrin Mädler (Intendantin am Theater Oberhausen), Ruth Mensah (Regisseurin und Teilnehmerin am Körber Studio 2022) und Shirin Sojitrawalla (Kulturjournalistin, unter anderem für nachtkritik.de), den mit einem Produktionskostenzuschuss in Höhe von 10.000 Euro für eine weitere Arbeit verbundenen Preis der Körber Stiftung. Und plötzlich steht man dann doch wieder in einer Konkurrenz um gar nicht mal so wenig Geld.
Auf der Shortlist der Jury standen neben "This Is Not A Safe Space" "befristet/für immer", "piece for drumset and powerpoint", "Gustaf Gründgens / Shame! Shame! Shame!" sowie "To Tell A Story Is An Act Of Love" und "Die Zofen".
Keine repräsentative Jury-Entscheidung
Und auch wenn das Ziel ist, die durch die Bank jungen Künstler:innen nicht mit allzu harten Urteilen vor Publikum zu traumatisieren – die öffentliche Jurysitzung geht dann doch wieder ans Eingemachte. Dann kritisiert Sojitrawalla das Frauenbild in Webers Salzburger "Kasimir und Karoline", dann bemängelt Haugk, dass Emmerts Münchner "Tal der Tränen" "sehr brav" geraten sei, und eine Schonung verletzlicher, junger Seelen sähe vielleicht doch anders aus. Andererseits will ein Preis vergeben werden und diese Vergabe will begründet werden. Am Ende gehen die 10.000 Euro an Elena Hoof und ihre Hildesheimer Performance "This Is Not A Safe Space" – untypisch für den diesjährigen, durch die Bank recht starken, aber dann eben doch sehr aufs Theater fokussierten Jahrgang. Jurorin Mensah lobt, dass sie noch nie gesehen habe, wie so konsequent Themen wie Mutterschaft, Körper-Traumata und Krankheit verhandelt würden, Mädler ist begeistert von Humor, Selbstironie und Härte des Abends, und nur Ersoy stellt die Frage, ob solch eine Arbeit sich der Bewertung im Rahmen eines Regiefestivals nicht vielleicht entziehe? Der undotierte Publikumspreis schließlich geht an Tanju Girşkens Münchner "befristet/für immer".
Disclaimer: 2019 war der Autor Jurymitglied beim Körber Studio Junge Regie.
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