Redaktionsblog - Peter Stein erklärt die Tragödie
Aristoteles und ich
3. Juli 2009. Peter Stein ist zu uns gekommen. Gestern Abend in die Agora der Volksbühne. Ein kleiner viereckiger Tisch ward ihm aufgestellt. Ein Glas Wasser. Auf dem Tisch ein schwarzes Mikrofon, davor ein kleiner schwarzer Lautsprecher. Neben dem Tisch ein Täfelchen in hellem Holz. Kurz vor und nach dem Peter-Stein-Auftritt erging sich Regen über Berlin-Mitte. Die Agora war nicht ausverkauft, und der erste Blick von Peter Stein ist ein mürrisches Mustern der Zuhörerschar. Das schwarze Hemd ist hochgeschlossen, schwarz die Schuhe, schwarz das Hemd. Die Uniform der Theaterintellektuellen. Peter Stein steht sie gut.
Und dann sprach er, über anderthalb Stunden. Er machte Mitteilungen, wie er das nennt. Mitteilungen an Zu-Unterrichtende über die Tragödie, ihr Entstehen, ihr Wesen, ihren Gegenstand. "Es ist alles platt, was ich sage", sagt Stein, "aber einleuchtend." Er hat zwischendurch auch mit einem schwarzen Stift auf die Tafel gemalt. Die Bühne, der Standort des Chores. Sehr einleuchtend.
Alles, was Peter Stein uns mitteilte, steht in jedem Einführungsbändchen zur griechischen Tragödie, nur dass dort immer auch noch ein paar Konkurrenztheorien behandelt werden. Bei ihm nicht. "Tragödie ist das Einzige, wo ich mich wirklich auskenne", lässt er uns wissen, "mit 13 habe ich meine erste Sophokles-Tragödie übersetzt." Nie erwähnt er einen Namen aus der langen Liste der Tragödientheoretiker, nicht Nietzsche, nicht Hegel, keinen Christian Meier, nur Aristoteles. Da weiß man, wo sein Selbstverständnis herkommt: Aristoteles und ich.
Und irgendwann fiel mir dann einer meiner Professoren im Grundstudium ein. Nur ein Semester habe ich ihn erlebt, im Herbst 1993 an der Universität Potsdam. "Methodenlehre und Methodengeschichte der Literaturwissenschaft". Das war damals Pflicht. Der Herr Professor hatte über zwanzig Jahre in der DDR gelehrt, an der Pädagogischen Hochschule Potsdam, und war irgendwie mit ins neue, andere System gerutscht. Er legte Folien aus den 70er Jahren auf den Polylux und erklärte uns den Marxismus-Leninismus als sei nichts, aber auch gar nichts gewesen seitdem. "Bremsen Sie mich! Bremsen Sie mich!", rief er. Er war nicht zu bremsen, er fabulierte sich in die DDR zurück.
Peter Stein sagt zwischendurch immer wieder: "Jetzt labere ich schon so lange!" und redet weiter. "Alles im Theater ist am Anfang innovatorisch und dann versteinert es. So ist das immer." Da hat er recht.
(dip)
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(dip ist Dirk Pilz. Die Red.)
(Die Redaktion erlaubt sich, darauf hinzuweisen, dass ein Blog kein Kritikformat ist. BLOG ist eine Wortkreuzung aus den Worten World Wide Web (wovon der letzte Buchstabe übrig blieb) und Logbuch, worunter man gemeinhin ein höchst subjektiv geprägtes, mitunter tagebuchähnliches Protokoll versteht. sle)
Der BLOG von Dirk Pilz, wie ich ihn verstehe, will (und muss) ja keinen vollständigen Bericht geben. (Der soll mehr ein kleines Schlaglicht auf den Abend hinwerfen, scheint mir.) Deshalb noch einmal meine Frage: Wie war's, die Sache selbst und das ganze Drumherum?
sitzen mag und reden mag,
nicht die Musenkunst verdammt
und das Höchste der Tragödie
nicht verächtlich übersieht!
Eitel Narrheit ist es doch,
auf gespreizte hohle Reden
und abstraktes Spintisieren
einen müßgen Fleiß zu wenden!"